Dieses Jahr war ich nicht auf der Demo „Freiheit statt Angst“ (#FsA), hab‘ sie nur „beworben“. Schon letztes Mal war ich nur auf der Startkundgebung, auf den „Spaziergang“ danach hab‘ ich verzichtet. Zu meiner Entschuldigung könnte ich anführen, dass ich nicht lange ohne Beschwerden laufen kann und mich spätestens nach 15 Minuten setzen muss. Aber auch davon abgesehen bin ich nicht sicher, ob ich diesmal dort gewesen wäre: Nicht mangels Interesse (das Thema empört mich durchaus!), sondern weil meine Samstage verplant sind und ich auch ein bisschen denke: das sollen jetzt mal die Jüngeren machen! :-)
In der „Sammelmappe“ fand ich dann Claudias Bemerkung über ihr „ungutes Gefühl“, das sie bei dieser Demo empfindet. Sie fand keine Zeit, das auszuführen, postete jedoch Links zu Anderen, die sich entsprechend geäußert hatten:
- Mspro
- Feminismus statt Angst
- FrDingens statt Angst
- Wie soll es weiter gehen?
- Wo bleiben die Lösungen?
Die Artikel hab‘ ich mit Interesse gelesen und dann einen ellenlangen Kommentar dazu verfasst, den ich jetzt einfach mal hier ‚rüber ziehe:
___________________Kommentar____________________
Habe all deine verlinkten Artikel durchgelesen
- mspro – weil ich dort auch die Kommentare las, bin ich fast erschrocken, einen recht langen eigenen dort anzutreffen. Aha, das war eine Resonanz aus 2013! Klang für mich dennoch aktuell, da sein Unbehagen ähnlich dem ist, das gegen die Montagsdemos formuliert wurde – ein Phänomen, das wir erst seit einem dreiviertel Jahr haben, das also NACH der FsA 2013 stattfand. Verwirrende Zeitläufte….
- Feminismus statt Angst – guter Rant! (selber war ich nicht auf der Demo, hab also keine eigenen Eindrücke) Wobei es wie eine verschärfte Illu zum Kommentargespräch bei Mspro wirkt, wo debattiert wurde, ob es nicht manchmal nötig ist, mit Andersdenkenden / auch mal Arschlöschern gegen eine Sache zu demonstrieren, in der man gleicher Meinung ist.
Wenn die allerdings auch noch übergriffig werden, ist natürlich Schluss mit solcher hamonie-lastigen Denke! - Wie soll es weiter gehen? – klasse Text mit den richtigen Fragen. Umso mehr ärgert es mich, dass die Autorin / der Autor (wie wär denn hier die perfekt gegenderte Fassung?) sowas wie Kommentare unwichtig zu finden scheint, denn die sind dort nicht möglich.
Deshalb nehme ich die Gelegenheit war und sag hier was zu:
“Es wird Zeit, dass wir alle begreifen: Wir machen aus Ärztinnen, Sozialarbeitern, Grundschullehrerinnen, Busfahrern und Krankenschwestern keine Nerds.
Trotzdem muss zu diesen Menschen eine funktionierende Kommunikation aufgebaut werden. Denn – wir werden die Machtfrage stellen müssen, damit sich in diesem Land etwas ändert. Wir müssen deutlich machen, dass die Mehrheit die fortgesetzte Massenausspähung nicht hinnehmen wird. Und genau dafür brauchen wir Ideen – die eben kommunizieren: “Es geht auch Dich an! Und Du kannst etwas tun! Ein solcher Ansatz könnte die bevorstehende Ausweitung des Geheimdienst-Etats sein.”
Gäähhhhhhhhhnnnnnnnnnnnnn ! So ein guter Anlauf und dann wieder auf dem Bettvorleger gelandet! Die “Ausweitung des Geheimdienst-Etats” ist doch nur wieder ein neuen Hoffnungsthema, mit dem man meint, endlich ein paar mehr Menschen zu empören. Klar, die empören sich dann auch, mal so kurz beim Lesen der Info, aber dann wenden sie sich wieder anderen/dringlicheren Dingen zu – wie wir doch auch.
