Claudia am 18. Juli 2012 —

Meinung geändert: Beschneidung sollte erst ab 18 erlaubt sein

Die ausführliche und engagierte Debatte unter Antje Schrupps Artikel Liebe Atheist_innen, wir müssen reden hat meine Meinung bezüglich der Beschneidung von Jungen geändert.

Zuerst sah ich mangels anderer Informationen die männliche Beschneidung als ziemlich harmlosen Eingriff an, der evtl. gar gesundheitliche Vorteile bringt. Warum also deshalb einen “Religionsstreit” vom Zaun brechen?

Jetzt hab’ ich erstmalig ausführlich Artikel zu Folgen, Spätfolgen und Traumatisierung gelesen. Danach sieht es für mich klar so aus: Beschneidung ist ein gefährlicher Eingriff mit manchmal üblen Folgen, physisch und psychisch (wobei die Psyche wohl umso mehr leidet, je später der Eingriff erfolgt). Auch die „Fakten, die gegen die Beschneidung sprechen“ haben mich zum Umdenken bewegt.

Das reicht mir jetzt, um fortan dagegen zu sein – und darauf zu hoffen, dass zumindest das Verfassungsgericht das am Ende auch so sieht. (Rechtssystematisch sollte das zu erwarten sein, wie ein Beitrag von RA Stadler aufzeigt)

Ich hoffe, dass noch MEHR Berichte traumatisierter/verletzter Männer erscheinen, das könnte vielleicht auch die religiös motivierten Befürworter ins Zweifeln bringen. Da scheint eine “Mauer des Schweigens” aus Solidarität mit Familie und Gemeinde zu existieren, die es ermöglichte, dass der Eingriff bisher so unumstritten erschien.

In den beschneidungsfreudigen Religionen könnte und sollte man dahin kommen, das Ritual in der Kindheit auf symbolische Weise zu vollziehen und es dem Erwachsenen überlassen, ob er sich letztlich zum realen „Schnitt“ entscheiden will.

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Diskussion

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24 Kommentare zu „Meinung geändert: Beschneidung sollte erst ab 18 erlaubt sein“.

  1. Beschneidungen, zumindest von Jungen, sind fast in der ganzen Welt erlaubt. Und es sind nicht die einzigen köperverletzenden Eingriffe aus Gründen der Tradition oder Religion. Manche Völker pflegen Tätowierungen, andere Ritualnarben. Es gibt Stammeskulturen mit blutigen Initiationsriten für junge Männer. Von Verbrechen gegen Mädchen ganz zu schweigen. Zu viele, allen unsere Werte militärisch nahe zu bringen. Sollte man zumindest im eigenen Land vorbildlich die Vernunft institutionalisieren und derlei Gebräuche ächten? Ich weiß es nicht. Mir reguliert der Staat schon zu sehr und zu kleinlich das Alltagsleben (vielleicht zur Ablenkung davon, dass er zugleich Wirtschaft und Finanzen dereguliert und Volksvermögen privatisiert). Es wird auch den Kindern kaum helfen, die werden dann eben von Laienmetzgern im Keller verstümmelt.

    Ich habe früher viel darüber nachgedacht, ob da Eltern ihren Gott so viel mehr lieben als ihre Kinder – und ich glaube es ist nicht. Die Eltern sind überzeugt, ihren Kindern Gutes zu tun. Ich bin auch beschnitten und zwar nicht aus Gründen der Religion. Meine Eltern haben sich einreden lassen, es sei der Hygiene förderlich. Eine Mode, von US-Soldaten in ihrer Besatzungszone verbreitet. Ich war zu klein und erinnere mich nicht. Aber ich leide bis heute. Es tut weh. Ich vermeide etliche Bewegungen, kann manche Hosen nicht tragen. Manchmal jucken die Narben, wuchert das Narbengewebe nach. Nur die psychischen Folgen sind ausgestanden. In der Schule hatte ich mich vor dem Sport gedrückt, damit es keiner sieht, und Jahre habe ich mit einer Therapie vergeudet, da ich mir mit fachlicher Hilfe einbildete, ich hätte keinen Sex, weil ich ihn der Beschneidung wegen unbewusst vermeide. Aber das ist längst in meinen sonstigen Nöten untergegangen – während sich der Schmerz sogar neben der Neuralgie noch hält. Ich war meinen Eltern böse deswegen und bin es noch. Sie haben es nicht schlecht gemeint, waren aber dumm. Das Hygieneargument, auch darüber habe ich mich gründlich informiert, ist bloß Blödsinn. Sie haben sich leider nicht informiert und ich muss es ausbaden (bzw. bade eben nicht).

