Claudia am 01. Oktober 2015 —

Liebe verstreuen, Weisheit vermitteln

…eigentlich ist es DAS, was ich am liebsten tun würde, womit ich meine Zeit gerne verbringen würde. Das hätte die höchstmögliche Sinndichte und macht auch die größte Freude.

Ist ja nicht so, dass ich gar nie dazu komme! Aber doch zuwenig. Viel zuviel Zeit und Energie fließt in „Brotarbeit“ – keine schlechte Arbeit, sehr korrekt bezahlt von wirklich tollen Auftraggebern, deren Unternehmungen und wie sie sie betreiben ich richtig gut finde. Sogar thematisch in meinem Interessensspektrum (Stichwort Garten), ich habe keinen Grund zur Klage.

Und doch: Um wirklich rüber zu bringen, was meine Erfahrung mir ermöglicht, braucht es ein noch freieres Schreiben. Damit meine ich nicht die hierzulande (!) weitgehende Freiheit, hier in meinem Blog inhaltlich schreiben zu dürfen und zu können, was ich schreiben will (über die Hinderungen auf dieser Ebene hoffentlich mal demnächst! Auch so ein Thema, das Zeit bräuchte…).

Sondern die FREIE ZEIT, mich diversen konkreten Themen ausgiebiger widmen zu kömmen, um sie so zu durchdringen und darzustellen, dass Andere wirklich viel davon haben. Also weit mehr als nur „meine Meinung“!

Die „freie Zeit“, die das braucht, ist eben nicht gleich der sogenannten „Freizeit“. Es ist genau die Zeit, die ich jetzt damit zubringe, Inhalte für Andere zu erstellen – nicht für den „großen Anderen / die große Andere (und gern auch für das transqueere Sternchen *) – sondern entlang an den Inhalten, die für die jeweilige Produkte-Welt angesagt ist.

Damit könnte man nun das Thema depressiv abschließen. Allerdings: Bisher hab‘ ich nicht wirklich ausprobiert, ob es nicht doch Möglichkeiten gibt, für solche „Leuchtturm-Artikel mit Herzblut“ eine Finanzierung hinzubekommen…

Eine Liste, über was ich gerne schreiben würde, könnte ich immerhin mal anlegen, um der Idee eine Chance zu geben.

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Diskussion

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34 Kommentare zu „Liebe verstreuen, Weisheit vermitteln“.

  1. Das mit der „uneingeschränkten Liebe“ erinnert mich an eine Zeit vor 11 Jahren, als mein schwerkranker Bruder auf einmal nur noch beseelt schien, sein Umfeld „zu heilen“. Das gab offenbar Sinn. Das führte von ihm weg, so mein Gedanke. Das befriedete ihn.
    Viele, die den Mut hatten, beistehen zu wollen, gingen ihrerseits beschenkt nachhause.
    Wenn man das so bedenkt, dann fragt man sich, wieso man im Alltag statt Bissigkeit nicht auch mal Gelassenheit und Liebe zeigen könnte, zumindest ein paar Pfund mehr als sonst!.

  2. „Bisher hab‘ ich nicht wirklich ausprobiert, ob es nicht doch Möglichkeiten gibt, für solche „Leuchtturm-Artikel mit Herzblut“ eine Finanzierung hinzubekommen…“.
    Auf den Versuch kommt es an…

  3. Danke Gerhard! Solche Erlebnisse mit Menschen, die dem Tode nahe sind, hab ich schon öfter gehört und finde es sehr schön, dass es diese Verwandlung als „Besinnen auf das Wesentliche“ bei vielen dann doch noch gibt.
    Aber wie schade, dass wir im Alltag so wenig dazu kommen!

  4. @Claudia: Muss einem erst die Not im Nacken sitzen? Ganz merkwürdig!

  5. „Not im Nacken“ macht m.E. nicht gerade liebevoller – eher im Gegenteil bröckelt dann schnell der zivilisatorische Lack!

    Es ist eher das komplette Loslassen jeglicher Ego-Interessen (weil sinnlos angesichts des Todes), das zur spirituellen Veränderung führt.

  6. Dass wir im Alltag sowenig dazu kommen, liegt eben daran, dass es der Alltag ist. Den sicheren und nahen Tod zu spüren ist eben keine Alltagserfahrung. Und das ist auch ganz gut so. Es scheint an diesem speziellen Lebensabschnitt zu liegen, dass Menschen jegliche „Ego-Interessen“ loslassen. Es gibt daneben auch noch eine ganze Menge anderer Lebensabschnitte, in denen sich der Mensch (viele, die meisten, in der Regel) in einem bestimmten „Bewusstseinzustand“ befindet, der aber eben beschränkt ist auf diesen mal kurzen, mal längeren Abschnitt. Manchmal zum Glück, manchmal leider. Ändern lässt sich das nur schwerlich. Alles zu seiner Zeit.

  7. Leuchtturm-Artikel. Dieser Ausdruck ist ein wohlfeiler, wie ich finde.
    Themen könnten sein?
    Gruß von Sonja

  8. @Claudia, Not im Nacken empfand mein Bruder natürlich sehr und er hatte auch keinesfalls losgelassen vom Leben, sondern hielt es im Gegenteil für gut möglich, zu überleben. Kampf war angesagt. Allerdings: Egospielchen gab es da viel weniger und er machte immer viel Raum auf, wenn man zu Besuch kam..schon interessant, wenn man selbst kaum mehr Raum HAT.
    Brendans Erklärung finde ich ganz sympatisch und treffend.

  9. [..] Es ist eher das komplette Loslassen jeglicher Ego-Interessen
    [..] (weil sinnlos angesichts des Todes), das zur spirituellen
    [..] Veränderung führt.

    aaaah. woher kenne ich das bloß?

    es reicht schon, wenn man das klare bewusstsein seines eigenen endes zuläßt, um dramatische dinge zu tun. aber, die dinge, die du da ansprichst, die sind, wenn man sie weitergeben will, einem kleinen kreis von menschen vorbehalten, dem man in dem moment auch in die augen gucken und … entscheidender … für das, was man tut, dann auch die verantwortung übernehmen kann. ich tue mir sehr schwer, darüber öffentlich zu reden, claudia, noch möchte ich einen artikel lesen geschweige denn einen schreiben, in dem das thematisiert wird.

    ich habe das ja im letzten jahr getan, wie du weisst, und saß bis eben noch bei einem eher mauen earl grey im gespräch, wir resümieren und sprachen über die angewandten „handgriffe“. summe: wir sind die geschichten, die wir uns und die, die uns andere über uns selbst erzählen. das ist das ganze geheimnis

    aber das funktioniert nur, wenn man für den anderen eine be-greif-bare person ist. wenn wir nur eine abstrakte person im netz sind, befürchte ich, daß wir nichts erreichen können und den anderen eher in die irre führen.

    ich bin also dem gedanken gegenüber sehr skeptisch, das für eine größere menge zu tun. frau wang sträuben sich die haare bei der vorstellung, demnächst in berlin (ich sag bescheid, wenn sie da ist …) seminare über teekultur mit 20 menschen abhalten zu sollen, das sind ihr 15 zu viel.

    wir waren auch ganz entschieden irritiert von der überlegung, wie das ist, wenn man sich selbst in eine wahrnehmbare postion bringt und sich der gefahr aussetzt, anzufangen, sich selbst in der rolle zu gefallen, anderen diese inhalte zu vermitteln … nein, das gespräch hatte nichts mit deiner post zu tun, die habe ich gerade erst gelesen und fand die „koinzidenz“ interessant … wegen, siehe oben, der verantwortung für das, was der andere daraus machen könnte, wenn wir nicht am nächsten tag weiter mit ihm reden können.

    wenn du etwas weitergeben willst, dann denen, die um dich sind und wo du wirklich die volle verantwortung übernehmen kannst. ich hab’s gerade getan und ich denke mal, ab januar hast du die gelegenheit, mit ihr einen tee zu trinken – und zu gucken, was ich da bloß „angerichtet“ habe ;-)

    nicht mein „verdienst“, versteh mich nicht falsch, und ich habe wahrscheinlich mehr bekommen, als ich gegeben habe, eher ein plädoyer für intimität, wenn man solche dinge bespricht.

  10. [*] das ist das ganze geheimnis

    naja, das ganze ist, die eine geschichte, die einen auf den boden zerrt, durch eine zu ersetzen, die es einem erlaubt, zu fliegen. manchmal kann das nur ein anderer machen. ;-)

  11. @Hardy, wenn ich Dich jetzt in Deinen Ausführungen richtig verstanden habe, bist Du zum Netzskeptiker geworden:
    „ich bin also dem gedanken gegenüber sehr skeptisch, das für eine größere menge zu tun.“
    „einem kleinen kreis von menschen vorbehalten, dem man in dem moment auch in die augen gucken“ kann.

