Über die Umstrukturierung des Internets weg von den Inhalten hin zu Personen
Die Sinnkrise beim Bloggen ereilt jeden mal, erst recht, wenn man das schon viele Jahre macht. Dabei weiß ich noch gar nicht, ob „Sinnkrise“ das richtige Wort ist für meine aktuellen Irritationen in Sachen „ins Web schreiben“. Es geht auch nicht allein um den Verlust von Blog-Kommentaren durch die „sozialen Netze“ – auch wenn ich das jetzt hier als Einstieg ins Thema nutze.
Kommentare ab in die Netzwerke?
Robert Basic hat in seinem neuen Technik-Magazin Buzzriders das Kommentieren gar nicht erst erlaubt – deshalb nenne ich es auch nicht mehr Blog. Zur Begründung schreibt er:
Es ist nicht mein Ansinnen, wie die klassische Presse alles an sich zu reißen, was man an Lesern bekommen kann. Mein Anliegen ist primär, dass Ihr Euch darüber unterhaltet, wenn es mir gelingt, Euch zu aktivieren. Sich über Technologien und deren Auswirkungen den Kopf zu machen. Wo sonst als bei Euch, in Euren Wohnzimmern und sozialen Netzen, auf Facebook, auf Twitter, G+ sollte das passender sein? Warum sollen hier die Diskussionen stattfinden? Das macht keinen Sinn für mich. Eure Themen, Eure Gespräche.
Das heißt doch auf gut Deutsch: verschont mich mit Eurem Gequatsche, erwartet nicht, dass ich präsent bin und mitdiskutiere – ab jetzt bin ich nurmehr „Publisher“ und konzentriere mich auf meine Inhalte.
Ok, das kann und darf jeder machen, wie er mag. Erwähnenswert erscheint es mir, weil ich ja selber merke, dass das Kommentieren auf Blogs abgenommen hat, und dass sich immer mehr Menschen den andersartigen Strukturen der „Sozialen Netze“ unterwerfen, um sich auszutauschen. Anders als Blogartikel und Foren sind Gespräche in diesen Netzen nicht nach Themen strukturiert, sondern entlang an Personen – eine grundstürzend ANDERE Situation mit Folgen für das „große Gespräch der vielen mit den vielen“, die kaum mal diskutiert werden.
Wenn Personen wichtiger werden als Themen
Eine Diskussion unter dem Original-Artikel im Blog des Verfassers ist ein duch Thema und Autor/in definier- und erinnerbarer „öffentlicher Ort“. Ein virtueller, jedoch beständiger Platz, der als Agora dienen kann, wo man sich den gemeinsamen Belangen widmet.
Wogegen in den sozialen Netzen nur chaotische Vernetzungen verschiedenster Individuen existieren, die vielfach „Things“ (Artikel, Videos…) verlinken, wobei gelegentlich unter solchen Verlinkungen Gespräche entstehen. Gespräche, die aber niemals „alle“ zu gleichen Bedingungen lesen können, denn A ist ja mit B, C und D vernetzt, wogegen ein User E es nicht mitbekommt, wenn er nicht auch A abonniert/eingekreist hat.
So ergeben sich geschichtslose Kurzzeit-Stimmfühlung-Partys, die binnen Stunden, spätestens Tagen aus der „Sicht“ geraten. Letzteres gilt auch für die seltenen hochkarätigen Diskussionen – z.B. die kürzliche Diskussion über Urheberrecht, die ich jetzt nur wieder finden kann, indem ich in den Postings von Stefan Münz zurück blättere, durch dessen Hinweis ich sie fand. Wobei ich mich nur deshalb an die Herkunft der Info erinnern kann, weil ich Stefan seit den Anfängen des Webs kenne. Für die meisten meiner „Vernetzten“ gibt es solche Erinnerungsstützen nicht.
Strukturelle Marginalisierung
Die potenziell emanzipative Kommunikation der Vielen mit den Vielen wird durch diese uns schon so selbstverständlich erscheinende Umstrukturierung genauso entmachtet und marginalisiert, wie es schon der traditionellen Politik passiert ist: PERSONEN verdrängen THEMEN. Es ist interessanter, wer etwas sagt und wen er damit vermutlich kritisiert, als der Inhalt, um den es geht. Und in der Social-Media-Variante gibts überhaupt NUR NOCH Personen als Kanäle für alles Mögliche. Interessiert mich, was jemand zum Thema GARTEN schreibt, kann ich ihn abonnieren, bekomme dann aber ALLES, was derjenige verlautbart. Und weil das zunächst recht unterhaltsam ist, fällt kaum jemandem der Effektivitätsverlust der allgemeinen Personalisierung unangenehm auf.
Es heißt, das Internet vergesse nichts. Das stimmt nur teilweise und nur auf der technischen Ebene, indem z.B. bei Facebook sogar Gelöschtes auf dem Server bleibt. Der aktuelle Trend geht eher in Richtung des großen Vergessens, indem nicht die Inhalte, sondern Personen – gleich auch noch meist mit Klarnamen – als strukturierende Elemente fungieren. Personen, die heute zu diesem und morgen zu jenem etwas sagen – warum sollte man da zurück blättern?
Große Resonanz und interessante Gespräche tragen so zunehmend nicht mehr zum Wert der Webseite bei, die das Thema in die Welt brachte, sondern vermehren die Reputation der Person, die sie verlinkt hat – eine grundstürzende Änderung! Pech für alle, die lieber Artikel schreiben als ein möglichst großes Aufhebens um die eigene Person zu machen, bzw. fortwährend „präsent zu sein“.
Und warum passiert das?
Und WARUM wurde und wird alles zunehmend personalisiert? Warum investieren Unternehmen Unsummen in die ursprünglich als „Vernetzung von Freunden“ aufgekommene neue Struktur? Warum ignorieren immer mehr Software-Automatismen den hier und da noch wählbaren „User-Namen“ und verwenden statt dessen den Klarnamen, wenn sie Zugriff z.B. auf den Twitter-Account bekommen?
Ihr ratet es sicher: Weil nur eine Person etwas kaufen kann. Ein Internet, in dem sich User unter Pseudonymen rund um Themen und Inhalte versammeln, ist nicht zweckdienlich. Deshalb wird es zügig umgebaut, so dass alle Inhalte, die eine Person teilt, verlinkt, kommentiert oder auch nur anklickt, darüber Aufschluss geben, was man ihr noch verkaufen könnte.
An sich ist „verkaufen wollen“ nichts Böses. Besser mir wird angeboten, was ich vermutlich brauche, als dass ich den Briefkasten mit Bergen unnützer Prospekte voll geschmissen bekomme. Dass dem aber sämtliche anderen Werte und Erfordernisse untergeordnet werden, so dass das „große Gespräch“ über not-wendige Weltveränderungen strukturell zersplittert und zerstört wird, ist ein verdammt hoher Preis!
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27 Kommentare zu „Von der Personalisierung des „großen Gesprächs““.