Claudia am 06. April 2012 —

Zu Ostern: Stirb und werde!

Genau wie Weihnachten wird auch Ostern von den meisten eher als „weltliches“ Fest gefeiert, selbst wenn ein Kirchgang noch dazu gehört. Mit den christlichen Ritualen – insbesondere dem Verherrlichen des Kreuzestods Jesus – kann ich auch nicht viel anfangen. Und „Auferstehung und Auffahrt in den Himmel“ ? Mal ehrlich, wer glaubt denn wirklich daran, dass das tatsächlich statt gefunden hat? (Welcher Himmel? Heute haben wir da doch den Weltraum und gewisse Brechungen des Lichts, die die Luft blau erscheinen lassen…)

Doch ebenso wie man sich bei Weihnachten auf das Sonnwendfest besinnen kann und sich daran erfreuen, wie „in tiefster Nacht“ das Licht zurückkehrt, so gibt es auch bezüglich Ostern eine spirituelle Deutung, mit der jeder etwas anfangen kann. In den berühmten Worten „Stirb und werde“ aus dem Goethe-Gedicht „Selige Sehnsucht“ klingt es an: Sterben, um zu werden, den Tod hinnehmen im Verlangen nach einem größeren Leben.

Leiden meiden, Freude suchen

Klingt noch immer nicht verständlich, bzw. ziemlich abgefahren, ich weiß! Der Sinn wird für uns Heutige erst erkennbar, wenn man Tod und Sterben als Erfahrungen IM LEBEN begreift.

Dieses ganz normale Leben führen wir in aller Regel entlang an der im Buddhismus so prägnant bezeichneten Vorgabe: „Leiden meiden, Freude suchen“. Dieses allen fühlenden Wesen eingeborene Streben erscheint uns so normal wie das Atmen, doch steht es oft genug im Widerspruch zu unseren höheren Einsichten. Des einen Freud, des anderen Leid: würde ich zu meiner Freude laute Musik spielen, wäre das für die Nachbarn ein Elend. Ich erspar mir jetzt die Ausführung weiterer Beispiele wie Umweltvernutzung, Ausbeutung, unfairer Handel und ähnliches mehr.

Da im Menschen Empathie angelegt ist, sind wir zwar zum Mitfühlen im Stande, schotten uns aber im Alltag gegenüber all dem Stress und Leiden ab, das unsere Lebensweise weltweit verursacht. Und auch das Bemühen der Gutwilligen, selbst nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung zu sein, endet meist dort, wo anders handeln richtig unbequem und mühselig würde. Auch bei mir.

„Leiden meiden, Freude suchen“ überschreibt also vielfach andere, weniger egozentrische Motive. Das kann man bedauern und sich ab und an redlich bemühen, doch hebelt man diese Grundeinstellung damit nicht aus. Ohne sie hätte sich Leben auch gar nicht entwickeln können, denn wer sich nicht bewegt oder wehrt, wenn Feinde angreifen oder die Umgebung giftig, ohne Nahrung, zu kalt, zu heiß oder sonstwie lebensfeindlich wird, verschwindet schnell aus dem evolutionären Geschehen.

Vermutlich liege ich nicht ganz falsch, wenn ich diese lebensnotwendige, aber nicht immer förderliche Grundeinstellung mit dem Begriff der „Erbsünde“ verbinde, wie sie das Christentum tradiert. Ja, vielleicht haben sie DAS gemeint… Wobei mir aber das ganze Schuld- und Sünden-Gewese speziell der katholischen Kirche immer schon ziemlich widerwärtig war. Ganz ohne eine solche Politik des schlechten Gewissens kommt da wiederum der Buddhismus aus: Wer das „Leiden meiden, Freude suchen“ ungebrochen weiter betreibt, hat es halt noch nicht begriffen. Kann aber unter Umständen „Erleuchtung erlangen“…

WER aber wird erleuchtet? Nur der, der im Leben stirbt. Abseits bewusst spirituellen Strebens (das ja oft genug im Geist des „Nice to have“ statt findet) geschieht dieser Tod im Leben dann, wenn das „nach Freude streben“ katastrophal und unleugbar scheitert. Was im Rahmen bestimmter Übungen wie etwa „nur still dasitzen“ vermittelt werden soll, ist ja das, was eintritt, wenn die Suche nach Bequemlichkeit und Unterhaltung definitiv endet. Ich weiß nicht, wie viele „sitzende“ Meditierer davon wirklich etwas erhaschen, es ist ja nicht schwer, mit einiger „Sitz-Praxis“ in dösendes Genießen abzugleiten.