    Heute geben Millionen Eltern ihren Kindern Psychopharmaka, um sie für die Schule fit zu machen. Eine Mode nach der anderen, angetrieben durch Kultur und Populärwissenschaft, statt Religion, bringt Eltern dazu, ihre Kinder zu vergiften und zu verbiegen. Auch die Staaten sind nicht gerade nett, die mit wohlklingenden Beschwörungen der Chancen und Teilhabe gleich alle Kindheiten auf dem Altar der globalen Wirtschaftskonkurrenz verbrennen. Und selbst in Sachen der Religion scheint mir, dass eine religiöse Erziehung mehr Schaden stiftet, als die Beschneidung. Uns Westler stört ja immer das Körperliche, das Sichtbare, das Blut, sogar Haare (auch sehr ungesund, sie alle abzurasieren), aber wenn es Medikamente sind, deren Wirkung man am Körper nicht sieht, Ideologien, Zwänge, dann ist kein Halten mehr und keine Schonung fürs Kind. Das scheint mir zu verlogen.

    Ich bin vorsichtig mit dem Ruf nach dem Beschneidungsverbot, obwohl ich weiß, dass das eine schlimme Sache ist, weil es so willkürlich einen Akt der Verblendung angeht, der der hiesigen Kultur fremd ist, und all die anderen übergeht, vielleicht das Kindswohl benutzt, das Fremde auszugrenzen. Eltern wollen meist das Beste für ihre Kinder, und welche Untat das jeweils ist, entnehmen sie dem Fernsehen, den Zeitungen, den Erziehungsratgebern und heute auch Internetforen. Manche halten sich stattdessen an ihren Glauben. Und von diesen die, die hier wenige sind und bei denen man Blut sieht, sollen die Bösen sein? Das stinkt doch nach Missbrauch der Argumente.

    Das Gericht, dass das elektrisierende Urteil fällte, stellte übrigens die Unumkehrbarkeit der Bescheidung als religiöse Aufnahmeakt in den Mittelpunkt. Das könnte man auch in Sachen der christlichen Taufe bedenken. Zwar kann der erwachsene Bürger aus der Kirche austreten und sich darum nicht kümmern, dass der Kirche selbst die Taufe als unaufhebbar gilt, aber bis zum Austritt ist er durch die elterliche Entscheidung Mitglied. Anders bei einem Sportverein: Melden Eltern ihr Kind an, sind sie es, die austreten müssen, wenn später die Beiträge nicht mehr fällig werden sollen. Das Kind, wenn es erwachsen wird und nicht mehr hingeht, hatte sich zu nichts verpflichtet. Die Kirchen hingegen fordern von getauften Menschen, die keine amtliche Austrittsbescheinigung haben, für Jahre Beiträge nach, sei es, weil man den Zettel verloren hat, sei es, weil man, wie etwa in der DDR, gar keine Bescheinigung erhielt (weshalb die Nachforderungswelle besonders über Ostdeutschland rollt). Hier ist also, was gegen die Beschneidung spricht, gerichtsfestes Sonderrecht.

    Spontan würde ich aufschreien – und jeden, der seine Kinder beschneiden lässt, wegsperren. Und wenn ich lese, wie Politiker mit der Heiligkeit des Glaubens (über den Menschen) für ein Köperverletzungsgesetz eintreten, dreht sich mir der Magen um. Aber wenn ich darüber nachdenke, müsste ich die Mehrheit der Menschheit in Käfigen halten, zumindest zugunsten der Kinder alle Eltern ständig überwachen. Und dann frage ich mich, wenn ich sehe, wer zuerst angegriffen wird, – warum?

