Thinkabout schreibt täglich einen Text. Ich lese fast alle diese Artikel gerne, oft inspirieren sie mich und ich hinterlasse einen Kommentar. Längere, ein Thema vertiefende Gespräche entstehen dort aber meist nicht, denn die Energie des Schreibenden fließt jeden Tag in einen neuen Text, nicht in die Diskussion des berührenden Themas von vorgestern.
Deshalb entführe ich aus dem heutigen Eintrag „Bienen im Kopf“ einfach mal einen Passus hierher, der es in sich hat:
„…mich beschäftigen seit Wochen die Unruhen zwischen den Religionen besonders stark – ein Thema, das mich immer wieder umgetrieben hat – und ich frage mich, welche Antriebe uns Menschen bleiben, wenn wir uns selbst zu genügen beginnen? Was ist zwischen der qualvollen existenziellen Bedürftigkeit und der antriebslosen Sattsamkeit anderes, als eine Wegstrecke, welche zwangsläufig vom einem zum andern führt, als eine Linie, an der es höchstens Zwischenhalte, aber keinen Ausstieg gibt? Ich sehe einzelne Beispiele, als Gegenentwürfe, sozusagen, aber ich sehe keine Gesellschaft, welche sich auf Dauer nicht entlang dieser Linie verliert. Die Entwicklung endet im materiellen Stumpfsinn. Am Schluss bleibt Technologie, und ein Mensch, der sie nicht sinnvoll anzuwenden weiss, weil ihm der Sinn für sein Dasein abhanden gekommen ist. „
Frage: braucht es Religion, damit Menschen einen „Sinn im Dasein“ sehen? Derzeit sehe ich die Religionen der Welt eher als Auslöser für Ausgrenzungen, Streit und Krieg. Ich kann nicht begreifen, dass die jeweiligen Erzählungen von der Genesis der Welt überhaupt noch von jemandem geglaubt werden: schließlich zeigt uns die Wissenschaft eine andere Entstehungsgeschichte und beweist täglich durch das auf diesem Weltbild basierende „Funktionieren der Geräte“ ihre Wahrheit.
Dass das nicht ALLES ist, stimmt auch für mich: es gibt im menschlichen Erleben so etwas wie eine spirituelle Dimension, eine innere Sicht, die mit dem wissenschaftlichen Messen und Rechnen nicht erfasst wird. Wie wir diese Erlebnisse aber beschreiben und welche Schlüsse wir daraus ziehen, verdankt sich der jeweiligen Kultur und Tradition, sowie persönlicher Geschichte und Interessen.
Sich dessen bewusst zu sein, bedeutet für mich AUFKLÄRUNG! Sobald also aus ursprünglich spirituellem Erleben verbindlich zu glaubende Weltentstehungsgeschichten, Nachtod- und Jenseits-Welten, Ge- und Verbote, sowie Andere feindselig ausgrenzende Clan-Bildungen entstehen, ist für mich die Grenze überschritten, ab der das Übel beginnt. Es gibt dann keine „vernünftige“ Gesprächsbasis mehr, denn dass ein Buch nur ein Buch und eine „Eingebung“ oder innere Stimme kein Gottesbeweis ist, wollen viele Gläubige nicht sehen. Ohne diese Einsicht bleibt der Andersgläubige jedoch immer der Ungläubige – und vielfach dann eben auch „der Feind“.
„Es geht gar nicht um die jeweiligen Erzählungen, sondern immer um Macht und Einfluss“, wendet ein lieber Freund hier regelmäßig ein. In dieser Sicht der Dinge ist Religion „Opium fürs Volk“ und die jeweiligen Machthaber sind im Grunde darüber hinaus, benutzen Religion nur, um die Bevölkerungen zu manipulieren und ihre Macht zu erhalten. Dem kann ich nicht ganz folgen, denn WARUM sollten die Menschen in Zeiten des Internets (das einen Blick auf die große Vielfalt der Weltanschauungen und Glaubenssysteme ermöglicht) solchen Lehren auf Dauer folgen?
Abgesehen davon bleibt die Grundfrage: Kann eine Gesellschaft ohne Religion GUT sein? Dem Individuum eine Sinnperspektive jenseits bloß materieller Sattheit ermöglichen?
***
Über Politik und Religion soll man besser nicht bloggen, das gibt nur Ärger! Dieser Rat hat leider eine gewisse Berechtigung, doch haben wir hier „Politik“ ja schon oft ganz MANIERLICH diskutieren können – ich hoffe, das geht auch mit „Religion“!
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55 Kommentare zu „Thema entführt: braucht der Mensch Religion?“.