Heute morgen schaute ich mir die Kritiken des gestrigen Polizeirufs an und wunderte mich: Zwar wird er gelobt, aber thematisiert wird eigentlich nur, dass ein Kommissar sich in die JVA-Anstaltsleiterin verliebt, aber dann doch an ihr zweifelt. Die „Unmöglichkeit des Vertrauens“ sei das Thema der Folge, meint z.B. Katharina Riehl in der SZ. Auch für Lena Bopp in der FAZ ist der „Tanz zweier Taubstummer“ offenbar das einzig Erwähnenswerte.
Sind diese Leute eigentlich so abgebrüht, dass sie gar nichts mehr wirklich berührt?
Während der erstes Szenen, die erst wieder eine Gewöhnung an eine gewisse Langsamkeit zumuteten, schoss mir noch der böse Gedanke „Altersheim-TV!“ durch den Kopf. Verglichen mit den fetzigen amerikanischen Krimiserien (Navy CIS, etc.) wirkt der Polizeiruf im Anlaufen regelmäßig wie eine Schlaftablette. Danach war ich allerdings emotional so geschafft wie selten nach einem Film, ich spürte es körperlich, empfand sogar das eigene Gewaltpotenzial und dass es nicht sehr ferne liegt, auf jemanden einzuschlagen, um sich zu erleichtern.
Die „ganz normale Gewalt“, die Angst, der Druck der auf den Insassen der JVA und einem gefassten Täter lastete, verstärkt durch ein unglaublich durchdringendes Sounddesign war nur eine der Komponenten, die mich so fühlen ließen.
- Die soziale und kommunikative Verwahrlosung der „normalen Menschen“,
- die Unfähigkeit, eine wahre Liebe anders beginnen zu lassen als mittels Stottern und bei jeder sich bietenden Gelegenheit übereinander herzufallen,
- die Einsamkeit des vor dem Monitor onanierenden Vaters, der in einer anderen Szene schier ausrastet, weil seine „Besuchskinder“ ein Video-Spiel spielen, in dem Leute tot treten Punkte bringt;
- die Kinder, die daraufhin ganz „cool“ damit drohen, ihn bei der Mutter anzuschwärzen und dann sei es halt nichts mehr mit den Besuchstagen,
- der Psychologe, der Knackis zum als Selbstmord getarnten Mord an Mitinsassen anstiftet (und bezahlt) und das Beseitigen dieser Bösen als ehrenvollen Opferschutz verteidigt, bevor er sich am Ende erschießt – nicht aus Einsicht, sondern aus Angst vor Rache,
- und ja, schlussendlich auch die Art, wie die zu Unrecht vom Kommissar verdächtigte Geliebte ihn einfach abserviert, obwohl er nur seine Arbeit tat und sich nicht durch die Affäre komplett das Hirn erweichen ließ,
– alles passgenaue Pusselteile einer großen Symphonie des grauenvollen Gegeneinanders, des Kampfs aller gegen alle, der Verlorenheit der Individuen, die zu einem „ganz normalen Miteinander“ nicht mehr fähig sind. Ein Motiv, das schon in den ersten Minuten sehr krass eingeführt wird, als es um einen jungen Mann geht, der einen Unbekannten auf der Rolltreppe erstochen hat – einfach so im Vorbeigehen. „Ich wollte ihn nicht umbringen, aber er ist in meine Area gekommen!“ sagt er später, kurz bevor er am Stockbett erhängt aufgefunden wird.
Dazwischen in die Handlung gut eingebundene Maler-Lieder mit Texten wie „Oh schöne Welt, wie sie mir doch gefällt….“. Man möchte glatt den Fernseher kaputt treten!
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Morgengrauen, täglich ab 20 Uhr in der Mediathek;
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6 Kommentare zu „Morgengrauen – ein unerwartet guter Polizeiruf“.