    Ich habe dieser Tage öfter gelesen, die Beschützer der Bescheidung trauten sich der dunklen Flecken der deutschen Geschichte wegen nicht, gegen jüdische Bräuche vorzugehen. Wieder drohe die Auschwitzkeule, diesmal zugunsten blutiger Rituale. Ach, wären es nur die Muslime! Mich erinnert das an Auftritte der Gegner des ‚Euro-Rettungsschirms‘, die mich z.B. neulich auf der Straße beinahe schlugen, die die „deutsche Wirtschaft schützen“ wollen, vor dem „internationalen Finanzspekulantentum“. Da hörte ich nämlich fast ‚Finanzjudentum‘ – und fand das, als ich es später nachgooglete, dann auch. Dass diese Juden kleine Jungen mit dem Messer… das findet sich schon bei Luther, da wurde Folter und Kindsmord draus und der Ruf, sie totzuschlagen, heilige Christenpflicht. Kein Grund, Bescheidungen zu rechtfertigen, aber einer, darüber nachzudenken, welches Übel man zu welchem Zeitpunkt angeht, woher das kommt, in welchem Zusammenhang es steht. Warum gerade und nur in Deutschland? Und ist das Datum wirklich ein Zufall? Jedenfalls kriechen Naziideale derzeit in ganz Europa aus ihren Gräbern – was aber, anders als die Bescheidung, hierzulande kaum Thema ist.

  2. Mein Mitgefühl, Dirk! :(

    Ist schon schade, daß man nicht jeden Irrsinn verbieten kann, denn das wäre ja auch Irrsinn …

  3. @Dirk, wieviel Kinder hast du?

  4. Lieber Dirk,

    vielen lieben Dank für deine Geschichte, noch gar in dieser Öffentlichkeit! Sie zeigt ganz klar, dass es sehr wohl eine folgenreiche Verstümmelug ist – mit Folgen fürs ganze Leben.

    Wie kann es sein, dass Männer so wenig davon sprechen? Ist es denn physisch überhaupt möglich, dass nur ein paar wenige „Einzelfälle“ darunter leiden?

    Den Gedanken, dass die Debatte anders verlaufen würde, handelte es sich „nur“ um Muslime, hatte ich übrigens auch – ist denn der so falsch? Damit bin ich noch lange lange nicht im Fahrwasser jener, die historisch den Juden stets besondere Greuel vorwarfen, um ihren Antisemitismus zu rechfertigen! Mein Vorwurf gilt nicht der Bevorzugung der Juden, sondern der impliziten Benachteiligung der Moslems.

    Das mit den „Nachforderungen“ an Ausgetretene von Seiten christlicher Kirchen ist ohne Frage auch ein Skandal, wenn auch einer, der sich nur um Geld dreht und nicht um Körperverletzung. Trotzdem wundert mich, dass das nicht mehr „skandalisiert“ wird! Aber ja, es sind halt CHRISTLICHE Kirchen…

  5. @uwe, ich find viel Leut närrisch, sympathisch oft drum, und es ist mir nicht schad, ich verbiete ja nie, mir wird verboten.

    @Menachem, eins. Fehlt im Text. Was nützt es dir?

    @Claudia, ja, das ist naheliegend. Ich schoss übers Thema hinaus. Die Steuer hatt‘ es 2010 in die FAZ geschafft: http://www.faz.net/-gqp-y8a0

  6. Eine schon sehr komplexe Sache, wie immer, wenn unterschiedliche Grundrechte aufeinanderprallen. Und natürlich kann es unbestreitbar zu Komplikationen kommen, wie oben beschrieben. Die Gefahr steigt zudem offenbar mit dem Alter.

    In der Debatte sehe ich aber mehrere Fallen. Eine ist: welche Aussagen mehr obwiegen und wie diese von den – vor allem ‚radikalen‘ oder ‚vehementen‘ Vertretern der streitenden Gruppen bewertet werden. Ist man gegen die Beschneidung, dann wird man jeden Fall einer Komplikation als „typisch“ ansehen; wiegt umgekehrt die Religionsausübung höher, dann wird man es anders sehen. Das Problem ist nun, wenn die Aussage derjenigen, die beschnitten sind und damit zufrieden sind oder die es nicht stört und die keinen Schaden genommen haben, damit abgetan werden, dass diese Aussagen wiederum Teil des Traumas sind (Verdrängung usw.).

  7. In einigen Diskussionen tauchte die Frage auf, wie fühlt sich ein Junge, der nicht beschnitten ist, in einer Gruppe Beschnittener? Das wäre dann den Eltern anzurechnen.
    Aber wie fühlt sich ein beschnittener Junge in einer Gruppe von anderen? Es wird also auch viel von den Jungen, beiderseits, verlangt.

  8. @Helen: Ich glaube, dass beides überbewertet wird. Das könnte sich allerdings ändern, wenn die Rede von der „Verstümmelung“ weitergeht.

