Dass ich mich zur Zeit fürs „Audiobloggen“ interessiere, obwohl ich lieber „Texte scanne“ als ein Stück Lebenszeit der Ungewissheit zu opfern, ob das Anzuhörende auch den Einsatz lohnt, ist schon ein bisschen seltsam. 17 Jahre bloggen ist aber ebenfalls seltsam und nur möglich, indem ich mir immer mal wieder neue Herausforderungen suche.
Im Medium Text finde ich da nichts mehr, denn eine „Herausforderung“ ist ja nur etwas, vor dem man auch ein wenig Bammel hat. Also geht es „zurück zu den Wurzeln“, auf den Spuren einer uralten Angst.
Lesen, schreiben, verstummen
Als Kind war ich schüchtern, bzw. eher eingeschüchtert durch den autoritären Erziehungsstil meines Vaters, der es gut drauf hatte, mich in Angst und Schrecken zu versetzen. Auch in der Kinderbande hatte ich nichts zu lachen, denn ich war die Kleinste, Jüngste, die Zugezogene mit dem fremden Dialekt und den falschen Klamotten. Das Wort Mobbing gab es noch nicht, das Phänomen schon. Meinen Frieden fand ich in der Schule, wo mir alles leicht fiel (außer Sport!), und in der Bibliothek, von wo ich regelmäßig zwei große Taschen Bücher nachhause schleppte, nicht immer nur Kinderbücher.
Lesend erschloss ich mir die Welt, schreibend konnte ich mich ausdrücken und bekam immer gute Noten. Meinem Vater reichte das jedoch nicht, er sah es als seine Aufgabe an, mein schulisches Wissen zu testen – auch dann, wenn er nicht ganz nüchtern war. Wie das Kaninchen vor der Schlange vergaß ich in seinen „Abfrage-Stunden“ schon mal alles, was ich wusste, zitternd vor Angst, was ihn nur noch mehr provozierte.
Über Jahre ging das so und meine Angst übertrug sich auf jegliches „Reden auf Kommando“, auf alle Prüfungssituationen und das Reden vor Gruppen insgesamt. Wenn ich eine Rolle im Schultheaterstück spielen musste, bin ich vor Angst schier gestorben. Punktgenau zur Aufführung des Weihnachtsmärchens bekam ich dann schon mal 41 Fieber, so sehr fürchtete ich „Auftritte“ aller Art. Noch im Abitur vermied ich mündliche Prüfungen, obwohl ich mich da nur hätte verbessern können.
Du sollst reden! Auch mitten in der Nacht….
Meinem Vater blieb meine „Vortragshemmung“ nicht verborgen und er versuchte, mittels „mehr vom selben“ gegenzusteuern. Er veranstaltete „Spiele“, in denen es darum gehen sollte, über ein spontan vom Gegenspieler gefundenes Thema ein paar Minuten frei zu reden. Er machte es mir vor, indem er 10 Minuten über „die Türklinke“ redete – die Details dieses denkwürdigen Vortrags erinnere ich nicht. :-)
Zu der Zeit war ich so zehn/elf und zitterte immer noch vor Angst, denn jederzeit war ein cholerischer Wutausbruch zu erwarten. Entnervt von meinem jämmerlichen Versagen herrschte er mich an:
„Wenn man dich mitten in der Nacht weckt und ein Thema ansagt, musst du sofort darüber reden können!“
Zum Glück hat er es irgendwann aufgegeben. Vermutlich wollte er sich den Frust nicht mehr antun, den ein Versagen seiner Kinder bei ihm stets auslöste („Siegen“ war ihm aber auch nicht recht, denn Schach wollte er nicht mehr spielen, sobald ich immer öfter gewann).
Heute könnte man mich immerhin mitten in der Nacht wecken und ein beliebiges Thema vorgeben: ein veröffentlichungsfähiger TEXT wäre absolut kein Problem – sofern die Kaffee-Zufuhr stimmt!