  12. gerhard, ich mag das netz immer noch, aber …

    wir reden hier ja nicht über weisheiten wie „die merkel ist doof“. wir reden über „angelegenheiten des herzens“.

    wenn ich was – wo auch immer poste – und das ist ein öffentlicher ort, dann lesen das leute, die einerseits nix besseres zu tun haben, als das, was andere machen, per se blöde finden, weil sie selbst nix tun und einfach ihren frust loswerden wollen. das ist schon mal per se blöde, der zeitaufwand, dinge zu erklären, die der andere gar nicht erklärt haben will.

    das zweite, habe ich oben ja mehrfach gesagt, ist so etwas wie „verantwortung“.

    machen wir mal ein einfaches beispiel: du gehst zu einem psychologen, einmal die woche 45 minuten. dann gehst du raus und musst jetzt mit dem zurechtkommen, was du gerade verstanden hast. in einer woche geht’s dann weiter. ich habe gerade die erfahrung gemacht, wie schön es sein kann, wenn der andere am nächsten tag sagt „ich habe da noch einen gedanken, können wir mal drüber reden?“ und eben nicht alleine ist. wir haben hier manchmal 14 stunden (kein scherz) gesessen und geredet …

    das öffentlich zu machen heisst, die verantwortung zu übernehmen für etwas, was man so nicht „kontrollieren“ kann. du sagst etwas, was den anderen in seinen grundfesten erschüttert … und er ist alleine mit sich?

    möchte ich nicht „anrichten“, so was.

    das netz ist kein ort für so was. ein zimmer mit einem teeschiff, ein köstlicher longjing oder ein zarter china white tea, eine lange nacht auge in auge, okay. auch wenn ich da nicht wirklich „kontrollieren“ kann, was aus der nacht und dem gespräch wurde, wir hatten halt nur die eine ;-)

    wie gesagt, wie’s der „zufall“ so will, haben wir gestern genau über das thema hier gesprochen und waren uns einig: zu viele gefahren. man fängt an, sich selbst zu wichtig zu nehmen, man sieht nicht, was bei dem anderen in gang kommt und kann es nicht auffangen. das ist uns, da waren wir uns sofort einig (wir sind uns fast immer schnell „einig“, zwei dàoisten unter sich, wie sollte das anders sein), einfach zu heikel, während das, was hier ein jahr lang passierte, gleich mindestens zwei menschen bereichert hat, von denen, die ab und an mal mit uns saßen, ganz zu schweigen. das geht nur so: zwei, drei, maximal vier leute. stille.

    meine mittlere saß mit einer berliner freundin mit uns zum tee und hat plötzlich _mich_ gesehen und nicht mehr „nur“ ihren papa zb. wirklich, für mich gibt es da nur diesen einen weg, der ist „auge in auge“ und vor allem sehr still und ruhig.

    ich versuch’s mal noch mal so: viele dinge, die man sagt, sind für den anderen abstrakt. du sagst „meditation“ und der andere fängt mit irgendsoeinem ritualkram an, weil er das praktische sich in etwas wie geschirrspülen versenken nicht versteht oder es geringschätzt. oder es eben ritualisiert. meine gesprächspartnerin fand sich jedenfalls zb. in einer runde wieder, die vor der teezeremonie meditierte … und saß da, ihre augen wanderten umher, trafen sich mit denen eines anderen, der auch von der förmlichkeit genervt war und hielt halt tapfer aus. weil, ahem, sie im grunde _immer_ in diesem zustand von „achtsamkeit“ ist und das ritualisierte sie nervt. wenn sie tee aufgiesst, dann ist da kein „bling bling“, da sind einfache, schlichte dinge, dazu bedarf es keines „trärä“.

    nur – wie vermttelst du so was in einem text?

    das muss man sehen, teil davon sein. so wie man in dem moment sich selbst auch nicht bewertet oder an regeln gebunden sehen darf, wenn man die ersten zaghaften schritte geht. viele sind einfach nur abgenervt, weil sie denken, sie müssten dieses oder jenes tun, denken, sie machen alles „falsch“ oder erwarten wundersame dinge, die dann zu ihrem frust nicht eintreten, also schmeissen sie hin.

    das alles geht nicht online, gerhard, das geht, wenn wir in einem raum sitzen, tee trinken, uns „gehen lassen können“ und leise miteinander sprechen.

    ich hoffe, das half, obwohl öffentlich gesagt, beim verständnis.

  13. ach ja, falls ich „esoterisch“ klinge: weit gefehlt, ich bin ein dicker alter mann, der katzen streicheln für meditation hält und „fear of the walking dead“ guckt, und wenn er schon mal was zum nachdenken anregendes postet, lieber nur einen kleinen sinnspruch, ein zitat, ein bild oder einen ausschnitt aus dem dàodejing postet und das denken dem anderen überläßt ;-)

  14. Danke Euch für die Vertiefung des Themas, das ich aus einem gewissen Frust heraus nur oberflächlich angerissen habe! Angesichts der Weiterungen, die es nun erfahren hat, möchte ich differenzieren:

    Einerseits stelle ich mir Artikel vor, die eine „Zeit des Gebärens“ brauchen, die etwas umfassend, entlang an meiner Erfahrung und dem, was „die Welt“ dazu meint, darstellen. Das sind nicht zwangsläufig spirituelle Themen (jedenfalls nicht auf den ersten Blick), sondern kann sich auch um Dinge drehen wie „Vom interaktiven Gärtnern / Kommunikation mit Pflanzen“ u.ä. – also durchaus „Sachthemen“ nur eben tiefschürfender als das, was ich üblicherweise bezahlt bekomme, wenn ich „im Auftrag“ schreibe. Das ist der Bereich, in dem ich durchaus Chancen sehe, auch mal „Leuchtturmartikel“ finanziert zu bekommen.

    Das andere sind „freie Herzblutartikel“, die natürlich nicht „finanziert“, bezahlt oder „im Auftrag“ entstehen können. Davon hab‘ ich früher, als ich noch mehr FREIE ZEIT hatte, doch einige geschrieben – z.B.

    Zu sowas komm‘ ich heute gar nicht mehr! Es ist aber wohl diese Art Artikel, von der Hardy meint, man könnte/sollte sie gar nicht schreiben, sondern die je eigenen Erkenntnisse nur im Gespräch weiter geben.

    Wer wie ich keine Kinder (und deren Freunde) hat, hat nicht wie du, Hardy, die Gelegenheit, das sporadisch oder gar 14 Stunden am Stück zu tun!
    Also schreibe ich auf, was mich bewegt – sowohl wenn es um die eigene „Suche“ geht als auch, wenn ich vermitteln will, was ich erfahren habe, bzw. was für mich das Wahre, Gute und Richtige ist.

    „das öffentlich zu machen heisst, die verantwortung zu übernehmen für etwas, was man so nicht „kontrollieren“ kann. du sagst etwas, was den anderen in seinen grundfesten erschüttert … und er ist alleine mit sich?“

    Ich war auch immer alleine mit den Texten, die ich gelesen habe. Und darunter waren wirklich tolle, tiefe, erschütternde und bereichernde Texte! (Mit 15 hab ich angefangen mit Freud und gleichzeitig Suzuki, Zen und so)
    Es hat mir nie geschadet und wenn ich das dringliche Bedürfnis hatte, mich darüber auszutauschen, hatte ich Freunde, mit denen ich das „besprechen“ konnte.
    Was ich aber auch feststellte: Richtig gute spirituelle Bücher vermitteln immer eine andere / neue Botschaft, wenn man sie in Abständen von 5 oder 10 Jahren wieder liest! Es kommt nämlich auf den Leser/die Leserin an, WAS von einem Text verstanden wird – und je nach Lebenserfahrung/Entwicklungsstand kann sich das drastisch ändern.

    Beispiel: der vielfach zu lesende Rat in solchen Bücher, das „althergebrachte Wissen“ bzw. die eigenen festgefahrenen Überzeugungen loszulassen, hab ich in jungen Jahren begeistert „unterschrieben“. Aber erst in einem fortgeschrittenen Lebensalter nach einigem Scheitern gemerkt: es war genau MEIN „Wissen“, also das, was ich in jenem Zeitpunkt für „wahr, gut und richtig“ hielt, was mit dem „Loslassen“ gemeint war. Ich hatte das in meiner wilden Jugendzeit aber als Absage an das „Wissen“ der Elterngeneration verstanden – und da war ich natürlich gern dabei! :-)

    Kurzum: Ich fühle mich NICHT verantwortlich für die Leser. Es ist ihr Ding, was sie von dem, was ich schreibe, verstehen. Und anders als in alten Zeiten gibt es heute ja sogar die Möglichkeit, zu kommentieren, zu diskutieren, mich persönlich anzuschreiben (was immer mal wieder Leute taten).

    Meine Klage in diesem Posting bezieht sich darauf, dass ich die Zeit und Muße nicht mehr finde, Texte zu schreiben, die meinem eigenen Anspruch als „Vermittlung im besten Sinne“ genügen. Ich werde auch keine Rente bekommen, die mir die Zeit gibt. Das ist schade… aber hey, wenn das Bedürfnis da ist, finde ich schon einen Weg!