Wenn nichts mehr geht

Gibt es aber wirklich (=im richtigen Leben) keinen Ausweg mehr, den man aus eigener Wahl und Kraft beschreiten kann, dann ist es da, das „Sterben im Leben“. Nichts geht mehr, alle Anstrengungen, etwas zu verbessern, sich zu retten und vom Leiden zu befreien, waren umsonst – was dann?

Dann gibt man auf. Kapituliert vor dem größeren Ganzen, dass sich als stärker erwiesen hat. ZUVOR wird noch gehadert und gejammert (analog „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“). Doch irgendwann kommt das zu Ende, die Kraft reicht nicht einmal mehr dazu. Man „streckt die Waffen“ und lässt auch noch das Wünschen & Wollen los….

Stille. Nichts. Kein Streben mehr. Das „Ich will..“ ist beendet, zumindest für jetzt. Und siehe da: in dieses Nichts, diesen Tod hinein entfaltet sich ein Ereignis, mit dem niemand rechnet: Ohne den Stress eigenen Wollens, im Zustand der Abwesenheit jeglichen Widerstands zeigt sich auf einmal das „größere Leben“. Wie wunderbar entspannt íst doch das Dasein OHNE jenes Ego, das ständig vorschreibt, wie die Welt zu sein hat, wie „ich selbst“ zu sein habe und wie die Anderen mich sehen sollten. In das Vakuum, das der Wegfall des Strebens kurzzeitig lässt, strömt die Fülle der Wahrnehmungen ein, die wir sonst mittels geistiger Filter mangels Wichtigkeit weitgehend ausfiltern: Was ist schon ein Schmetterling, ein Duft, der freundliche Blick eines Mitmenschen angesichts der Sorgen und Wünsche, die uns normalerweise umtreiben?

Auferstehung, Leben 2.0

Wie Phoenix entsteigt der im Leben Gestorbene der Asche und stellt staunend fest, dass das „neue Leben“ unglaublich viel mehr Freuden bereit hält als das alte, von Sorgen und Ängsten ums persönliche „Fortkommen“ geplagte. Himmel, Paradies – das sind keine unangemessenen Begriffe angesichts der spektakulären Umformung des eigenen Innenraums, des Selbst- und Weltverständnisses, das ein großformatiges Scheitern mit sich bringen kann. Wenn man nämlich das loslässt, loslassen MUSS, was alles Leiden erst erschafft: das Ich, das etwas Bestimmtes will.

Natürlich schleift sich das im Alltag im Lauf der Zeit tendenziell wieder ab. Und es muss auch nicht immer ein „großes Scheitern“ sein, das die unerwünschte, aber letztlich beglückende Erkenntnis und Entspannung bringt. Es geht auch eine Nummer kleiner, z.B. indem man ein Ziel endlich aufgibt, weil man erkennt, dass seine weitere Verfolgung weit mehr Leiden mit sich bringt als das Erreichen Freude machen kann. Loslassen, OBWOHL es weh tut – das ist der Kern. Dann kann sich ereignen, was wir nicht erringen und niemals erzwingen können.

Wohl aber können wir uns an Ostern darauf besinnen.

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Diskussion

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10 Kommentare zu „Zu Ostern: Stirb und werde!“.

  1. Danke. Ich würde gerne das Scheitern, das nirgends hinführt (wie das zerfallende Wrack der Argo den alten Jason erschlägt, z.B.) ergänzen, kann aber gerade nicht (die Gedanken ordnen, ausdrücken). Bitte s.a. den Karfreitagsartikel bei Gleisbauarbeiten und dann den dort verlinkten Beitrag „Der Sado-Maso-Gott?

  2. @Claudia, sehr schön geschrieben mit einer Vielzahl an Gedanken und Anstößen, die sich vielleicht nur dem demjenigen in seiner Gänze erschließen, der sich just in diesem Moment ebenfalls mit dem Thema beschäftigt.

    Ich bin mir nicht sicher, Claudia, ob uns das Loslassen so schwer fällt, weil es weh tut. Aber schon da beginnt das individuelle, weil jeder Mensch wahrscheinlich eine eigene Schmerzgrenze hat. Auch, was dem einen schwer fallen mag loszulassen, ist für den Anderen ein Leichtes. Deshalb verstehe ich es auch so, dass es für das Loslassen keine allgemeinen Maß- und Wertstäbe geben kann, „wann“ man ein Ziel aufgibt.

    Ein weiteres ist, das im „Leid meiden, Freude suchen“ wir vielleicht auch oft zu früh und zu leicht loslassen würden. Viele große Erfindungen und Entdeckungen zum Segen der Menschheit verdanken wir dem „Dranbleiben“, auch wenn dabei die unterschiedlichsten Motivationen die Motoren waren. Doch einen dieser Motoren können wir kaum beeinflussen, der „Hoffnung“. Mit ihr kann ich nicht verhandeln. Das ist gut so.

