Claudia am 26. Mai 2013 —

Schmerz ist nicht zwingend als Leiden zu interpretieren

„Du steckst deine Beschwerden ja ganz gut weg“, sagte heute ein alter Freund, als ich am Rande unseres Gesprächs die einsetzenden Zahnschmerzen nur kurz erwähnte, um im übrigen den gemeinsam geschauten „Tatort“ und dann die Lage der Welt zu besprechen.

Weil er ein alter Freund ist, den ich mindestens einmal die Woche sehe, weiß er gut, dass „Zahnweh“ nicht das einzige ist, sondern so in etwa das fünfte oder sechste in der Reihe diverser Zipperlein, die für mich so ab Mitte 40, erst recht ab 50 nach und nach virulent wurden. „Zahnweh“ wohlgemerkt nicht wg. Karies, wie bei den Jungen, sondern als Begleitkonzert des Sich-Verabschiedens eigener Zähne auf Nimmerwiedersehen: jeder Verlust eröffnet eine neue Baustelle rund um Zahnersatz (bzw. dessen Neu-Arrangement, und heute auch dessen Finanzierung!), ist also nie von heut‘ auf morgen abgehakt.

Ich denke jetzt nicht im Traum daran, meinen Mitlesenden eine Liste meiner „Beschwerden“ zu geben (wer wirklich lange mitliest, weiß, dass ich ein lebender „Sitzschaden“ bin). Tatsache ist, dass mein Freund recht hat: es tangiert mich im Herzen nicht wirklich. Ich bewerte all diese Erscheinungen auch nicht anders als das Wetter. Das kann, subjektiv betrachtet, gelegentlich nervig sein, aber es ist nun mal ein Geschehen, dem ich ausgesetzt bin und über das ich mich nicht unnötig aufregen will. Es ist, wie es ist – es ist nicht „gegen mich“.

Auch dass mein Leben ein Ende haben wird, ist so ein Geschehen. Die Wahrnehmung zunehmender Hinfälligkeit und Schwäche (verglichen mit früher, mit 20 oder 30!) erinnert daran, dass es so weiter gehen wird, letztlich bis zum Tod. Aber ich wäre doch schön blöd, wenn ich mich von diesen natürlichen Prozessen deprimieren ließe! ICH bin zum Glück nicht der Dreh- und Angelpunkt der Welt, sondern nur ein Stäubchen unter vielen. Klar wird mich gelegentlich die Wehmut packen, wenn ich mal das Ende recht nahe sehe und ich all das, was ich in dieser Welt liebe, mit Abschiedsaugen anschauen werde. Trotzdem hoffe ich, dass ich letztlich so bleibe, wie ich immer war: interessiert an Anderen, an der Welt, nicht allzu sehr am persönlichen Befinden.

Wenn ich das grade Geschriebene lese, beschleicht mich der Zweifel, ob rüber kommt, was ich meine. Die Haltung, die ich als „Schmerz muss nicht Leiden sein“ vermitteln will, ist vermutlich gar nicht vermittelbar. Sie wächst einem zu oder war immer schon da – und vor allem ist sie KEINE LEISTUNG! Nichts, was man in Selbstverwirklichungskursen erringen kann, nicht mal etwas nur GUTES, denn die andere Seite dieser Haltung kann man auch als Verwahrlosung beschreiben: Jemand, der sich nicht genug „um sich kümmert“, sondern stets dazu neigt, Impulsen zu folgen, sich „nach außen zu wenden“, anstatt sich zu besinnen, sich zu pflegen, zu schützen, stets gesund zu ernähren, fit zu halten und und und…

Ja, oft genug scheiß ich drauf! Und das werde ich auch weiter tun…. :-)

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Diskussion

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9 Kommentare zu „Schmerz ist nicht zwingend als Leiden zu interpretieren“.

  1. mag das mädel das dahinter sitzt
    mag die zeilen die sie rindenritzt
    kenn die narben die das altern schnitzt
    und vom ich zum wir ist es nicht so weit
    es ist nur rinde die vor schmerzen schreit
    :)
    kurzen gruss
    i.m.sz

  2. Eigentlich wollte ich kommentieren: „Sehe, lebe und empfinde ich genauso. Danke für’s in Worte packen!“ aber tatsächlich hat ingo schon einen viel schöneren Kommentar abgegeben, dem ich mich einfach anschließe.

  3. da bin ich noch etwas weg davon. meine Zipperlein nerven mich, aber ich habe auch nie etwas getan, um einen teil dieser auszuschliessen.
    guter artikel

  4. „… my (swedish;) friend, everyone I know, goes away in the end“ o.O
    http://www.youtube.com/watch?v=o22eIJDtKho

  5. Achja… Das, was Johnny Cash (oben) mit den Worten von Trent Reznor singt, klingt doch sehr stark nach tief schmerzhaftem Leiden.
    Obwohl das Lied eben darauf anspielt, dass Schmerz an sich — ganz besonders für Menschen, die am Leben leiden — empfunden wird als Lebendigkeit… weil Schmerz, wenn er empfunden wird, schließlich ein Seiendes impliziert, was lebendig genug ist, um den Schmerz zu spüren…