    Spätestens, wenn ich mal eine „finale Diagnose“ bekomme…

  15. @claudia

    [..] Ich war auch immer alleine mit den Texten, die ich gelesen habe.
    [..] Und darunter waren wirklich tolle, tiefe, erschütternde und
    [..] bereichernde Texte!

    das hat frau wang eben auch so gesagt, ich nehme das also mal als berechtigte kritik an. ich hatte meinem einwurf allerdings die explizit andere situation im internet vorangestellt: das ist einfach ein anderes medium und die lektüre all der guten bücher, die wir so hinter uns hatten, vollzog sich ja in einem eher meditativen und auf das buch fokussierten zustand. das internet und sein konsum sind aber anders gelagert, das sehen wir doch beide: menschen bilden blasen, in denen nur noch das richtig ist, was vorher schon richtig war und falsch, was vorher war.

    ich weiss, du wirst mir jetzt wieder verallgemeinerung vorwerfen und auf die einzelnen verweisen, die sehr wohl …

    [..] Es kommt nämlich auf den Leser/die Leserin an, WAS
    [..] von einem Text verstanden wird

    so ist das, weshalb ich zb. auch auf die aktuelle rezeption eines textes nicht viel gebe und ihn lieber mal reifen und wirken lasse.

    [..] Aber erst in einem fortgeschrittenen Lebensalter
    [..] nach einigem Scheitern gemerkt …

    ich hatte da auf der fahrt zum festival nach püttlingen mit meinem „blutsbruder“ ein interessantes gespräch, in dem wir zur einsicht kamen, daß man die gesetze erst mal kennen müsse, um sie abzulehnen. oder, oton nach dem einzug hier „oh, ich streiche das zimmer orange“ „papa, streich’s weiss, dann wirkt der raum größer“ „liebes, erwachsen war ich schon …“.

    es ist das eine, immer kind sein zu wollen, aber ich befürchte, man muss erst mal erwachsen werden, um dann wieder in diesen zustand zurück zu streben.

    ich denke mal, das war das, was du sagen wolltest und stimme dem explizit zu

    während …

    [..] Ich fühle mich NICHT verantwortlich für die Leser

    ich mir damit unfassbar schwer tue und das dürfte auch der grund sein für meine eher „kryptische“ und „hermetische“ art, texte zu schreiben. ich fühle mich verantwortlich, wenn ich so was tue, ich bin stinksauer auf (sagen wir mal) fefe oder niggi, die immer auf das negative, das was sie denken kritisieren zu müssen, fokussieren aber nie mal ein gutes wort finden. ich ehre meine leute und knutsche so jemanden wie (sagen wir mal) martina schulte zb. schon mal gerne ab. weil man einfach ab und an auch mal was gutes sagen muss.

    wenn man sich verengt, verengt man auch den leser. der wird sich (wir sind hier im internet und nicht im stillen kämmerchen, bitte mach auch du diese unterscheidung, das sind zwei verschiedene paar schuhe) nur das ihn affirmerende rauspickt. die „gedankenautobahn“, „drive by reading“, keine atempause, geschichte wird gemacht, was interessiert mich mein mist von gestern?

    ich nenne das ergebnis das „AFD-syndrom“. da hat einer einen punkt, den er kritisieren möchte, gewinnt anhänger, aber die benutzen ihn bloß als brandbeschleuniger. niggemeier zb. zieht sich so eine art ÖR/GEZ-kritiker heran, erklärt aber nie, warum er zb. den ÖR nützlich findet. am ende hat er leute radikalisiert, was vielleicht so wenig in seiner absicht lag, wie in der des AFD gründers am ende papa einer rechtsnationalen partei gewesen zu sein. wofür er natürlich auch keine verantwortung übernimmt.

    ich bin da wirklich, wirklich, wirklich ganz anderer ansicht als du. ich bin eher „gehemmt“ und kann zwar sagen „das bin ich. so mache ich die sachen.“ aber ich scheue mich zu sagen „mach du sie mal lieber so“.

    das ergibt den interessanten effekt, daß andere denken, ich sei ein selbstverliebtes arschloch (naja, könnte sein, bin ich manchmal schon) aber das „wu wei“, das nicht getane, übersehen … ist ja einfacher, mich als eitel zu sehen als … naja, einfach zu sagen „also ich mache es so und so, das ist meine sache“. ich denke halt, es geht darum, das inviduum in seiner vielfalt zu fokussieren und weniger, sich hinter kommentaren zu dem zu verstecken, was einem die medien so als gesprächsthema vorgeben. aber, naja, ich schweife ab.

    ich finde auf jeden fall schon, daß man als blogger eine verantwortung trägt. daß das, wie vieles andere, nicht diskutiert wird, damit muss ich leben und jammere nur noch still darüber, dinge zu sehen, die andere (noch?) nicht sehen.

    [..] Meine Klage in diesem Posting bezieht sich darauf, dass ich die
    [..] Zeit und Muße nicht mehr finde, Texte zu schreiben, die meinem
    [..] eigenen Anspruch als „Vermittlung im besten Sinne“ genügen

    lou rat-fischer hat mir da mit ihrer „Série Méandres et Humanimal „ auf die sprünge geholfen, meine sachen besser zu verstehen (wir sind ja die geschichten, die andere …). die setzt den stift an und zeichnet ohne absicht. natürlich macht sie das geschickter und künstlerischer als ich und wirft wahrscheinlich 90% weg, während ich ja alles raushaue.

    wir sind so an dieses denken gewohnt, etwas „ordentliches“ zu machen, weil wir uns (auch und gerade von uns selbst) „bewertet“ fühlen. ich weiss nicht, ob ein „ordentlicher“, (für alle) gut lesbarer text wirklich ein ziel ist, ich habe das jedenfalls aufgegeben und es ist mir egal geworden, wer „bewertet“, weil ich nicht weiss, ob der überhaupt die kompetenz hat, das zu tun.

    bitte versteh‘ das als aufforderung, deine gedanken fliessen zu lassen und dich nicht schon selbst während des tuns zu bewerten. von frau wang habe ich die idee des „zweiten gedankens“ mitgenommen: wir haben immer einen zweiten, der uns dazu bringt, vorauseilend alles durchdenken zu müssen, was wir tun. wir schielen immer auf die bewertung und das hemmt uns, dinge einfach zu tun. sich in einen bus zu setzen ohne plan etwa und zurück zu kommen und alles aufs feinste vorgefunden zu haben, wonach man vorher nicht mal gesucht hatte.

    „das kälbchen weiss nichts vom tiger. und deshalb kann es überall ohne furcht hingehen“. das müssen wir alte rindviecher oft wieder neu lernen ;-)

  16. ps;

    [..] Richtig gute spirituelle Bücher

    die beiden frauen haben sich gerade in eckhart tolle verliebt und lesen ihn nun in deutsch und in französisch. von dem habe ich das „ich hatte viele zn meister. die meisten davon katzen“ übernommen und, phhhhhhhtttt, li dé (力 德) ist so ein sanfter und entspannter meister

  17. Eckhart Tolle ist richtig gut, ich mag vor allem die Gesprächsreihe mit Oprah Winfrey.
    Das was Claudia sagte, daß man durch Bücher, wenn man sie mit etwas Abstand neu liest, bereichert wird, das erfahre ich auch bei Tolle. Den packe ich mal ein, zwei Jahre nicht an und dann widme ich mich ihm wieder ein Stück.

    Im übrigen kann ich Hardy beipflichten: Die tollen Gespräche, die tiefer gehen und longlasting Effekte haben können, die finden am Tisch mit dem Partner statt, oft nach keramischer Arbeit tiefnachts, mit einem Glas Rotwein in der Hand. Oder im blossen Abgucken/Bestaunen des anderen, wie er gedanklich und auch sonst das Leben angeht. Das wirkt, auf eine bestimmte Weise und kann uns ändern.

  18. Nachdenkenswerte Einlassungen, danke dafür!

    @Gerhard: Persönliche Gespräche mit Nahestehenden sind auch für mich weit „ergiebiger“ und beglückender als das Lesen eines Textes im Netz. Das sind zwei ganz unterschiedliche Lebensbereiche und Kommunikationsweisen, da man ja immer gleich Resonanz sieht, auch wenn sie nicht ausgesprochen wird.

    @Hardy: lesen diese jungen Menschen, mit denen du zu tun hast, denn noch Bücher? Und: Lesen sie E-Books am Reader?

    Ich denke grad mal neu drüber nach, ob ich „Buchform“ nochmal in Betracht ziehen soll… :-)

    Was du über die Rezeption im Internet sagst, stimmt zu weiten Teilen. Aber es gibt eben auch Ausnahmetexte, bei denen MEHR rüber kommt bzw. drin ist als nur Futter für die eigene Meinung. Es ist auch nicht die Bewertung durch Andere, die ich im Kopf habe, wenn ich sowas schreibe, sondern meine eigene Bewertung im Sinne von: ist es mir gelungen, verständlich rüber zu bringen, was ich vermitteln wollte?

    Der Text Vertrauen und Beziehung ist ein gutes Beispiel, der gehörte vom Start weg (2007) bis heute (!) zu den 10 meistgelesenen und meistkommentierten – und in den Kommentaren kann man sehr gut sehen, wie er doch einigen Menschen „was bringt“, und ebenso einige Andere, die diverses missverstehen, das aber auch kommunizieren. Und natürlich gibt es die mit gefestigter anderer Meinung/anderer Erfahrung, die sich aber ebenfalls auf den durchaus kontroversen Text einlassen… ein schönes Erlebnis, vielleicht das Beste, was ich mit einem Text je erreicht habe.
    Hätte der nun besser nicht geschrieben werden sollen? Mir ist der Text wichtig, weil ich da – sozusagen abschließend (und in unausgesprochener Rückschau auf manche Jugend-Liebe) – meine Sicht auf allzu symbiotische Beziehungen rüber bringen konnte – und viele haben das ja offenbar auch verstanden.

