Dass ich hier gut zwei Wochen nichts geschrieben habe, liegt u.a. daran, dass ich vieles über die derzeit brennenden Problemfelder lese: über ISIS, Ukraine, Griechenland, Finanzkapitalismus/Euro/Geldkrise und vieles mehr.
Will ich nun zu einem dieser Mega-Themen einen Blogbeitrag verfassen, fühle ich mich gefordert, erst jede Menge Gelesenes zu referieren, bevor ich überhaupt zu eigenen Gedanken kommen könnte. Wir leben in so unterschiedlichen Welten, dass man eine gemeinsame Basis des Meinens und Wissens gar nicht mehr voraussetzen kann.
Informative oder hinführende Texte zu verlinken, hilft nicht viel. Kaum jemand geht den Links in Blogartikeln nach, liest dort weiter (oder sichtet wenigstens die Quelle) und kehrt zurück. Klar, wer hat schon soviel Zeit? Also sind meine Diary-Artikel in der Regel so gehalten, dass man sonst nichts dazu lesen muss – bzw. das ist quasi der lange schon „eingefleischte“ Anspruch, unter dem ich schreibe. Der mich aber auch zeitweise verstummen lässt, wenn eine entsprechende Aufbereitung zu Thema X, Y oder Z einfach zuviel Arbeit machen würde, in Stunden gerechnet. (Recht viele fleissige Stunden muss ich den Gebrauchstexten widmen, mit denen ich Geld verdiene).
Teilen?
Also melde ich meinen „Lesestoff“ einfach weiter, meist auf Twitter, in der Hoffnung, so wenigstens zur Verbreitung sinnvoller Meme und Narrative beizutragen. Wobei diese Intention auf Twitter vermischt ist mit anderen Gründen, aus denen ich hier und da mal was verlautbare, Twitter eignet sich nur sehr beschränkt als „Linkliste guter Texte“, die ich festhalten und verbreiten, am liebsten auch mit Diary-Lesern diskutieren würde. Wobei „diskutieren“ ja etwas ist, das ich auf Twitter gar nicht erwarte, nicht ansatzweise.
Auf Facebook längere Texte teilen bringt nur selten überhaupt eine Reaktion. „Likes“ bedeuten mir nichts und wenn ich dort doch mal irgendwo etwas sichte, was nach „Diskussion“ und nicht nach bloßer Aneinanderreihung minimalster Stimmfühlungslaute aussiehst, ist es schwierig, das Gespräch Tage später wieder zu finden im schnell fließenden Strom der Meldungen. Alles dort ist flüchtig, zersplittert, schnell in der Vergangenheit versackt, und sowieso neigt dort niemand zu langen Kommentaren. Unter den dortigen Umständen und dem minimalen Support für Kommentare kein Wunder.
Surftipps bloggen?
Bleibt noch das kurze hinterher bloggen: Ein einzelner Medien-Tipp wie Hast du mal 80 Minuten, um die Mutter aller Krisen zu verstehen? ist gelgentlich drin, doch kann ich auch in dieser Form dem Input nicht gerecht werden, den ich gerne „kuratiert weiter reichen“ würde. Mehrere davon in einem Posting führen dann zu Blog-Formaten wie Linktipps am Sonntag, die dann aber wieder mehr „Sammelsurium“ sind, kaum stabiler als ein paar Tweets, nicht geeignet zum Festhalten, zur kontinuierlichen Meinungsbildung über längere Zeit.
CODE rules: Totale Zerstreuung vorkonfiguriert
Das, was in den Nullerjahren als Web 2.0 so irre neu und erfolgreich war, kommt mir mehr und mehr als mutwillige Zerstörung aller Sinnzusammenhänge und dauerhaften Strukturen vor. Blogs waren und sind im Unterschied zu den früheren „Homepages“ chronologisch strukturiert: Nicht mal ich selbst würde im Digital Diary nach einem THEMA suchen, zu dem ich mal was geschrieben habe. Alles verschwindet in der Vergangenheit, ist ja auch allermeist für „hier und jetzt“ geschrieben bzw. wird so rezipiert. Mehr noch gilt das für die „sozialen Medien“, die chronologisch und entlang an Personen strukturiert sind, nicht entlang an Themen wie klassische Foren (die es zum Glück für viele Bereiche noch immer gibt).
