Mittlerweile ist es auch ein Thema der Großmedien: Heerscharen bezahlter Meinungsmacher („Putins Trolle“) im Dienste russischer Interessen mischen die Debatten in den Kommentariaten auf und beeinflussen die Mitlesenden in Sinne ihrer Auftraggeber. Stammleser Hardy, mit dem ich ziemlich ausschweifend über die Folgen und den Verfall der Netzkultur diskutiere, sieht einen allgemeinen Vertrauens-GAU im Netz, der bisher kaum thematisiert werde:
„Wir gehen ins Netz, weil wir etwas wissen wollen. Wir wollen nachgucken, wenn wir was kaufen, was andere dazu sagen. Wir wollen unsere eigene Meinung an dem messen, was im Internet gemeint wird. Wir können das nur, wenn wir Vertrauen haben können.
Und das ist mein zentraler punkt: dieses Vertrauen wird durch viele Dinge systematisch zerstört … und statt daran zu arbeiten, daß das thematisiert und aufbereitet wird, erleben wir die drei Affen: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Das ist meine Kritik an dem, was sich für “Netzgemeinde” hält – Orchideenthemen, Ichfixiertheit, Fangemeinde.“
Nun ist „Vertrauen im Netz“ kein ganz neues Thema, Aspekte davon werden seit Jahren unter dem Stichwort „Medienkompetenz“ verhandelt – allerdings eher im Kontext von Datenschutz und Big Data als mit Blick auf die Inhalte und ihre Verfasser, mit denen wir im Netz täglich umgehen. Verweist zum Beispiel jemand als „Beleg“ für eine krasse Behauptung auf einen Artikel im Web: Wie können wir wissen, ob man dem veröffentlichenden Medium bzw. dem jeweiligen Autor / der Autorin vertrauen kann? Wie ließe sich erkennen, in wessen Auftrag bzw. für welche Interessen dort publiziert wird? Noch weit weniger einschätzbar sind anonyme und pseudonyme Kommentierer, die nicht immer deutlich als „Troll“ erkennbar sind, wenn sie menschenverachtende, asoziale Sichtweisen verbreiten – Statements, die die niedersten Beweggründe im Menschen ansprechen und ihnen per „das wird man ja nochmal sagen dürfen“ den Status einer zu tolerierenden „anderen Meinung“ verschaffen.
Googles „Author Rank“: Vertrauen per Algorithmus?
Mittlerweile gibt es kaum mehr ein menschliches Bedürfnis, für das uns Google nicht schon eine eigene Lösung anbietet. In Sachen „Vertrauen“ ist es Googles Author Rank, der die Dinge richten soll: Jedem ein GooglePlus-Profil, Aufhebung jeglicher Anonymität, Verknüpfung der von einer Person veröffentlichten Artikel mit dem Profil (Authorship) plus einer – natürlich geheim bleibenden – algorithmischen Bewertung, sowie dem sich daraus ergebenden „Author-Rank“.
So „vertrauenswürdig“ gemachte Artikel sollen dann (irgendwann? Schon jetzt?) in den Suchergebnissen weiter vorne stehen als andere Beiträge ohne „verifizierte“ Autorschaft. So ein Link sieht dann so aus:
Zweifellos ist ein Artikel von einer realen Person, die mit ihrem Namen zu den veröffentlichten Inhalten steht, erstmal glaubwürdiger als einer aus anonymer Quelle. (Immerhin wagt es der- bzw. diejenige, im „richtigen Leben“ auf die Inhalte angesprochen zu werden). Wer aber sagt mir, dass der von Googles Algorithmen erfasste „echte Autor“ auch wirklich echt ist? Auch wieder nur Google, indem ich den Namen google und mehr über die Person finde oder auch nicht. Immer wieder werden aufwändige Fake-Profile bekannt, deren Verfasser/innen es schafften, andere für lange Zeit über die eigene Identität zu täuschen. Schließlich ist es ein Leichtes, jede Menge Infos „über sich“ im Web zu verteilen.
Geht das in Teilen sinnvolle Bemühen um Transparenz in Sachen Autor/innenschaft auch noch in ein „Ranking“ ein, wird es ziemlich absurd, denn was kann ein Algorithmus schon bewerten? Amke Pistoor (Seo Trainee) nennt als mögliche Ranking-Faktoren zum Beispiel
- die Umlaufgeschwindigkeit von Artikeln, gemessen an Tweets, +1, Likes und Shares,
- die Follower-Zahl und die Aktivitäten im Google+-Profil des Autors,
- die Häufigkeit der Artikel
- die Autorität der veröffentlichenden Seiten.
