Claudia am 12. Februar 2014 —

Jetzt hackt mal nicht so selbstgerecht auf den Schweizern rum!

Was für eine wohlfeile Welle der Empörung doch gerade durch viele Medien und Kommentarspalten schwappte! Da hat die ansonsten von uns (ja, ja ich weiß: wer ist WIR?) so heiß herbei gesehnte direktere Demokratie doch glatt ein „falsches“ Ergebnis gebracht! Spinnen die, die Schweizer?

Sind jetzt etwa auch diese immer so freundlich-zivilisiert wirkenden Bergmenschen mit dem sympathischen Dialekt zu xenophoben, abschottungswilligen Wutbürgern geworden?

Moralische Entrüstung ergießt sich im Niagarafall-Format über die Schweiz, als wären „wir“ (= wir in der EU) die vorbildlichen Heiligen der Ausländer- und Immigranten-Freundlichkeit. Dabei verhält es sich umgekehrt: Auf acht Millionen Einwohner kommen in der Schweiz 1,87 Millionen Ausländer, das sind stolze 23,3 Prozent, wobei die meisten aus Italien und Deutschland kommen.

Gute und schlechte Ausländer?

Leider fällt mir jetzt die Quelle nicht mehr ein, aber ein Schweizer schrieb irgendwo, dass die Schweiz nun immerhin keinen Unterschied mehr mache zwischen guten und schlechten Ausländern – recht hat er! Die Schweiz ist NICHT EU-Mitglied und hat es bisher geschafft, einen höheren Lebensstandard quer durch die sozialen Schichten zu halten – verglichen mit uns, die wir von den „kommunizierenden Röhren“ des globalisierten Kapitalismus deutlich mehr betroffen sind.

Für viele Deutsche und andere EU-Bürger war die Schweiz deshalb beliebtes Flucht-Ziel im Sinne des Strebens nach „ordentlicher Bezahlung“. Ein Wert, der bei uns seit Jahren großflächig abgebaut wird, AUCH bei bisher „Besserverdienern“. Wer in die Schweiz geht, will „ein besseres Leben für sich“ und nicht hierzulande beim allgemeinen Downsizing mitmachen müssen. Die Migranten aus der EU in Richtung Schweiz sind also was? Ja, genau: Wirtschaftsflüchtlinge!

Ist das nun in Ordnung und als Teil der allgemeinen Bewegungsfreiheit vom Zielland einfach hinzunehmen? Oder doch so schlimm, verurteilenswert, inakzeptabel, wie „wir“ es den Migranten aus Afrika, Arabien und Osteuropa gerne vorwerfen? Gegen die derzeit eine immer effektivere Mauer um Europa gebaut wird – aus Überwachung, Polizei, Verwaltungshandeln, Gesetzgebung und unsäglichen Schikanen im Graubereich der Legalität.

Man stelle sich vor, die Schweiz würde nurmehr „politisch Verfolgte“ aufnehmen… und zwar nur solche, die das auch ausreichend dokumentieren können und nicht über ein „sicheres Drittland“ eingereist sind!

DANN hätten „wir“ erst richtig Grund zur Klage! Aber immer noch nicht wirklich das Recht dazu….

***

Meinem Projekt für Flüchtlinge und Migranten fehlen noch 2576 Euro – nicht mehr sooo viel verglichen mit dem, was binnen 2 Monaten schon gespendet wurde. Aber es FEHLT halt doch noch der Rest! Über den Stand der Dinge schreib ich in den nächsten Tagen mehr – aber wer sich jetzt motiviert fühlt… es wär mir eine Freude!

Diesem Blog per E-Mail folgen…

Diskussion

Kommentare abonnieren (RSS)
51 Kommentare zu „Jetzt hackt mal nicht so selbstgerecht auf den Schweizern rum!“.

  1. Wie kommst Du zu Deiner Einstellung? Als Deutsche in CH kann ich berichten, es gibt sehr viele Schweizer, die sehr ausländerfeindlich sind… Es gibt hier sehr viele Immigranten, sehr richtig. Aber das ist kein Argument dafür, dass Schweizer nicht ausländerfeindlich seien. In meinem Alltag hier in CH wird sehr wohl zwischen guten und schlechten Ausländern unterschieden.

    Schlecht sind ganz offen ausgesprochen alle aus dem ehemaligen Jugoslawien, gut sind wir Deutschen, aber auch nicht alle. Ausländerfeindliche Anfeindungen auf dem Schulhof sind Alltag, und wir als Familie gelten hier im Dorf als “gut integriert”, trotzdem kein Schutz für die Kinder, Rassismus zu erleben.

    Die Schweiz hat ein ganz radikales Abschiebesystem, Ausländer, die straffällig werden oder sonst wie nicht passen, werden “ausgeschafft”, ohne mit der Wimper zu zucken… Mich verwunderts, die CH als ausländerfreundlich dargestellt zu sehen. Asylanten sind hier sowas von nicht gewollt, wie ich es aus D nicht kenne. Und Wirtschaftsflüchtlinge nimmt die CH nur auf, wenn sie was davon hat. Solidarität gegenüber Flüchtlingen gibt es hier so gut wie gar nicht. Bei Bedarf kann ich gerne Aufklärungsarbeit betreiben! Einen höheren Lebensstandard quer durch die sozialen Schichten kann ich auch nicht unterschreiben. Arm sein in der CH ist um Klassen härter als in D.

    Die Überlegung, wie eine solche Abstimmung in D ausgegangen wäre, die Überlegung ob Freizügigkeit tatsächlich realisierbar ist oder realisiert werden muss oder die Überlegung, ob das aktuell dominierende Wirtschaftssystem das Beste ist, sind wirklich lohnens- und lobenswert. Aber bei der Realität sollte man bleiben. Und die Realität kann man drehen und wenden, wie man will. Die Schweiz ist ausländerfeindlich. Schweizer haben ja sogar ein Problem mit den Einwohnern eines anderen Dorfes und erst recht mit denen aus einem anderen Kanton!

  2. @Swissmade: mein Artikel richtet sich gegen die heuchlerische Doppelmoral, mit der in DE auf den Entscheid reagiert wurde!

    Die konkret existierende Ausländerfeindlichkeit in der Schweiz kann ich nicht beurteilen, sehe aber, dass beim Entscheid das JA nur sehr sehr knapp gewonnen hat – ist das etwa nichts?

    „Schweizer haben ja sogar ein Problem mit den Einwohnern eines anderen Dorfes und erst recht mit denen aus einem anderen Kanton!“

    ob ich DAS als „Ausländerfeindlichkeit“ werten würde, frag ich mich grade… das gibts auch hier, insbesondere auf dem Land. Da ist man manchmal noch Generationen lang „Zugereister“ – doch auch das kenne ich nicht aus eigener Anschauung. In den Städten ist es nicht so, vermutlich auch in der Schweiz nicht.

    „Es gibt hier sehr viele Immigranten, sehr richtig. Aber das ist kein Argument dafür, dass Schweizer nicht ausländerfeindlich seien.“

    Nein, umgekehrt: ein dreimal so hoher Immigranten-Anteil als in DE macht die „Ausländerfeindlichkeit“ (bzw. besser: die Ablehnung ungebremster weiterer Immigration) der Schweizer eher verständlich.

    „Einen höheren Lebensstandard quer durch die sozialen Schichten kann ich auch nicht unterschreiben.“

    Wie hoch ist denn der Sozialhilfe/Arbeitslosengeld-Satz in Euro?
    Ganz üblich scheint es auch (noch) zu sein, dass man vom Lohn/Gehalt her in der Schweiz „von einem halben Engagement leben“ kann. Das hab‘ ich von Schweizerinnen… ist es nicht mehr so?

    Wirtschaftlich ist mir die Schweiz sowieso ein Rätsel, mit dem ich mich mal ausführlicher befassen sollte. Wie können sie dieses „teure Niveau“ auf vielen Ebenen aufrecht halten? Ich lese, dass es in grenznahen Bereichen durchaus bröckelt, aber immer noch ist da wohl ein großer Unterschied.

    P.S. Zu Gunsten der Lesbarkeit habe ich mir erlaubt, Absätze in deinen Kommentar einzubringen.

  3. Dass die Schweizer per se Ausländer-feindlich sind, kann wohl niemand ernsthaft behaupten wollen. Wie Claudia erwähnte, sollten die Dinge in ihren Relationen betrachtet werden. Das Argument mit den Nachbarschaftsdörfern kann ich als Schweizerin auch nicht bestätigen. „Im Hause muss beginnen,was leuchten soll im Vaterland“, hat schon ein strammer Schweizer Schriftsteller verkündet und wenngleich dies in deutschen Ohren allzu pathetisch klingen mag, so besagt es eben für mich, dass das erzieherische Umfeld und die späteren persönlichen Erlebnisse massgeblich daran beteiligt sind, wie die Ausländerfrage behandelt wird, ganz unabhängig von Nationalitäten.
    Mein deutscher Lebenspartner ist hier in unserem Dorf geachtet und wird nicht einmal schräg angeschaut, wenn er sich an politischen Gesprächen gelegentlich beteiligen mag.
    Der Ton macht eben die Musik.
    Die Initiative mit ihrer populistischen Kampagne wurde zum einen deswegen angenommen, weil realistische Aengste geschürt worden sind und zum anderen, weil bedauerlicherweise der liberaler denkende Teil der Schweizer Bevölkerung bequem zuhause sitzen geblieben ist, vermutlich mit der Erwartungshaltung, dass diese Art von Kampagnen zumeist ohnehin abgelehnt wird und deswegen auch nicht zum Erfolg führt. Nun haben wir eben den Salat und müssen die Suppe auslöffeln, welche uns von den’konservativen‘ Kräften einmal mehr eingebrockt worden ist.
    Die gestrige Sendung mit Anne Will und dem bei uns alles andere als beliebten Herrn Mörgeli werden uns dabei auch nicht weiter helfen. Aber bekanntlich wird nichts so heiss gegessen, wie es gekocht wurde. Es ist demnach nicht auszuschliessen, dass die sprichwörtliche Schweizer Diplomatie in der nächsten Zeit eine Lösung hervorzaubern wird…

  4. ist doch putzig, daß jetzt deutsche unerwünschte ausländer sind und das abstimmungsergebnis hier gerade von denen gefeiert wird, die nur „ausländer“ hören und sofort in geifer verfallen.

    praktisch: in der schweiz haben die parteien nicht die finanziellen ressourcen einer medialen kamapgne wie der von blocher was entgegenzusetzen. an stelle der schweizer würde ich mir mal kurz angucken, wie das in italien gelaufen ist und mich ernsthaft fragen, ob _das_ denn nun gewünscht ist.

    aber, im tenor hast du natürlich recht: „wir“ (deutschen) haben keinen grund, den splitter im auge der schweizer zu sehen, wir haben ja selbst ein brett vor’m kopp.

  5. (*) _das_, falls die anspielung nicht ankam, ist die berlusconisierung der politik.

  6. […] Danke an  Claudia Klinger für ihren positiven Beitrag zu diesem […]

  7. Liebe Claudie
    Dein Beitrag tut mir richtig gut. Nachdem ich in meinem Beitrag http://zentao.wordpress.com/2014/02/11/wir-konnen-selber-entscheiden/

    „Jetzt schlagen wieder alle auf die kleine Schweiz ein, dabei haben wir nur das gemacht was ”Alle” gerne machen würden; Selber entscheiden !! “

    Erlebte ich einen Sturm der Entrüstung von mehrheitlich netten deutschen Nachbarn.

    Ich habe Deinen Beitrag bei mir im Beitrag erwähnt
    vielen Dank

    Liebe Grüsse zentao

  8. @Zentao: gleichwohl hat mein Artikel einen ANDEREN Tenor als deiner – den ich durchaus gelesen, aber nicht kommentiert habe. Mir fehlt da ein gutes Stück „liebendes Mitgefühl“, denn du bezeichnest Zuwanderer, die nicht gleich Arbeit finden (oder evtl. gar nicht arbeiten dürfen?) als „Schmarotzer“ und haust auch im jetzt nachgeschobenen Artikel in diese Kerbe:

    „…. oft haben sie sogar mehr Rechte, dank dem Sozialamt, (vermutlich ist das aber auch in Deutschland so ) welches ihnen Wohnungen und Lebensmittelgutscheine und leider oft auch Bargeld zu kommen lässt. Alles Dinge wo der Schweizer und der niedergelassene Ausländer hart arbeiten muss und seine Steuern zahlt.“

    Sorry, aber ich finde den Umgang mit Asylbewerbern oft ausgesprochen menschenverachtend – und die Entmündigung durch Lebensmittelgutscheine gehört dazu! (Inländer haben im übrigen nicht weniger, sondern MEHR Rechte, wenns um Sozialhilfe, Arbeitslosengeld etc. geht! Ganz gewiss auch in der Schweiz.)

