Menachem schreibt heute in seinem Gemeinsam-Leben-Blog:
„Visionen, oder Träume oder Wünsche, begleitet von der einzigartigen kraftspendenden „Hoffnung“ sie zu erreichen, betrachte ich als das Lebenselixier, dass wie Blut durch unsere Lebensadern fließt und uns in Bewegung hält – nach Vorne.“
Und auf HolyFruitSalad beschreibt die Bloggerin Claudine ihr derzeitiges Lebensgefühl mit den Worten:
Ich bin weiterhin müde, visionslos, kraftlos. Ich habe Angst vor dem Herbst, vor dem Winter, vor fehlendem Licht.
Visionen als Antrieb, ihr Fehlen als Leiden – beides absolut gängige Beschreibungen. Und immer wieder frag ich mich, wenn ich derlei lese: Wie kann es sein, dass ich so „visionslos“ ein recht zufriedenes, oft sogar glückliches Leben führe? Weder bin ich reich, noch ist mein Berufsleben „sicher“, eher im Gegenteil. Durchweg hab‘ ich nie viel Kompromisse gemacht im Streben nach Arbeit, die mir Freude macht. Phasenweise war ich arbeitslos, dabei aber nie untätig. Seit 1997 bin ich als Webworkerin selbständig, doch war und ist das nie besonders stressig. Es gab Zeiten schwerwiegender Geldsorgen, doch auch das hat mich nicht wirklich deprimiert – vielleicht, weil ich wusste: auch wenn ich „Stütze“ brauchen sollte, würde ich nicht verhungern.
Der frühere Bundeskanzler ist mit dem Spruch „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen“ aufgefallen. Damit läutete er die AGENDA 2010 und das Zeitalter der Alternativlosigkeit ein (Update: Gedächtnis-Fail!). Seitdem leben wir in einer visionslosen Zeit, Politik fährt „auf Sicht“ und wenn man sich in die komplexen Themen einliest, wundert das auch nicht. Dennoch kotzt es mich an, MICH, die ich mit Visionen eigentlich nichts am Hut habe.
Wer mein Blog und meine Linkschleuder-Gewohnheiten in den sozialen Medien kennt, weiß, dass ich Welt-verbessernde Aktivitäten gerne unterstütze. Das passiert allerdings nicht aus einer Vision vom besseren Leben heraus, sondern aus der Kritik an allerlei sehr konkreten üblen Zuständen hier und anderswo. Wer Durst hat, braucht Wasser, so einfach ist das. „Sauberes Wasser für alle“ empfinde ich dann nicht als großartige „Vision“, sondern als Selbstverständlichkeit, die ungerechterweise nicht für alle auf diesem Planeten verwirklicht ist, obwohl das durchaus machbar wäre.
Dem Begriff „Vision“ haftet irgendwie eine Großartigkeit an, die mir widerstrebt. Auch das damit verbundende Augenmerk auf Zukunft kann durchaus kontraproduktiv sein: etwa, wenn Menschen sich krumm legen und im Laufrad funktionieren, nur um IRGENDWANN mal ihre Erfüllung oder Befreiung zu erleben. Das verstellt den Blick auf das, was man JETZT tun und erleben kann zugunsten von Erwartungen, die vielleicht nie eintreten. Bzw. mit denen manche, wenn sie denn eintreten, gar nichts mehr anfangen können.
Der Garten ist mir ein Lernfeld in Sachen „Visionen“. Ich sah z.B. vor dem inneren Auge Gladiolen (die auf dem sandigen Boden schlecht wachsen) zwischen den hübschen heimischen Ziergräsern. Also hab ich welche gesetzt, von denen jedoch nur drei gewachsen sind, geblüht hat keine. Aber drei Meter daneben erschien ein fantastischer Blutweiderich, viel schöner und in diesen halbwilden Garten viel passender. Zum Glück hatte ich für seine Ecke KEINE Vision gehabt, denn sonst hätte ich ihn schon früh ausgerissen.
Genug für jetzt. Besonders stringent ist dieser Artikel nicht geworden – halt eine kleine Meditation über „Visionen“, frei assoziiert. Vielleicht habt Ihr ja Lust, das in den Kommentaren fortzuschreiben?
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7 Kommentare zu „Visionen: unverzichtbar oder ein Grund, zum Arzt zu gehen?“.