    Mein Ex-Yogalehrer (Jg 1934, also 20 Jahre älter als ich) hat in den späten 90gern damit angefangen, zu allen Themen, die ihn im Leben angesprochen haben, dicke Scripte zu verfassen. Die hat er an Schüler und Studies verteilt… und ich erinnere seine Worte, als er mal wieder eines rüber gab: „Nun ist das auch erledigt“.
    Vielleicht ist es dieser Impuls, der mich antreibt: zu diesem und jenem ein persönliches Fazit zu verfassen – und dann einen Haken drunter zu machen.
    Das ist aber vielleicht ein Bedürfnis, das nur „immer schon Schreibende“ haben…

  19. @Claudia, ja, Dein Text dort (Vertrauen u Beziehung) ist hervorragend und wird (aus techn. Gründen, die ich nicht ganz verstehe) immer wieder angeschaut.

    Ich selbst kann mir nicht vorstellen, ein Fazit zu hinterlassen. Für wen?
    Es gibt ja immer wieder solche Bücher über letzte Gedanken. Ich weiß nicht, ob die nütze sind.

  20. Wieso „aus technischen Gründen“? Die Leute kommen über Suche bei Google und über Links anderswo – meintest du das?
    Zu „letzten Gedanken“ ist es – hoffentlich – noch ein bischen hin! :-) Aber es gibt durchaus Themen, die für mich „durch“ sind – da ginge das mit dem „Fazit“.
    Du bist ja jemand, der nicht immer schon schreibt, was ihn bewegt – es wundert also nicht, dass du dir das für dich nicht vorstellen kannst. Den Beziehungstext jedenfalls fanden viele „nützlich“ – sowas ist für mich als Schreibende immer wieder Ansporn und Motiv, mich mitzuteilen.

  21. @Hardy: grade sehe ich, dass Niggemeier sich redlich bemüht, gegen die „Stimmungskipper“ und Radikalisierungen anzuschreiben:
    Terroristen unter Flüchtlingen? Wie man mit Fehlalarmen Alarm schlägt

  22. Claudia,dies ist ein Missverständnis. Ich führe seit etwa 20 jahren Tagebuch. Mache mir einer das nach!😊

  23. Und über Google Suche fand ich auch einst zu dir

  24. spät dran, ich musste gestern mal was für’s „weltkulturerbe“ tun ;-)

    [..] lesen diese jungen Menschen, mit denen du zu tun hast,
    [..] denn noch Bücher? Und: Lesen sie E-Books am Reader?

    igitt. die lesen bücher, claudia. hier kam unlängst ein ca 50 cm hoher stapel an, chinesische, eines mit einem handgemalten autogramm eines taiwanesischen dj, der frau wang anregt, sich durch pink floyd und the doors zu hören.

    edie lieben das haptische und sind uns näher, als wir das so ahnen, wenn man denkt „30, die machen sicher den ganzen quatsch, den junge leute machen“. nein, die sind eher so drauf wie wir und – was lou betrifft – verbringen schon mal einen monat in einer kommune, um bei der ernte zu helfen … ohne internet.

    [..] Aber es gibt eben auch Ausnahmetexte

    auch wir zwei sind uns näher, als es manchmal den anschein hat. du sagst es selbst: „ausnahme“. ich habe tolle texte im netz gelesen, aber ich bin alt und kann für mich selbst entscheiden, ob und was ich damit anfange. im moment zb. taste ich mich vorsichtig in den PsychonautDE reddit rein und achte drauf, daß ich nicht „reklame“ mache.

    [..] Hätte der nun besser nicht geschrieben werden sollen?

    bitte, claudia, nicht missverstehen, was ich sage. ich habe deine texte ja gelesen und fand sie schön, mach dir da bitte mal keinen kopp. ich versuche, eine paar grundsätzliche gedanken auszubreiten, das ist keine kritik an dir, deinem vorhaben oder dem, was du bislang getan hast – es sind einfach ein paar überlegungen, die ich persönlich einbringe und erzähle, wie ich auf so was komme, eben durch das, was mir so passiert und welche konsequenzen ich daraus ziehe. es sind zt. dinge, die ich so vor fast 30 jahren, als ich noch „unter den menschen“ und ein ziemlich bekannter bunter hund war, dem leute ihr verhalten abguckten … und dabei dann nicht da landeten, wo ich sie gerne gesehen hätte. da war dann zt. auch nichts mehr zu retten, wenn ich konsequent „vorbildlich“ handelte und zb. das koks auf dem tisch bewusst nicht wegschnüffelte, weil ich befürchtete, mal „vorbild“ gewesen und mit verantwortlich zu sein. was ih btw. nicht war, wie mir alte freunde dann vor 2 jahren erklärten, aber ich habe lange mit mir selbst gehadert und bin da ein bißchen empfindlich. die alten freunde sagten das, was du sagst „jeder ist am ende selbst verantwortlich, was er missverstehen will und was er wie tut. da hättest du niemand von abhalten können“. mein „exemplar“ landete am ende jeden monat einmal auf dem dach, wo ihn die feuerwehr runterholen musste. ich hoffe, du verstehst meine „empfindlichkeit“ in diesem punkt jetzt besser, es ist die erfahrung, das gefühl von „verantwortung“ und das, versagt zu haben, weil ich eben nicht „dabei war“, wenn das, was ich sage, faule früchte trägt.

    [..] „Nun ist das auch erledigt“.

    damit habe ich gestern angefangen, ein paar dinge auf archive.org abzulegen, die ich vor mir her schiebe.

    @gerhard

    ich mag einfach die idee, nachher auch noch da zu sein und ein thema wirklich auszuloten, die verantwortung zu übernehmen. im moment gucke ich auf ein jahr, in dem ich das so getan habe, daß ich selbst mit mir im einklang bin und sehe, wie das ergebnis ist. jetzt muss ich nur noch loslassen können ;-)

  25. @gerhard

    [..] Ich führe seit etwa 20 jahren Tagebuch. Mache mir einer das nach!😊

    oh, jetzt müssen nur noch albert einstein und andere auf deiner couch sitzen wie bei
    Harry Graf Kessler, der von 1880–1937 tagebuch führte und bei dem du die geschichte der zeit incl. aller nennenswerten namen nachlesen kannst. oder Samuel Pepys, der solche sachen sagt wie „gestern war ich in dem neuen stück von diesem herrn shakespear und habe mich gelangweilr“, wenn er nicht mal vom ausbruch der pest oder der verheerenden feuersbrunst, die london dahin rafften berichtet … oder von seinen amourösen abenteuern, die erschön in zig sprachen verschlüsselte, das tagebuch dann mitten in seine bibliothek versteckte, wo es dann zwei hundert jahre später entdeckt wurde. es ginge auch noch Nicolas Edme Restif de la Bretonne, der 1001 nächte durch ein paris spazierte, in dem dann plötzlich die revolution ausbrach.

    ich liebe tagebücher. aber ich selbst führe keins. ;-)

  26. @hardy,danke!
    Im Grunde führte ich immer schon Tagebuch, seit knapp 20 Jahren aber regelmaessig. Es gab anfangs gute Motivation: Mir zu zeigen, dass mein leben reich ist, mir über Dinge klar zu werden und Liebe zur Sprache zu leben. Jetzt führe ich es eher routinemäßig weiter…dennoch habe ich mir immer noch was mitzuteilen. Es ist auch wenig Aufwand.

  27. [..] dennoch habe ich mir immer noch was mitzuteilen

    ich will dich nicht davon abhalten. als meine älteste anfing, mit 12 eines zu schreiben, habe ich sie gefragt, ob sie das dann später sekbst auch mal lesen und wenn ja, ob sie es dann auch mögen wird, wem sie dann da begegnet. meine aus den 70ern waren eher ein einklebebuch für konzert & kinokarten, und, schande, wasserstandsmeldungen, wie oft ich sex hatte. gedichte & gedanken habe ich schon damals zwanghaft in selbstverlegten zeitungen rausgehauen: die hermetische garage: URKS: local blogging late 70ies style. ich weiss nicht, ob das jetzt „cool“ oder eher erschreckend ist, daß ich meine meinungen auch 40 jahre später in vielen dingen kaum verändert habe ;-)

    bloggen ist ja im grundeauch so was wie tagebuch schreiben, im grunde denke ich sogar, daß bloggen nur dann wirklich „gut“ ist, wenn man das so handhabt. wen interessieren schon, was man zu dingen zu sagen hat, über die sich schon hunderte geäußert haben. da noch eine eh kaum abweichende meinung drauf zu legen ist nicht wirklich spannend.