    Diesen ganzen Singsang vom „hart arbeitenden Menschen“, an dessen Wohlstand faule Stütze-Empfänger (seien es nun Inländer oder Zuwanderer, der Sound ist immer gleich!) kratzen, ist mir zutiefst zuwider! Das Geld strömt von unten NACH OBEN, wie man seit Jahren anhand der Zahlen sehen kann, die Arbeit wird durch die Digitalisierung immer weniger, ganze Branchen werden überflüssig und unbefristete, sozialversicherte Jobs zur Seltenheit.

    Da dann noch ins Horn der Entsolidarisierung gegenüber den Ärmsten einzustimmen, ist für mich genau die falsche Richtung, höflich gesagt.

    ***

    Hier noch Thinkabouts Artikel zum Thema:

    Die Schweizer und die Ausländer

    *

  9. Liebe Claudia
    Es ist Deine Meinung und die respektiere ich – doch wenn Du den Artikel von Thinkabout richtig gelesen hast wirst Du verstehen, dass es schon richtig Eng ist bei und und es verträgt wirklich nicht mehr viel und arme Menschen gibt es nicht viele in der Schweiz und auch den Asylanten geht es gut. Wir haben kein so ein unmenschliches System, wie Harz 4.
    Liebe Grüsse zentao

  10. @zentao

    mal abgesehen davon, daß ich claudias gedanken, daß man sich nicht über den splitter im auge des anderen aufregen sollte, wenn man selbst ein brett vor’m kopp hat …

    objektiv gesehen ist folgendes passiert: jemand mit sehr viel geld hat auf eine sehr schäbige art die latente fremdenfeindlichkeit der schweizer angestachelt und das land in eine situation gebracht, in der am ende der schaden für das land größer sein wird als der nutzen. die rechnung werden die schweizer bezahlen. selbst schuld.

    jetzt kommt eben die „guillotine“ und alle vorteile, die sich die schweiz verhandelt hatte, gehen flöten.

    wir sollten uns in ein paar jahren wieder über das thema unterhalten, wenn die zahlen das maß des schadens objektivieren …

    ach ja, für mich ist selbst das wort „asylant“ degoutant. ich lese ja ab und an mal auf deinem blog und kann als buddhist vieles, was mir da so entgegenspringt, nicht wirklich mit ZEN & TAO in einklang bringen.

    du stehst da sicher nicht für mein verständnis dieser begriffe.

  11. @hardy: zentao schreibt dort selbst in den Kommentaren, er sei kein Buddhist, sondern übe nur ZEN-Meditation.

    Gutes Beispiel dafür, dass klassiche Versenkungsmeditationen auch bei umfangreicher Praxis über Jahre nicht etwa „einen anderen Menschen“ aus uns machen. Das finde ich sogar erleichternd, denn ich hab das nie nachhaltig zustande gebracht – einmal die Woche Yoga ist alles, was ich so „praktiziere“.. :-)

    Zur Schweiz: kann man so eine Abstimmung eigentlich irgendwann wiederholen? Könnte doch sein, dass das Volk angesichts der Folgen umdenkt…die Mehrheit war eh sehr knapp!

    Weiter würde mich interessieren, wie weit die direkte Demokratie eigentlich geht. Dürfen Schweizer ALLES direkt entscheiden? Gibt es da keine Grenzen in der Verfassung?

  12. [..] kein buddhist

    sehr beruhigend ;-)

    [..] wiederholen?

    nin, glaube ich nicht. eher eine andere abstimmung, die das ergebnis dieser abstimmung präzisiert. wäre aber gerade nicht der rechte zeitpunkt.

    [..] ALLES

    keine ahnung, offen gestanden, klingt aber plausibel, daß …

    im grunde sieht die situation wohl so aus (podcast vom freitag _vor_ der abstimmung) – die parteien in der schweiz haben schlicht nicht das geld, einer solchen von einem millionenschweren unternehmer finanzierten kampagne entgegen zu treten.

    klaus hat da übrigens einem kommentator eine schöne antwort gegeben ;-)

  13. und ich hänge mal einen kleinen und kurzen podcast dran

    Der Schock nach dem Schweizer Volksentscheid – Verunsicherte Grenzgänger

  14. @hardy: hab es mir angehört. In Kürze: allgemeine Verunsicherung bei potenziellen Zuzüglern, Beratungsstellen wissen auch noch nix und meinen, es dauere ja noch lange, bis neue Regeln etabliert sind. Einzelne Deutsche meinen, die Schweizer hätten was gegen Deutsche, andere sagen, sie fühlen sich in der Schweiz wohl.
    Es gibt aber auch einen neuen Rückkehrertrend: viele sind doch nicht so heimisch geworden wie gedacht. Den höheren Gehältern stehen auch höhere Lebenshaltungskosten gegenüber, also kommen viele zurück. Ein Trend, der für die Schweiz katastrophal werden könnte, denn es gibt Firmen mit 80% deutschen Mitarbeitern.

  15. ah, ich verstehe ;-)

    beim nächsten mal mache ich dann die kurzzusammenfassung …

  16. So viele Ansätze und Fragen, die ich gerne beantworten würde… also, mal ein paar erste Versuche:

    Selbstverständlich hat die Schweizer Direkte Demokratie auch ihre Grenzen: Gerade die Initiative, die verlangt, dass Kinderschänder lebenslang verwahrt werden, hält wohl dem Urtel des europäischen Gerichtshofs nicht stand – und gilt dann auch in der Schweiz als verfassungswidrig. Im übrigen gibt es für Volksinitiativen ein Muss von 100’000 gültigen Unterschriften – und die sind in der verlangten Zeit nicht so leicht und eben nur mit einem rechten Batzen Geld zusammen zu bringen. Und Parlamentsentscheide, die dem fakultativen Referendum unterstehen, brauchen, dass es dazu kommt, 50td Unterschriften.
    Das sind schon ziemliche Hürden.

    Die Frage, missliebige Entscheidungen beizeiten dem Volk nochmals vorzulegen, in abgewandelter Form, um es quasi zu fragen, ob es ihm wirklich ernst sei mit dieser doofen Idee, kommen beim Volk nicht so gut an. Mit Recht. Es greift nämlich viel zu kurz, eine Abstimmungskampagne und ihren Erfolg wie im aktuellen Fall am Geld eines einzigen Protagonisten fest zu machen – auch wenn sich Blocher zunutze macht, dass sich kein Kontrahent mit Geld so sehr ins politische Zeug legt, um auf dem Weg sein Profil zu gewinnen. Aber wir haben bei uns verschiedenste ausgebildete Mechanismen zur Meinungsbildung, die mit zur direkten Demokratie gehören: Die Abstimmungsthemen sind viele Monate im voraus bekannt, es gibt bei uns viel weniger Wahlkampf, aber immer wieder Abstimmungsdebatten, in allen Medien, in allen Formaten – es gehört mit zur politischen Kultur, dass dabei Fernsehen und Print die vierte Rolle im Staat übernehmen und eine objektivierte Berichterstattung pflegen – in der die Argumente aller Seiten auch zur Sprache kommen.

    Die Argumentation, in diesem Fall, in dem alle Wirtschaftsverbände und Parteien und Gewerkschaften auf der Ablehner-Seite standen, hätten diese Parteien gegen die finazielle Übermacht eines Einzelnen verloren, finde ich peinlich und kann ich nicht ernst nehmen – zumal Blocher früher schon sehr viel lauter und aufdringlicher aufgetreten ist.

    Eine mögliche politische Lösung in diesem Fall könnte darin bestehen, dass die Verhandlungen mit der EU ergeben, dass das gesamte Paket aller bilateralen Verträge einer Neuorientierung bedarf – und diese Verträge als Paket dann wieder dem Schweizer Volk vorgelegt werden müssten.
    Bisher hat sich allerdings die SVP erfolgreich dagegen gewehrt, und erreicht, dass wir zu allen Bereichen der bilateralen Verträge einzeln abgestimmt – und sie ursprünglich angenommen haben – ein durchaus europäisches Bekenntnis (ich bin nicht sicher, ob die Schengen-Verträge auch nur von allen Kernstaaten der EU per Volksentscheid angenommen worden wären…).

    Ach ja, noch etwas: Es ist in den Kommentaren angeklungen, dass mit den Jahren schon zu sehen sein wird, was wir davon haben – mit entsprechend negativen Prognosen. Dazu folgendes:
    Das Abstimmungsergebnis ist auch deswegen zustande gekommen, weil die Personenfreizügigkeit die Verhältnisse in der Schweiz innert sieben Jahren gravierend stärker verändert hat, als es von allen Befürwortern prognostiziert wurde. Hätte mir damals jemand gesagt, dass diese Regelung bedeuten wird, dass wir pro Jahr ein Prozent mehr Bevölkerung durch Zuwanderung haben werden – ich hätte nein zur Personenfreizügigkeit gesagt, weil die Bedürfnisse der Wirtschaft damit schon mittelfristig mit dem Verlangen nach Lebensraum und nationaler Identität kollidieren.

    Und noch etwas wäre interessant zu belegen, wenn möglich, per Statistik: Das Abstimmungsverhalten der Secondos, also jener Schweizer aus Familien, deren Eltern in die Schweiz zogen und die hier geboren wurden und Schweizer Bürger sind. Dem Vernehmen nach ist ihre Bereitschaft, der weiteren Zuwanderung zuzustimmen, eher unterdurchschnittlich ausgebildet…

    Ich mag auch nicht beurteilen, ob wir ausländerfeindlicher sind als andere Länder. Wir fühlen uns einfach beengt, egal, ob zu Recht oder Unrecht. Und ganz sicher ist es so, dass in diesem Fall die Rosinenpicker eher unter denen zu finden sind, die ganz bewusst die günstigen Anstellungsbedingungen in der Schweiz suchen. Dass sich viele Deutsche dabei falsche Vorstellungen machen, ist menschlich, aber manchmal auch offensichtlich: Zu meinen, zum Beispiel, die Sprache stelle schon mal ganz sicher kein Problem dar, ist ein riesiger Irrtum. Und dieser Irrtum ist nicht der Fehler der Schweizer. Denn unser Idiom ist der jeweilige Dialekt, und die deutsche Sprache ist unsere erste Fremdsprache. Ich bin mir nicht sicher, ob das nicht nach wie vor vielen Deutschen nicht bewusst ist.