    Alan Watts zeigt einen ganz anderen Aspekt von „Schmerz“/ & „Leiden“ auf:
    http://www.youtube.com/watch?v=tlVg0LvyRGk

    Das trifft vielleicht viel besser, was Du schreibst…
    :::
    „Life as we live it is fundamentally Dukkha (दुःख)… The objective of the Buddha’s doctrine was not to get rid of the pain and put pleasure in it’s place, but to go to something else, which stands, as it were — transcending the two opposites… above and beyond them: Ananda! “

    From Dukkha to Ananda…
    http://de.wikipedia.org/wiki/Dukkha
    http://de.wikipedia.org/wiki/Ananda

    „Under the sword lifted high, there is hell making You tremble… but go straight ahaead and there is the land of bliss!“ (^_^)

  6. Solange es sich bei den Schmerzen „nur“ um Zipperlein handelt, trifft Dein Beitrag punktgenau. Davon darf man sich nicht das Leben vermiesen lassen.

    Hat man aber so große und unaushaltbare Schmerzen, die nicht unter-, bzw. weggedrückt werden können, dann sieht es schon wieder ganz anders aus mit der Lebensqualität und positiven Weltbetrachtung. Dann sind die Schmerzen keine Zipperlein mehr, dann sind sie Leiden.

    Leiden aber soll niemand aushalten müssen, auch wenn bei uns das aushaltende Leiden traditionell als Tugend betrachtet wird.

  7. @Olaf: ja, da hast du völlig recht! Sogar Zahnweh nimmt schnell schier „unaushaltbare“ Qualitäten an, die Betroffene schon mal dazu bewegt, nachts aus dem Bett aufzustehen und bei der nächsten Notaufnahme vorstellig zu werden.

    Obwohl ich Tabletten gerne vermeide nehme ich welche, wenn heftigere Schmerzen länger bleiben, bzw. immer wiederkehren. Allerdings mit dem Gefühl, die eine Gefährdung gegen eine andere, nicht wahrnehmbare einzutauschen (Beipackzettel sind geradezu verstörend!).

    Aber was solls, an der Stelle ist das Fleisch eben schwach und ein Geist, der bei andauerndem Schmerz eh nicht mehr zu Wort käme, widerspricht dann lieber nicht. :-)

    Kann aber sein, dass die Tablette nicht wirkt. Dann merke ich, dass es noch einen weiten Korridor des Aushaltens gibt, bevor ich mich um fremde Hilfe bzw. „ärztlich gestütztes Wegdröhnen“ bemühe. Ich beschäftige mich dann eben mit der Beforschung von Alternativen: Eiswürfel, Tigerbalsam, Atmen, Ablenkungen…

    Und währenddessen pulsiert und wandert der Schmerz, wird stärker und schwächer. „Ja, es tut sauweh!“ würde ich sagen, wenn mich jemand fragt. Da das aber in der Situation allein zuhaus nicht vorkommt, bin ich viel mehr in meinen Bemühungen um Linderungen und BEOBACHTEN des Schmerzes zentriert als in der KLAGE über den Schmerz. Und bezeichne das Ganze bei mir zwar als „nervig“, aber nicht als Leiden.

    Ich denke, richtig LEIDEN (wie ich es verstehe) fängt da an, wo man nichts mehr tun kann, bzw. vom Schmerz zu erschöpft ist, um noch irgend etwas zu versuchen – und sei es nur der wiederholte Versuch, geistig nicht völlig am Schmerz kleben zu bleiben.

    Ja, ich finde auch, niemand sollte das aushalten müssen! Darüber herrscht ja zum Glück auch weitgehend Konsens: das „Recht auf ärztlich gestütztes Wegdröhnen“ geht am Ende zumindest bei großen, anders nicht stoppbaren Schmerzen soweit, dass die Betäubung/das Morphium auch die letale Dosis erreichen darf.

  8. find ich klasse diese Einstellung, so bin ich auch, man kann sowieso nix ändern, Zipperlein hat wohl jeder und wenn man keine 20 mehr ist, sondern eine gute Portion mehr auf dem buckel hat, werden die Befindlichkeiten auch mehr, das heisst, die Missempfindungen werden mehr.
    ich hab ja deinen blog abbonniert und auch die kommentare dazu, da hat doch eben einer den Bericht über diese Onlinebekanntschaft, die unter dem Titel FAKE zu finden ist, ganz krass angezweifelt ? hast du das schon gelesen ?
    stör dich nicht an meiner kleinschreiberei, ich mach das meistens so , ich kann gross und klein wohl unterscheiden, aber es strengt mich an
    ich bin ja schon ziemlich alt.

  9. @Marie: du nutzt die Kommentarfunktion „unorthodox“, indem du abschweifst – aber gerade dadurch stellst du die Gesprächsbasis wieder her, die ich schon als nicht möglich erkannt hatte. Freut mich!

    Ich hab dem „Anzweifler“ geantwortetet und gedankt.

    Was die mehr werdenden Missempfindungen angeht: sie haben sich nur ins Physische verlagert, in jungen Jahren hatte ich sowas in der Psyche, das war viel schlimmer!