    In der „Hoffnung“ sammelt sich vielleicht unser ganzes bisheriges Leben, was wir können, was wir erreicht haben, woran wir gescheitert sind. Wenn diese stirbt, dann soll uns das wohl sagen, „Nee, nicht weiter, ich kenn dich. „DAS“ – schaffst du nicht. Solange diese aber noch glimmt, sollten wir ihr da nicht vertrauen?

  3. Das hatte mir der Editor nicht mehr erlaubt noch anzufügen. Doch es gehört für mich zu meinem Thema, und deshalb ganz einfach hier nachgeschoben:

    „Was ich nicht verstehe und auch bedauere ist, wie du schon oben beschreibst, dass ich bei der Fixierung auf ein Ziel, je näher ich ihm komme, immer tiefer in den Tunnel fahre und mir jede erhellende Rundumsicht nicht mehr möglicht ist. Das, so versuche ich es zur Zeit als meinen Gradmesser zu deuten, ist für mich der Punkt des LOSLASSENS. Wenn Chancen, Menschen und Schönheit für mich im täglichen Leben nicht mehr sichtbar sind, dann werde ich sehr still und beginne mich zu fragen: Ist das Ziel falsch – oder der Weg?“

  4. @Menachem: danke für deinen Kommentar – ist es wirklich so, dass der Editor Textlänge beschneidet? Das hab ich noch nie bemerkt…

    Das „dran bleiben“ im Verfolgen eines Projekts oder Ziels, das Hoffen auf Erfolg etc. ist ein Zustand lange VOR dem „großen Scheitern“, das ich im Text beschreibe. Ich nehme aber an, du beziehst dich eher auf den letzten Absatz – da passt es dann.

    Dazu ein Beispiel, das mir beim Schreiben dieser letzten Sätze vor Augen stand: Ich hatte vor 20 Jahren zusammen mit einem Lebensgefährten ein Jahr lang eine Kneipe, so eine Art „Kiez-Wohnzimmer“, das uns als spätes Ergebnis stadtteilpolitischen Engagements zugefallen war. Da ich es war, die aufgrund glücklicher Umstände und Zuwendungen eines Freundes gerade über genug Geld verfügte, brachte ich eine hohe Summe ein, um das Lokal auszustatten und zu renovieren. Es war für mich damals ein mehrfaches Jahreseinkommen – mein Mitbetreiber hatte nur seine Arbeitskraft.
    Das war auch kein Problem, doch waren wir uns einig, dass ich beim Verkauf des Lokals meine Einlage zurück bekommen sollte. Als es dann soweit war, dass wir „nicht mehr miteinander konnten“, suchten und fanden wir Interessenten – allerdings war mein Gefährte nicht bereit, von seinen viel zu hohen Preisvorstellungen herunter zu kommen. Es zog sich Monate lang hin, unser Miteinander war hoch konfliktreich, eine Beziehungshölle bei laufendem Betrieb – ätzend! Mich band eigentlich nichts mehr an diese Situation außer der Erwartung, mein Geld wieder zu sehen.

    Und DAS wurde mir eines Tages ganz plötzlich klar! Ich schmiss ihm die Schlüssel auf den Tresen und ging. Schrieb 17 Briefe an sämtliche Institutionen und Geschäftspartner, um meinen Ausstieg aktenkundig zu machen und nicht noch weiter zu haften. Dann stieg ich in den Zug und fuhr in die Toskana, wo ein Freund ein Haus hatte – tschüss Berlin, so fürs erste…

    Wow, was war das für eine Befreiung! Einfach so die Ansprüche aufgeben, gar nicht mehr dran denken, auch nur noch eine Mark wieder zu sehen – ich fühlte mich die folgenden Wochen richtig in Feierlaune! Und hab es nie nie bereut.

    In meiner Abwesenheit fühlte sich mein Ex dann nicht mehr so stark, verkaufte die Kneipe zu niedrigerem Preis, zahlte seine mittlerweile angehäuften Schulden und mir sogar noch unerwartete 1000 Mark! :-)

    Das war mir eine große Lehre! Seitdem schaue ich immer, wie es mir JETZT mit irgend einer Aktivität geht. Bloße Zukunftsträume reichen nicht mehr aus, um mich in irgend welchen „Höllen“ festzuhalten. Für Geld, gar nur für die Hoffnung darauf, verweile ich nicht mehr in unerträglichen Situationen. Da bin ich 1000 mal lieber arm!