  17. thinkabout,

    danke für die ausführlichkeit, das thema ist ja wirklich hochkomplex und manchmal sieht man den wald vor lauter bäumen nicht mehr. oder man ist zu nah dran. oder zu weit weg …

    ich fand an der abstimmung erst mal witzig, daß jetzt die deutschen merken, wie das ist, wenn man als ausländer betrachtet wird und unerwünscht ist. in diesem sinne: danke für die übung ;-)

    was ich nicht ganz so witzig fand: mag ja sein, daß du persönlich kein problem mit deutschen hast. andere haben die. das gros derer, die für die initiative gestimmt haben – sage ich hier, weitab von der schweiz also inkompetent herumspekulierend – dürften nicht von deinen (in meinen augen reichlich) romantischen vorstellungen von einer heilen heimat, in der „wir“ (rhetorisch …) schweizer „unter uns“ bleiben und die natur geniessen können …

    das gros dürfte es aus dem guten alten neid und der schönen alten mißgunst von einem populisten befeuert gemacht haben … und du machst dich (bitte nicht als vorwurf mißverstehen, eher als sachliche beschreibung) eben „gemein“ mit diesen leuten, die bei uns die afd oder die npd wählen würden, die PI seiten vollschmieren oder ihre aberwitzigen verschwörungstheorieen auf den DWN oder DMN posten. also leute, mit denen ich mich jedenfalls schon aus prinzip nicht „gemein“ machen möchte – ich würde schon aus purem trotz immer gegen sie stimmen und sei es für eine dummheit.

    alles, bloß nicht mit denen in einem boot.

    okay, darf ich mal den versuch unternehmen, das ganze aus einer anderen perspektive zu betrachten? wird hier nicht der falsche in den sack gesteckt und geprügelt? und wird das pferd nicht von hinten aufgezäumt?

    wie kommt es zu dieser art von einwanderung?

    ein land benötigt arbeitskräfte, um die dinge zu produzieren, die es, um für das land einen gewinn zu machen, wiederum nach aussen verkaufen kann.

    es gibt zwei möglichkeiten (*), um die nachfrage auf dem arbeitsmarkt zu befriedigen: die arbeitskräfte werden im inland ausgebildet. ich zb. ärgere mich seit jahrzehnten darüber, daß das bei uns nicht in ausreichendem maß geschehen ist, weil die arbeitgeber dachten, sie sparen eine menge geld, wenn sie es nicht in die ausbildung des nachwuchses stecken.

    für die war es billiger, sich die leute aus dem ausland, die dann auch noch weniger geld erwarten, zu holen.

    und schon bin ich da, wo ich hinwollte. denn genau das ist ja auch in der schweiz passiert. und, viel wichtiger, es ist der selbe personenkreis: geizige unternehmer, die im hier und heute alles verfrühstücken, scheiss auf die zukunft, nicht mein problem, oder die aktionäre erwarten eben eine dividende, however …

    die, die in den sack gehören, wären also nicht die „ausländer“, die den „inländern“ die butter vom brot nehmen, sondern die, die _beide_ ausbeuten. nur, äh, daß blocher seine eigenen leute auf’s korn nimmt, würde ich mal nicht erwarten.

    was hätte man also tun können? erstens hätte man ja zb. von arbeitgebern, die nicht ausbilden und statt dessen „ausländer“ holen, so etwas wie eine „solidaritätssteuer“ abverlangen können. das hätte den preis für die arbeit eines „ausländers“ erhöht, den „inländer“ also sozusagen „attraktiver“ gemacht und das geld, das man so gewinnt, hätte man ja dann in die ausbildung stecken können.

    okay, das ist natürlich wunschdenken 70er style mit ner guten prise keynes, weil so denkt man ja heute nicht mehr, also nachhaltig …

    gehen wir jetzt einfach mal einen schritt weiter in die zukunft. wir (schweizer, die wir gerade im geiste sind) sind also jetzt damit konfrontiert, daß einerseits waren und dienstleistungen produziert werden sollen, die ja jemand produzieren muss.

    es müssen also um eine virtuelle stückzahl zu erreichen eine entsprechende anzahl von arbeitskräften da sein, die das tun kann, möglichst qualifiziert.

    nur, woher nehmen und nicht stehlen. das boot ist ja angeblich wieder mal voll, das qualifizierte personal, das zb. gerade in den schweizer krankenhäuser leute aufschneidet oder sie im bett pflegt, das kommt ja dummerweise aus dem ausland. wer macht das bitte, wenn ein kontingent sagt: „schluss jetzt“?

    ich hoffe mal, _du_ liegst dann nicht in so einem bett und es ist nur noch ein viertel personal auf station.

    gucken wir mal auf die sachen, die weniger stationär sind wie krankenhäuser – es sollen waren hergestellt werden. wenn aber in einem land nicht mehr das personal da ist, um das zu tun, dann würde ich als unternehmer mir sagen: hey, in deutschland sprechen die auch deutsch, okay, das mit den steuern ist nicht soooo doll, aber ich bekomme mein soll hin. alles eine frage der kalkulation.

    ergo: hasta la vista schweizer arbeitsplatz, aber, hey, ihr dürft gerne hierher kommen und bei uns arbeiten ;-)

    oder nehmen wir die aktuelle situation um diese vereinbarung in sachen kroaten. das war wirklich dämlich (oder mit absicht boshaft von eurer regierung, die euch zeigen wollte, wie ruckzuck das geht) weil es doch nun wirklich klar war, daß hier die gute alte „einer für alle alle für einen“ regel gilt. es war wirklich nicht zu erwarten, daß die EU an diesem grundprinzip auch nur rütteln würde und jetzt der schweiz zuliebe europäer erster und zweiter güte einführt.

    ergo: guillotine. der eu war ja bei den verhandlungen mit der schweiz immer schon ein bißchen flau und die haben sich gedacht „bloß kein zweites england“. reicht schon, daß die denken, sie könnten die rosinen picken und verächtlich auf den kuchen glotzen. also haben sie eben das fallbeil eingerichtet, sozusagen die folterinstrumente.

    jetzt fallen also milliarden, die für den austausch von studenten und forschung an die schweiz geflossen wären, weg. okay, es ist sind ja nicht die euro, die hier wirklich das problem machen – es ist, sagen ein paar der gut ausgebildeten schweizer, die über den tellerrand nationalen wohlbefindens weg gucken können, der „image“-verlust. ab sofort spielt die schweiz nur noch bundesliga, hasta la vista champions league.

    und naja, das ist ja erst der anfang. das dicke ende kommt ja erst, weil … darauf gucken die wenigsten … man diese dinge ja nicht als einzelne positionen betrachten darf … sie sind stellschrauben, ein system, das weil an zu vielen gedreht wird, um so schneller kollabieren könnte, alles was passiert, verstärkt das andere und das wiederum ein weiteres usw usf. mir persönlich würde als schweizer eher flau.

    unlängst las ich, daß jemand schrieb, so sei die schweiz eben besser gerüstet für die globalisierung und könne sich besser gegen asien aufstellen als in dieser „maroden“ eu. ich hab ziemlich lange gelacht. nicht mal die grundregeln dessen, was als „fasces“ schon von den römern verstanden worden ist: einen ast bricht man, aber ein bündel von ästen macht da schon mehr arbeit.

    ich frage also mal ganz vorsichtig: was jenseits der romantischen vorstellung von einer heilen schweiz, die einen „engestress“ hat, bleibt wirklich übrig, wenn man die sache mal ein bißchen aus einer einerseits volkswirtschaftlichen perspektive (hähä, endlich kann ich mal was mit meinen höhere handelschule/wirtschaftsgymnasium sachen aus den 70ern anfangen …) oder einem blick auf den kern des problems betrachtet?

    bei allem respekt, werter thinkabout, das ist mir zu kurz gedacht. ich denke, ich habe da oben einen kleinen vorschlag gemacht, der viel praktikabler gewesen wäre, wenn die schweiz ein reizender ort hätte bleiben sollen mit viel platz für kühe, die käse produzieren. nur, wie gesagt, so funktioniert das eben nicht. reichtum, und das ist ja das, was die schweiz als land eben für sich erzielen will, läßt sich schon aus der vwl bekannten gründen, nicht erzielen, wenn man den gürtel enger schnallt. dazu bedarf es wachstums.

    vielleicht beim nächsten mal überlegen, wen man in den sack stopft und prügelt. jetzt muss die schweiz erst „mal durch“, das hat sie sich so eingebrockt, die suppe muss jetzt halt ausgelöffelt werden.

    ich wäre da nicht so optimistisch wie du, das wird böse enden. und, ich sage das ohne häme oder ein vorurteil meinerseits gegen „die“ schweizer, die sind nämlich so unterschiedlich wie wir deutschen und da gibt es ja auch die 49.3%, die zu meinem leidwesen von den 50,7% mit auf die rutschbahn müssen ohne daß sie das wollen. ich halte die – offen gestanden – für weitsichtiger, weltoffener und weniger tagträumerisch und deshalb – keine häme. eher der pure spaß daran, jemandem zuzugucken, der sich unbedingt weh tun will. popcooooorn.

    ich hoffe, ich war nicht zu ausscheifend, aber hey, das wollte ich zu dem thema immer schon mal schreiben ;-)

    ach ja, claudia, verzeih wenn ich das jetzt nicht inhaltlich zusammenfasse, eigentlich mache ich gerade mal wieder tv3-programm, hier der tägliche pod zum thema

    Standort Schweiz in Gefahr – Forschung und Hochschulen bangen um EU-Gelder

    der titel sagt ja alles.

  18. ah, mein(*)

    es gibt natürlich eine dritte möglichkeit: maschinen …

    ich weiss nicht, ob „die“ schweizer sooooviel davon hätten, das grundprinzip wäre das da oben beschriebene, ein paar machen den reibach, die anderen gucken in die röhre.

    apropos maschinen, da habe ich noch einen zweiten pod auf lager, den ich jetzt unbedingt loswerden muss und wo ich ein bißchen probleme habe, den inhalt ausführlich zu beschreiben, weil das ein bißchen so wäre, wenn man das ende von „the 6th sense“ verrät.

    maschinenstürmer? technik als bedrohung?

    achtung: fragezeichen!

    und: ich darf nicht verraten, wer heute ein „ludist“ ist, sage aber schon mal vorab, daß hier ein mythos in sein sachlich korrektes gegenteil verwandelt wird, eine köstliche halbe stunde … erhellend.

  19. Ich muss Hardy in vielen Punkten zustimmen.
    Knapp 2 Wochen nach der Abstimmung ist bei uns (als deutsche Akademikerfamilie in der Schweiz) das Unverständnis gegenüber diesem Ergebnis leider nur gewachsen. All diese Argumente mit Dichtestress oder „wir wollen damit eine Wirtschaftsform erreichen, die nicht auf Zuwachs abzielt, sondern nur auf Erhalt“ oder „Ihr Deutschen hättet auch so abgestimmt“ oder „die Ausländer zerstören unser Sozialsystem und unsere Gefängnisse sind voll mit denen“, ich kann es nicht mehr hören!
    Ich finde alle Argumente lächerlich. All die Gemeinden, die grenznah sind, einen hohen Ausländeranteil haben oder sehr „eng“ bebaut sind, haben „Nein“ gestimmt… Was soll man da noch sagen? Dichtestress in CH… War eigentlich mal ein Schweizer in einer deutschen Grossstadt?? „Wir Deutschen hätten auch so abgestimmt“, vielleicht ja, kann sein – aber wir Deutschen haben keinen direkte Demokratie… Vielleicht, damit eben solche Ergebnisse nicht zustande kommen…
    In einer Abstimmung hatte man sich dagegen entschieden, dass an der Hochschule Sankt Gallen auch Mediziner ausgebildet werden, weil es eben zu teuer ist. Gut – dann sollte man aber auch den Weitblick haben, dass eben Deutsche oder Österreicher fast schon die Mehrheit im Spital stellen.
    Immerhin verstehen Deutsche und Österreicher in den allermeisten Fällen die Schweizer.
    Und diese Aussage, Deutsch ist unsere erste Fremdsprache… Ja, klar, wenn man nur hinterm Berg leben möchte, ist das möglich. Hochdeutsch oder Standardsprache oder Schriftdeutsch oder wie ihr es auch nennen möchtet, lernen die Kinder in der ersten Klasse. Ab da sollen die Kinder im Unterricht nur noch Hochdeutsch sprechen, was sie auch tun. Kinder, die in D eine Internationale Schule besuchen und dort im Unterricht nur Englisch sprechen, haben kein Problem mehr mit Englisch. Das Fernsehen, wie wird da gesprochen?? Klar, es gibt vier Sender, die auch mal Schwizerdütsch sprechen, ansonsten gibt es ca. 20 Sender, die Hochdeutsch sprechen. Das in den Zeitungen Geschriebene ist auch eher Hochdeutsch als irgendein Dialekt…
    also ich verstehe es nicht, was ihr erwachsenen Schweizer da für eine Tamtam macht. Die Kinder, die zu uns, in eine hochdeutsch sprechende Familie, kommen und hier spielen, haben nie Probleme mit der Sprache. Die Kinder sind schlagfertig, auf hochdeutsch, machen Scherze, auf hochdeutsch. Wenn es mal nicht geht, wird problemlos ins schwizerdütsch geswitcht… ab wann erkennt der Schweizer wieder, das Hochdeutsch als Problem gesehen werden muss?
    Wir sind wirklich genervt, klar, die Abstimmung ging nicht gegen Deutsche, sondern gegen „Icis“…
    Nun, wir gebildeten Deutschen haben aktuell den Grundtenor, dass wir uns halt mal woanders in der Welt umsehen, wo wir vllt. etwas entspannter aufgenommen werden. Dann müsst ihr Schweizer halt nach D ins Spital gehen… dann kommt dann wieder das Problem mit der Sprache auf euch zu…

  20. @Thinkabout, @Hardy: habt Dank für Eure ausführlichen Beiträge zum wahrlich sehr komplexen Thema!