Was wirklich anstünde, wenn die Analyse ernst genommen würde, wäre persönliche Kommunikation (und Vermittlung verständlicher Info-Texte) in Kreisen außerhalb der imaginierten “Netzgemeinde” – nämlich überall dort, wo Menschen das Netz für IHRE Interessen nutzen.
Er schreibt (ich hab mittlerweile ins Impressum geschaut):
“Die meisten Menschen wissen nicht, worin der Vorteil freier Software besteht. Sie wissen ja noch nicht einmal, was Software überhaupt ist. Die Mehrheit dort draußen benutzt das Smartphone als nützliches Statussymbol, dass ihnen nahezu kostenlos einen niederschwelligen Einstieg in die globale Informationsgesellschaft bereit stellt. Sie haben kein Wissen darüber, dass sie damit die ursprünglichen Rechte des Subjekts an sich selbst abgeben und zum Objekt kapitalistischer und geheimdienstlicher Interessen werden.”
Ja, ja – dann hilft es aber nichts, ein neues hoffentlich-mehr-vom-Hocker-reissendes Thema in der Filterblase zu promoten. Da muss man dann halt hinab steigen in die Niederungen der Hobby-Blogs, der Garten-, Mode- , Koch- und Test-Blogs – in die Foren der Interessengruppen, der von allerlei Übeln Betroffenen, der besonders Geneigten und speziell Interessierten.
- Wo bleiben die Lösungen? – Auch ein sehr guter Rant, sprich mir punktuell aus dem Herzen. Seine Frage nach der fehlenden gesellschaftlichen Utopie trifft einen wunden Punkt, bzw. ein ganzes geistiges Geschwür.
Das pack ich aber heut nicht mehr an. Und zu “Frau Dingens” sag ich lieber nix.
______________Kommentar Ende________________
Das mit der fehlenden Utopie ist wirklich eine spannende Frage. Wer wünscht sich heute noch etwas Anderes, als dass – „bei uns“ – doch möglichst alles so bleiben soll, wie es ist? Natürlich wünschen viele Verbesserungen im Detail, z.B. in der Hartz4-Gesetzgebung, in der Bildung, im Gesundheitssektor und (derzeit verschärft) eine andere EU- und Außenpolitik im Blick auf die kriegerischen Krisen (Ukraine, Nahost, IS). Einigkeit besteht über die gewünschten Veränderungen jedoch nicht und „Utopie-Charakter“ hat das alles ja doch nicht, oder?
Ich vermute, dass das Verschwinden der Utopien damit zusammen hängt, dass „wir“ in den entwickelten alten Industriestaten (ehemals 1.Welt) mittlerweile ein Bewusstsein dafür haben, wie privilegiert unsere „Wohlversorgtheit“ angesichts der Lage in vielen anderen Weltgegenden doch ist. Merkels Spruch von den „kommunizierenden Röhren“, mit dem sie schon vor Jahren die Wirkungen der Globalisierung beschrieb, zeigt eine für uns eher erschreckende Zukunft auf: Wohlstandsverluste auf allen Gebieten, Verlust von Sicherheiten und Wegschrumpfen der Sozialstaatlichkeit.
Da bräuchte es dann schon einen besonders ignoranten Geist, um noch ein UTOPIA im alten Sinne auszumalen, das ja immer ein MEHR an Glück und Entfaltungsmöglichkeiten bedeutete als der Status Quo gerade bietet. Und alternative, globale Utopien sind kaum mehr formulierbar, weil wir gelernt haben, was Eurozentrismus ist und dass man nicht mal eben so eine Weltordnung ausdenken kann, die ALLEN Kulturen, ihren jeweiligen Werten und Konflikten gerecht würde.
So schauen wir also in verschiedene Abgründe und loben den Tag, an dem wir den Schritt vorwärts noch nicht machen müssen.
Winter is coming.
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14 Kommentare zu „Freiheit statt Angst – eine Nachlese mit Gedanken zur fehlenden Utopie“.