Dörte vom Minima Muse-Blog ruft zur Blogparade mit dem Thema „mein Bücherregal“ auf. Sie wünscht sich „möglichst viele Liebeserklärungen an das gedruckte Wort“, doch fürchte ich, damit nicht dienen zu können. Bei mir ist das Bücherregal ein Auslaufmodell, das im übrigen lange schon einer in den 80gern beschlossenen Beschränkung unterliegt: Nicht mehr als vier mal 80cm Regalplatz!
Das sieht derzeit so aus:
Wie Ihr seht, wird die Vorgabe ziemlich genau eingehalten, das Regal ist ansonsten Aktenschrank und Ablage – und ich hab‘ nicht extra fürs Foto etwas verändert! Aber zugegeben: im Wohn/Schlafzimmer gibt es nochmal ein Regal, mit nochmal einem Meter Bücher, die dort verstauben bis ich mich aufraffe, sie irgendwie loszuwerden.
Über ihr Verhältnis zu Büchern schreibt Dörte:
Ein Bücherregal ist ein Statement. Bücher, die wir in unserem Zuhause stehen haben, sind unsere intellektuelle Kleidung: die gedruckten Worte, in die wir uns hüllen, Tag für Tag… Und wenn ich Gäste zu mir nach Hause einlade, weiß ich, dass sie meine Bücher sehen werden.
Ja, ursprünglich ging mir das genau so. Schließlich bin ich in der Gutenberg-Galaxis sozialisiert und schleppte schon als Kind alle zwei Wochen große Taschen mit Büchern aus der Bibliothek nach Hause – so viel ich tragen konnte! Mein Wissensdurst war riesig, meine Lektüre breit gefächert. Die Möglichkeit, in fremde Welten einzutauchen rettete mich vor manchem Unbehagen im familiären Umfeld, doch suchte ich ab der Pubertät auch intensiv nach Orientierung: Wie ist diese Welt zu ertragen? Wie geht man mit Menschen um? Gibt es noch Anderes als das, was in der Schule gelehrt wird? Philosophie, Psychologie, spirituelle Systeme, Ratgeber fürs bessere Leben, Grenzwissenschaften, die „Befreiungsliteratur“ der 70ger-Jahre – ich verschlang alles, was ich in die Finger bekommen konnte. Mit 15 deprimierte mich Freuds „Unbehagen in der Kultur“ zutiefst, doch Zuzukis „Zen“ baute mich wieder auf – ohne dass ich so richtig verstanden hätte, von was er redet.
Als ich mit 19 zuhause auszog, war mir das eigene Bücherregal auch sowas wie ein „Statement“: ein demonstratives Element der Abgrenzung vom elterlichen Zuhause, das ich so früh wie möglich hinter mir ließ. Bekam ich „wichtigen“ Besuch, legte ich sogar mir besonders liebe Bücher sichtbar aus – so meinte ich besser zu erkennen, ob sich jemand nur für meinen Körper oder auch für den Geist interessiert.
Meine Bücherregale wuchsen und wurden mehr, was bei Umzügen dann in eine üble Schlepperei ausartete. Dennoch nahm ich noch alle Bücher mit als ich mit 26 meine Heimatstadt verließ und nach Berlin zog. Dort angekommen, änderte sich mein Leben schon bald drastisch: aus der nachdenklichen Sucherin wurde eine begeisterte Aktivistin: Hausbesetzungen, Stadtteilpolitik, Mieterarbeit, ich trat sogar in die AL ein, ein berliner Vorläufer der Grünen und wurde für ein Jahr Fraktionsassi im Bezirk (dann hab ich die Flucht ergriffen: Parteien waren nicht mein Ding!). Zum Lesen kam ich in diesen aktiven Jahren nicht mehr so oft, wohl aber zog ich ziemlich häufig um – welch ein Horror jedes Mal, all diese Bücher ein- und wieder auszupacken, die Kisten zwei Straßen weiter zu schleppen und dafür sechs bis zehn Leute zu brauchen!
Als dann wieder einmal ein Umzug anstand, fasste ich einen radikalen Entschluss: Nie wieder mehr Bücher als vier Regalböden voll! Ich lud Freunde und Bekannte ein, sich an meinen Regalen zu bedienen und behielt nur wenige Bücher, für deren Transport ich keine Hilfe mehr brauchte. Was für eine Erleichterung!! Mir war, als hätte ich Ballast von 1000 Jahren abgeschüttelt und wunderte mich, dass ich nicht schon früher auf diese Idee gekommen war. Schließlich schaute ich kaum je in ein Buch nochmal rein, das ich ausgelesen hatte – warum zum Teufel sollen die in Regalen verstauben? Ohne das Wort schon zu kennen war ich in Sachen Bücher Minimalistin geworden.
Heute: Ich lasse lesen…
Was heute hier mehr oder weniger zufällig noch an gedruckten Büchern herumsteht, könnte zu 80% weg. Veraltete Software- und Webdesign-Handbücher, Bücher übers Schreiben, die ich mir zu Zeiten meiner Schreibkurse angeschafft (und doch nicht gebraucht) hatte, ein paar Reiseführer (Kambodscha), Kochbücher (ungenutzt) und noch ein bisschen Philosophie, Soziologie, Spirituelles, jene wenigen Bücher, „die man nicht wegwirft“, auch wenn man nicht mehr rein schaut.