    Anders als Hardy denke ich nicht, dass die Schweiz nun gleich große Probleme mit Arbeitskräften bekommt. Erstmal sind – wie Thinkabout ausführt – in den letzten 7 Jahren wirklich SEHR VIELE gekommen, die von einer Beschränkung in der Zukunft nicht betroffen sind.

    Zweitens heißt „Beschränkung“ ja nicht STOPP! Da ergibt sich also ein großer Spielraum bei der Bestimmung des „Kontingents“, den die Schweiz gewiss nutzen wird. Und darüber hinaus ist es ja doch möglich, dass sich auch bei einer Überschreitung – wenn also Firmen ganz bestimmte Mitarbeiter benötigen – Genehmigungswege im Einzelfall finden werden, die dann je nach Sachlage mühsamer oder ganz locker gehandhabt werden.

    Es wäre mir jedenfalls etwas Neues, wenn sich gut begründete wirtschaftliche Bedürfnisse nach Wachstum (!) oder gar zum Erhalt der Bestände mal NICHT durchsetzen könnten…

    Dass ein Einzelner mit viel Geld an der Entscheidung schuld sein soll, glaube ich nicht. Sehr viel näher liegend ist da die Vermutung vom Mylo: wenn man weiß, dass doch ALLE Parteien, Gewerkschaften etc. für NEIN trommeln, dann geht man vielleicht aus purer Trägheit nicht abstimmen, denn man ist sich des NEiNs allzu sicher.

    @Hardy: deine Haltung „mit denen nie“ teile ich nicht. Man kommt in Teufels Küche, wenn man nicht mehr gradlinig entlang an dem agiert, was man wirklich denkt und will, sondern statt dessen nur darauf schaut, was Andere so machen und meinen. (Wie ich das hasse, wenn in deutschen Parlamenten Anträge der Opposition nur deshalb abgelehnt werden, WEIL sie von der Opposition kommen – nicht etwa, weil man das Anliegen nicht teilt.) Und wenn ein Neonazi sich gegen die Massentierhaltung ausspricht, werde ich deshalb nicht meine gleichlautende Meinung vergessen und zum Schnitzel-Verzehr aufrufen!

    Was die Ausbildungsfrage angeht, müsste ich mich erst einlesen. Da dein Vorwurf gleichermaßen gegen schweizer als auch deutsche Unternehmen geht, aber dennoch sehr viele Deutsche Jobs in der Schweiz finden, kann mangelnde Ausbildungsbereitschaft jedenfalls nicht das gesamte Wanderungsphänomen von DE Richtung Schweiz erklären.

    Über die „Beengung“ der Schweiz will ich auch nicht einfach hinweg sehen. Vergleichsweise mit DE ist die Schweiz ein Mini-Land (Fläche, Bevölkerungszahl). Und in der EU gibt es mittlerweile viele Länder, denen es deutlich schlechter geht, so dass die Menschen gerne anderswo nach besseren Bedingungen suchen. WIE soll das also weiter gehen? Das ist eine Frage, mit der sich im weiten Sinne links eingestellte Menschen (zu denen ich mich immer noch zähle) oft einfach nicht befassen. Was aber auch nicht sehr hilfreich ist…

    Update: ich hab den Irrtum bzgl. Ja/Nein korrigiert.

  21. @Swissmaid: ich war gerade am schreiben, da hast du bereits gepostet. Danke auch Dir für den neuerlichen Kommentar – der allerdings in Teilen den hier gepflegten respektvollen Ton vermissen lässt (insbesondere am Ende). Wir wollen hier friedlich Meinung und Erfahrung austauschen, nicht Gräben vertiefen und eigene „Genervtheiten“ einander an den Kopf werfen. Dafür gibts ja genug andere Stellen, an denen genau DAS der Stil ist…

    Beim Thema „Sprache“ ging es Thinkabout darum, mögliche Gründe dafür anzusprechen, warum Deutsche doch lieber „rückwandern“. Sprache ist nun mal ein wesentliches Element des sich heimisch fühlens, daran ändert auch kein Unterricht und das Verhalten offizieller Medien nicht. Du bestätigst das ja auch insofern, dass du nicht etwa an der Schweiz hängst, sondern durchaus Ausschau nach anderen Orten hältst. Wer aber nicht nur „wandert“, sondern richtig einwandern, also Schweizer werden will, wird evtl. doch merken, dass das eine Sache von Generationen ist – und eben AUCH aufgrund der Sprache.

    Ganz allgemein würde ich mich übrigens eher zürück halten, als Deutsche Schweizern zu sagen, wie es sich mit ihrer Sprache verhält.

    P.S. Dass grenznahe Gemeinden eher für NEIN stimmten, ist doch sehr einleuchtend! Sie sind vermutlich alltags-wirtschaftlich viel vernetzter mit dem Nachbarland als „innerschweizerische“ und fürchten Verluste.

  22. @ Claudia: ich bin selber über meinen Ton erstaunt und entschuldige mich dafür. Ich frage mich selber, wieso ich soo genervt bin und reagiere. Also, noch einmal: Entschuldigung!

    Ich finde aber nicht, dass ich mich zum Thema Sprache zurückhalten sollte. Mit welcher Begründung denn? Weil ich Ausländerin bin? Manch,al tut ja ein Blick von aussen ganz gut.
    Zum Thema Sprache möchte ich anmerken: ich denke nicht, dass die Sprache der Grund ist, wehalb Deutsche zurückwandern. Wenn man hier eine zeitlang lebt, versteht man Dialekt sehr gut und fühlt sich damit auch heimisch. Wir übernehmen immer mehr „Schweizer Ausdrücke“ in unsere Familiensprache, die aber grundsätzlich bei allen weiterhin Hochdeutsch ist. Ob man tatsächlich Dialekt spricht ist eine anderes Thema. Ich muss sagen, dass wir generell mit hochdeutsch sehr gut zurechtkommen. Einige Schweizer möchten es nicht verstehen, nun gut…
    Ich denke, der Grund für zurückwandern ist eher, dass Deutsche realisieren, dass sie niemals in der CH wirklich integriert werden oder aufgenommen werden. Man bleibt einfach sehr, sehr lange Fremder. Unser Freundeskreis bspw. besteht nur aus Ausländern und vllt. angeheiratete Schweizer. Und das ist die Regel, wir sind nicht die Ausnahme.

    Wir gehören sicher nicht zu den Leuten, die von Land zu Land ziehen möchten. Weiterhin sind es unsere Bestrebungen, hier voll dabei zu sein. Das heisst, genauso wie Schweizer ehrenamtliche Aufgaben zu übernehmen, Kindergarten und Schule zu unterstützen, lokale Feste besuchen und dort Mittag essen etc.etc. Wir hatten eine Zeit lang ein Schweizer Pflegekind bei uns wohnen (weil sich keine Schweizer Familie für diese Aufgabe finden liess). Aber sogar uns angepassten Ausländern reicht es nun.
    Das ist es, was mir auch Sorgen macht…
    Wo geht es hin mit dem Land? Wenn der Familiennachzug gestrichen wird, was für Leute kommen dann hierher? Sicherlich die, die hier einfach Kohle verdienen wollen. Was als Single ja gut funktioniert (als Familie dann nicht mehr…).
    Ich glaube, die ganzen Ideen und Erklärungen, wie es zu dem Ergebnis kommen konnte, sind nur vorgeschobene Erklärungen, um nicht sagen zu müssen „Ja, wir sind ein fremdenfeindliches Land, wir haben grosse Ängste vor dem, was wir nicht kennen.“ Wär doch ok, dann könnte man dieses Thema ja mal ansprechen…
    Und, was ja auch noch dazu kommt: es gibt nur sehr wenige Schweizer Familien, die nicht irgendwo ausländische Verwandte haben. Es gäbe also dieses Land gar nicht in der heutigen Form ohne Ausländer.
    Klar sind sehr viele Leute in den letzten Jahren in die Schweiz gekommen. Aber meines Wissens nach bekommt keiner Geld, wenn er nicht vorher gearbeitet hat. Gerne lasse ich mich hier mit Fakten eines Besseren belehren.
    Welche Arbeiten übernehmen wir Ausländer? Erstens die, für die die Schweiz nicht genug Menschen ausbildet. Und zweitens natürlich die Arbeiten, die Schweizer nicht mehr machen wollen. Bei Hotlines sitzen überwiegend Deutsche am Telefon. Im harten Tourismus arbeiten Deutsche. Das Problem ist nicht, dass wir Ausländer uns für weniger Geld anbieten, das Problem ist der internationale Druck, der extrem zugenommen hat. (Kleine Geschichte am Rande: auf meine Frage, weshalb in einem grossen Schweizer Skigebiet so viele deutsche Skilehrer waren, gab es die ernsthafte Erklärung eines Schweizers: „Weil die meisten Schweizer auf ihre einstündige Mittagspause bestehen.“)
    Man kann sich vor weltweiten Entwicklungen nicht schützen, in dem man die eigenen Tore schliesst… Die Schlange geht nicht weg, wenn das Kaninchen die Augen schliesst ;-)
    Das Problem mit der Beengung kommt vor allem dadurch zustande, dass es nun auch in CH, das lange Jahre ein Land der Mieter war, schick ist, ein eigenes Haus, natürlich mit Umschwung, zu besitzen. Eine schlaue Gegenmassnahme wäre hier, von staatlicher Seite die Förderung des Wohneigentums einzustellen. Wäre auch im Hinblick auf eine Immobilienblase von Vorteil. Wie die ganzen Russen und Ägypter, Syrer etc. da mitmischen, weil sie mit ihrem Geld die Immobilienpreise hochtreiben, möchte ich gar nicht genau wissen.
    Aus meiner Sicht sind die Probleme, gegen die die Schweiz zu kämpfen hat, ganz andere. Und die wurden hier nicht angegangen, sondern vielleicht sogar eher verschärft.

  23. Jetzt nochmal kurz konkret zur Sprache: klar ist Schwizerdütsch hier die Sprache und nicht Hochdeutsch. Aber das Problem mit der Sprache der anderen ist genauso eingepflanzt wie generell die Angst vor anderen.
    Wie ich es hier beobachte, haben die Kinder, die bereits die Schule besuchen und Hochdeutsch lernen, gar kein Problem mit hochdeutsch. Schweizer Kinder sind in dieser Sprache genauso schlagfertig und witzig wie deutsche Kinder. Und Kinder haben da keinerlei Berührungsängste. Für sie ist es kein Problem, dass jemand mit ihnen auf hochdeutsch schwätzt, sie verstehen es und antworten ganz unbefangen, entweder in hochdeutsch oder in Dialekt.
    Mich würde interessieren, ab wann das kippt.
    Ausländische Kinder sind im Kindergarten (also so 4-7 Jahre) überhaupt kein Problem, unserer Erfahrung nach. Da spielt der Türke mit dem Schweizer und der Deutsche mit dem Türken und alle reden kunterbunt zusammen. Aber sobald die Kinder in die Schule kommen, ändert es sich hier. Fremde werden als solche wahrgenommen und genau hier kommt dann die Einstellung der Eltern ins Spiel. Manche Kinder bekommen dann von zuhause mit, das Fremde nicht gleichwertig sind, diese bringen dann die entsprechenden Sprüche. Aber anscheinend nehmen Kinder bis zum 7./8. Lebensjahr gar nicht das Andersartige wahr, was ich ja sehr spannend finde…

  24. weia, hier steppt der bär ;-)

    zuerst mal: als ich das heute nacht in einer kleinen arbeitspause geschrieben habe, war mir auch ab und an nach fluchen zumute, aber ich wollte expressis verbis thinkabout und seine haltung nicht attackieren, ihn ernst nehmen …

    aber im grunde ist mir das schwer gefallen, weil mir permanent das wort „gefühligkeit“ durch den kopf schoss. nur das gefühle eben eine private sache sind, die sobald sie die ebene des politischen erreichen, im grunde immer verheerende folgen haben.