  9. Von mir vielleicht nur eine sachliche Anmerkung:

    Ich selbst habe unter der Beschneidung nie gelitten, eher im Gegenteil. Ich wußte bisher nicht, das dabei auch Dinge passieren, wie sie Dirk beschrieben hat und mich in keinen kleinen Konflikt bringt – der sich an das Thema Glaube und Religion für mich anschließt.

  10. @Menachem, Operationen können gut oder weniger gut ausgehen, ich denke auch nicht, dass jeder unter den Folgen leiden muss. Und die psychischen sind, wie @Helen schrieb, von der Umgebung abhängig. Man hat oder macht es sich schwer, wenn man irgend anders ist. Vielleicht weil meine Beschneidung mit Religion nichts zu tun hatte, finde ich den Streit (den im ganzen Land, inzwischen darüber hinaus) befremdlich. Die Debatte selbst ist beschnitten, die Welt ist raus, keiner schimpft auf meine Eltern, nur Juden und Muslime stehen in der Schusslinie und fühlen sich, wohl nicht zu Unrecht, angegriffen.

    Ob es Religion ist, Tradition, Populärwissenschaft, Mode oder ein Spleen, der Eltern umtreibt, ist doch zweitrangig. Wichtiger ist, ob die Eltern entscheiden, was gut für ihre Kinder ist, oder der Staat. Soll der Zahnarzt die Zahnspange für spätere Schönheit mit den Eltern besprechen oder mit dem Jugendamt?

    Leider legte das Gericht seinen Maßstab gerade an den Motiven der Eltern an. Aus religiösen Gründen dürfen Ärzte nicht beschneiden, aus „hygienischen“, etwa nach der WHO-Empfehlung zur Zirkumzision, aber schon. Muslimische und jüdische Jungen dürfen also nicht beschnitten werden, andere sollten es, wie es auch die deutsche Entwicklungshilfe als Teil der HIV-Prophylaxe propagiert. Und der Bundestag will Religionsgemeinschaften per Sondergesetz gestatten, was jeder sonst so einfach darf. Ein Bärendienst. Besser wäre gewesen, ein Obergericht hätte klarstellen können, dass zwar ein Glaube kein Recht zur Köperverletzung gibt, die Beschneidung der Jungen aber Standardmedizin ist. Dann hätte eine Fachdebatte unter Ärzten daraus werden können.

    Zudem betrifft das Urteil eben Ärzte. Sollten die nicht über ihre besondere Verantwortung (sie leisten da einen klassischen Eid) im Rahmen der Gesetze selbst bestimmen? Warum dürfen Juweliere Kindern Ohrlöcher stechen, warum Eltern ihre Kinder tätowieren lassen?

    Ich bin weder religiös, noch für Beschneidung, aber gegen einen Eingriff in die Elternrechte. Der ist ok., wenn Eltern ihren Kindern schaden wollen, sie verkaufen oder missbrauchen. Aber, wie ich schon schrieb, die meisten Eltern lieben ihre Kinder und wünschen für sie das, was sie für das Beste halten. Ist es das nicht, hilft Aufklärung mehr als Verbote.

    Kinder gehören weder ihren Eltern, noch dem Staat, sondern sich selbst. Ob sie nun, solange sie für sich nicht eintreten können, von Tradition, tagesaktueller Moral oder elterlichem Gutdünken verbogen oder gefördert werden, ist Politik. Da es die Eltern sind, die die Kinder zur Welt bringen, und nur sie es sind, die ihre Kinder persönlich und nicht bloß im Allgemeinen lieben, muss, wer ihr Handeln beschränken will, gute Argumente haben und/oder Gewalt. Kinderrechte zu definieren, wäre da eine Sache. Aber Sonderregeln für religiöse Eltern, einschränkende oder freistellende, sind bloße Willkür.

    Und, @Menachem, warum wolltest du nun wissen, wie viele Kinder ich habe?

  11. @Dirk, ich unterstelle einmal, das keine Eltern dieser Welt die ihre Kinder angenommen haben, ihnen auch nur „ein Haar“ zu krümmenn im stande wären.

    Es passiert dennoch. Es passiert im guten Glauben der Eltern, die richtigen Weichen für die Zukunft ihrer Kindes zu stellen.