Diese neuartige Struktur großer Bereiche des Internets fand ich eigentlich immer schon nervig. Für kleine private Freundeskreise ist es ja nett, auf FB-Manier miteinander verbunden zu sein. Das aber war und ist nie mein Interesse gewesen beim „ins Web schreiben“. Ich interessiere mich vornehmlich für die Welt, möchte auf einer „Agora“ die Themen des Gemeinwohls besprechen – aber die mediale Umwelt, wie sie in sozialen Netzen gestaltet ist, macht das Verfolgen von Themen unbequem. Das Prinzip des „Folgens“ und „befreundens“ ist ausgesprochen hinderlich dafür, denn wenn ich einer Person wegen ihrer Befassung mit Thema A folge, das ich interessant finde, bekomme ich gleich auch deren Themen B, C, D bis Z mit – jede weitere Person ein weiteres Info-Gewitter, von dem ich doch eigentlich nur einen Bruchteil wissen wollte. Und nein, das kann man eben NICHT mit „richtig filtern“ wegbekommen. Das ist leider die schöne neue Grundstruktur, die sich „sozial“ nennt und jene im Info-Gau ersaufen lässt, die anderes wollen als mit ein paar Freunden in Kontakt bleiben.
Klassische Mischthemenblogs sind zwar auch nicht Inhalte-zentriert, aber immerhin stabiler und ETWAS übersichtlicher als das Geschwurbel in den Netzwerken. Sie sind kleine überschaubare Inseln im bewegten Info-Ozean, die in aller Regel auch nach Wochen noch auffindbar sind. Das Digital Diary ist mit seinen über 16 Jahren geradezu ein Gipfel nachhaltigen Bloggens, doch auch hier sind viele zeitlose Texte völlig unzugänglich, sind Opfer der „historischen Blog-Ordnung“, verschwunden in ferner Vergangenheit für die sich niemand interessiert.
Die gute alte Linkliste…
Der Versuch, Wichtiges für den Eigengebrauch zu strukturieren und festzuhalten, brachte im Netz dereinst die Bookmarking-Tools hervor, die als halb-öffentliche Linkslisten einige Zeit nützlich waren, bevor sie von SEOs zugespamt und von den sozialen Netzen praktisch abgelöst wurden. Ich hab die nie konsequent benutzt, genauso wenig wie meine Browser-Lesezeichen. Artikel und Videos, die mich sehr beeindrucken, möchte ich nun mal nicht nur für mich notieren, sondern tatsächlich auch teilen. Und darüber hinaus dauerhaft zugänglich halten, wiederfindbar, dadurch leicht zitierbar und auch später noch in Blogartikeln und anderswo verlinkbar. Vor allem auch nicht abgelegt mittels fremder Dienste, die morgen verschwunden oder so verändert sein können, das meine Sammlung von Lesens- und Sehenswertem nicht mehr nutzbar ist.
Kurzum: Ich werde wieder klassische Linklisten bauen, abseits der Blogstruktur, nach Themen geordnet, evtl. kurz kommentiert. Und sollte ich zu dem jeweiligen Gegenstand selber etwas bloggen, werde ich diese Artikel ebenfalls dazu stellen, als Eigenbeitrag gekennzeichnet. Wer sich also mal dafür interessiert, wie ich zu Thema X stehe, könnte dann evtl. fündig werden – auch eine Auswahl empfohlener Fremd-Beiträge sagt ja einiges aus.
Angestoßen wurden diese noch etwas verworrenen Überlegungen übrigens durch den großartigen Artikel
Islamischer Staat – Beginnend mit Worten, endend mit Blut – Extremisten konkurrieren um die Jugend des Westens. Warum wird gerade der IS zur neuen Heimat der Enttäuschten? 15 Anmerkungen zu europäischen Dschihadisten von Georg Seeßlen
ZEIT ONLINE Februar 2015
Ein echter Leuchtturmtext, der nun nicht bis zur Umsetzung der Linklisten-Idee warten muss! Auch die Kommentare enthalten noch manche Perle und sind gut lesbar, da eine aktive Moderation alle, die sich im Ton vergreifen, gnadenlos löscht.
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6 Kommentare zu „Schreibblockaden, Leuchtturmtexte, Social-Media-Kritik und die Wiedergeburt der Linkliste“.