  28. Das mit dem Tagebuch für die Schublade war nie mein Ding. Keine Ahnung, warum eigentlich! Irgendwie hat es mich nicht gereizt, schriftlich mit mir selbst zu reden, ohne irgend eine Leserin / einen Leser. Denn das mache ich ja doch im Kopf mit mir alleine – warum es hinschreiben?

    Zum Schreiben „über alles, was mich bewegt“ bin ich mittels Briefen an meinen Yogalehrer gekommen. Der hat ja nicht nur Übungen vermittelt, sondern immer auch Reden gehalten, während wir da lagen und entspannten… über verschiedene Aspekte von Yoga und seine Sicht auf alles… Und meine Briefe waren die Resonanz auf diese Reden, aber auch Berichte über mein Leben, mein aktuelles Befinden und Denken in den angesprochenen Kontexten.

    Irgendwann merkte ich: Es braucht IHN nicht mehr als Adressaten – meine Briefe sind lange schon Texte, die gut für sich stehen können.

    Hab mal in der Festplatte gewühlt und veröffentliche jetzt einen als Beispiel.

  29. Eine spannende Unterhaltung lese ich aus Artikel und Kommentaren heraus, was mich zu ein paar (leider ziemlich pessimistisch ausgefallenen) Gedanken anregte, da hier zwei Menschen, die ich für intensiv ‚mit dem Netz verbandelt‘ ansehe, durch ihre je eigene Sicht des ihnen Gemeinsamen dieses mir in wichtigen Punkten erstaunlich verschieden von meiner Sicht auf die weitere Entwicklung des Netzes erscheinen lassen.

    Hardy sagt:

    wir sind die geschichten, die wir uns und die, die uns andere über uns selbst erzählen. das ist das ganze geheimnis … das funktioniert nur, wenn man für den anderen eine be-greif-bare person ist. wenn wir nur eine abstrakte person im netz sind, befürchte ich, daß wir nichts erreichen können und den anderen eher in die irre führen … wenn du etwas weitergeben willst, dann denen, die um dich sind und wo du wirklich die volle verantwortung übernehmen kannst … das netz ist kein ort für so was … zu viele gefahren. man fängt an, sich selbst zu wichtig zu nehmen, man sieht nicht, was bei dem anderen in gang kommt und kann es nicht auffangen. das ist … einfach zu heikel.

    Claudia kennzeichnet die ihr vorschwebenden Artikel so:

    Einerseits stelle ich mir Artikel vor, die eine „Zeit des Gebärens“ brauchen, die etwas umfassend, entlang an meiner Erfahrung und dem, was „die Welt“ dazu meint, darstellen. … Das andere sind „freie Herzblutartikel“, die natürlich nicht „finanziert“, bezahlt oder „im Auftrag“ entstehen können. … [ich, S.S.] schreibe … auf, was mich bewegt – sowohl wenn es um die eigene „Suche“ geht als auch, wenn ich vermitteln will, was ich erfahren habe, bzw. was für mich das Wahre, Gute und Richtige ist. … Ich war auch immer alleine mit den Texten, die ich gelesen habe. … Es hat mir nie geschadet und wenn ich das dringliche Bedürfnis hatte, mich darüber auszutauschen, hatte ich Freunde, mit denen ich das „besprechen“ konnte. … Es kommt nämlich auf den Leser/die Leserin an, WAS von einem Text verstanden wird – und je nach Lebenserfahrung/Entwicklungsstand kann sich das drastisch ändern … Kurzum: Ich fühle mich NICHT verantwortlich für die Leser.

    Woraufhin hardy antwortet:

    ich fühle mich verantwortlich … wenn man sich verengt, verengt man auch den leser. der wird sich (wir sind hier im internet und nicht im stillen kämmerchen, bitte mach auch du diese unterscheidung, das sind zwei verschiedene paar schuhe) nur das ihn affirmerende rauspickt. die „gedankenautobahn“, „drive by reading“, keine atempause, geschichte wird gemacht, was interessiert mich mein mist von gestern?

    Die von Claudia skizzierte Sicht könnte ‚web 1.0‘ Paradigma genannt werden, da hier das Netz nicht primär als sozialen Tatbestand, sondern als passives (weil technisches) Medium angesehen wird, das erst durch die Art seiner Implementierung seine spezifisch soziale Gestalt erhält. Hier sind folglich die Netzbürger qua ihres individuellen Handelns im Netz selbst für Inhalte und Formen sowie Folgen verantwortlich, so wie sie es in den Anfangszeiten des world wide web waren, als sich ‚technisch-wissenschaftlich‘ ausgebildete oder zumindest einem eher technischen Zukunftsentwurf sich verbunden fühlende User mit stark mittelständisch orientierter Sozialisation zu (scheinbar) herrschaftsfreien ‚elektronischen‘ Diskursen trafen, etwa in Foren, welche zunächst technisch, dann aber rasch politisch ausgerichtet und verglichen mit späteren Verhältnissen sehr übersichtlich waren, weil sie auf gemeinsamen Zielen und Voraussetzungen sowie geteilten Formen der Rede basierten.

    Dagegen steht die von hardy umrissene Haltung, die ich konsequenterweise als ‚web 2.0‘ Paradigma bezeichnen möchte (mit einem heimlichen Grinsen für alle, die darüber nachdenken wollen, wie wohl ‚web 3.0‘ dann aussähe und ob es, einem historischen Vorbild folgend, nicht vielleicht ganz anders benannt werden muß). Sie erweitert (implizit) die Sicht aufs Netz um solche Komponenten einer direkten, sozialen Interaktion, die mir im anderen Bild zu sehr zu fehlen oder zumindest zu wenig betont zu werden scheinen, insofern dort die sozialen Folgen einer Netz-basierten Interaktion eher mit der ins Individuelle zurück genommenen Wirkung von Büchern auf Leser in eins gesetzt werden. Hier dagegen ahnt man, daß Menschen, die eine technisch vermittelte, rechtlich als Kaufakt und im Alltag als (Freizeit-)Konsum organisierte Kommunikation, wird sie zur dominanten Form sozialer Interaktion, eben darin eine sehr andere Form von Ego, genauer des Spiels mit möglichen Identifikationen erfahren (müssen?) als solche, die dieses Spiel primär in klassischen face-to-face Situationen (Familien, peer-groups usw. mit quasi stets auf dem Fuße folgenden Sanktionen, welche das eigene Handeln laufend korrigieren) erleben oder erleben wollen.

    Für mein Gefühl übersehen beide Konstruktionen jedoch zwei wichtige Details.

    Die Erste beachtet mir zu wenig, daß die Nutzer mit der spezifischen Weise ihres Netz-Konsums (die ich persönlich als einen typischerweise ‚guided communication‘ ansehe) die meisten der früher oder später ohnehin obsolet werdenden, unmittelbaren Mechanismen einer Sozialisation und einer Entwicklung persönlicher Identifikationen, i.e. der vielfältig bunt schillernden statt bloß ‚most liked‘ angesagten Seiten eines Ichs, schon längst aus der Hand gegeben haben und beides allein (oder doch zumindest prominent) auf dem Wege des Konsums vorgeformter, ihnen von dritter, zumeist von für sie anonymer Seite frei Haus (respektive frei mobilem Überwachungsgerät aka smartphone et aliae) gelieferter Muster bewerkstelligen.

    Die Zweite übersieht, daß heutzutage Menschen genau das, was ihr Magenschmerzen bereitet (etwa die im Netz fehlende Verantwortung für andere Personen, mit denen kommuniziert wird, was ich als einen wesentlichen Aspekt sozialer Integration ansehe) bereits laufend erleben – und zwar in einer individuellen Intensität und einem kollektiven Umfang, welche mir mehr als nur ein Unwohlsein im Bauch vermitteln, denke ich nur an die Folgen zum Beispiel für ihre individuelle Fähigkeit (und Bereitschaft), in Konflikten einen Konsens zu finden, statt auf Konfrontation zu setzen, ja überhaupt De-Eskalation als bevorzugte Handlungsoption über Eskalation zu stellen.

    Beides hat Konsequenzen für das, was Claudia vermutlich als das große ‚web of talks‘ ansieht, in dem sich eine Gesellschaft ihrer selbst immer wieder neu versichert, während hardy das web, so mein Eindruck, als quantitative Erweiterung kleiner, an sich exklusiver Zirkel einer (leider meist nur selbsternannten) Avantgarde ansieht, welche Vorbild- und Anleitungsfunktionen innerhalb der ihr hinterher trottenden Gesellschaft auszuüben haben.

    Die eine ist, daß Leuchtturm-Artikel, so sie keine Multiplikatoren mit weit reichender Verteilungs-Macht, wie sie nur marktbeherrschende Oligopolisten im Internet besitzen, finden, im Netz ebenso ungehört verhallen wie die Mahnungen der Rufer in der Wüste vordem. In der ungeheuren Masse des Netzes wächst mit seinem Umfang und seiner Komplexität die Macht der Reduktion, und wer sie in den Händen hält (sprich die hierbei zu verwendenden Algorithmen implementiert), der hat nun einmal die Macht, nicht der, welcher sich dieser Regeln nur bedient oder sie stets superschlau ausnutzen zu können meint.

