Genau wie Weihnachten wird auch Ostern von den meisten eher als „weltliches“ Fest gefeiert, selbst wenn ein Kirchgang noch dazu gehört. Mit den christlichen Ritualen – insbesondere dem Verherrlichen des Kreuzestods Jesus – kann ich auch nicht viel anfangen. Und „Auferstehung und Auffahrt in den Himmel“ ? Mal ehrlich, wer glaubt denn wirklich daran, dass das tatsächlich statt gefunden hat? (Welcher Himmel? Heute haben wir da doch den Weltraum und gewisse Brechungen des Lichts, die die Luft blau erscheinen lassen…)
Doch ebenso wie man sich bei Weihnachten auf das Sonnwendfest besinnen kann und sich daran erfreuen, wie „in tiefster Nacht“ das Licht zurückkehrt, so gibt es auch bezüglich Ostern eine spirituelle Deutung, mit der jeder etwas anfangen kann. In den berühmten Worten „Stirb und werde“ aus dem Goethe-Gedicht „Selige Sehnsucht“ klingt es an: Sterben, um zu werden, den Tod hinnehmen im Verlangen nach einem größeren Leben.
Leiden meiden, Freude suchen
Klingt noch immer nicht verständlich, bzw. ziemlich abgefahren, ich weiß! Der Sinn wird für uns Heutige erst erkennbar, wenn man Tod und Sterben als Erfahrungen IM LEBEN begreift.
Dieses ganz normale Leben führen wir in aller Regel entlang an der im Buddhismus so prägnant bezeichneten Vorgabe: „Leiden meiden, Freude suchen“. Dieses allen fühlenden Wesen eingeborene Streben erscheint uns so normal wie das Atmen, doch steht es oft genug im Widerspruch zu unseren höheren Einsichten. Des einen Freud, des anderen Leid: würde ich zu meiner Freude laute Musik spielen, wäre das für die Nachbarn ein Elend. Ich erspar mir jetzt die Ausführung weiterer Beispiele wie Umweltvernutzung, Ausbeutung, unfairer Handel und ähnliches mehr.
Da im Menschen Empathie angelegt ist, sind wir zwar zum Mitfühlen im Stande, schotten uns aber im Alltag gegenüber all dem Stress und Leiden ab, das unsere Lebensweise weltweit verursacht. Und auch das Bemühen der Gutwilligen, selbst nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung zu sein, endet meist dort, wo anders handeln richtig unbequem und mühselig würde. Auch bei mir.
„Leiden meiden, Freude suchen“ überschreibt also vielfach andere, weniger egozentrische Motive. Das kann man bedauern und sich ab und an redlich bemühen, doch hebelt man diese Grundeinstellung damit nicht aus. Ohne sie hätte sich Leben auch gar nicht entwickeln können, denn wer sich nicht bewegt oder wehrt, wenn Feinde angreifen oder die Umgebung giftig, ohne Nahrung, zu kalt, zu heiß oder sonstwie lebensfeindlich wird, verschwindet schnell aus dem evolutionären Geschehen.
Vermutlich liege ich nicht ganz falsch, wenn ich diese lebensnotwendige, aber nicht immer förderliche Grundeinstellung mit dem Begriff der „Erbsünde“ verbinde, wie sie das Christentum tradiert. Ja, vielleicht haben sie DAS gemeint… Wobei mir aber das ganze Schuld- und Sünden-Gewese speziell der katholischen Kirche immer schon ziemlich widerwärtig war. Ganz ohne eine solche Politik des schlechten Gewissens kommt da wiederum der Buddhismus aus: Wer das „Leiden meiden, Freude suchen“ ungebrochen weiter betreibt, hat es halt noch nicht begriffen. Kann aber unter Umständen „Erleuchtung erlangen“…
WER aber wird erleuchtet? Nur der, der im Leben stirbt. Abseits bewusst spirituellen Strebens (das ja oft genug im Geist des „Nice to have“ statt findet) geschieht dieser Tod im Leben dann, wenn das „nach Freude streben“ katastrophal und unleugbar scheitert. Was im Rahmen bestimmter Übungen wie etwa „nur still dasitzen“ vermittelt werden soll, ist ja das, was eintritt, wenn die Suche nach Bequemlichkeit und Unterhaltung definitiv endet. Ich weiß nicht, wie viele „sitzende“ Meditierer davon wirklich etwas erhaschen, es ist ja nicht schwer, mit einiger „Sitz-Praxis“ in dösendes Genießen abzugleiten.
Wenn nichts mehr geht
Gibt es aber wirklich (=im richtigen Leben) keinen Ausweg mehr, den man aus eigener Wahl und Kraft beschreiten kann, dann ist es da, das „Sterben im Leben“. Nichts geht mehr, alle Anstrengungen, etwas zu verbessern, sich zu retten und vom Leiden zu befreien, waren umsonst – was dann?
Dann gibt man auf. Kapituliert vor dem größeren Ganzen, dass sich als stärker erwiesen hat. ZUVOR wird noch gehadert und gejammert (analog „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“). Doch irgendwann kommt das zu Ende, die Kraft reicht nicht einmal mehr dazu. Man „streckt die Waffen“ und lässt auch noch das Wünschen & Wollen los….
Stille. Nichts. Kein Streben mehr. Das „Ich will..“ ist beendet, zumindest für jetzt. Und siehe da: in dieses Nichts, diesen Tod hinein entfaltet sich ein Ereignis, mit dem niemand rechnet: Ohne den Stress eigenen Wollens, im Zustand der Abwesenheit jeglichen Widerstands zeigt sich auf einmal das „größere Leben“. Wie wunderbar entspannt íst doch das Dasein OHNE jenes Ego, das ständig vorschreibt, wie die Welt zu sein hat, wie „ich selbst“ zu sein habe und wie die Anderen mich sehen sollten. In das Vakuum, das der Wegfall des Strebens kurzzeitig lässt, strömt die Fülle der Wahrnehmungen ein, die wir sonst mittels geistiger Filter mangels Wichtigkeit weitgehend ausfiltern: Was ist schon ein Schmetterling, ein Duft, der freundliche Blick eines Mitmenschen angesichts der Sorgen und Wünsche, die uns normalerweise umtreiben?
Auferstehung, Leben 2.0
Wie Phoenix entsteigt der im Leben Gestorbene der Asche und stellt staunend fest, dass das „neue Leben“ unglaublich viel mehr Freuden bereit hält als das alte, von Sorgen und Ängsten ums persönliche „Fortkommen“ geplagte. Himmel, Paradies – das sind keine unangemessenen Begriffe angesichts der spektakulären Umformung des eigenen Innenraums, des Selbst- und Weltverständnisses, das ein großformatiges Scheitern mit sich bringen kann. Wenn man nämlich das loslässt, loslassen MUSS, was alles Leiden erst erschafft: das Ich, das etwas Bestimmtes will.
Natürlich schleift sich das im Alltag im Lauf der Zeit tendenziell wieder ab. Und es muss auch nicht immer ein „großes Scheitern“ sein, das die unerwünschte, aber letztlich beglückende Erkenntnis und Entspannung bringt. Es geht auch eine Nummer kleiner, z.B. indem man ein Ziel endlich aufgibt, weil man erkennt, dass seine weitere Verfolgung weit mehr Leiden mit sich bringt als das Erreichen Freude machen kann. Loslassen, OBWOHL es weh tut – das ist der Kern. Dann kann sich ereignen, was wir nicht erringen und niemals erzwingen können.
Wohl aber können wir uns an Ostern darauf besinnen.
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10 Kommentare zu „Zu Ostern: Stirb und werde!“.