Claudia am 14. Oktober 2012 —

Blog-Sterben: Anonymität ist ein flüchtiger Schutz

Das Blog „Dornröschen holt die Heckenschere“ macht dicht. Es waren eher private Themen, die „Lilly“ auf emotionale und recht spritzige Art dort seit 2009 verhandelt hat. Aus und vorbei. Warum?

Ich habe mich immer um Authentizität bemüht, wollte nie die Mrs. Perfect vorgeben, aber da ich hier nun mal ein „Gesicht“ habe und (leider) viele von meinem Blog wissen, denen ich freiwillig nichts (mehr) von mir erzählen würde, macht mir das Bauchweh. Großes Bauchweh.
Es ist gegen meine Intention hier nur Kochrezepte, Sockenstrickanleitungen und drollige Kinderanekdoten zu posten. ……. Aber würde ich hier so weitermachen wie bisher, würde ich Euch, und viel schlimmer noch, mich selbst betrügen. Ich würde über Nebensächlichkeiten schreiben, obwohl etwas ganz anderes in mir schreit heraus zu dürfen.


Lillys Blog ist nur ein Beispiel aus vielen, die mir mit diesem Ausstiegsgrund im Lauf der Jahre schon begegnet sind. Oft sind es „anonyme“ Blogs, die keinerlei Realdaten über die Person enthalten, was den Schreiber/innen die Möglichkeit eröffnet, kein Blatt vor den Mund zu nehmen: persönliche Beziehungen und ihre Konflikte, Probleme mit Arbeitgeber und Kollegen, erotische Details, Launen, Leiden, Krankheiten – und genau dieser Stoff ist es, der dem Unterhaltungsbedürfnis vieler Lesenden entgegen kommt. Man nimmt quasi Teil an einer realen Daily Soap und ist gespannt auf die Fortsetzung. Bis es eines Tages der Autorin zuviel wird: Zu vielen Menschen aus dem eigenen „realen Leben“ hat man das Blog irgendwann gezeigt, so dass das freie Schreiben angesichts der vielen Mitwissenden zunehmend unmöglich wird.

Irgendwann ist also Schluss: es folgt ein Abschied, oft versehen mit dem Hinweis, dass diejenige durchaus weiter schreiben wird – irgendwo anders, wieder „richtig anonym“.

Wie finde ich das? Einerseits lese ich selbst mit Interesse das eine oder andere derartige Blogs (das „Dornröschen“ hab‘ ich allerdings erst an dessen Ende entdeckt). Andrerseits könnte und wollte ich selber so niemals bloggen: Was ich den jeweiligen Personen nicht auchins Gesicht sagen kann, bzw. schon gesagt habe (!), schreibe ich auch nicht ins Netz. Über Beziehungen blogge ich nur in großem zeitlichen Abstand, in verallgemeinerter Form oder MIT ERLAUBNIS der Person, die ich (auch ohne Namensnennung) erwähne.

Meiner Authentizität tut das keinen Abbruch – im Gegenteil, ich fühle mich nur so wirklich integer, denn ich muss mir keine Gedanken machen, ob irgendwer vielleicht an dem Anstoß nimmt, was ich schreibe. Das kann natürlich auch bezüglich der Inhalte, die ich hier zum Besten gebe, passieren – es handelt sich dann aber immer um Dinge, zu denen ich rundum und gegenüber jedem stehen kann. Wogegen detailreiche Ausführungen über mein reales Erleben mit konkreten Mitmenschen immer auch ein Übergriff auf DEREN LEBEN darstellen würde. Schließlich würde ihre Sicht der Dinge NICHT mitberichtet – und selbst wenn, würden sie es nicht unbedingt schätzen, „öffentlich diskutiert“ zu werden.

So ist Anonymität (für deren Verteidigung im Netz ich jederzeit eintrete!) immer ein zweischneidiges Schwert. Wobei „Blog-Hopping“ vermutlich noch der geringste Schaden ist, der die Betreffenden ereilen kann.

***

Zu diesem Thema hab‘ ich schon öfter gebloggt, z.B. 2003:

Reflexionen in der ersten Person:
Von sich schreiben – Webdiarys und mehr

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Diskussion

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13 Kommentare zu „Blog-Sterben: Anonymität ist ein flüchtiger Schutz“.