    Das Raunen der Eingeweihten am Lagerfeuer aber verliert, selbst dann, wenn es netterweise als von der Herrschaft der Megaphone befreiter podcast in die Weiten einer stumm staunenden Masse entlassen wird, nichts von seiner autoritär-elitären Beschränktheit und seinem narzißtischen bias, der die Attraktion einer Binnenweisheit für die universelle Wirkmächtigkeit eines großes Wurfes nimmt.

    Das angeblich ‚ganz andere‘ Netz, von dem so viele künden, könnte sich am Ende, fürchte ich, als der atemlose Hase erweisen, der nach seinem rasenden Lauf exakt dort landet, wo sich der Igel in sein um den Profit gekralltes Fäustchen lacht: in einer von wenigen Oligo- und Monopolen (aka Medienkonzerne, Suchmaschinen, Nachrichten-Aggregatoren, soziale Netzwerke et aliae) dominierten Informations-Landschaft, in der aus Milliarden verschiedenen Kehlen ein immer einheitlicher komponiertes Lied von der Welt erklingt und in welcher Zensur sich ’search engine optimization‘ nennt, Propaganda sich als Zwitschern von Trollen verkleidet hat und die gute alte Verlautbarungspresse jeden Tag grellere, buntere Kleider überwerfen muß, damit ihre altgedienteste Falte, die schnöde Affirmation, uns nicht zu sehr ins Gesicht springt.

    Ich selbst weiß kein probates Mittel, wie eine Diversifikation gegen die Uniformität erhalten (oder mittlerweile wohl eher wieder zurück gewonnen) werden kann. Mein persönlicher Eindruck ist der einer gähnenden Langeweile, die eine vielleicht naive Faszination ersetzt hat. Oft genügt mir die url einer website, um schon vorher zu wissen, was nachher dort zu sehen oder zu lesen sein wird. Kommentare verfolge ich so gut wie gar nicht mehr, weil ich es müde geworden bin, bezahlte bots gegen unbezahlte spackos aufzurechnen, bevor endlich einmal etwas Überraschendes zu lesen ist. Die meisten weltbewegenden Enthüllungen lassen mich kalt, weil oftmals das je Enthüllte mir so seltsam bekannt vorkommt. Kleine Einsichten, oder zumindest der Mut, Einsichten zu behaupten, gefallen mir hin und wieder, sofern sie sich nicht dermaßen altbacken anhören wie die hundertste Beschwörung einer Kalenderblattweisheit. Und ‚amtlich-offizielle‘ Nachrichten lese ich immer als Märchen, so ich überhaupt Zeit auf sie verschwende.

    Hardys Trennung von ‚im Netz‘ und ‚zu Hause‘ kenne ich auch, ich liebe sogar das anheimelnde Gefühl, alle Drähte, sogar die drahtlosen, zur Welt ‚draußen‘ zu kappen und diese mittels der Erzählungen der Anwesenden zu ‚bannen‘ (genauer: ihre Schrecklichkeit, ihre Fremdheit, oder, seltener, ja viel zu selten, ihre Schönheit). Claudias Wunsch nach Licht gefällt mir nicht minder. Nur zweifele ich immer mehr, daß das Licht, welches ich meine, je von einer LED gespeist werden kann. Ich will nicht die (technische) Simulation, ich will das Original. Und siehe da: ein winziger Hoffnungsschimmer scheint mit aufzuglimmen, dort, wo ich ahne (oder ahnen will?), daß nicht nur ich den ganzen Schmonzens von Netz und Web und Internet und Trollen und Portalen und Blogs und Bots irgendwie leid bin, sondern daß es Anderen (und gerade Jüngeren) hier und da ähnlich geht.

    Klar ist eine selbstbewußt differentielle Nutzung ‚des Netzes‘ eine Frage eines stabilen familiären Hintergrundes, eines gehobenen sozio-ökonomischen Status, überhaupt der Förderung kognitiver Fähigkeiten, die über das flinke Anklicken von buttons zwecks Spaßoptimierung hinaus gehen. Und natürlich bedeutet es, daß mit einer Pauperisierung meiner Umgebung die Chancen für alles sinken, was mir ‚am Netz‘ gefallen könnte, weil seine Nutzung so ganz andere Zwecke bekommen wird als jene, die ich liebte. Aber es gibt auch ein paar immanente Mechanismen, die sich positiv auswirken.

    Information hat im Netz ein zähes Eigenleben, und gerade höheren Ortes mißliebige Information ist darin eine Katze mit neun Leben. Jemand, der sich öffentlich geriert, weil er sich kaum mehr wegen irgend etwas geniert, entlarvt sich weitaus leichter. Unterstützung (virtuelle wie materielle) ist im Netz viel schneller zu mobilisieren als vordem. Und die einmal etablierten Seilschaften, informelle Netzwerke aus Freunden etwa, die einander nicht nur mal so ‚ge-liked‘ haben und sich als Teilnetze in jene der kommerziellen Anbieter einnisten, können von diesen nicht ganz nach Belieben zerrissen werden. Nicht zu vergessen, welche Bedeutung für (gezwungen oder freiwillig) nomadisierende Menschen die simple Telefonie besitzt, welche das Netz quasi als Beipack mit sich bringt.

    Mein Pessimismus ist daher vielleicht nur eine momentane Laune, und schließlich gibt es ja noch solche websites wie diese hier, wo sogar Verrückte wie ich ihren Sermon los werden können, auch wenn er keine besondere Leuchtkraft besitzt, sondern wie eine Verdunkelung wirken mag. Zum Glück bin ich mir sicher, die Verantwortung für mögliche Folgen auf mich nehmen zu können, denn die werden garantiert so verschwinden winzig ausfallen, daß der berühmte Schmetterling sie auf seinen zarten Flügeln hinweg tragen könnte.

  30. Susanne.hat.wieder.mal.geschrieben. In ihren Worten: Der Schmetterling hat sich durch den Raum bewegt. :-)
    Susannes Kulturpessimismus (ist das eigentlich einer?!) ist irgendwie mein eigener. Ich sehe an vielen Blogs, wieviel Wirkkraft sie haben und daß immer nur ein kleiner, eingeweihter Kreis als Leser und Kommentator dranhängt.

    „In der ungeheuren Masse des Netzes wächst mit seinem Umfang und seiner Komplexität die Macht der Reduktion“.
    Schöner und wahrer Satz.

    Meine Partnerin wirft mir immer vor, wieviel Zeit ich im Netz herumhänge. Früher (ja früher) nutzte man die Zeit vielleicht für ein Gespräch oder schaute nach dem vereinsamten Menschen um die Ecke. So was.
    Oder machte einen Spaziergang durch den Herbstwald, um die Seele wieder an etwas Stofflichem und Sinnlichen teilhaben zu lassen. Oder kreierte etwas.

    Wie Susanne, sehe ich natürlich gewisse Vorzüge des Netzes. Bestimmte Aspekte finde ich aber deutlich überbewertet oder schon wieder an Bedeutung verlierend, wie Susannes Hoffnungsschimmer in ihrem Text andeutet.

    Mein Text war jetzt nicht so ausgefeilt wie der von Susanne, habe auch weniger Prominenz, aber vielleicht wird er trotzdem wahrgenommen, von denen, die hier lesen oder auch nur reinschauen.

  31. Wow, Susanne – was für ein eindrücklicher RundumsNetzText! Lesen kann ich den, aber schon aufgrund der Länge nicht auf alles eingehen.

    Mit „Web 1.0“ fühle ich mich nicht wirklich getroffen, denn auch 1996/97, zu Zeiten des Web 1.0, als es noch nicht einmal Kommentare gab, waren meine Texte (und kurzen „Schreibimpulse“, in den Raum gestellte Fragen) allermeist Einladungen zum Gespräch – das auch oft angenommen wurde und mir die freudige Arbeit bescherte, die Resonanzen und Beiträge „händisch“ in die Webseiten zu pfriemeln. (Siehe z.B. im Archiv hier oder hier). Viel Resonanz und Dialog lief damals auch einfach über Privatmail. Das „Social“ gab es auch schon, etwa in Form der Mailingliste, als deren Gastgeberin ich agierte und natürlich viel in die Runde schrieb.
    Gegenüber der Welt der Bücher und Zeitschriftenartikel fühlte ich mich in dieser vergleichsweise „sozialen“ Umwelt angekommen und glücklich!

    Ich kann auch gut verstehen, warum jemand wie Hardy keinen Bock hat auf Artikel, wie sie für mich eher typisch, bzw. von mir erwünscht sind. Aber Menschen sind verschieden und für mich ist die „Geste des Schreibens“ ganz natürlich und unverzichtbar. Wenn ich schon nicht viel tun kann, um die Welt zum Besseren zu wenden, so gibt mir das Schreiben ins Netz doch immerhin die Möglichkeit des „aktiven Sprachhandelns“ – Texte sind kleine, ja winzige Beiträge zur gesellschaftlichen „Atmosphäre“, die aus allem gebildet wird, was Menschen so ins Netz posten UND was sie in ihren realen Umfeldern erleben. Da ich nicht zu Hass und Gewalt aufrufe, sondern meine Postings meist eher friedlich und differenzierend daher kommen, sorge ich mich auch nicht um eine womöglich „böse Wirkung“ – ich kann sie mir nicht einmal wirklich vorstellen!