Höchstens das letzte Kriterium hat aus meiner Sicht einen gewissen Vertrauens-Impact, alle anderen kann jeder Spinner mit „geilem Content“ erreichen. Googles Suchergebnisse und Linkbewertungen repräsentieren im übrigen nicht die ganze Online-Welt. In vielen Zusammenhängen spielt Googles Autoren-Kennzeichnung keine Rolle – und angesichts der sowieso schon schier überwältigenden Präsenz der Suchmaschine finden wir das tendenziell auch gut so.
Wir müssen selbst Vertrauen schaffen
Programme und Algorithmen werden uns vor dem Fluch der massiven Vertrauensverluste nicht retten, das müssen wir schon selber machen. Menschen suchen Orientierung im Netz – und viele vertrauen auf das, was sie da so lesen in derselben fraglosen Art, wie man einst dem gedruckten Wort vertraute: Es steht ja in der Zeitung, es muss also was Wahres dran sein… (Dass eine „professionell aussehende“ Webseite mit ein paar Mausklicks ins Web gestellt werden kann, ist z.B. allen nicht bewusst, die sich noch nie mit dem Erstellen von Web-Medien befasst haben)
Wer jetzt meint, das sei halt Dummheit und es sei doch Sache jedes Individuums, sich mehr Medienkompetenz anzueignen, pflegt sein arrogantes Elite-Bewusstsein, trägt aber zur Lösung nichts bei.
Fragen wir uns doch mal alle ernsthaft: Was kann man, was können wir, was kann ich tun, um Vertrauen wieder herzustellen?
Als alter schreibfreudiger Webworkerin fällt mir dazu erstmal nur ein: vertrauenserweckende Webseiten bauen, ordentliche Informationen versammeln, kommentierte Linklisten zu Medien erstellen, also selber zur ORIENTIERUNG beitragen, die die Menschen im Web suchen.
Gestalterisch wäre das ein – teilweises – Zurück zu gut sichtbaren Themenseiten und weg von der “Ordnung”, die sich seit dem Aufkommen der Blogs allein am Erscheinungsdatum eines Artikels festmacht. Personen statt Themen, Datum statt Inhalt – diese neue „Sortierung“ hat ja die ktastrophale Wirkung, dass alles Wissen und alle Bewertungen, die kundige Menschen ab und an veröffentlichen, schnell aus der Aktualität verschwinden. “Letzte Artikel” hilft da auch nichts, im Gegenteil.
Für Menschen, die Orientierung zu relevanten Themen suchen, sind chronologisch geordnete Meinungsbeiträge unbekannter Leute aus den letzten paar Tagen oder Wochen wenig hilfreich. Man könnte aus dem Siegeszug dieser Struktur glatt eine Verschwörungstheorie basteln: ja, lass sie nur frei reden, aber wir geben ihnen dafür Werkzeuge und Plattformen, die so vorstrukturiert sind, dass alles gleich verschwindet und nie wieder gefunden wird.
Unterstützt wird das auch noch vom Google-Algorithmus, der bei der Zusammenstellung der Suchergebnisse ein klares Aktualitäts-Kriterium anlegt (was im Kommerz-Bereich dazu führt, dass man in Abständen dasselbe wieder schreiben muss, mit etwas anderen Worten).
Was das Kommentardilemma angeht: Die Großmedien sind ja spätestens jetzt auf das Problem aufmerksam geworden und werden sich evtl. etwas einfallen lassen. Die Krautreporter, die nun starten werden, lassen nur die Abonennten kommentieren – ein Beispiel, das vielleicht Schule machen wird. Auch die Großmedien werden drauf kommen, die Zahlschranke nicht vor Artikel, sondern vor ihre Communities zu setzen, die sie dann auch ernsthafter betreiben werden. Hoffentlich mit aussagekräftigen Profilen und ohne Linkgeiz: Wenn man zu den eigenen Seiten, Profilen und sonstigen Veröffentlichungen nicht verweisen darf, wird das nichts mit „vertrauenswürdigen Kommentaren“.
Dies sind ein paar zugegeben unausgegorene Vorschläge und gewiss finden sich leicht zu alledem Argumente im Stile von „geht nicht, weil…“.
Es wäre allerdings schön, wenn es nicht dabei bliebe!
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68 Kommentare zu „Vertrauenskrise im Web: Googles Algorithmus wird uns nicht helfen!“.