    ich wohne in der eifel, hier gibt es jede menge platz, der gerade von russen gefüllt wird. in gerolstein, der URDEUTSCHEN stadt, die mal ihren felsen wilhelm II verehrte, wird in (achtung) pizzerien und eisdielen russisch gesprochen. soll ich den verlust von heimat beklagen? oder mich darüber erregen, daß „die“ russen hier in bitburg den heroinmarkt dominieren? daß „die“ holländer hier rüber kommen und den häusermarkt leerkaufen.

    weia, ich hätte auch eine menge themen, über die ich mich aufregen könnte – wenn ich denn nicht differenziert denken würde und verstünde, daß die eltern der russenkids, die „h“ verticken, fleissige und anständige leute sind.

    deshalb unterscheide ich menschen nicht in „die“ ausländer oder „die“ inländer. ich unterscheide zwischen anstand und nicht anstand, fleiss und fauheit. und es gibt eine menge fauler und unanständiger deutscher, so wie es eine menge fauler und unanständiger schweizer gibt.

    das vorab und gleich einen schlenker zu claudias einwand: sei mir nicht böse, aber wenn die afd oder die npd ein thema aufgreifen, wo ich deren haltung eigentlich qua betriebssystem teilen müsste, dann weiss ich politisch jedenfalls, daß ich nicht ein teilstück nehmen und den rest ignorieren kann.

    schon in den 70er hat die npd gegen kernkraft plakatiert. ich würde NIEMALS so ein trojanisches pferd – und haargenau das ist es, worüber wir reden – in meine stadt schleppen, _niemals_. das zu tun, heisst auf eine ganz perfide nummer hereinzufallen, solche themen werden von denen gegen ihre eigenen grundüberzeugungen aufgegriffen, um „uns“ auf’s kreuz zu legen, um uns aufs kreuz zu legen.

    das „argument“, daß man verstehen könne, wenn doch alle politischen kräfte in eine richtung ziehen, man per se genau dagegen agieren muss, ist keines: ich bin als wessi so was von europäisch überzeugt, wie es die mehrheitsgesellschaft hier allgemein über alle parteigrenzen hinweg ist.

    weil es, räusper, _richtig_ ist. so wie die haltung all derer, die gegen blochers perfiden kampf gegen alle anderen, _falsch_ ist. da könnte ich ja gleich nazi werden und die „besatzer“ beklagen, die ich aber nun mal definitiv als „befreier“ sehe.

    „better decide, which side your on“ im tom robinson sound …

    deshalb, ich bestehe darauf, niemals mit denen zusammen abzustimmen. das ist nicht borniertheit – es ist klarsicht, was die absichten betrifft.

    think on it ;-)

    @swissmaid

    vielen lieben dank für die zustimmung, ich war mir zwar sicher, daß ich im grunde nicht soooo falsch liegen kann, es hat mich aber trotzdem gefreut (auch die heftigkeit, aber hier ist claudia die hausherrin und das ist auch gut so).

    in aller klarheit, die ich heute nacht nicht zustande gebracht habe: ich finde, diese svp initiative, die wirklich die schäbigsten und gleichzeitig hehrsten gefühle bedient (ich unterstelle thinkabout, daß er das gut meint), ist etwas, von dem sich selbst gute menschen einwickeln lassen und verweise jetzt mal auf einen guten schweizer: max frisch, bitte einfach noch mal „andorra“ lesen, noch mal über den satz „das boot ist voll“ und seinen historischen kontext meditieren und sich selbst kritisch fragen: „habe ich meine guten gefühle von drecksäcken mißbrauchen lassen?“

    ich verweise hier noch einmal auf eine antwort von klaus auf einen kommentar. das ist es, wo ich jedenfalls stehe. und zwar haargenau.

    ich verlinke, ganz gegen meine überzeugungen, denn die DWD und die DMN sind ganz offensichtlich fliegenfallen für ganz ganz ganz dumme menschen, auf einen artikel von heute von dort.

    claudia, nicht mal der pöbel, der sich vor zwei wochen fast verpieselt hat vor glück über das ergebnis, hat auch nur ansatzweise hoffnung, daß das mal gut gehen wird. der gesunde menschenverstand, ein bißchen kenntnis volkswirtschaftlicher regeln, ein nüchterner blick sollten schon reichen, um zu verstehen, daß es nicht gut gehen kann.

    der schaden, der immaterielle, ist jetzt schon so groß, ich weiss nicht, wie die schweiz das eingrenzen will und wird.

    ich sehe es nicht.

    kommen wir also zu den dingen, über die nicht (mehr) geredet wird, weil das stehen zu einer „bundesrepublik europa“ (meine formulierung für das, was ich mir vorstelle) irgendwie gerade nicht „in mode“ ist: wenn wir historisch auf den themenkomplex gucken, stellen wir einen rollback in die nationalistische vergangenheit in ganz europa fest. hier werden dinge „erträumt“ und sich „zurechtphantasiert“ die am ende in so was wie die zustände in ungarn führen: offener fremdenhass, hier offener judenhass.

    wenn wir diesem – entschuldung, caudia – pack auf nur den kleinen knöchel reichen, wird es uns den arm abfressen. jedes nachgeben, jedes rücksichtnehmen auf (angebliche) gefühle, wird uns nur in den abgrund führen.

    „der fremde“, als solcher, ist doch nur das appetithäppchen. um ihn geht es nicht, er ist nur der platzhalter für „das fremde“ (ich hoffe, alle synapsen sind mitgehoppst an der stelle). zuerst werden „die“ die fremden ausgegrenzt und wenn die weg sind, freunde im herren, sind _wir_ dran.

    wir müssen aber ganz energisch in die andere richtung.

    ich will auch ein „anderes“ europa, aber ich werde den teufel tun, auch nur den fingernagel in richtung AFD etwa zu halten. wer meinem rat folgt und regelmäßig die afd-interna beguckt, der versteht, daß hinter dem ganzen geschwätz ein abgrund von dummheit sich auftut.

    die wollen „ein anderes europa“ – ach wie süüüß, nein die wollen ein deutsches deutschland.

    und diese initiative in der schweiz will eine schweizerische schweiz, nicht weil die ganzen probleme, die politik und wirtschaft in den letzten jahrzehnten objektiv versaubeutelt haben, so gelöst werden können – nein, es wird ein _schuldiger_ gesucht und das ist DER/DAS fremde. die „wahren schuldigen“, korrupte politiker und ihre freunde in der wirtschaft, die werden wieder wegkommen – die anderen landen wieder früher oder später im gas.

    es wird ein wolkenkuckucksheim, eine schöne vergangenheit zurechtphantasiert und wer darauf hereinfällt als denkender, aufgeklärter mensch, dem ist nicht zu helfen. er verläßt die solidarität derer, die sich eine bessere zukunft wünschen zugunsten einer nur imaginierten schönen vergangenheit. so wie „die gute alte zeit“ bei uns nur ein phantasma ist, hinter dem sich preussisches obrigkeitsdenken verbirgt, so verbirgt sich hinter der „guten alten zeit“ in der schweiz ein „räuberisches bergvölkchen, das von der hehlerei lebt“ (sagt ein schweizer über sein eigenes land) und die herzlosigkeit besaß, schon einmal „das boot ist voll“ zu sagen.

    frag georg elser, wie das gemeint ist. der ist mal an der schweizer grenze gescheitert wie viele juden, die nur ein paar meter von der rettung sich zurück ins feuer geschickt sahen. weil die hehler und geschäftemacher lieber waffendeals mit den nazis machten und das raubgold in ihren tresoren horteten.

    „dichtestress“ – wie süüüüß.

    nur ich, ich könnte kotzen vor wut über so viel gefühlige selbstgefälligkeit. wir leben nicht mehr im 19. jahrhundert, herrschaften, es sind erfahrungen gemacht worden, auch und gerade damit, wohin fremdenfeindlichkeit und nationale besoffenheit führen.

    die von der hand zu weisen und von einer heilen schweiz inmitten einer bösen, von „ausländern“ beherrschten welt zu träumen, ist für einen _denkenden_ menschen ein moralischer, politischer und menschlicher offenbarungseid.

    wie gesagt, für mich gibt es kein „die schweizer“. für mich gibt es menschen, die in die zukunft gewandt denken und solche, die es sich wohlfeil in einer nur geträumten vergangenheit einrichten.

    „meine leute“ sind die „maschinenstürmer“ (wer’s gehört hat, versteht). wir sind mit einer zukunft schon fast überfordert, aber wir müssen _sie_ gestalten, wir müssen diesen teufel reiten und unter unsere gestaltungsmacht bekommen und sollten die, die sich dem verweigern und lieber in den bauchnabel starren und (sehr schön gesagt, swissmaid) hoffen, so verschwindet die schlange: irrtum, ihr füttert sie.

    wir sind kaninchen und werden gefressen – oder wir reiten den tiger. ich bin dafür, die maschinen (die zukunft) zu stürmen, ihnen unseren willen und unser know how und understand why aufzwingen. oder wir überlassen die zukunft unserer kinder denen, die andere ausmerzen wollen.

    so, und jetzt rege ich mich wieder ab. aber das musste ich mal in dieser deutlichkeit sagen.

    kleine sps: swissmaid, ich wohne neben luxembourg. dort werden drei sprachen gesprochen, wie in der schweiz. auch ein kleines land in dem sehr viele deutsche, portugiesen, franzosen und und und arbeiten. wenn mich ein luxemburger schäl anguckt, schäme ich ein bißchen dafür, daß wir _sie_ mal als erste überfallen haben. aber im grunde begegne ich menschen, die froh sind, daß ich mein geld dorthin trage und ihren wohlstand mehre. ein weltoffenes kleines völkchen.

    ich fänd’s schade, wenn ihr euch da jetzt von diesen rückwärtsgewandten hetzern unterbuttern lassen müsstet.

  25. [..] weil es, räusper, _richtig_ ist.
    [..] so wie die haltung all derer, die blochers
    [..] perfiden kampf gegen alle anderen teilen …

    oder so ;-)

  26. jetzt habe ich den fehler gemacht, auf die seite von thinkabout zu gehen, habe das da gelesen und ärgere mich im nachhinein über meine zurückhaltung heute nacht.

    sorry, das ist _unsäglich_.

  27. In Sachen Sprache möchte ich anmerken, dass diese eben auch Ausdruck des Volksgeistes oder der Volksseele ist, welcher sich besonders in Ländern erhalten hat, die von Durchmischung weitgehend ‚verschont‘ geblieben sind. Natürlich gibt es auch in der mehrsprachigen Schweiz diesbezüglich regionale Unterschiede und vielleicht gerade weil es so ist, auch die Bestrebung, diese zu erhalten!
    Was nun die Hochdeutsche Sprache betrifft, mit der Kinder so wenig Probleme haben (weil sie eben als Kinder noch keine Raster im Kopf haben) habe ich die Beobachtung gemacht, dass der Sprechduktus der Deutschen im allgemeinen etwas schneller ist als der von Schweizerdeutsch Sprechenden, was nicht selten zur Folge hat, dass manche Schweizer sich ‚überfahren‘ oder unterlegen fühlen. Solche Schwierigkeiten führen, zusammen mit evt. noch unterschwelig vorhandenn Ressentiments aus der Vergangenheit zu Verstimmungen auf beiden Seiten.
    Eine weitere Beobachtung ist die, dass es unter Deutsch-Schweizern, insbesondere der Landbevölkerung zahlreiche (man möge mir verzeihen) eher ‚mundfaule‘ Eidgenossen gibt, die ohnehin mit schneller Sprechenden so ihre Probleme haben.
    Als in der ländlichen Schweiz aufgewachsene Halb-Schweizerin,welche in einer weitverzweigten deutschen Familie über genügend Anschauungs-Unterricht verfügt, habe ich mir hiermit diesen persönlichen Einschub erlaubt und hoffe, damit niemand vor den Kopf gestossen zu haben.