    Wenn ich heute, als Eltern, auf dem Informationsstand von heute, etwas als richtig für meine Kinder entscheide –
    dann können wir doch nicht morgen sagen (weil eine ganz neue und andere Information dies als nicht so richtig darstellt), diese Eltern wollten NICHT ihr bestes für ihre Kinder. Dabei gilt für mich: Sie haben es nicht besser gewusst – aber sie haben das Beste gewollt.

    Sonst und anders würden Eltern handlungsunfähig. Ihr gutgeglaubtes Tun von heute ist der Fluch von morgen.

    Aus meinem Elternerleben, mit all dem was ich meine besser hätte machen zu können, kann ich meine Eltern verstehen, dass auch sie ihre Fehler gemacht haben. Besonders unter den schwierigen Nachkriegstraumatas des 2. Weltkrieges.

    Meine Eltern haben mich mit Sicherheit geliebt. Trotzdem passen die mir anerzogenen Grundmuster nicht mehr in mein heutiges Weltverstehen. Dass kann ich aber meinen Eltern nicht vorwerfen.
    Das ist nun MEIN Ding, das muss ich schon selber in die Reihe bekommen. Und das, muss auch meine Tochter. Und ich gebe ihr von ganzem Herzen dazu Geleit, sofern sie es möchte.

    Diese Nachsicht mit Eltern, Dirk, empfand ich nicht aus deinen Worten. Deshalb habe ich gefragt.

    Doch noch zum Thema:
    Die körperliche Unversehrtheit ist ein hoher Rechtsanspruch. Diesen weiter in das Bewusstsein der Menschen zu bringen ist auch für mich ein großes Anliegen.

    Dabei geht es auch im Thema „Beschneidung“.
    Doch liegen in diesem Thema viel mehr Themen darunter, die garnicht ausgepackt werden wollen. Das Thema „Beschneidung“ mit dem Argument der „körperlichen Unversehrtheit“ abtun zu wollen, geht für mich meilenweit daran vorbei, wie wir zukünftig kontroverse Ansichten aushandeln wollen.

    Es geht um Traditionen, wie brechen wir damit nach tausenden von Jahren der Selbstverständlichkeit (mit einem Richterspruch von heute auf morgen ?), um Verstehen Andersdenkender, um mich, um Eltern, um Erziehung, um Gruppenzugehörigkeit und ausgeschlossenheit, um Religion und Glaube, um Spirit, um Assimilation und Integration, um Vielvölkergemische (auch Europa) und deren Harmonisierung, um Grundrechte und deren Fortschreibung, um Komplexität und Einfachheit unseres menschlichen Wollens, – und all das noch, verbunden mit den aktuellen wirtschaftlichen Krisen, die ihre eigenen Antworten suchen.

    Das Thema „Beschneidung“ beinhaltet für mich fast alles, an dem ich mich schon seit vielen Jahren versuche, in meinem blog hochzuhangeln und Orientierung zu finden.

    In dieser Komplexität überfordert es mich total. Ich wäre froh gewesen, das Thema wäre vielleicht erst in 5 – 6 Jahren aufgekommen. Aber nun ist es da. Am liebsten würde ich mich ausklincken. Es zentriert mich auf Dinge, die ich so eigentlich nicht wahr haben möchte und für die ich mich noch nicht stark genug empfinde, sie so zu akzeptieren.

    Aber wie heißt es: Die Wahrheit ist nun einmal hart.

  12. Nochmal ich, Menachem. Leider war der Kommentar schon fort, doch möchte ich noch folgendes zu Traditionen ergänzen, wie wir damit brechen oder umgehen:

    Die Frage ist auch für mich:
    Traditionen! Braucht es ein Gerüst dieser Art, wie immer es aussehen und angepaßt wird, um einer Gesellschaft Stabilität zu geben?

    Kann sich eine Gesellschaft nur an dem Grundgesetz orientieren? Reicht das?

    Was heißt das: Die Würde des Menschen ist unantastbar? Ist das intelektuell vermittelbar oder muss das vorgelebt werden?

    Ich selbst habe in meinem Elternhaus Traditionen erlebt. Ich habe sie NIE gemocht.
    Ich bedauere heute zutiefst, dass es mir nicht möglich war, einen größeren Teil davon an meine Kinder weitergegeben zu haben.

  13. @Dirk, @Menachem – ich hänge quasi an Euren Lippen! Es ist mir eine Freude, dass in der virtuellen/medialen Welt, die gerne von Hassreden dominiert wird, hier das ganze Gegenteil stattfindet.