Oder noch nie mehr als reingeschaut hat! Seit ich in den 90gern mein Leben mit dem Internet verbandelte, sank der Bücherkonsum noch einmal drastisch. Ich komme nicht mehr dazu, meine Blogs, meine Projekte, meine Surftouren zu anderen Inseln des Nachdenkens über Leben und Welt füllen mich voll und ganz aus. Doch es ist nicht nur die fehlende Zeit, die mich von Büchern entfremdet hat: es ist auch das Ende der Suche. Dass ich in einem Buch einen neuen Gedanken fand, eine Inspiration, die über das hinaus ginge, was ich auf Lese-Touren im Netz (plus ARTE und PHOENIX) quasi als Alltag erlebe, ist ziemlich lange her. Mein Eindruck, wenn ich ein Buch aufschlage: es gibt nichts Neues unter der Sonne! Nur gelegentlich eine andere Art, etwas auszudrücken, wie etwa Sloterdijk es in seinem Buch „Du musst dein Leben ändern!“ auf ergötzliche und den Intellekt anregende Art tut. „Ende der Suche“ heißt ganz konkret auch: ich suche in Büchern lange schon keine Lösungen mehr für irgendwelche Probleme und „Erbauung“ finde ich im Garten, in der Interaktion mit den Pflanzen und anderen Lebewesen, nicht auf Papier.
Die Auseinandersetzung mit den Umwälzungen durch die Globalisierung, die Digitalisierung, die Vernetzung – an diesen Themen bin ich gefühlt viel näher dran, als wenn ich darauf warten müsste, bis ein Buch dazu erscheint. Als kürzlich Schirrmacher unverhofft starb, hab ich sein letztes Buch „EGO“ gekauft und die ersten Seiten gelesen, quer drüber mal so reingeschaut. Sicher ein tolles Buch für „Netzferne“, für mich eher langweilig. Der alarmistisch-katastrophale Ton erscheint mir trotz vieler richtiger Fakten übertrieben, der forcierte Kulturpessimismus spricht mich nicht wirklich an. Also gab ich das Buch einem lieben Freund, der viel Zeit zum Lesen hat. Das mache ich immer mal wieder so, wenn ich – selten aber doch – ein Buch gekauft habe und nicht abzusehen ist, dass ich die Muße dafür finde. Er hat es gelesen und empfiehlt mir das letzte Kapitel – mal sehen, ob ich dazu komme. So richtig vom Hocker gehauen hat es ihn nicht, sonst hätte er mir Wesentliches aus dem Inhalt erzählt, wie sonst immer, wenn ich ein Buch „zum Lesen gebe“.
E-Bücher
Das Ende der Gewohnheit, Bücher zu lesen, bedeutet nicht auch gleich das Ende des „Bücher kaufens“. Gelegentlich begeistert mich eine Rezension, so dass ich mir das Buch bestelle (und dann weiter gebe, siehe oben). Wobei ich E-Books mittlerweile vorziehe: Zwar hab‘ ich keinen Kindle, doch kann man mit der Kindle-App die Bücher ja auf jedem Gerät lesen. Bücher zum Verstauben „ins Regal zu stellen“ kommt mir mittlerweile absurd vor. Eine Zeit lang hab ich noch gedruckte Bücher gekauft und sie nach dem Lesen bzw. Lesen-lassen bei Amazon wieder verkauft. Mittlerweile ist mir das zuviel Aufwand, also nehme ich das E-Book, falls vorhanden. Zu mehr als „rein schauen“ komme ich aber auch da nicht, also werde ich wohl meinen Freund bitten, sich einen Amazon-Account zuzulegen, damit ich E-Books mit ihm „teilen“ kann. Ja, das geht!
Spannend finde ich auch das Projekt SoBooks von Sascha Lobo: Bücher im Netz lesen – und gleich mit Diskussion. Sobald es für alle offen ist, werde ich das mal ausprobieren!
Zuletzt: Bücher, die ich (noch) nicht entsorge
Das sind jetzt alles Werbelinks, die zu jenen Büchern führen, die vermutlich auch die nächste Aussortierung überstehen werden:
- Das tibetische Buch vom Leben und vom Sterben – Sogyal Rinpoche;
- Im Hier und Jetzt – Hans Peter Hempel (der mein Yoga-Lehrer war);
- Das perfekte Verbrechen – Jean Baudrillard;
- Vom Subjekt zum Projekt: Menschwerdung – Vilém Flusser; (vergriffen, findet man aber per Google im Volltext);
- Der Mythos Freiheit und der Weg der Meditation – Chögyam Trungpa;
- Das Leben und das Schreiben: Memoiren – Stephen King;
- Einsichten eines erleuchteten Kettenrauchers– Stephan Jourdain, Gilles Farcet;
- Verfall und Ende des öffentlichen Lebens: Die Tyrannei der Intimität – Richard Sennett;
- Vom Nachteil, geboren zu sein – E.M. Cioran; (wirkt als paradoxe Intervention gegen deprimierte Stimmungen);
- Wie wir sterben: Ein Ende in Würde? – Sherwin B. Nuland;
- Ohne Worte – ohne Schweigen: 101 Zen-Geschichten und andere Zen-Texte aus vier Jahrtausenden;
- Unverbissen vegetarisch: Der lockere Einstieg in ein fleischloses Leben – mein eigenes. Soviel Eitelkeit darf sein! :-)
Von Baudrillard, Flusser, Sennett, Trungpa und Hempel hab‘ ich mehrere Bücher, die mit gleichem Recht in dieser Aufzählung hätten Platz finden können.
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