  28. Eines der Hauptargumente lautet doch immer, die Schweiz würde sonst ‚zubetoniert‘. Wer bitte erteilt denn bei euch die Baugenehmigungen für Bauprojekte und und die Umwandlung in Zweitwohnungen? Die ‚Ausländer‘ sind es ja wohl kaum …

  29. @KlausJarchow

    Die Zweitwohnungsinitiative ist ja vor kürzerer Zeit vom Stimmvolk angenommen worden.

    Dein Einwurf beleuchtet genau ein Grundproblem der Debatte: Der Schweiz wird vorgeworfen, sie hätte gegen Ausländer entschieden. Vielleicht wendet sie sich aber eben ganz allgemein gegen Auswüchse des Wachstumsstreben, unter denen kleine Lebenszellen, als die viele die Schweiz sehen, zu kollabieren drohen. Für mich ist auf jeden Fall das Gefühl der Enge eines, das mich regelmässig überkommt, wenn ich aus dem Ausland zurück in die Schweiz komme.

    Auf deutsche Grossstädte hinzuweisen, verfängt dagegen nicht. Deutschland ist das europäische Land mit den grössten Waldflächen – die Spree hat, glaube ich, auf Berlinger Stadtgebiet, 130km Wasserstrassen zu bieten, etc. Aber ich kann einem Ausländer das Gefühl der Schweizer Enge nicht wirklich erklären.

    @hardy – tut mir leid, aber ich antworte auf Ihre Elegien nicht. Ich will Ihnen meine Gefühligkeit nicht weiter zumuten. Und was Sie auf meiner Seite so unterträglich finden, hat einen ironischen kritischen Unterton, der Ihnen entgangen sein dürfte.

    Noch dies: Meine Einwürfe zur Sprache haben, wie Claudia es versuchte, richtig zu stellen, die Absicht verfolgt, Deutschen zu erklären, dass deren Einfindung in die alltägliche Umgangssprache hier unter Umständen, je nach eigener Herkunft, nicht wirklich so leicht fallen könnte. – Und dass es tatsächlich für maulfaule Schweizer (der Ausdruck passt durchaus) eine Barriere darstellt, sich hochdeutsch ausdrücken zu „müssen“ – weil man sich dabei nicht auf seinem sichersten eigenen Terrain bewegt.

  30. @Thinkabaout: Nochmal dieses Ding mit der Sprache… Meine Erfahrung zeigt, dass so mancher Schweizer ein Problem hat, Hochdeutsch zu „hören“. Ich glaube, Hochdeutsch verstehen kann jeder Schweizer… Wir, als Familie, verlangen nicht, dass Schweizer Hochdeutsch mit uns reden, nein, wir verstehen sehr gut Dialekt. Aber das ist eben wieder die bei manchen sehr ausgeprägte Angst vor Fremden, deshalb wollen sie kein hochdeutsch verstehen.
    Ich gehe davon aus, dass Deutsche, die in der Schweiz leben, Dialekt verstehen. Ich persönlich kenne auch keinen Deutschen, der das nicht kann. Das Problem liegt, meiner Erfahrung nach, eben wo anders.

    Das Argument mit der deutschen Grossstadt zählt sehr wohl. Weil genau dort leben „Durchschnittsdeutsche“. Wir leben nicht in den Wäldern, die man entlang der Autobahn sieht oder entlang der Spree (da lebt nicht der Durchschnittsdeutsche). Wem es in der Schweiz zu eng wird, der kann in die Berge, ein bisschen abseits der ausgetretenen Pfade ist es einsam. Eine gewisse Enge kommt durch die Berge, das ist korrekt, aber
    dieses Problem hat nichts mit Ausländern zu tun.
    Vielleicht meinen manche, dass sich die Schweiz gegen die Auswüchse des Wachstumsstreben wendet. Aber meiner Meinung nach ist es ein Augen verschliessen vor der Realität und hoffen, dass alles besser wird, wenn man sich wegdreht. Wird es aber nicht.
    Um sich gegen das Wachstumsstreben zu stellen müssen ganz andere Vorschläge angenommen werden oder erst einmal gemacht werden.
    Die Schweiz lebt von den Geldern der Allerreichsten, weltweit.

    @Hardy:
    danke für die Unterstützung!

  31. Je, hier steppt aber echt der Bär! Bin leider grade in einer wichtigen Arbeit versackt, kann also grad nur kurz:

    @Thinkabout: wir sind hier alle beim Du – wenn du dich über Hardy ärgerst, ist „siezen“ doch nicht die passende Replik, weil für sich genommen „undefiniert“ und hier halt nicht üblich. Ich denke auch, es gibt ein Missverständnis – und in Sachen Gefühle bin ich durchaus der Meinung, dass man sie nicht ignorieren sollte, mal so ganz allgemein gesagt.

    @Hardy: mal nur zum letzten (später evtl. mehr):
    du liest offenbar anders als ich – kommt vermutlich in dem Fall auch daher, weil du Thinkabout nicht „dauerliest“. Jedenfalls wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass er sich die diversen „Weltsichten“ in jenem Artikel ZU EIGEN MACHT!! Dafür gibt es gar keine Anzeichen, es ist doch – für mich war das sofort klar – eine „kritische Zusammenstellung“ verschiedener Borniertheiten.

    @Klaus: guter Einwand – und herzlich willkommen in unserer gesprächigen Runde!

    @Swissmaid: danke! Freut mich, dass du meinen „Ordnungsruf“ nicht feindselig oder gar nicht beantwortet hast. Und danke auch für deinen nun mehr erzählenden Bericht aus deinem Leben in der Schweiz.

    Und hier nun mal ein paar Daten aus einer zwar Wirtschafts-nahen, aber jedenfalls nicht rechtsradikalen Quelle zur „Dichte“ in der Schweiz:

    http://www.avenir-suisse.ch/15211/wie-dicht-ist-die-schweiz-besiedelt/

    am selben Ort gibt es auch eine Analyse zum Ergebnis der Abstimmung mit dem Titel Der Dichtestress war nicht schuld:

    „Gebiete im Brennpunkt des Zuwanderungsdrucks (grosse Städte, bevorzugte Wohnlagen) haben die Initiative abgelehnt, die anderen Gebiete haben sie – teilweise sehr deutlich – angenommen. Mit anderen Worten: Das Ende der Personenfreizügigkeit wurde da herbeigeführt, wo kein «Dichtestress» – und auch kein Lohndruck – entstand, weil die Zuwanderung bescheiden war.“

    Ähnlich haben wir das in Umfragen in DE auch regelmäßig. In den Ländern mit den wenigsten Immigranten ist die Ablehnung am größten.

    Soweit für jetzt.

  32. @Mylo: danke auch dir für deine interessanten und differenzierten Eindrücke! Über die „Ressentiments aus der Vergangenheit“ sind wir uns oft nicht klar, denn die ganze Gedenkkultur und Vergangenheitsaufarbeitung in DE (die ja seit den 70gern tatsächlich mit einigem Engagement stattfindet) ist dermaßen Holocaust-zentriert, dass die Schandtaten gegen andere europäiche Völker kaum vermittelt werden. Z.B. hab ich erst kürzlich per ÖR-TV die unglaubliche Sauerei der „Leningrader Blockade“ mitbekommen. Nur so als Beispiel.. und von den griechischen Zwangsarbeitern wusste ich auch nur von einem Freund, der sich da für Wiedergutmachung engagiert hat.

  33. @Claudia:

    Genau diese „Analysen“ ärgern mich. Auch die Zeit wies darauf hin, dass die Initiative fast nirgends so deutlich abgelehnt wurde wie im scheinbar so betroffenen Zürich… Sind 47.3% zu 52.7% so deutlich? Die Abstimmung ist sehr wohl so raus gekommen, wie wir es heute wissen, weil das Unbehagen auch in den Ballungszentren deutlich gestiegen ist. Dass es knapp für ein Nein reichte, ist kein Argument dagegen. Es ist genau diese Art der Interpretationen, die mich immer wieder irritiert…

  34. @Claudia:

    Was ist eigentlich mit unserer Empörung über die Flüchtlingsproblematik in Lampedusa geschehen? Noch vor ein paar Wochen haben wir glaubhaft gemacht, dass wir unter dem Schicksal dieser Flüchtlinge leiden und wir diese Zustände unerträglich finden. Was ist seither geschehen? Hat irgend jemand was gehört – oder gar danach gefragt?

  35. @Thinkabout: erstmal find ich es gut, dass du „da geblieben“ bist! :-)

    Bei mir ist seit Lampedusa einiges geschehen, siehe das Ende des Artikels, unter dem wir diskutieren (noch ein paar Spender/innen wären toll!).

    Ansonsten geht es in Lampedusa zu wie gehabt, siehe den aktuellen SPON-Artikel: Hunderte Flüchtlinge vor Lampedusa gerettet:

    „Im Januar kamen laut Innenministerium 2156 Flüchtlinge – zehn Mal mehr als im Januar 2013, als 217 Migranten gezählt wurden. Insgesamt landeten im vergangenen Jahr an den Küsten Italiens 2925 Boote mit knapp 43.000 Flüchtlingen an Bord. Dies war den Angaben zufolge gegenüber 2012 eine Steigerung um 325 Prozent. Allein auf der kleinen Insel Lampedusa trafen fast 15.000 Menschen ein.“

    Unterm Artikel auch wieder (zum Glück nicht nur!) menschenverachtende und saudumme Kommentare.

  36. @Thinkabout:

    „Sind 47.3% zu 52.7% so deutlich?“

    ja, wenn man annimmt, dass die Ablehnung von Immigranten aufgrund von „Engestress“ doch eigentlich dort am größten sein müsste, wo rein FAKTISCH die Enge am größten und die Immigranten am zahlreichsten sind.

    Aber offensichtlich stimmt das nicht. Warum? Was denkst du?

    Meine Erklärung: in den Städten finden die Mensche ENGE normal – Eigenheim mit Platz drumrum und Landschaftsblick ist da nicht der Normalfall und auch nicht der Wunsch-Fall. Zudem bekommen Stadtbewohner die Immigranten und auch die durch sie vermittelten Vorteile deutlich und hautnah mit.

    Ich hab z.Z. zum Einkaufen die Wahl, jeweils 10 Minuten zu drei verschiedenen Supermärkten zu laufen – ODER ABER direkt unten im Nebenhaus zum „Bulgaren“ zu gehen, der eine Art Tante-Emma-Laden betreibt. Genau wie die vietnamesische Familie, die rechts entlang 4 Häuser weiter ihren Laden hat. Bei denen ist es zwar teurer, aber viel bequemer und schneller, zudem sind die Früchte schon reif, wenn man sie kauft. Und persönlicher / netter ist es auch…

    Würden zwei der drei Supermärkte verschwinden, würde ich nix vermissen. Aber bitte nicht meine beiden „Lädchen“!!

  37. @Claudia

    Das Problem der Verdichtung ist ja kein eigentliches Stadtproblem – sondern ein Aglo-Problem. Die Stadt Zürich hat „nur“ knapp 400td Einwohner – aus der Vogelperspektive ist aber eine Stadtgrenze kaum mehr auszumachen – es leben 1 Mio Menschen stadtähnlich zusammen, die Grünflächen sind Mangelware geworden.

    Natürlich ist das auch eine ordnungspolitische Frage – aber dass die Bevölkerung das Problem auch am Siedlungsdruck von plus 1% pro Jahr festmacht, sollte auf diesem Hintergrund schon dazu führen, dass man das Votum nicht auf Ausländerfeindlichkeit reduziert. Das irritiert mich genau so, wie die Tatsache, dass die unbequeme Frage, wie in Deutschland auf die Zuwanderung von 800’000 Menschen pro Jahr reagiert würde, überhört wird – in einem Land mit viel mehr siedlungsnahen Grünflächen.

    Wenn dann festgestellt wird, wir könnten ja, wenn wir allein sein wollten, in die Berge fahren, finde ich da ziemlich zynisch. Überhaupt habe ich den Mahnfinger, ehrlich gesagt, langsam satt. Wir zerfleischen uns da schon selbst. Und die Entrüstung kann man sich eigentlich schenken. Wenn ja alle so überzeugt sind, dass uns die Realität für das Abstimmungsverhalten schon bestrafen wird, dann kann man vom Ausland her ja der Sache ihren Lauf lassen. Und die Verträge kündigen. Und neu verhandeln.