    Wenn doch nur alle oder wenigstens die jeweils Aktiven so miteinander sprechen würden!

    Menachem schrieb:

    „Sie haben es nicht besser gewusst – aber sie haben das Beste gewollt.“

    Ja, aber dieses Nicht-Wissen ist durch das Köllner Urteil in Frage gestellt worden. Auch wenn es nur um die Legitimation von Ärzten ging, stellt es doch die Beschneidung eines nicht selbst entscheidungsfähigen Kindes wirkungsvoll in Frage.

    Und wirft damit die hier von Euch diskutierte Grundfrage in Sachen Eltern- versus Kinder-Recht auf. Klar wollen die allermeisten für ihre Kinder immer das Beste – aber wir kennen wohl alle aus eigener Betroffenheit oder aus den Berichten Nahestehender, dass das Beste der Eltern auch der Horror der Kinder sein kann.

    Wer außer dem Staat könnte da Grenzen setzen? Diese können bzw. sollen in einem säkulären Staat nicht durch Bezugnahme auf Religion begründet werden. Auch nicht ausgehend von anderen konkreten Weltanschauungen und Lebensstilen. Ein guter Staat im Dienste der Aufklärung kann und soll nur Grenzen der „Herrschaft von Menschen über Menschen“ setzen, auf die man sich im demokratischen Diskurs einigt.

    Da die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen Toleranz gern als Ignoranz verstehen und leben, tut es natürlich weh, wenn diese Pseudo-Harmonie plötzlich zusammen bricht. Durch ein Gerichtsurteil.

    Es mag unangenehm, nervig und gefährlich sein – aber ich finde, solchen Dissensen kann und soll nicht auf Dauer ausgewichen werden. Jedenfalls dann nicht, wenn wir mehr wollen (und zunehmend brauchen) als Parallelgesellschaften, die aneinander vorbei leben.

  14. Ich bin für die Beschneidung von Juden und Muslimen.
    Aber bitte auch gleich die Hoden abschneiden!

  15. @Menachem, ich bin nicht nur Eltern, sondern allen gegenüber nachsichtig, formuliere nur gern überspitzt, weil das leichter ist. Ich habe Zweifel am „Freien Willen“ und kann ohnehin kaum Vorwürfe machen. Nicht nur Religion hat die Geister im Griff.

    @Claudia, wenn der Staat die Kinder vor ihren irrenden Eltern schützt, was kommt heraus? Eine Beschneidungspflicht nach WHO-Empfehlung? Staaten irren kaum seltener als Eltern. Ich finde es besser, möglichst wenige Irrtümer allen aufzuzwingen.

    Und käme die Vernunft selbst, ich würde sie nur als kritische und deskriptive begrüßen, als präskriptive mit Gewaltmonopol sicher nicht.

    Übrigens, @Claudia, danke. Du bist nicht wirklich verblüfft, dass sich in deinem Blog keine Hassreden häufen, oder? Nach all den Jahren… (Immerhin, eine kleine ist grad da.)

  16. Ich finde, Knallkopp kann man sich ja gerne nennen. Muss man aber deshalb auch so schreiben?

  17. Soll ich „Knallkopp“ löschen – Eurer Ansicht nach? Sowas ist hier tatsächlich die seltene Ausnahme…

  18. Sind solche ‚Knallköppe‘ in Deinem Blog die Ausnahme, wäre Löschen unsinnig, überflüssig und verwässerte den Status der Ausnahme (da Du jede Sorte von Kommentar auf diese Weise zu einer machen kannst).

    Ich denke, allein bereits der Gegensatz zwischen den anderen Beiträgen und solchen ‚Einlassungen‘ entmutigt Nachahmer oder Zwangstrolle. Ihre Texte lesen sich in meinen Augen schon auf den ersten Blick als einfach zu dämlich, und vielleicht haben sogar Autoren derartiger ‚Geistesblitze‘ einen Rest an Geschmack und Verstand, die eingreifen können, bevor sie ihre Kommentare abschicken.

    Die Alternative wäre, grundsätzlich alles zu löschen, was einem nicht in den Kram paßt und die heimlicheren Filter der ‚Fangemeinde‘ des Blogs durchbrochen hat.

