Deutsche „shoppen die Krise einfach weg“, melden die Mainstream-Medien. Nie zuvor wurde soviel eingekauft wie 2011, ganze 413 Milliarden wird der Einzelhandel dieses Jahr umgesetzt haben – ein Rekord.
Angeblich liegt das an der „stabilen Lage am Arbeitsmarkt“ und (ja wirklich!) der „guten Entwicklung der Einkommen“. Wenn aber die Stimmung kippe und die Bürger „negative Einkommenserwartungen“ hätten, sei es schnell aus mit der Ausgabenfreude.
Ich frag mich, ob es tatsächlich möglich ist, dass sich so viele Menschen von den Nachrichten der letzten Monate kein bisschen irritieren lassen? Oder kaufen viele jetzt noch mal so richtig ein, weil sie fürchten, dass es bald nichts mehr zu kaufen gibt?
Vom Sturz in die gemeinsame Wirklichkeit
Jeden Tag schau‘ ich in viele verschiedene Welten, die alle unterschiedliche Wichtigkeiten pflegen – noch. Es ist noch so wie an der Bushaltestelle, solange alle glauben, der Bus käme pünktlich. Die einen telefonieren, andere gucken in eine Zeitung, wühlen in der Handtasche oder schauen in Gedanken versunken vor sich hin – keiner bemerkt den Anderen. Klar, was hätte man auch miteinander zu tun?
Kommt der Bus dann nicht, ändert sich alsbald das Verhalten: man spricht miteinander, schimpft über die Verspätung, über die Betreiber und die allgemeine Schlampigkeit. Man erzählt von anderen Verspätungen und spekuliert über die Dauer der Wartezeit, alles noch ganz gemütlich. Kommt nun aber weder der erwartete noch der nächste Bus, werden alle richtig nervös. Jetzt ist man persönlich betroffen und muss sich fragen: wie komme ich weiter? Auf einmal gibt es nur noch ein Thema, eine einzige Wichtigkeit. Alle sind für den Moment in derselben Welt, in einer gemeinsamen Wirklichkeit gestrandet: Der Bus kommt nicht! Und jetzt?
Gestern hat Italien die Schwelle überschritten, ab der laut herrschender Meinung einem Staat die eigene „Refinanzierung“ unmöglich wird: Über 7% stieg die Rendite italienischer Staatsanleihen – trotz Stützungskäufen der EZB (für die wir übrigens anteilig haften). Mit 2000 Millarden Staatsschulden gilt Italien zudem als „unrettbar“. Der „Rettungsschirm“ ist dafür viel zu klein, da hilft auch alles hebeln und nach dem Gold der Staaten greifen nichts.
Die Bankenkrise wurde zur Schulden- und Staatenkrise, wie es viele voraus gesagt haben. Wer meint, auf die Banken könne man doch pfeiffen, ihnen geschehe ja nur recht, wenn sie pleite gehen, verweigert den realistischen Blick auf die Lage: Wenn Staatsanleihen der Südschiene nicht mehr genommen und die vorhandenen mittels „Haircuts“ entwertet werden, bricht die gesamte Staatsfinanzierung zusammen – mit massiven Folgen für alles, was da dran hängt: soziales Netz, Gehälter, Arbeitsplätze und vieles mehr. Aber auch die Wirtschaft wäre massiv betroffen, denn an Unternehmen geben die Banken erst recht keine Kredite mehr aus, wenn ihnen die Verstaatlichung oder der Untergang droht.
Böse Märkte?
Das alles passiert in großer Geschwindigkeit und wird gern mit den Worten beschrieben, die Politik sei „getrieben von den Märkten“. Böse Märkte, das! Aber wer von uns würde denn selber noch Geld auf ein Spar- oder Festgeldkonto legen, wohl wissend, dass Andere, die dasselbe taten, gerade einen „freiwilligen Verzicht“ auf 20 oder 50 Prozent leisten mussten? Hier gehts eben nicht um „Spekulation gegen den Euro“, sondern um ganz natürliches Verhalten sämtlicher Anleger bis hin zum Kleinsparer. Selbst mein Vater, ein kleiner Angestellter im öffentlichen Dienst, hatte „festverzinsliche Wertpapiere“ und empfahl sie mir ungefragt noch auf dem Sterbebett als einzig akzeptable, weil „sichere“ Anlageform.
Was wird?
Ich möchte nicht in der Haut der Politiker stecken, von denen nun erwartet wird, dass sie – irgendwie – den Tiger reiten und die „Todesspirale“ der Vertrauensverluste stoppen. Was, wenn es nicht gelingt? Oben schon zitierter FOCUS ist ja nun kein Extremistenblatt, doch selbst da erscheinen in diesen Tagen Artikel wie „Die nächste Währungs-Reform kommt“.
Zerbrechen des Euro, ein „Nord-Euro“, zurück zur D-Mark, weltweite Rezession, ein „Total-Crash des Finanzsystems“, Hyperinflation – die noch schrecklicheren Erwartungen jener, die sich auf ein Leben im persönlichen Bunker vorbereiten, ausgestattet mit Krisenvorsorge-Waren bis unter die Decke, lasse ich jetzt mal aus Stimmungsgründen aus.
Dann wieder ein Blick in die „vielerlei Welten“: Wer künftig „Wetten das?“ moderiert, ist seit Tagen Top-Thema im Mainstream, die Netz-Affinen feiern die neuen Unternehmens- und Künstler-Seiten auf GooglePlus und fordern von den Piraten, dass sie – immerhin schon ein paar Tage in einem Landesparlament! – in Sachen Urheberrecht nun auch liefern. Die Koalition gönnt der FDP eine unsinnige Mini-Steuersenkung und der CSU ihre „Herdprämie“. Kann es da wirklich so schlimm stehen?
Noch glaubt man eben, dass der nächste Bus dann doch kommen wird.
Und ich hoffe mit, dass das klappt.
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Lesenswert: Veränderungen (Kaffee bei mir)
Sehenswert: Dirk Müller spricht Klartext (WDR/Youtube) – mit einem recht positiv klingenden Ausblick auf den „Reset“.
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19 Kommentare zu „Wenn der Bus nicht kommt – Gedanken zur Krise“.