Nach dem Desaster rund um das abgesagte Fußballspiel gestern sah ich auf SAT 1 die Doku „IS – Die Wurzeln des Terrors“ – eine sehr informative Sendung, die unbedingt wiederholt oder besser noch dauerhaft zur Verfügung gestellt werden sollte. Insbesondere beeindruckte die Aufsummierung der Gelder und Ressourcen, über die das Terror-Regime verfügt: 15 Prozent des Bruttosozialprodukts des ehemaligen IRAKs, zig Ölquellen und andere Bodenschätze, Steuern von der Bevölkerung (10 Millionen im IS-beherrschten Gebiet) und von den Händlern, die in Richtung Kurden, Assad-Gebiete und Türkei die Grenzen überschreiten. Ginge der IS an die Börse, wäre er 2000 Milliarden wert – die reichste Terror-Organisation aller Zeiten.
Was den Reichtum an Waffen angeht, so sind ihnen von den Amerikanern zurück gelassene Panzer, Bomben und sogar Flugzeuge im Wert von drei Milliarden in die Hände gefallen. Dazu das Gold und Geld, das in den 24 Banken der eroberten Gebiete vorhanden war. Diese Banken funktionieren nach wie vor, sie nehmen internationale Zahlungen vor und niemand behindert sie. (Würden die Banken wegfallen, wäre das allerdings eine furchtbare Verschlechterung des eh schon schlimmen zivilen Lebens, das unter dem IS ja nach wie vor stattfindet.)
Ich schreibe diesen Text, um meine Gedanken zum Komplex IS-Terror zu ordnen und zu teilen. Diese Nacht hatte ich einen Traum, in dem ich mich „alleine in Raqqa“ wähnte – die Details sind mir entfallen, jedoch fand ich Hilfe bei Menschen, die mich versteckten und mir weiter halfen. Ein bedrückender Traum – und morgens dann der Blick auf die Terror-Lage: in Paris ist schon wieder was los – furchtbar! Dass das Fussballspiel als „Zeichen für Demokratie und Freiheit“ einer Terror-Warnung zum Opfer gefallen war, hatte mich zusätzlich deprimiert. Die Nicht-Informationen des Innenministers und keinerlei handfeste Fandungsergebnisse legen den Gedanken nahe, dass es in Zukunft superleicht sein wird, jegliche Großveranstaltungen mit „einschlägigen Warnungen“ ausfallen zu lassen. Und alle IS-Terroristen klicken begeistert auf „gefällt mir!“
Nun aber noch zu ein paar Themen, die rund um den IS-Terror derzeit diskutiert werden:
Flüchtlinge: Wenn nun alle, die sich zusammentun können, um den IS zu bekämpfen, die Bombardements massiv steigern, wird vielen der noch in den IS-Gebieten aushaltenden Menschen nichts anderes übrig bleiben als ebenfalls zu flüchten. Dass alle, denen der Zuzug von Flüchtlingen insgesamt nicht passt, nun über die „ungesicherten Grenzen“ jammern und behaupten, dies provoziere und unterstütze die Einreise von Terroristen, halte ich für üble Stimmungsmache gegen Flüchtlinge. Da wird eine „ordentliche Registrierung“ verlangt (wogegen an sich nichts zu sagen ist!), aber eben mit der Idee verbunden, dass damit Terroristen keine Chance hätten. Dabei standen doch im Pass, den einer der Selbstmordattentäter in Paris bei sich trug, sogar DREI Registrierungen – hat das was geholfen? Nein! Zudem gibt es für reiche Terroristen bequemere Weg in den Schengen-Raum, z.B. die Einreise mit Business-Visum aufgrund einer fingierten Geschäftsbeziehung. Und sowieso: Waren nicht die meisten Terror-Beteiligten in Paris Franzosen und Belgier?
Terror-Wurzeln: In vielen Diskussionen gerät in Vergessenheit, dass es die Amerikaner waren, die den IRAK, basierend auf der Lüge mit den Massenvernichtungswaffen, kriegerisch destabilisiert haben. Der zweite große Fehler war dann der Abzug bzw. die mangelnde Bemühung, dort ein Regime zu etablieren, dass allen Bevölkerungsgruppen die Teilhabe am Staatswesen ermöglicht (waren sie nicht gekommen, um angeblich „Demokratie“ zu bringen?). Statt dessen regiert da nun ein schiitisches Regime, das sich an den Sunniten rächt, die unter Saddam das Sagen hatten. Kein Wunder also, dass die sunnitischen Stämme sich dem IS zuwandten und diesen sog. „Staat“ unterstützen, bzw. mangels Alternative als das kleinere Übel ansehen.
Aber: der immer wieder aufflammende Krieg/Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten ist per se nicht UNSER DING! Der Iran unterstützt die Schiiten, die Saudis und andere Emirate halten es mit den Sunniten – also ist es ganz wesentlich DEREN AUFGABE, einen lebbaren Frieden zu schaffen. Was nun kein Grund ist, sich arrogant lächelnd zurück zu lehnen und als „was Besseres“ zu fühlen, denn auch in Europa waren die Religionskriege lang und fürchterlich! Und: Unter Assad haben immerhin alle Religionsgruppen lange friedlich gelebt – ein Fakt, der beim Blick auf das zum „Schlächter-Regime“ mutierte Assad-System nicht ganz in Vergessenheit geraten sollte.
Zum Schluss noch was zu dem berührenden Blogpost „Sind arabische Leben weniger wert?“ von Elie Fares aus Beirut, wo am 12. November ein schlimmes terroristisches Attentat stattfand – einen Tag vor #ParisAttacs. Fares beklagt die unterschiedlichen Reaktionen auf diese Ereignisse: im Fall von Paris gab es weltweite Resonanz und Zeichen der Solidarität, bezügl. Beiruts eher kleine Meldungen wie „Attentat in Hisbollah-Hochburg“. Ich verstehe gut, dass das schmerzt und sehe die Ungerechtigkeit, aber: wer die Geschichte Beiruts liest oder alt genug ist, sie ein wenig mitbekommen zu haben, wundert sich nun mal nicht sehr über einen Terroranschlag in Beirut. Denk ich an Beirut, sehe ich vor dem inneren Auge immer noch Ruinen eines elend langen Bürgerkriegs, nicht etwa eine prosperierende friedliche Stadt, die einen ganz normalen Platz unter den touristisch beliebten Großstädten der Welt einnimmt. Insofern ist die Reaktion auf Anschläge in Paris verständlicherweise eine andere als auf Anschläge in Beirut – so ungerecht das auch sein mag.
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– Update –
Vielleicht noch ganz wichtig: Nicht jeder „IS-Kämpfer“ ist ein Terrorist. Denn: der „Islamische Staat“ hat im Januar die „allgemeine Wehrpflicht“ eingeführt. Dass da manche abhauen und als Flüchtlinge Richtung Europa starten, ist zumindest nicht unwahrscheinlich.
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6 Kommentare zu „Fakten und Gedanken zum IS-Terror“.