In einem Artikel über zuwenige weibliche Gründerinnen und StartUps auf t3n geht es am Ende um die Arbeitsbelastung, die eine Familiengründung kaum zulasse. Der Schlusssatz lautet:
Clue-Gründerin Tin kann als Gegenbeispiel herhalten. Sie ist derzeit schwanger und hat mit Kind gegründet – ihr Sohn war damals anderthalb. „Ich glaube, man kann Familie haben und ein Startup gründen“, sagt sie. „In gewisser Weise hilft es einem, nicht verrückt zu werden. Denn sonst würde ich einfach immer arbeiten.“
Nicht als „verrückt“, sondern als begrüßenswerten Lifestyle abseits vom „süßen Gift“ der Festanstellungen beschreibt der Journalist Richard Gutjahr in „Arbeit to go“ seinen Arbeitsalltag:
Klack-klack-klack-klack-klack. Mein Rollkoffer. Um genau zu sein, einer meiner Rollkoffer. Ich habe 3 davon. Zur Zeit sind wieder alle 3 Trolleys im Einsatz. Komme ich spät nachts nach Hause, mache ich mir gar nicht erst die Mühe, ihn auszupacken. Gleich neben der Eingangstür wartet schon Koffer Nummer 2, fertig bestückt für den nächsten Tag. Auspacken und Wäsche waschen kann ich wann anders. Die wenigen Stunden Schlaf, bis der iPhone-Wecker läutet, sind einfach zu kostbar.
New York, München, Düsseldorf, Köln, Tel Aviv, Jerusalem, Frankfurt, Saarbrücken, Hannover, München, Berlin – das alles in 14 Tagen, keine Seltenheit. Senator-Lounges, Business-Upgrades, FlugbegleiterInnen, die mich mit Namen grüßen (okay, die haben einen Sitzplan mit allen Vielfliegern vor sich liegen). Es kommt vor, dass ich morgens denselben Stellplatz im Flughafen-Parkhaus belege, den ich selbst erst wenige Stunden zuvor nach meiner Ankunft freigemacht hatte.
Mit solchen Zitaten könnte ich weiter machen, denn der Virus der „totalen Arbeit“ hat sich seit den 90gern massenhaft verbreitet. Was ist TOTALE ARBEIT? Es ist jene Art zu arbeiten, die niemals aufhört, die uns zu jeder Zeit in Gestalt innerer ToDo-Listen umgibt, egal was wir gerade tun oder lassen. Arbeit, die mit 1000 Möglichkeiten und Chancen lockt, die keinen Feierabend kennt, nur Erschöpfung. Jene so wunderbar „selbstbestimmte“ Arbeit, die keine anderen Götter neben sich duldet, weil sie alles umfasst und sich einverleibt, was früher in sogenannten „Hobbys“ in der „Freizeit“ ausgelebt wurde.
„Keine Zeit!“ ist denn auch das Mantra, das man als selbstbestimmte neue Arbeitskraft im niemals wirklich abzuarbeitenden totalen Arbeitskosmos vor sich hinmurmelt, wenn irgend etwas einzubrechen droht, das nur einfach „Zeit kostet“. Man HAT keine Zeit, denn man IST ja in Bewegung, selbst dann, wenn sich das Arbeiten nicht auf Flughäfen, im „Workspace“ und auf Meetings abspielt, sondern allein zuhause vor dem Monitor.
Lebenslänglich!
„Werde ich niemals mehr Feierabend haben? Lebenslanges Arbeiten – online bis zum letzten Atemzug? Viel Zeit, darüber nachzugrübeln, habe ich nicht – der Flieger ruft. Klack-klack-klack-klack-klack.“, schließt Gutjahr seinen Artikel. Mich rufen statischere Arbeitsprojekte, ihr Chor wird zeitweise recht laut, weil ich mich erdreiste, nicht mehr bis tief Nachts am Gerät zu sitzen. Nicht wirklich freiwillig, die Energie reicht einfach nicht mehr für einen 14-Stunden-Tag. Hätte mich nicht der glückliche Zufall im Jahr 2005 mit einem Garten beschenkt, hätte ich damals nicht beherzt zugegriffen und mir so eine „Anderwelt“ erschlossen, die mich immer wieder leibhaftig auf dem Boden der einfachen Tatsachen landen lässt, hätte ich vermutlich den zweiten Burnout längst hinter mir.