Der Moment der Erlösung
Zum Glück ist es bei der totalen „Auftrittshemmung“ nicht geblieben. Während der Pubertät verlor ich meine Angst, in Peergroups zu sprechen, als hübsche Teeny war ich ja nun kein Underdog mehr. Ab 1968 bemühten sich auch in der Schule die meisten Lehrer um angstfreie Diskussionen, an denen ich mich gerne beteiligte. Dies alles waren aber noch keine richtigen „Auftritte“ vor Fremden, die ich nach wie vor vermied. Im Studium war dann höchstens mal Vorlesen vom Blatt angesagt, selten und halbwegs machbar.
Mit 26 zog ich nach Berlin und landete zufällig in Kreuzberg, wo seit den späten 70gern eine katastrophale Sanierungspolitik für massenhaften Haus- und Wohnungsleerstand sorgte. Es herrschte große Wohnungsnot, riesige Warteschlangen bei Besichtigungen waren üblich, genau wie die Unsummen, die man als „Abstand“ für eine Wohnung zahlen sollte. Von neuen Freunden und den „bewegten“ Flugblättern inspiriert, die täglich auf dem Kneipentisch landeten, besetzte ich zusammen mit anderen ein Haus.
Wir waren das 35. besetzte Haus im Berliner Winter 80/81 und somit jüngster Teil einer Bewegung, die es in kurzer Zeit zu 165 besetzten Häusern, ca. 3000 Bewohnern und 10.000 Unterstützern brachte. Die Geschichte des Häuserkampfs in Kreuzberg bzw. Berlin (=Kurzfassung) will ich allerdings hier nicht erzählen, nur den einen, für mich prägenden Moment:
Wir waren zu zehnt in die leeren Wohnungen des teil-entmieteten Hauses Willibald-Alexis-Straße 42 eingebrochen, hatten die üblichen Transparente auf dem Balkon entrollt („dieses Haus ist instandbesetzt“), hatten viele Stunden ausgeharrt, die Polizei mit Mannschaftswagen an- und abfahren gesehen, hatten Freude, Angst und Stress ohne Ende empfunden und uns gegenseitig Mut gemacht. Als dann halbwegs Ruhe eingekehrt war und wir raus konnten, ohne noch die sofortige Räumung befürchten zu müssen, ging es zum „Besetzerrat“, um unseren Erfolg zu melden.
Den genauen Ort erinnere ich nicht, nur dass es eine große Halle mit ca. 200 bis 300 Leuten war, die da auf dem Boden saßen und herum standen. Als wir herein kamen, richteten sich alle Blicke auf uns – und weil meine Mitstreiter schwiegen, ergriff ich das Wort und verkündete laut die frohe Botschaft:
„WIR HABEN EIN HAUS BESETZT!“
Applaus! Alle freuten sich mit uns und ich hatte absolut kein Problem damit, unsere „ganze Story“ zu erzählen – vor all diesen fremden Leuten, die auch noch Fragen stellten und mehr wissen wollten.
Damit war der Bann gebrochen. Ich lernte: Wenn ich etwas EIGENES vortrage, wenn ich selbst etwas zu sagen habe, gibt es das „Vortragsproblem“ nicht. Mit viel Freude und Engagement wurde ich aktiver Teil dieser Bewegung, sprach mit Presse und Politikern, besuchte und leitete „wichtige Treffen“, wurde letztendlich Kiez-Funktionärin, die auf zig Hochzeiten tanzte. Die Zeiten der Redehemmung waren vorbei.
Das ist nun alles sehr sehr lange her. Ich lebe schreibend, nicht redend – und spüre bloggend die Grenzen des Text-Formats.
Mehr dazu demnächst.
***
Da mich das Thema länger bewegen wird, gibts nun eine Kategorie „Audiobloggen“:
https://www.claudia-klinger.de/digidiary/category/audiobloggen/
die (wie alle Kategorien in WordPress) auch als Newsfeed abonnierbar ist:
https://www.claudia-klinger.de/digidiary/category/audiobloggen/feed/
Diesem Blog per E-Mail folgen…
Diskussion
Kommentare abonnieren (RSS)
5 Kommentare zu „Freie Rede oder: warum mich Audiobloggen reizt“.