  1. Offenbar ist es ein Fehler, anderen von seinem Blog zu erzählen. Man weiß ja aus „dem realen Leben“, daß man den einzelnen Bekannten und Freunden durchaus unterschiedliche Abstufungen an Einblicken ins eigene Seelenleben gewährt – und vielen eigentlich gar keinen. Und nun fährt man quasi mit einem Kamm drüber und erzählt JEDEM das gleiche Niveau an Initimitäten. Das kann nicht gut gehen!

  2. du erwähnst da einen wichtigen punkt: die privatsphäre der personen, über die der blogautor schreibt. das wird allgemein viel zu wenig berücksichtigt.

  3. @gerhard: guter punkt! darüber hatte ich bisher noch nie nachgedacht, aber da ist was dran.

  4. Ich halte Real-Face-Blogging eh für „gefährlich“. Gerade dann, wenn diese Blogger über Schwänke aus ihrem Leben berichten. Bei Bastelblogs bzw. neutralen Blog ist das was
    anderes.
    Ich bin froh, dass ich mich damals für ein Avatar samt Namensänderung entschieden habe.
    Ich berichte auch oft zeitlich stark versetzt bzw. ändere Eckdaten, die aber für die Posts und deren Verständnis nicht wichtig sind.

  5. anonymität ist eine wohltat
    für jemand der keine öffentlichkeit für sich selber sucht und dem/der rummel um persönlichkeit völlig schnurz ist.

    ich bin so einer, sage (schreibe) gern das ein oder andere
    ohne dafür eine wie auch immer geartete gegenleistung von wem auch immer zu erwarten, „autistisches verhalten“:) mehr oder weniger, aber mich freuts (immer dann wenn ichs lossende)

    für mich ist das netz immer noch ein grossartiges gespräch
    ortlos, unmittelbar, allgemein zugänglich, unkontrollierbar.
    anarchisch nahezu und das stimmt mich etwas gelassener, wenn auch jahr um jahr diese „anarchischen“ möglichkeiten
    abzunehmen scheinen bedingt durch reglementierungen von allen möglichen seiten, vor allem aus richtung legislative und ihren abmahnanwälten.

    Zensur der anarchie durch kunstbanausen, das ärgert mich aber es ist wohl auf lange sicht nicht zu ändern ergo muss man es ertragen.

    auf der anderen seite hab ich aus rein egozentrischen gruenden andreas winterer die erlaubnis gegeben, meinen klarnamen frei zu verwenden, wir haben vor jahren etwas in einer mailingliste“rumgesponnen“ und über diesen kontakt
    in der mailingliste ist eine sf geschichte entstanden
    die nu in einem bucherl verlegt wird. darauf bin ich ein klein wenig stolz und freu mich sogar drüber:)
    /hat nichts mit kohle zu tun, es geht nur und ausschliesslich um die verbreitung einer geschichte
    die ich zu einem kleinen teil mit erfunden habe.
    (und den weltfrieden und Unsterblichkeit natürlich)..
    darüberhinaus werd ich für meine person lieber anonym bleiben, diejenigen die mich kennen, wissen auch so
    welche realperson hinter meinen äusserungen steckt, den anderen sollten die inhalte -nicht meine person- grund genug sein mein gestammel zu lesen, oder auch nicht:)

    gruss ingo

  6. Hi Ingo,

    bei all deiner Anonymität hast du jedoch nie über ganz persönliche Beziehungen geschrieben – allenfalls über Institutionen.

    So so, ein Buch.. na, dann werd ich das mal suchen und hier NICHT posten. Sonst wärs ja wieder nix mit der Anonymität… :-)

  7. Aus persönlicher Erfahrung sage ich, dass sich ein Blog und die Beziehung des Bloggers zu seinem Baby entwickelt:
    Ich hätte ohne gesicherte Anonymität wohl nie mit Bloggen begonnen, denn es war von vornherein klar, dass, wenn ich schreibe, dies immer persönlich ist. Genau so, wie das für jede Rede gilt. Und da ich nicht plappern will, schreibe ich also auch von mir. Sogar ein Konterfei meines Augenpaares à la Claudia war bald Programm. Dennoch fühlte ich mich sicher, Dinge zu reflektierne, die mit meiner Anstellung, meinen Kunden, meiner ganzen Arbeitssituation zu tun hatten – unter anderem.
    Ich merkte bald, dass ich im Grunde, würde ich „gestellt“ werden, zu allem stehen können würde und auch wollte, und ich konnte beobachten, wie sich mein Leben in jene Richtung veränderte, durch mein aktives Zutun, die ich suchte und die sich auch in meinen Bloggedanken abbildete.