Das Loblied der freien, selbstbestimmten, total entgrenzten Arbeit hab‘ ich lange gesungen – und sogar immer schon gelebt, mein ganzes Arbeitsleben lang. Die Jobs, die ich nach dem Abi und als Studentin jeweils ein paar Wochen oder Monate lang ausübte, verschafften mir einen Einblick in die Arbeitswelten der Angestellten und Chefs in Unternehmen und Behörden. Durchweg fand ich diese Art komplett entfremdeten Funktionierens und forcierten Zeit totschlagens (weil man ja nicht gerne tut, was man da arbeitet) so gruslig, dass meine Konsequenz immer klar und deutlich hieß:
„Mit mir nicht!“
Und wie glücklich war ich – allermeist! – dass es auch anders ging. Zwar immer prekär, nur selten mal gut verdienend, anfangs noch rotierend zwischen Projektarbeit, Honorarjobs, eigenen Kleinunternehmungen und „Stütze“ (damals noch die großzügige „Arbeitslosenhilfe“), mit dem Internet seit 1997 schließlich selbstständig als „Webworkerin“. Ich war angekommen, wo ich immer schon sein wollte: selbstbestimmt arbeitend in der Welt der schier grenzenlosen Möglichkeiten.
Jetzt brauchte ich gar keine Mitarbeitenden mehr und herrschte ganz alleine über die Produktionsmittel. Die virtuelle Welt verschluckte mich, mein Leben vor dem Monitor beglückte, inspirierte, faszinierte und befriedigte mich. Phasenweise verdiente ich jetzt auch mal ganz gut, jedoch nie soviel, dass dabei noch so etwas wie „Altersversorgung“ hätte herauskommen können. Meine heutigen Rücklagen würden bei meinem bescheidenen Lebensstil ohne Auto etwa zwei bis drei Monate reichen, wenn jetzt gar nichts mehr reinkäme. Momentan ist mir das zuwenig, ich würde das gerne auf sechs Monate erhöhen – und damit nicht mal das „Schonvermögen“ erreichen, dass einem Hartz4-Bezieher belassen wird. Irgendwie „besorgt“ bin ich deshalb aber nicht, war es mein ganzes Leben lang nicht.
Wenn ich dieser Tage im Web Blogpostings lese von Menschen, die sich mit der Problematik der „Leere“ nach dem Übergang in die Rente befassen, empfinde ich das wie den Einblick in eine versunkene Welt, an der ich nie Anteil hatte und auch nie haben werde. Selbstverständlich werde ich arbeiten bis ich die Tastatur nicht mehr bedienen kann – und dann werde ich schauen, welche Möglichkeiten mir das „Texte diktieren“ lässt. Eines Tages werde ich vielleicht um Spenden bitten müssen für Medikamente, die ich mir nicht leisten kann, doch werde ich mich dafür nicht schämen, denn meine Arbeitskraft ist oft genug „ganz kostenlos“ in sinnvolle, der Gesellschaft dienende Felder geflossen.
Kurzum: Ich bereue keine Sekunde, kein anderes, zwar langweiligeres aber gesichertes und besser verdienendes Leben geführt zu haben. Aber allen, die das glorifizieren und bereitwillig als für alle wünschenswert betrachten, möchte ich doch sagen: Es hat seinen Preis! Die Begeisterung für immer wieder Neues lässt irgendwann nach, man möchte sich dann mehr konzentrieren, entschleunigen, mehr die eigene Lebenserfahrung kondensieren und vermitteln als am Fortgang der Wachstumsmaschine kreativ mitzuwirken, sei es auch noch so selbstbestimmt. Doch dem sind dann Grenzen gesetzt, denn solche Bedürfnisse kollidieren mit eben jenem Mantra, das die totale Arbeit kennzeichnet:
Keine Zeit!
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24 Kommentare zu „Von der irrsinnigen Liebe zur totalen Arbeit“.