    Ich glaube aber, dass genau darin ein gutes Mass an Unehrlichkeit liegt: Den Salat haben beide Seiten, und die Interessen der EU-Staaten an einer Lösung der Probleme sind viel grösser, als zugegeben. Die Art übrigens, wie man Grossbritannien immer mal wieder Sonderpositionen zugesteht, ist auch dafür ein Beispiel. Schlussendlich muss nun mal jede Regierung mit den Verhätlnissen im eigenen Land umgehen und sich danach ausrichten.

  38. @Hardy: zum durchaus informativen DWN-Artikel

    „Die Firmen aus der Chemiebranche steuern zusammen mit den Finanzdienstleistern fast ein Fünftel zur Schweizer Wirtschaftsleistung bei. Die Ökonomen der Credit Suisse schätzen, dass die Wirtschaft als Folge des Referendums über die kommenden drei Jahre 80.000 weniger neue Stellen schaffen könnte.“

    Warum um Himmels Willen sollten sie? Bis in 3 Jahren ein Gesetz das Referendum konkretisiert, gibt es doch gar keinen Grund, WENIGER Arbeitskräfte aus der EU einzustellen. Und auch dann ist ja nicht klar, wie groß das „Kontingent“ sein wird – ich vermute mal: groß genug!

  39. @swissmaid

    Ich erlaube mir, Dir noch auf den Hinweis zu antworten, dass in St. Gallen keine medizinische Fakultät aufgebaut wird aus Kostengründen. Du ziehst daraus den Schluss, dass man sich dann auch nicht wundern soll, dass ausländische Fachkräfte herkommen müssen.

    Bei der Frage geht es aber um ein anderes Problem: St. Gallen kämpft immer wieder mit der Frage, ob im universitären innerschweizerischen Wettstreit die Ausrichtung auf die klassischen Spezialitäten der HSG mit Jura- und Wirtschaftsschwerpunkten ausreicht, oder ob man eben nicht doch eine vollwertige Uni für die Ostschweiz werden sollte. Der Aufbau einer Infrastruktur für ein Medizinstudium im Wettstreit mit den klassischen Universitätsstädten, die bereits Uni-Kliniken und medizinische Fakultäten haben, wäre aber Harakiri. Darum ging es, und in keiner Weise um das Kalkül, lieber im Ausland ausgebildetes Personal walten zu lassen. Auch hier haben wir schlicht ein Infrastrukturproblem.

  40. – zufälligerweise ist gerade jetzt (22.40Uhr)auf SWR3
    im Nachtcafé die Rede vom Unterschied zwischen Dialekt und Hochsprache…

  41. @Thinkabout: ich erhebe keinen Mahnfinger, denn ich sehe die ganze Sache gar nicht als rein schweizerisches Problem. Solange die Welt derart „in Unordnung“ ist wie sie derzeit ist, wird es zunehmende Wanderungsbewegungen in Richtung der noch angenehmeren, entwickelteren Länder geben.

    Die „Festung Europa“ (mit oder ohne Schweiz) sehe ich nicht als menschenwürdige Lösung an. Absaufen lassen, retten und zurück schicken, Hightech-Überwachung der Grenzen – all das ist im Grunde ein ganz mieses Kapitulieren, ein Wegducken vor dem, was eigentlich erforderlich wäre aber aufgrund der derzeitigen Verfasstheit der Welt und der Menschen undenkbar ist: allen ein auskömmliches Leben und Arbeiten in den Heimatländern zu ermöglichen. Und natürlich auch Verrat an den so oft beschworenen aber wenig gelebten „westlichen Werten“.

    Eigentlich wünsch ich mir nicht nur wie Hardy einen Bundesstaat Europa, sondern einen Weltstaat, der lebenswerte Mindestbedingungen für alle garantiert – natürlich nicht im Sinne einer kulturellen Gleichmacherei, sondern im Sinne von Mindeststandards in Sachen soziales Netz, Gesundheitssystem, Rechtssicherheit, Gewaltfreiheit.

    Man könnte dafür z.B. überall abrüsten und die Waffenschmieden schließen. Na, ich weiß. total utopisch – aber irgendwie schade, dass diese Utopie offenbar kaum mehr jemand teilt.

  42. @claudia

    [..] du liest offenbar anders als ich

    yep. ich gestehe, ich lese lieber den klaus, dessen scherze verstehe ich nämlich und er belästigt mich nicht, auch nicht im scherz, mit dem wort „sozialschmarotzer“.

    da bin ich halt, als deutscher, der weiss, wohin worte führen, ein klitzekleines bißchen pingelig.

    und wohin gefühle in der politik in der regel führen, habe ich ja gesagt.

  43. werter thinkabout,

    auch wenn ich claudia jetzt ein bißchen das herz breche …

    wenn ich texte lese, passiert es mir öfters, daß plötzlich so etwas wie ein virtueller marker aufpoppt und bereiche einfärbt.

    [..] weil die Bedürfnisse der Wirtschaft damit schon
    [..] mittelfristig mit dem Verlangen nach Lebensraum
    [..] und nationaler Identität kollidieren.

    okay, einmal abgesehen davon, daß das wort „lebensraum“ hierzulande sozusagen als radioaktiv verseuchter sondermüll gelten dürfte, und die ernsthaft angedachte ausdehnung der schweiz auf teile von baden-würtemberg nicht ganz so dramatisch ablaufen sollte wie die eines österreicher quartalsirren … eeeeks … ganz ganz ganz böses wort.

    was die „nationale identität“ betrifft, haben hier sofort alle sirenen an deck aufgeheult. ich beobachte ja nur zu genau, wer sich an diesem thema abarbeitet, ua. in frankreich die „identitaires“, die sich der partei von marine le pen verwandt fühlen, in ungarn all jene, die das „heilige ungarntum“ so weit treiben, daß es versuche gibt, zu beweisen, daß die jungfrau maria eine ungarin war … ich könnte diese liste jetzt bis zum erbrechen fortführen.

    „nationale identität“ ist ein schlechter witz.

    es gibt eine nationale kultur und die bezieht sich auf die _vergangenheit_. ich wüsste nicht, was gerade „deutsche kultur“ ist. oder „schweizer“ kultur. eine deutsche „identität“ kann ich nicht erkennen, herr im himmel, ich will sie mir nicht einmal vorstellen müssen.

    wenn ich also so scharf reagiere, dann weil eben ein innerer marker diese formulierungen in ihrem text nicht übersieht, im gegenteil, ich mache einen dicken strich drunter und betrachte einen großen anteil des drumherum als „füllstoff“, der meinen blick vernebeln soll.

    [..] Wir fühlen uns einfach beengt,
    [..] egal, ob zu Recht oder Unrecht.

    zur ersten hälfte hat klaus die entscheidende frage gestellt, ich picke mir den zweiten teil heraus:

    es ist wirklich egal, ob das recht ist oder nicht?

    oder reden wir hier über das was „recht“ ist und meiden das „unrechte“? es ist eben nicht egal. es ist ein gefühl. und dieses gefühl wurde geschürt. in den menschen wurde das gefühl _erzeugt_ und _bestärkt_, sie seien „beengt“. ich fühle mich in meinem 12 manns kaff auch manchmal „beengt“.

    „gefühlt“ haben zu meinen lebzeiten 66% der deutschen die wiedereinführung der todesstrafe gewünscht – und das ist einer der gründe, warum wir so etwas wie eine politik, eine vertretung des volkes haben. ein „filter“, der den schlamm des emotionellen in die sphäre des politischen halbwegs abbremsen soll.

    das stammt aus der erkenntnis, daß die gefühle eines volkes keine richtschnur sein können sondern eher eine gefahr.

    die schweiz hat sich bislang in dem selbstverständnis, ein kleines überschaubares völkchen zu sein, wo sich alle auf einer wiese versammeln und mal den finger heben können, um zu einem sinnvollen ergebnis zu kommen, gesonnt – nach den abstimmungen über den bau von moscheen und dieser, sollte man über diese selbstwahrnehmung noch einmal nachdenken.

    wird man aber nicht, weil es schöner ist, sich in der trügerischen romantischen idee zu sonnen, sich jederzeit auf dieser wiese zusammenzufinden. ich sage hier: wenn es diese wiese gäbe, wäre das was kommt, mittlerweile eher eine schlägerei als ein austausch von meinungen.

    ich bin froh, daß es bei uns keine solchen entscheide gibt und wenn, sie die unteren ebenen der politik nicht überschreiten dürfen. sonst hätten wir hier die todesstrafe für pädophile – und, naja, tatsächlich kein schengen, schon recht, aber – naja, ich bin ein beinharter anhänger von schengen (einmal abgesehen davon, daß ich mehrere jahre da hätte zu fuß hingehen können).

    das sind dinge, die ich der leicht zu manipulierenden öffentlichen meute, der ich gerade im tagestakt dabei zugucken muss, wie sie von einem erregungszustand in den anderen hechelt, einfach nicht anvertrauen möchte.

    ich befürchte, sie hängen romantischen und das volk überschätzenden gedanken an und meine „elogen“ sind vor allem deshalb für sie ein ärgernis, weil ich dinge ausspreche, die sie, wenn sie denn in der lage sind, ihre eigenen gedanken und den subtil mitschwingenden subtext, den ich da oben aufgespießt habe, selbstkritisch mit ihren humanistischen ideen in abgleich bringen, in einen offenbaren widerspruch stürzen müssten.

    also drehe ich die sache einmal um: „wir“ deutschen tun etwas unsäglich peinliches und das ausland sagt „uns“, wie könnt ihr nur. in dieser situation würde ich „uns“ nicht verteidigen. ich würde fragen: was ist die metaebene, wo stehe ich? und ggfl. lieber in die beschimpfung meines landes einstimmen als es für eine offensichtliche dummheit verteidigen.

    ich mag irren – und dieses „lebensraum“ und die „nationale identität“ sind nur die floskeln in ihrem text, ich sollte also mehr auf die diskussion der innerschweizerischen sprachfeinheiten achten – aber, so unangenehm mir das ist, das sind stachel in meinem fleisch.

    ach ja, mir ist nicht bekannt, daß schweizer sich über schweizerfeindlichkeit in deutschland beklagen. warum höre ich von deutschen, die sich heftigst über die schweizer beklagen?

    ah, ich verstehe, das geschieht den „rosinenpickern“ recht, die sich etwas einbilden und dann zurecht erschrocken sein dürfen, daß sie von „den“ schweizern ein freundliches willkommen erwartet haben und es nicht bekommen, weil ein kleines völkchen seine „nationale identität“ bewahren und sich seinen „lebensraum“ nicht von fremden zertrampeln lassen wollen.

    nichts für ungut: ich verstehe und respektiere, daß sie die dinge anders sehen, als ich das tue. aber ich bin auch in der lage, texte zu lesen und in ihnen die widersprüche, die selbstgefälligkeiten und die verkleisterung des gesagten zu erkennen.

    ist schon wieder eine „eloge“ geworden, aber immerhin habe ich sie gesiezt. sie können dem gesagten nun wieder ausweichen, schon okay, ihr gutes recht, aber sie werden, wenn sie ihn denn gelesen haben, doch mit dem gesagten ins bett gehen und (um mal wieder seth zu bemühen) die vielen „entitäten“ in ihnen werden das gesagte doch diskutieren.

    meine ansprache galt denn auch nicht ihnen als person sondern dem humanisten in ihnen, dem menschenfreund. oder dem aufklärer, dem der zukunft zugewandten, für den grenzen und nationale identitäten relikte einer barbarischen vergangenheit sind. oder einfach nur dem neugierigen, der sich durch das „fremde“ bereichert und nicht „beengt“ fühlt.

    ps: das nächste mal einfach ein paar anführungszeichen um das wort „sozialschmarotzer“ wäre – für mich jedenfalls – hilfreich.

    ich bin da vollkommen humorlos.