    Mit der Zeit wurde das Blog einfach ein Teil von mir. Und heute ist es mir egal, wer „es“ weiss und auch liest, oder eben nicht. Aber ich freue mich, wenn ich von Menschen aus Fleisch und Blut aufs Blog angesprochen werde – gerade von jenen, bei denen ich es nie erwartet hätte.

    Mittlerweile ist es so, dass, würde mir jemand eröffnen, dass er auf Grund meines Blogs nicht mehr mit mir zusammen arbeiten wolle, würde ich ihm sagen: Gut, hat sich das auf dem Weg geklärt! Kurz: Wer mit der Art, wie ich auf dem Blog reflektiere, nicht klar kommt, soll mir getrost aus dem Weg gehen.

    Freunde und Bekannte genau so wie Zufallsbegegnungen können ganz sicher sein, dass sie völlig anonym bleiben: Dies ist ein absolutes NoGo. Und niemand, der mit mir Kontakt hat, soll den geringsen Zweifel haben, dass dies für Dritte Einsichten eröffnet, die er nur mir gewährte. Noch nicht mal, dass wir uns an einem bestimmten Tag an einem bestimmten Ort getroffen haben, geht jemnden was an.

    Was Du, Claudia, hier als Beispiel beschreibst, ist häufig zu beobachten, aber auch sehr schade. Schlussendlich ist es wohl so: Tagebücher der Seele gehören zwischen zwei Deckel ohne Namensschild. Von Anfang an. Nur ist das Feld der dinge, die man öffentlich reflektieren kann, sehr gross, auch wenn man sie ein bisschen verallgemeinern mag, bevor man darüber schreibt. Jeder Buchautor macht Ähnliches. Mit der Zeit ist Schreiben mit Kalkül oder Scheuklappen einfach unbefriedigend. Die Wahrheit, von der man schreibt, ist immer eine persönliche, und wenn man in Kauf nehmen kann, daran auch erkannt zu werden, oder zumindest gespürt, dann ist das eine sehr schöne Erfahrung.

  8. ich frage mich,was genau an persönlichen Belangen interessant genug ist um dies in die welt hinauszuschreiben.
    sind es hund und katze? Nun: ich habe weder den ein noch den andern Vierbeiner, obwohl mir beide Gattungen von der Art her eher angenehm denn lästig sind:)

    Kochen? kann ich nur bedingt (Rührei, Bratkartoffeln und solcherlei-; das wars dann aber auch schon so im Groben) also auch nicht sonderlich ergiebig.

    Hobby? Schach ist kopfsache, Snooker ebenso, diese Beschäftigungen sind mehr für FtF und real denn im Netz zuhause, also auch nur bedingt ein Thema.

    persönliche Belange? Gesundheit, Wohlbefinden, Körperliche Umstände? meinem Alter angemessen gehts mir gut, Ärtze habne mich vor 40 Jahren das letzte mal gesehen, den letzten losen Zahn hab ich mir selbst gezogen.
    Ärzte sind teuer und ich vermute, sollte ich mich in Ihre Obhut begeben wär ich sofort um Klassen kränker als mir im Augenblick bewusst ist.

