Claudia am 11. Juni 2015 —

Top Dog USA und unsere folgenlose Empörung in Sachen Überwachung

Johnny Haeusler, Veranstalter der jährlichen re:publica spricht online über manche Dinge gar nicht mehr. Claudia Kilian, Bloggerin auf „Sammelmappe“, hat sich umfangreich mit den Möglichkeiten auseinander gesetzt, sich persönlich gegen Überwachung zu schützen, kommt aber zum resignierenden Schluss, unser demokratisches Boot sei leck geschlagen und auf direktem Kurs ins Verderben.

Was nicht wundert, denn mittlerweile ist nicht mehr zu leugnen, dass unsere Regierung lügt, wenn es opportun ist und sich gar anschickt, wegen der öffentlich gewordenen BND-Zuarbeit für die NSA die Gewaltenteilung auszuhebeln. Nicht zuletzt soll die gehasste Vorratsdatenspeicherung, die alle Bundesbürger anlasslos unter Verdacht stellt, entgegen aller Kritik per Gesetz installiert werden, ein Gesetz, das schon im Entwurf von der Datenschutzbeauftragten als verfassungswidrig begutachtet wird.

Sascha Lobo – seit Snowdens Enthüllungen ein unermüdlicher Ritter des Worts im Kampf gegen die totale Überwachung – läuft zu neuer Hochform auf, er schäumt geradezu vor Empörung, dass wir, die Bürger dieses Landes, nichts gegen all das unternehmen. Auszug aus der aktuellen Publikumsbeschimpfung:

Wenn ein unterirdischer Bahnhof gebaut werden soll, begehren Sie auf. Wenn ein Veggie-Day eingeführt werden soll, flippen Sie völlig aus. Wenn eine Schulreform geplant wird, gründen Sie Initiativen, sammeln Hunderttausende Unterschriften und zwingen die Politik zum Handeln. Da gehe es doch um unsere Kinder und nicht bloß das Internet, rufen Sie. Mit Ihrer Art, noch jede dämliche Digitalzumutung von Abmahnwahn über Breitband-Versagen bis Vorratsdatenspeicherung zu schlucken ohne zu mucken – damit zerstören Sie die Zukunft genau der Kinder, für die Sie glauben, eben noch gekämpft zu haben. Warum spricht die ganze Welt von einem Dutzend Digitalkonzernen, aber im DAX ist nicht ein einziges Internetunternehmen? ………
Sie lassen sich aus mangelndem Interesse mit einem chronischen Regierungsversagen im Digitalen abspeisen, das nichts als politikgewordener Hohn ist. Ein Hohn, für den der Preis in Zukunft bitter bezahlt werden wird. Und zwar von Ihren Kindern, die dafür auf Ihre Initiative hin weiterhin Handschrift in der Schule gelernt haben werden. In Schönschrift sterben.

Recht hat er, aber warum ist das so? Von einem effektiven Widerstand gegen die von allen Seiten immer weiter ausgebaute Überwachung kann keine Rede sein, ganz im Gegenteil boomt die private Überwachung, wie ich an den SPAM-Mails sehe, die mir preiswerte Geräte zur Überwachung von Kindern und Koffern anbieten.

Wolfgang Michal: Endlich die Gründe benennen und Realitäten akzeptieren

Inmitten der sich wiederholenden Netz-Empörungsrituale schlägt der gestandene Journalist Wolfgang Michal nun einen neuen Ton an. Man solle sich endlich mit den Gründen der Überwachung auseinander setzen, anstatt sie weiterhin als „anlasslos“ zu beschreiben, um nicht „zum politischen Außenseiter zu werden oder in unangenehme politische Nachbarschaft zu geraten“.

Zu den Realitäten, die man akzeptieren (= nicht gut finden) müsse, um überhaupt sinnvoll diskutieren zu können, gehöre die Einsicht, dass die USA nun mal Weltmacht Nr.1 seien und das auch bleiben wollen. In der US-dominierten Nato sei die Souveränität der Mitglieder eingeschränkt, nicht aber die der Führungsmacht, die überall Truppen stationieren darf, wo es ihr passt. Und er zählt weitere unangenehme Wahrheiten auf:

4. Die Militärdoktrin, die den Weltmachtstatus der USA sichert, heißt „War on Terror“. Unter dieser Bezeichnung führen die USA seit dem 11. September 2001 offene oder verdeckte Kriege gegen alle, die den Weltmachtstatus gefährden könnten oder nicht willens sind, die Politik der USA zu akzeptieren.