  5. Liebe Claudia,

    erst einmal, dein Osterbeitrag gefällt mir ausgesprochen gut. Gerne würde ich deine Gedanken aufgreifen und in meinem Blog weiter führen. Leider bin ich im Schreiben nicht so geübt, Es würde zuviel Zeit binden, die mir im Moment leider fehlt.

    „wenn nichts mehr geht …..“ Als praktizierende Christin übergebe ich dieses Elend meinem Gott. Manchmal zornig, ja. Das gebe ich zu: „Schau hier bin ich hinein geraten. Du schaust zu und machst nichts. Nimm’s es, es ist deines.“ Damit komme ich, seitdem ich meinen Kinderglauben abgelegt habe, wunderbar zurecht.

    Der Koran hat auch eine schöne Weisheit: „Stirb, bevor du stirbst“ Die kam mir nach deinem Gedankenaustausch mit Menachem in den Sinn. Eine Beziehung ist gescheitert. Es gibt mehrere Möglichkeiten damit umzugehen. Die eine ist das pure Aushalten, die andere Veränderung suchen. Was angemessen und richtig ist, kann nur jeder für sich selbst entscheiden. Doch sind beide Varianten Möglichkeiten mit dem „Sterben“ umzugehen. Doch egal wie, beides will durchgestanden sein und durchlitten werden. Ich denke, wer da durchgeht, dem „Sterben“ ins Gesicht schaut, derjenige macht eine tolle Erfahrung.

    Liebe Grüße und frohe Ostern – Christa

  6. http://www.litart.ch/err/404.htm

    nicht alles werden und vergehen
    ist voellig lustlos, der standpunkt machts..
    (oft) :)

    keep on smiling
    gruss ingo

  7. Ähnlich, Claudia, lediglich in Nuancen abweichend, habe auch ich diese Dinge durchlebt. Und ich vermute, ja, ich hoffe sogar, dass noch viele Andere dieses Gefühl der Befreiung erleben durften.

    Leider, so dachte ich bisher, entsteht nicht immer eine Win-Win Situation daraus. Doch – was weiß ich schon?

    „…lieber arm“, zumindest weiß ich dazu für mich, dass eines Tages dazu die Rechnung auf dem Tisch liegt. Dann ist Zahltag und ich suche nach dem Pakt mit dem Teufel, ob nicht doch noch ein Handel möglich ist.

    Mir ist beim Nachspüren deines Beitrages aufgefallen, wie lang der Arm der Verantwortung sein kann. Bisher war Verantwortung für mich ein Leichtes, hatte ich immer materiell und mental die Spendierhosen an. Aber ich habe bisher keine Verantwortung wirklich getragen, sondern Geschenke verteilt. Ob ich Verantwortung tragen kann zeigt sich vielleicht dann am deutlichsten, wenn ich selber nichts mehr habe.

    Ich komme darauf, weil ich in Verantwortung eine bisher nicht gekannte Herausforderung spüre, die mir in Zeiten des „Alles haben können“ nie abverlangt wurde. So hat sich aus meiner Wohlstandszeit ein Begriff in seiner tiefen Bedeutung verschleiern können.

    Und weiter meine ich, weil auf deiner Seite auch oft über Werte und Gesellschaft ein Austausch erfolgt, ob sich Inhalte von Werten, wie Familie, Verantwortung, Religion, Moral, Beziehung, Traditionen nicht heimlich still und leise aus Ihrer Ursprungsform deformieren, so, wie sich auch unsere Gesellschaft immer weiter fort verändert.

    So, wie wir z.B. von Kirchen eine angepasste Zeitreformation fordern, so müssten auch alte Wertinhalte den Veränderungen angepasst werden.

    Konnte man früher noch eine Lichtmaschine im Auto selbst wechseln und das Standgas nach Gefühl einstellen, so ist das heute nicht mehr möglich. Und trotzdem nennt man das alte und das neue Modell auch heute noch: Ein Audo :)

  8. […] und Auffahrt in den Himmel? Mal ehrlich, wer glaubt denn wirklich daran, dass das tatsächlich statt gefunden hat? “, fragt Claudia Klinger. Ja, mal ehrlich, wer glaubt […]

  9. http://die.hor.de/

    hallo dirk!
    schön,dass du wieder schreibst:)

    „Ein Gedicht, über das man spricht,
    darf einfach alles, allein, weil
    es es gibt.
    Dass ich das noch erleben darf!“

    trotz lügenflut und alle dem
    trotz flutenglut und alledem
    trotz luftengluftundallledem
    schön zu sehn, trotz alledem

  10. @Dirk: freut mich ebenso – und danke @Ingo, ohne dich hätte ich das nicht bemerkt! Es war ja so lange nix los auf hor.de.