    Arbeit? ein weites Feld für einen Selbständigen: tagelang könnte ich kleine Begebenheiten und Umstände aus dem Baugeschehen rund um meine kleine reale Welt notieren, nur: wen interessiert dies?

    was bleibt wäre BeziehungsThematik, da bin ich etwas schwach bewandert, meine beiden Kids sind erwachsen,
    meine ExGefährtin auf und davon. Ich lebe für mich und kämpfe täglich gegen die Unbill die Staat und Gesellschaft zu bieten haben, damit bin ich eigentlich völlig ausgelastet. Möglicherweise kommen von daher meine Themen aufs Tapet, sollte ich mal was schreiben:)

    aber gerade diese Dinge, das Verhältnis und die sich ergebenden Umstände des Einzelnen gegenüber Institutionen
    (Finanzamt, Gemeindeverwaltung, Gerichten, Insolvenzverwaltern, Rechtsanwälten und all jene die Bauartbedingt Gewalt in jedweder Form rechtmässig gegen einen einzelnen ausüben könnten, können und realiter tun)
    diese Umstände empfinde ich manchmal erwähnenswert.
    Weil: Jeder ist diesen Verhältnissen unterworfen, jedem
    kann (und wird) ähnliches widerfahren fals er/sie sich so verhält wie ich manche auslösende dinge getan habe.

    dies mag nun für ein Blog wie dieses hier nicht gerade erschöpfend sein:) aber mehr kann ich dazu erstmal nicht beitragen.

    gruss aus sz
    ingo

  9. Ich danke Euch für Eure interessanten Beiträge und Erfahrungen! Anders als Thinkabout (der seit 8 Jahren TÄGLICH bloggt!) könnte ich mich nie und nimmer darauf beschränken, anonym zu bloggen, schon gar nicht über längere Zeit. Trotzdem schreibe nicht immer nur über Politik, Zeitgeschehen etc., sondern durchaus auch mal „aus der Seele“. Würde ich das anonym machen, käme ich mir vor, als würde ich mich verstecken – als wäre es eine zu verbergende Sünde, was mich so alles bewegt.

    Und noch etwas, was mich bei plötzlich endenden anonymen Blogs richtig schockt: die Blogger/innen verlieren ja alle, die im Lauf der Zeit eine Art Beziehung zum Blog und seiner Autorin eingegangen sind. All die Menschen, die immer wieder kommentiert, ermuntert, Rat gegeben, nachgefragt, ihre Sicht der Dinge beigesteuert haben: Klick und weg!
    (Wer mag, liest dazu auch den Folge-Artikel, zwar nicht zum selben Thema, aber als Hintergrund ergänzend).

    Dennoch will ich keinesfalls den Eindruck erwecken, als sähe ich meine Haltung als die einzig richtige an! Mein Leben als Freiberuflerin im Homebüro ist sehr viel freier und unverstrickter in Alltagskontakte als das vieler anderer, die „zur Arbeit gehen“. Hätte ich täglichen Umgang mit Kollegen und Vorgesetzten, womöglich noch mit Konkurrenz und Konflikten, würde ich all das vermutlich auch anders sehen. Und anders bloggen.

    @Ingo: dass du nicht bloggst, bringt ja doch auch mit sich, dass du gerne länger kommentierst – auch schön!! :-)

    Ein schönes Wochenende Euch allen!

  10. @Ingo: hier übrigens mal ein schönes Beispiel für ein anti-institutionelles Blog:

    http://jobcenterleaks.de/ – Infos aus erster Hand.

  11. Zitat:

    __“Anders als Thinkabout (der seit 8 Jahren TÄGLICH bloggt!) könnte ich mich nie und nimmer darauf beschränken, anonym zu bloggen.“__

    Das hält sich hartnäckig, nicht wahr? Dabei habe ich längst ein Impressum mit Klarnamen. Aber Thinkabout ist ein Synonym statt ein Anonym geworden, ein Teil meiner Real Identity. Auch so rum kann es laufen. Was Du virtuell tust, ist eben auch real.

  12. @Thinkabout: STIMMT!!! Das hatte ich einfach vergessen (aber durchaus schon mal bemerkt!). Angesichts deines Eintretens fürs anonyme Bloggen hatte ich dann quasi NEU registriert, dass Thinkabout anonym bloggt. Sorry, mein Gedächnis…!!

  13. @claudia
    Der Thinky verzeiht Dir das gerne und findet es schön, dass Du Kurt auch kennst.
    *smile.

    Wahrscheinlich verteidige ich das anonyme Bloggen vor allem gegen den Vorwurf oder die Unterstellung, anonym wäre gleichzustellen mit unverbindlich.
    Anonymes Schreiben gibt es ja gar nicht. Man verrät immer was von sich. Aber das ist im Grunde ein neues Feld.