    In Blogs agiere ich genauso wie im physischen Leben, sage, was ich denke und gebe Gelegenheit zur Diskussion. Ob ich nun das Denken der Lesenden erweitere oder verenge, müssen Andere beurteilen – wie sollte ich das denn selber überhaupt beurteilen können? Ich kann über mich und meine aktuelle Sicht aufs Ganze doch niemals hinaus!

    Dass jede Menge Surfer einen Text nur scannen, sich was rauspicken, eine Überschrift wahrnehmen und mit diesen Details dem nicht nahe kommen, was ich mit dem GANZEN Text intendierte, ist mir sonnenklar. Ich werde als Surferin auch nicht allen Texten gerecht, die mir begegnen, nicht einmal allen, die ich als „richtig gut“ wahrnehme. Etwas anderes zu erwarten, hieße, das Unmögliche zu verlangen!

    Gerhard schrieb:

    Susannes Kulturpessimismus (ist das eigentlich einer?!) ist irgendwie mein eigener. Ich sehe an vielen Blogs, wieviel Wirkkraft sie haben und daß immer nur ein kleiner, eingeweihter Kreis als Leser und Kommentator dranhängt.

    Was ist gegen viele kleine Kreise denn einzuwenden? Es gibt da sehr unterschiedliche Mini-Coms, bei den einen werden nur applaudierende Kommentare geduldet und alles andere gelöscht, bei anderen werden verschiedene Meinungen toleriert, aber ignoriert. Bei wieder anderen gibt es tatsächlich echte Gespräche – wie hier, dank Euch! Aber es gibt auch andere, bei denen das so ist.

    Eine ganz andere Ebene sind Kommentarstrecken bei Mainstreammedien oder „alternativen“ Großmedien. Das sind meist nur Sammlungen von Verlautbarungen – gelegentlich lese ich da ein Stück weit, um zu schauen, was heute so alles „öffentlich gesagt wird“. Darüber hinaus gehende Erwartungen an solche Formen der Öffentlichkeit hege ich nicht. Immer besteht dabei die Gefahr, eigene misanthropische Tendenzen zu verstärken, dann ist für mich wieder Diät angesagt…

    Wieder anders ist das „Dasein“ in den sozialen Medien. FB ist ein „Ort der Wärme“,. Da wird – so erlebe ich das bei sporadischen Besuchen – sehr viel im Hardy-Stil (aber kurz!) gepostet, Bilder gezeigt, Musik und Videos gepostet – als Statement „was gefällt“, bzw. was einem am Herzen liegt. Das ergibt eine freundliche Freizeit-Atmosphäre, solange man nicht mutwillig „fremde kontroverse Gruppen und Seiten“ besucht. Twitter ist dagegen Info-Schleuder und ein Platz für Erregungswellen/Shitstorms, zudem kann man per Hashtag und „Trending Topics“ gut erkennen, wieviel Resonanz ein Thema bekommt.

    Warum erzähle ich das alles? Weil ich differenzieren will zwischen unterschiedlichen Medien und sozialen Bezügen im Netz. Das ist nicht „alles eins“, auf das sich ein Kulturpessimismus beziehen könnte. Auf jeden Frust, der sich auf einer dieser Ebenen bei vielen ergibt, reagiert „das Netz“ bzw. die vielen, die etwas entwickeln, mit neuen Kommunikationsmedien – etwa WhatsUp/Threema, Tumblr, Periscope etc. – und für den Sektor der Artikel-Schreiber und Leser mit mehr oder weniger Community/Publikum/Resonanz-Möglichkeit entstehen auch ständig neue Plattformen, die ihre Liebhaber/innen finden oder eben nicht.

    Und zu guter Letzt: bei alledem findet immer noch das gute alte „Leute kennen lernen“ statt. Ich nehme ein Blog wahr, besuche es öfter, nehme es in die Blogroll auf, kommentiere dort (und er/sie auch mal hier), twittere die Postings weiter, die mir gefallen, sehe den Twitter-Account des Bloggers, kommuniziere auch dort mal kurz, bemerke einen Kommentar desjenigen zu meinem „Status“ auf FB, schicke ihm eine „Freundschaftsanfrage“, um Zugang zu seinen Publikationen dort zu haben – und wenn das so weitergeht, wird so jemand ein/e Bekannte/r mit Freundschaftspotenzial. Also jemand, bei dem ich auch mal vorbei kommen würde bzw. den ich gerne in Berlin treffe bei Gelegenheit eines Hauptstadtbesuchs.

    So einfach lerne ich im physischen Leben keine Leute mehr kennen, denn der öffentliche Raum ist hierzulande kaum mehr auf Kennenlernen ausgerichtet – und aus dem Partyalter bin ich raus.

    Jetzt aber genug, die Arbeit ruft! :-)

  32. @susanne

    [..] an sich exklusiver Zirkel einer (leider meist nur selbsternannten)
    [..] Avantgarde ansieht, welche Vorbild- und Anleitungsfunktionen
    [..] innerhalb der ihr hinterher trottenden Gesellschaft auszuüben haben.

    ich habe gerade dieses kleine projekt bei reddit in’s laufen gebracht und ich weiss nicht so recht, ist das nun avantgarde oder doch eher „konservativ“?

    ich gehe ja „zurück“. und das letzte, was ich gerne hätte, wäre, daß man mir folgt, dann müsste ich ja wiederum „führen“ und ich – meine rede da oben – verantwortung übernehmen. ich will aber nicht belehren (ja, okay, tue ich, man hat nicht immer alles, geschweige denn sich selbst unter kontrolle und ich sehr spontan), ich will „anbieten“. etwas, womit man seine zeit auch verbringen kann, und ich mache es dort, wo es am lautesten ist.

    frau wang meint, „ein schüler zieht es in den wald, den weisen in die stadt“.

    mein wesentlicher punkt ist verantwortung. es ist das eine, wenn wir irgendwo einen kommentar schreiben und versuchen, ernste dinge angemessen zu besprechen. das andere ist, einen blog zu führen, eine art „gefolgschaft“ erarbeiten und der dinge erzählen, aus denen sie „was weiss ich“ machen, weil man selbst nicht mehr einwirken kann. du machst das, in der art, wie du schreibst, ja durchaus ähnlich wie ich das – in meinem eher wilden und ungestümen stil – ja auch tue: du schließt den drive by reader qua satzkonstrukt aus. bei mir ist es das mäandern, ausschweifen, die sache selbst in einem nebenarm verstecken, darauf zu spekulieren, daß der/die eine die zeichen sieht.

    über den rest muss ich nachdenken.

    @claudia

    versteh mich bloss nicht miß, ich will dich nicht abhalten, ich „gebe zu bedenken“.

    wenn ich etwas zu kritisieren hätte, dann eher, daß du immer noch einen blick auf das netz hast, den ich angesichts der entwicklungen nicht mehr teile. wenn ich früher vor allem den menschen gesehen hab‘, der am anderen ende wie ich gestimmt das neue aufnimmt wie ein schwamm wasser,, sehe ich heute vor allem steine, an denen alles abprallt, ich habe verstanden, daß wir manchmal nicht mal mehr mit menschen reden, sondern wir „liza“-mäßig von einem stück software animiert werden, unsere zeit zu verschwenden. da bist du mir einfach noch zu optimistisch.

    was aber die sache selbst betrifft: sender-empfänger modell. du als sender mühst dich durch einen gedanken, fasst ihn in worte, läßt den gedanken frei … und dein gegenüber hat die freiheit, sich herauszupicken, was ihm gerade passt und zu verwerfen, was nicht.

    sprache ist alleine auch ein hilfloses ding, es fehlt ihr der geruch oder manchmal auch der sound oder die physische präsenz der person, die spricht. wir lesen und wir missverstehen, was wir lesen, weil das, was wir sagen, erst in unserem kopf form annimmt … und dabei von unseren eigenen sachen überlagert wird (ingo hat da oben das wort „paranoia“ gebraucht, ich denke, das ist das, was er sagen will, huhu! ingo!).

    ich sehe also in dem, was du machen möchtest (oder gerade getan hast) ein paar gefahren und mir fehlt da einfach die „risikobereitschaft“.

    schlimmer noch: ich bin zu „ausgeformt“, ich lese etwas und denke „weiss ich doch alles“. deshalb war die konfrontation mit einer person aus einer anderen kultur wirklich das einzige seit jahren, was mich noch weiter „formen“ konnte, weil ich nicht den fehler des „weiss ich doch“ und den des „weiss sie doch“ gemacht habe und lieber mal „banale“ fragen gestellt habe.

    dabei habe ich dann alles erfahren, über diese person und über mich, was andere einfach mal als common ground unterstellt oder „selbstverständlich“ haben. da gab es ziemlich überraschende dinge, wie die, daß es chinesinnen zb. jahrelang keine beziehung führen müssen, weil sie sich allein fühlen. ich wiederum habe einen heidenspaß daran, die seltsamsten wortwendungen zu verwenden und sie zu erklären, heute zb. das wort „gemüt“ als ein sehr deutsches wort (es ging um dich, btw. ich habe über dein buch und das gärtnern geredet und das wort „gartenlaube“ fallen lassen und schon war ich im 19. jahrhundert und das „die gartenlaube“ viel über das deutsche gemüt sagt … sie freut sich btw. schon, mit dir tee zu trinken, du kannst ja schon mal das „thirsty moon“ eruieren und ab januar nach frau wang fragen …). wenn man so etwas tut, dann macht man sich ja auch selbst das eigene bewusster.