5. Die USA nehmen für sich in Anspruch, das System der westlichen parlamentarischen Demokratie mit Hilfe ihres gewaltigen Militär-, Polizei- und Geheimdienst-Apparates zu garantieren. Darüber hinaus sorgen die USA mit ihrer Wirtschafts- und Finanzmacht und ihren gewaltigen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten für materiellen Wohlstand und den dauerhaften wissenschaftlich-technischen Vorsprung des Westens.

6. Wer an diesen Errungenschaften partizipieren möchte (und wer wollte ernsthaft darauf verzichten?), muss die mit der Schutzmacht-Garantie verbundenen Verpflichtungen in Kauf nehmen, z.B. die Hinnahme begrenzter Souveränität, die Überwachung der Bevölkerung und die Beteiligung an den hohen Kosten des militärisch-industriellen Komplexes.

7. Wer die Notwendigkeit der Schutzmacht-Garantie bezweifelt und sich den auferlegten Verpflichtungen entziehen möchte, muss auch bereit sein, die Konsequenzen seines Handelns zu tragen.

Vor diesem Hintergrund betrachtet erweise sich die „Duldungsstarre“ der Bevölkerung als realistische Einschätzung der Machtverhältnisse, als „instinktive Abwehr aussichtsloser idealistischer Haltungen.“

Gesucht: Alternative zum „War on Terror“

Es liegt auf der Hand, dass man die Überwachungsspirale nur stoppen und zurück fahren kann, wenn eine Alternative zum „War on Terror“ gefunden und umgesetzt wird. Laut Michal und Egon Bahr, auf den er sich beruft, müssten die Europäer endlich die Kritik an der aktuellen Machtpolitik der USA auf die Tagesordnung setzen und eine andere Doktrin des weltweiten Umgangs miteinander entwickeln. Nochmal Michal:

„Dieses Konzept (Bahr nennt es „kooperative Existenz“) müsste auch den Abbau der weltweiten sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten und die Anerkennung anderer politischer Kulturen und Systeme beinhalten. Ein solcher politischer Richtungswechsel könnte nur gemeinsam mit der Mehrheit der US-Gesellschaft bewerkstelligt werden.“

Dies klingt nun wahrlich utopisch, doch zeigt die Geschichte immerhin, dass Pendel auch mal wieder zurück schwingen. Gleichwohl wirkt die Aussicht, erst eine Mehrheit der US-Gesellschaft für einen anderen Weg gewinnen zu müssen noch weit aussichtsloser als Lobos Empfehlung von vor zwei Jahren, Frau Merkel von einer anderen Netzpolitik zu überzeugen.

Auch fragt sich, wie weit die „Anerkennung anderer politischer Kulturen“ gehen kann und soll. Etwa bis zur politischen „Kultur“ Eritreas, von wo derzeit die meisten afrikanischen Flüchtlinge kommen? Oder gar bis zur Anerkennung des „Islamischen Staats (IS)“, der der Welt der Ungläubigen und Andersgläubigen den Krieg erklärt hat? Der Abbau der weltweiten sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheiten wäre tatsächlich das Schlüssel-Element, um all diesen Gewaltherrschern, Terroristen und Warlords etwas entgegen zu setzen. Schöne Worte und Absichtserklärungen gibt es dazu sogar von Jungker, dem amtierenden Präsidenten der EU-Kommission, der beim Gipfel in Elmau sagte:

Wir brauchen Mindeststandards bei Arbeit und Umwelt. Es kann nicht so bleiben, dass wir unseren Wohlstand gründen auf Sozialdumping in anderen Erdteilen. Dieser perverse Prozess muss zu einem Ende gebracht werden.

Würde das umgesetzt, wäre das zwangsläufig ein „Wohlstandsverlust“ auf unserer Seite. Wie viele wären dazu wohl bereit?

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