    Das hat für mich in einem Blog, der wie Deiner sowohl von der Qualität der Beiträge wie der Kommentare lebt, aber leicht den Geschmack einer selbstgewählten Isolation. Im Extrem könntest Du dann alle Kommentare gleich selbst verfassen (eine Vermutung, die ich bei manchen Stromlinien-Blogs in der Tat hege).

    Daher also meine Antwort: Nein – nicht löschen!

    LG Susanne

  19. Löschen oder nicht, eine gute Frage? Mit Interesse habe ich den Kommentar von @Susanne gelesen. Leser zu einer Meinungsäusserung zu bringen ist ohnehin schwierig und das Löschen eine Gradwanderung, die so lange als möglich von der @Susanne-Sicht beeinflusst sein sollte, also nicht löschen. Allerdings hätte ich den zweiten Satz auf unserer Plattform – gleich bei Entdeckung – gelöscht, da kaschiert eine „weitergehende Sicht“ verbreitet wird, die unter die gängigen Verbotsregeln fällt und den Themenbereich verlässt.

    Provokation darf sein, um möglichst das Innehalten bei den Blog-Gästen zu erreichen. Meine Kommentare gefallen sicher nicht immer und mancher Leser würde sie sicher gerne gelöscht sehen, aber ich bemühe mich, dass sie unter „belebend zugespitzt“ durchgehen.

    Bei Zeit Online wurde mal ein Kommentar von mir gekürzt, auf den ich mit einem 2 Zeilen Nachtragskommentar reagiert habe und der bewilligt wurde: Sinngemäss: „Wenn jemand so austeilt (wie die Autorin) kann man sie bei den Reaktionen nicht unter Heimatschutz stellen!“

    Löschen @Claudia würde ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr sonst geht der Sinn der Folgekommentare verloren

  20. Manche Kommentare sähe ich lieber nicht. Weniger die ‚ausfälligen‘, eher die gehaltlosen. Dann, wenn viele eingehen, ich gerne alle läse, doch Lesen zur Qual wird, weil etliche nichts beitragen (zur Filmkritik ‚Ich mag keine Filme‘) oder nur wiederholen. Ein harmloses, aber lästiges Beispiel ist der reine Einklang (‚ich auch‘), besonders, falls wortreich dargelegt. Einen solchen Kommentar tippe ich gerade, denn:

    Ich schließe mich den Worten von @Susanne an.

    Lustig fände ich, @Relax-Senf, „den zweiten Satz“ zu löschen, wenn der erste bliebe. Das wäre ein Spaß, gespannt nachzusehen, was man gestern wohl schrieb.

  21. Was haben diese blutrünstigen Rituale der Juden
    und Muslime in der Mitte eines aufgeklärten Europas
    zu suchen?! Was hat die Beschneidung der Penisvorhaut
    und das Schächten, Durchschneiden der Kehle bei lebendigem
    Leibe von Rindern und Schafen, mit Religionsfreiheit zu tun ?!
    Hat man den Juden nicht früher vorgeworfen eigene Kinder
    als Menschenopfer darzubringen ?!
    Zu allem sollten sich diese RELIGIÖSEN endlich mal äußern,
    bevor sie deutsche Gerichte verunglimpfen !

  22. Die beschnittenen Herren, die ich persönlich kennenlernen durfte,waren zum Einen nicht traumatisiert und sahen zum Anderen einfach besser aus ;=)

    Zudem? Wieso kakeln alle plötzlich über die Beschneidung, in einer Gesellschaft, in der Schönheits-OPs zur Abendessenzeit im Mehrheits-TV live übertragen wurden, jede Schlagzeilen-Hure ihre Jahresringe absäbeln lässt und jedes Modeheft Tipps zur Nasenkorrektur gibt?

    Schönheits-OPs sind ok, politisch korrekt, Beschneidung nicht?

    Welch Sturm im Wasserglas!

  23. @Connie: schon richtig, doch ist es schon ein Unterschied, ob Menschen eine OP freiwillig wählen, oder ob sie als Kind gar keine Wahl haben.

  24. Relax-Senf hat einen eigenen Artikel zu „Beschneidung“ verfasst, den ich Euch hier zur Lektüre empfehle:

    * Beschneidungen – Berliner Parlament prescht vor

    Die Überschrift ist unglücklich gewählt, sie reizt fast zum Gähnen, doch was folgt, ist sehr lesenswert!
    Wir müssen uns schon auf Grundwerte einigen, die für ALLE Religionen und Glaubensgemeinschaften gelten – unbeqúem, aber unumgänglich.