    wenn du jetzt diesem gedanken gefolgt bist, verstehst du, warum ich mir so schwer tue: wir unterstellen zu viel beim anderen, dabei müssten wir ja schon unter uns deutschen die worte klären. in einem gespräch kannst du „wie meinst du das?“ fragen, wenn du etwas nicht so verstehst, wie ich es meine.

    wie macht man das online?

    es kommt also alles zusammen: das „heikle“ der materie selbst, in der vieles nicht gesagt werden kann sondern nur „vorgelebt“. die selbstverständlichkeit, mit der wir unterstellen … und den unterschied nie mitbekommen … die verantwortung für den anderen, die man übernimmt, wenn man in seinem kopf herumpfuscht … die gefahr, sich selbst zu sehr zu überschätzen, wenn jemand da ist, der uns bedeutung gibt.

    aber, es ist wie mit allem: das eine ist, über etwas zu reden, das andere, etwas zu tun, etwas auszuprobieren, von dem sich andere nicht vorstellen können, wie es sein könnte.die jungs bei /r/de_podcast konnten sich ja auch nicht vorstellen, daß man es anders machen kann und haben mich lieber mal prophylaktisch gebannt. nun gut, „graadseläätz“, ich mach’s dann halt auf meine art ;-)

    mach du das also bitte auf deine …

  33. @Hardy: natürlich mach ich das, was denn sonst? :-)

    Ich sag ja: ich meine, dich zu verstehen – teile aber dieses SoSein nicht. Mir ist andrerseits auch bewusst, dass man einander nur „wirklich verstehen“ kann, wenn man die je eigene Geschichte erzählt hat. Ansonsten weiß man nämlich nicht, mit welchen Bedeutungen man die Begriffe individuell füllt – und nutzt sie im Sinne eines gedachten Mainstreams, der im Einzelfall oft nicht zutrifft.
    Und je abstrakter die Begriffe, deste heftiger wirkt sich das aus! Denken wir nur mal an Begriffe wie „Gerechtigkeit“ oder „Freiheit“…
    Deshalb präferiere ich das „persönliche Schreiben“ und versuche immer auch, ein Stück weit zu erzählen, wie ich zu meinen Themen komme, was ich damit verbinde etc.

    Für mich ist das übrigens ein interessanter Austausch, nichts sonst. Ich fühle mich nicht angegriffen durch Menschen, die die Dinge anders sehen und anders machen – (solange die anderen Meinungen und Haltungen keine Übergriffigkeiten oder irgendwelche Scheusslichkeiten gegenüber anderen Menschen beinhalten).

    Ich habe keinen „Blick auf das Netz“, sondern einen auf einzelne Medien und Plattformen. Hardy, das hab ich oben extra länger ausgeführt und TROTZDEM kommst du wieder mit dieser „Platte“!!! Pickst dir eben auch nur raus, worauf du eingehen willst – und ignorierst das andere. :-)

    Ich habe auch keinen Gesamt-Blick auf Telefonie oder TV – ruft mich mein Liebster an, freue ich mich, rufen mich „Marktforscher“ an, nervt es nur. Und zwischen ARTE und RTL2 liegen Welten…

    Mein „engstes Internet“ findet hier im Digital Diary statt – und ich habe wahrlich keinen Grund zur Klage! Gespräche wie dieses finden gelegentlich statt, vornehmlich mit Menschen, die sich liebenswerter Weise hier über Jahre immer mal wieder einfinden. Etwas Vergleichbares finde ich im physischen Leben nicht, dafür müsste ich ganz andere Aufwände treiben, z.B. eine Art „Salon“ bzw. eine Gesprächsgruppe selbst veranstalten, die VHS besuchen oder gar „Workshops“… hatte ich alles in früheren Jahren (selbst organisiert und als Teilnehmerin), aber es ist nicht dasselbe.

    Mein höchst persönliches „Internet“, das aus all den Kontakten und „schwachen Bindungen“ besteht, die ich seit 1996 geknüpft habe, ist im übrigen bei Bedarf ungemein nützlich und ermöglicht sinnvolle Aktivitäten mit Wirkung im richtigen Leben. Das „Formularprojekt“ ist nur das aktuellste Projekt, das ohne mein Spenden-Sammeln auf allen erdenklichen Kanälen und unter Einbeziehung all dieser gewachsenen Beziehungen so nicht hätte stattfinden können. Es hat über die Jahre etliche Gelegenheiten gegeben, wo ich größere Geldsummen „mobilisieren“ konnte – zu Gunsten einer guten Sache oder zu Gunsten von Leuten, denen es grad dreckig ging (einmal sogar ein wenig für mich selbst, als ich finanziell am Boden war und hier „buchbare Themen-Postings“ eingeführt hatte, die auch im benötigten Ausmaß angenommen wurden). All das ist nicht durch Elizas zustande gekommen, mit denen ich meine Zeit verschwendet hätte, sondern durch Menschen, die mich „übers Netz kennen“ und ihr Teil beigetragen haben. DAS ist „mein Internet“, wenn schon…

    Derzeit kommt „das Netz“ übrigens sehr nahe in den physischen Raum – etwas, dem ich ambivalent gegenüber stehe, aber vermutlich doch ausloten werde – aber das bespreche ich dann lieber unter einem extra Posting.

  34. @claudia

    [..] das „persönliche Schreiben“

    so sehe ich das ja auch. was nutzt es uns, wenn 6 fantastilliarden posts zu dem selben kram geschrieben werden, der grade in den medien virulent ist, und sich alle nur am drehen des rad beteiligen? nüscht. hat halt jeder mal laut geatmet. nein, wir müssen von uns selbst erzählen. ich finde, das kann auch persönlich werden. wie steht es in meiner bei montaigne geklauten „blogverfassung“? er würde am liebsten nackt vor seinen leser treten, seine fehler eingestehen und sich dann einfach den dingen hingeben, die ihn und sein leben ausmachen. um ihn herum der bürgerkrieg zwischen katholen & evangelen, das massaker in der bartholomäus nacht, das paris im blut ertränkt … und er hält sich raus und redet über römische und griechische denker. das hat einfach haltung ;-)

    [..] Mein höchst persönliches „Internet“

    claudia, ich denke, da liegt unser missverständnis. ich schreibe oft über eine gesellschaftliche entwicklung, was macht das aus den „vielen“, wie verändert sich die gesellschaft, die mit dem medium umgeht, wo lauern die gefahren?

    du reagierst damit immer (auch wenn das jetzt wie ein widerspruch zu dem o.a. scheinen mag, aber wir kommentieren ja auch dinge jenseits unserer privaten sphäre) mit einem rückgriff auf deine persönlichen erfahrungen.

    das sind aber zwei verschiedene ebenen.

    es ist dummerweise so, daß wir beide nicht der maßstab sind. wir sind „sophisticated“, haben den umgang vor 2 jahrzehnten gelernt, kommen aus einer welt, die so persönlich war, wie du sie beschreibst und es in teilen immer noch ist. wir reden also aneinander vorbei und ich bekomme dann immer den eindruck, dich nicht zu erreichen, mit meinen, ja, nennen wir es so wie es ist, „warnungen“ vor entwicklungen, von denen ich halt befürchte, daß sie mal unsere kleine welt zertrümmern könnten. das ist mein „wir haben dem feind eine geladene waffe in die hand gedrückt und er sagt nicht mal danke“.

    ich sehe halt immer den hitler, der das alles mal gegen uns einsetzen wird, und den sehe ich so schon seit meine zärtliche zuneigung zum netz und seinen möglichkeiten sich in skepsis verwandelte, was schon im letzten jahrtausend der fall war. natürlich sind wir beide da „trotzig“, wir wollen uns das, was wir für „unser“ halten nicht nehmen lassen und pflegen unsere nischen. aber weder du noch ich können das aufhalten, was auf uns zu kommt: die erregungswellendemokratie, der durch das netz aufgeputschte mob. es ist doch das, was ich seit vier jahren versuche zu be-greifen udn ich würde auch gerne sagen „solange wir die dinge tun, die wir tun, wird alles gut“ – wird es nicht.

    ich frage mich halt auch ernsthaft, wie oft ich mit eliza geredet habe.

    wir beide treiben uns ja nicht nur in unseren gepflegten kleinen salons herum. also ich kannte dein gesicht schon ganz lange von vielen orten. ich bin mir geradezu sicher, daß wir beide auch schon mit leuten mit einer klar definierten absicht geredet haben. das entwertet doch nicht unsere erfahrung (so reagierst du, wenn ich darauf zu sprechen komme, oder, ich empfinde das eben so), es soll doch bloß unsere wahrnehmung und unsere fähigkeit, uns selbst distanzierter zu betrachten, schärfen, thats all.

    jetzt wär’s hat toll, wenn wir beide nicht so dickköpfig wären ;-)