    @claudia

    der sinn einer diskussion, auch einer scharfen, ist es nicht, harmonie herzustellen und die differenzen unter den tisch zu kehren. ich bin manchmal herzlos unwirsch und neige dazu, die dinge klar auszusprechen, die mir aufstoßen, auch auf die gefahr hin, ad hoc nicht verstanden zu werden. ein echter partycrusher also, lad‘ mich bloß nie zu einem geselligen abend ein ;-)

    mein herz liegt auf dem tisch, ich mache keine mördergrube daraus. die verwirrung, die uns oft ankommt, wenn wir texte lesen und in ihnen eine „verwandschaft“ entdecken, ist mir bewusst – dein plädoyer dafür, auch mal mit den falschen abzustimmen ist so ein resultat dieser unsicherheit. ich frage mich ja auch oft, wenn ich diskussionbeiträge lese „ist der nun links oder rechts?“ und genau deshalb achte ich pingelig auf die verwendeten begriffe, die oft flauschig daher kommen.

    mir ging es also gerade nicht um einen „angriff“ auf thinkabout, ich hoffe, auch er versteht mich da nicht miß, sondern um _klarheit_. ich kann diesen flausch, den worte wie „nationale identität“ und das ganze wortgeklingel, mit dem im grunde nach rückwärts gerichtete gedanken verhübscht und verharmlost werden sollen, einfach nicht unwidersprochen stehen lassen.

    ich hoffe mal, den rahmen der höflichkeit und des respekts eingehalten zu haben und weder du noch thinkabout nehmen es mir krumm, daß ich so gradelinig auf die dinge zu sprechen komme, die mich einfach irritieren.

    die diskussionen zwischen piraten laufen gerade sehr sehr sehr viel unhöflicher und unsachlicher ab ;-)

  44. Wenn es so weiter geht, wird der 15. Geburtstag des Digital Diary mit dem erstmaligen Erscheinen einer NETTIKETTE gekrönt, echt!

    Und nein, es geht mir dabei nicht darum, Differenzen wegzubügeln, brisante Themen zu vermeiden und Harmonie herzustellen – sondern darum, FORMEN DER DEBATTE zu wahren, die sich hier bewährt haben, unausgesprochen bisher!

    Dabei will ich gar nicht VIEL, sondern nur:

    -> dass meine Gäste sich hier bittschön duzen! Das ist in persönlichen Blogs noch immer der vorherrschende Umgang und dabei will ich auch bleiben. Das Sie hat sich bei Mainstream-Medien durchgesetzt, wir müssen das nicht nachmachen, sondern sollten den schönen Unterschied pflegen. („Sie“ dann auch noch in Kleinschreibung ist darüber hinaus verwirrend!)

    -> Kommentare sollten zumindest nicht länger sein als der Artikel! @Hardy: dein letzter Text hat 1264 Wörter und 8116 Zeichen, das sind zweieinhalb Din A4-Seiten!!!

    Warum? Weil man beim Schreiben auch daran denken sollte, was man den Mitlesenden (und auch den neu reinlesenden) zumutet! Zudem beinhaltet jeder ellenlange Text soviel Aspekte, die beantwortet werden könnten, sollten, müssten, dass es immer schwieriger wird, etwas auszuwählen und sich selbst in gebotener Kürze auszudrücken.

  45. Zum Inhalt: dass „wir Deutschen“ ein anderes, ja zu Recht äußerst belastetes Verhältnis zur „nationalen Identität“ haben, ist bekannt. Das ist einerseits gut, denn es prädestiniert uns, auch vom Gefühl her eher Europäer und Weltbürger zu sein – andrerseits ist es problematisch, denn wer eine Zeit lang weit weg von DE weilt, erkennt meist recht deutlich „den Deutschen in sich“ (Stichwort Ordnung, Pünktlickeit, funktionierende Systeme etc.). Natürlich ist das KULTUR und nicht angeboren, aber es gibt diese Kulturen nun mal, die sich – bisher alternativlos – an nationalen Grenzen festmachen. Problematisch daran ist, dass das Reden darüber schon brisant ist, weil man fortwährend Gefahr läuft, in irgend eine rechte Ecke gestellt zu werden, wenn man nicht sehr sehr vorsichtig formuliert.
    Reaktionen auf diese Fakten sind des öfteren Extreme: vehementer „Stolz, Deutscher zu sein“ auf der rechten, „Deutschland muss sterben, damit wir leben können“ auf der linken Seite des politischen Spektrums.

    All das ist jedoch in anderen Ländern nicht so. In meinen Italien-Urlauben der 70ger-Jahre merkte ich mit Staunen, dass Italiener und Franzosen am Lagerfeuer zur Gittarre diverse nationalen Lobgesänge auf ihr Land anstimmten und mich aufforderten, doch auch was Entsprechendes zu singen. Da wurde mir (Teeny) erst richtig bewusst, dass hier, mit mir, meinem „deutsch sein“ was nicht stimmt…

    Es wurde vielfach geschrieben, dass sich das Verhältnis zu Deutschland seit der WM 2006 entspannt habe: man trug wieder Fahnen und schminkte sich schwarz-rot-gold, ganz ohne Beklemmungen, jedenfalls ohne in den Verdacht der Rechtsradikalität zu geraten. Find ich gut! Aber so ganz wird und soll es nie gelingen, ein „ganz normales Land“ zu werden, mit zunehmendem Alter bin ich abgerückt vom jugendlichen „was interessieren mich die Verbrechen meiner Vorfahren?“ und nehme die Verantwortung an.

    Andrerseits respektiere ich den Fakt, dass andere Bevölkerungen keine entsprechenden Hemmungen haben – und dass Wörter wie „beengt“ bzw. „beengter Lebensraum“ für Schweizer in deren Topographie durchaus diskutierbare Beschreibungen sind. (Sie haben ja nie Nachbarn überfallen und umgebracht, um diesen „Raum“ zu gewinnen!) Man kann ja dann diskutieren, was daran real oder eingeredet, berechtigt oder nur xenophob und rückwärtsgewandt ist.

    In den 80gern gab es hierzulande auch schon eine Asylbewerberdiskussion. Solange das abstrakt blieb, waren alle (wir linken Stadtteil-Aktivisten) für unbeschränkten Zuzug. Als dann eine unserer Wortführerinnen aber verkündete, man müsse in den Häusern und WGs eben mehr „zusammen rücken“… tja, da herrschte betretenes Verstummen oder offene Ablehnung.

    Jetzt ist das auch wieder lang geworden… – gewiss werde ich das Thema (unter einer unauffälligen Überschrift) nochmal gesondert aufnehmen!

  46. versuch, nur eine halbe dina4 seite zu füllen

    [..] in irgend eine rechte Ecke gestellt zu werden

    das will ich ja nicht.

    viele, bei denen sich im grunde „rechte“ gedanken eingeschlichen haben, würden das weit von sich weisen … reden aber über „nationale identitäten“, als ob das was romantisches sei oder man ja jetzt lange genug den kopf eingezogen hat und jetzt auch seinen „platz an der sonne“ haben möchte.

    ich bin nicht stolz darauf, deutscher zu sein. ich bin halt hier (eigentlich in frankreich, 1956 …) geboren und mehr damit beschäftigt, die kontinuitäten ins ns system in unserem betriebsystem auszumachen, als herauszuklabustern, auf wessen lebensleistung ich mir was einbilden kann.

    wir leben gerade in einer zeit der restauration.

    themen wie „nationale identität“ werden benutzt, um abzugrenzen. die ergebnisse sieht man deutlichst in ungarn.

    statt über die vergangenheit sollten wir über die zukunft reden. die debatte über eine nationale identät geht schlicht in die falsche richtung, ist kontraproduktiv, kostet zeit und wir gehen nur den „rechten“ auf den leim.

    dieser diskurs zieht schleichend ein und kommt mit heimeligen begriffen, die man bitteschön nüchtern und unter berücksichtigung der gemachten erfahrungen machen sollte.

    wir sind kinder der aufklärung, unsere „heimat“ ist das, was die französische revolution erkämpft hat und nicht ein stück land und die leistungen unserer vorfahren.

    kurz genug?

  47. sorry, ps:

    man beachte bitte die bewusste verwendung des wortes „heimat“ statt „nation“. „heimat“ ist okay, wenn man das mit den augen von edgar reitz sieht.

    nation ist etwas, mit dem eine herrschaft alle unter ihrer knute gleich machen will, was wir aber nun mal nicht sind.

  48. ich schreib da noch was dazu, später – bin am Wochenende viel offline, man glaubt es kaum!

  49. [..] offline

    gut so! ich habe den stab für dich übernommen und bei mir zuhause ein bißchen herumgesponnen in sachen diskurse, auf die wir uns so einlassen und warum wir unsicher sind.

    „dichtestress“ im internet ;-)

  50. Also gut, für die evtl. hier und da bemerkbare Rennaissance des problematischen Begriffs „nationale Identität“ hast du mich ausreichend re-sensibilisiert – danke dafür.

    Es wird aber gesamtgesellschaftlich nicht gelingen, den Begriff „Heimat“ nurmehr auf geistesgeschichtliche Fortschritte zu beziehen – anstatt auf konkrete Gegenden, die man als seine Heimat empfindet. Ich verwende das Wort eigentlich kaum, aber wenn gefragt, würde ich Friedrichshain-Kreuzberg als meine (Wahl-)Heimat ansehen, des weiteren Berlin, Deutschland, Europa und den Planeten Erde – immer abhängig davon, wo ich mich gerade befinde.

    Da die Galaktische Förderation noch nicht existiert und ich mich nicht mal im Orbit aufhalte, kommt „Heimat Erde“ nur höchst selten, allenfalls im Umweltdiskurs vor. Bin ich in Kambodscha, empfinde ich mich jedoch deutlicher denn je als Europäerin, und in Italien bin ich Tedesca/Deutsche. Wo ich dann drei Heimaten habe: den Ursprung im Schwabenland, das Aufwachsen in Hessen – und ab 26 endlich die eigene Wahl: Berlin! Und zu „meinem“ Friedrichshain-Kreuzberg gehört immer schon das „türkische Kreuzberg“, das für mich definitiv und unverzichtbar dazu gehört und meinem Heimatempfinden keinen Abbruch tut.

    Ich sollte mal in einem Schreibkurs verschiedenen Lebensabschnitten (eingeteilt in 7-Jahresschritte) einen griffigen Titel geben, der das jeweilige Erleben auf den Punkt bringt. Der Titel meiner ersten 7 Jahre war „Ausländerin“. Denn mit 5 wurde ich von Ulm (Schwaben) nach Wiesbaden (Hessen) umgezogen – und erlebte dann in einer hessischen Kinderbande im Hof, was es heißt, schwäbelnde Ausländerin/Immigrantin zu sein. Es war die Hölle – nicht durchweg und immer, aber oft.

    Das nur mal so zur persönlichen Lebenserfahrung mit alledem.

  51. [..] re-sensibilisiert

    die zeiten sind so komplex, unsere gewissheiten kollidieren mit unseren erfahrungen, wir müssen permanent (typisch „links“) an allem zweifeln, wir sehnen uns nach gewissheiten, dem einfachen. wir wollen endlich auch mal „zuhause“ sein.

    und finden uns in einem raum mit mit immer mehr menschen, „dichtestress“ im internet, wie ich zuhause frozzele. wir wollen gemocht werden und nicht allzusehr anecken.

    die soziologie lehrt uns, daß wir in so einer situation bereits sind, teile unserer überzeugungen anzupassen, an die ich sanft zu erinnern suche: nur, wir sind internationalisten, bei worten wie „sozialschmarotzern“ oder „wirtschaftsflüchtlinge“ krampft sich in uns etwas zusammen und wir tendieren und harmonie und nach modellen, die es uns erlauben, uns nicht mehr ganz so schlecht und alleine zu fühlen.

    nur, ahem, wir sind nicht alleine, wir sind immer noch viele.

    [..] konkrete Gegenden

    home is where the heart ist, claudia, aber „heimat“ ist ein überschaubarer begriff. „nation“ hingegegen „wischi waschi“. ich will doch gar nicht mit den anderen in einen sack …

    [..] Tedesca

    naja, immerhin kein „boche“ ;-)

    und ja, sehe ich genau so. wenn ich in frankreich bin, weiss ich immer, ich bin der boche … in meinem letzten urlaub in mercus habe ich so gut wie jedem, der nicht bei drei auf dem baum war, darüber geredet, daß sie bitte nicht denken sollen, „die“ deutschen wären so wie die blöde merkel ;-)

    [..] Kinderbande

    oh, mit 1,61m lernt man schnell, sich in einer gruppe von 70 gleichaltrigen durchzusetzen. was sicher einiges erklärt …