Claudia am 03. August 2016 —

Trump – die Notbremse für frustrierte Mittelschichtler

DIE ZEIT bringt heute einen lesenswerten Artikel von Heike Buchter (New York), in dem sie analysiert, warum Trump nicht nur bei abgehängten Arbeiterschichten Erfolg hat. An dessen Ende heißt es:

„Trumps Erfolg zeigt, wie tief die Risse im Fundament der amerikanischen Demokratie gehen. Laut einer Gallup-Umfrage von Mitte Juli sehen 82 Prozent der US-Amerikaner ihr Land auf dem falschen Weg. Eine Befragung von NBC und Wall Street Journal ergab, dass 56 Prozent sich für einen Kandidaten entscheiden würden, der die Regierung radikal umbaut, egal wie unvorhersehbar diese Veränderungen seien.
Trump im November ihre Stimme zu geben, kommt für viele Wähler dem Ziehen einer Notbremse gleich. Klar, dabei fliegt Gepäck aus dem Netz und womöglich gibt es Verletzte. Aber Hauptsache, der Zug kommt zum Stehen. „

Dass Trump die Einwanderer zu Sündenböcken macht, die an allen Jobverlusten Schuld seien, scheint die über die zunehmend desolaten Zustände Frustrierten nicht zu stören. Vermutlich glauben sogar viele, dass er recht hat. Dabei werden sie alle nur ein weiteres Mal verarscht!

Wäre es nicht so gefährlich, sollte man Trump glatt Erfolg wünschen, damit sie alle erkennen, dass ein Milliardär nicht die Interessen der Marginalisierten und der Mittelschicht vertritt, sondern nur neue Lügen etabliert, damit die Umverteilung von unten nach oben störungsfrei weiter gehen kann.

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Diskussion

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3 Kommentare zu „Trump – die Notbremse für frustrierte Mittelschichtler“.

  1. Da mir Dein blog resp. die Kommentare letzthin etwas müde erschien, hier mal wieder ein mit heißer Nadel gestrickter rant. Gemäßigte Töne folgen hoffentlich, um wieder alles gerade zu rücken ;-)

    Also los: Herr Trump, ebenso Gestalten wie Herr Erdogan, Herr Putin oder Herr Duterte, auf einer (zum Glück noch) niedrigeren Verantwortungsebene solche wie etwa Frau le Pen oder Herr Johnson, stehen meiner Ansicht nach für eine der letzten noch verbliebenen, allerdings tragisch illusionären, weil lediglich virtuellen Problemlösungsstrategien gegenüber einer Welt überkomplexer, immer überbordenderer Probleme – der decisive leadership.

    Das hat Tradition, beginnend mit der Institution des Tyrannen in der griechischen Polis, über monarchische Personenkulte von Kaisern und Königen, über Populismen wie dem Peronismus hin zu den Gewaltorgien des Faschismus und den blutigen Händen der Diktatoren im zweiten Rang (wie Assad, Sisi und andere, bei diesen Menschen lasse ich bewußt das ‚Herr‘ einmal weg). Auch in parlamentarischen Systemen lebt unterschwellig die Sehnsucht nach einem Ende eines politischen Diskurses, der dann als bedrückend und beängstigend empfunden wird, übersteigt der externe Problemdruck gewisse innerpsychische Schwellen (die oft gar nicht materiell definiert werden können).

    Für einen weißen US-Amerikaner ohne Ivy-League-Abschluß oder reiche Eltern muß der Lauf der Dinge in dieser Welt wie ein Hohn auf sämtliche sein Ego stabilisierende Werte wirken. Um nur einiges zu nennen, was meiner Ansicht nach in dessen Kopf herum geistert:

    – das wenn nicht absehbare, so doch erahnbare Ende der US-amerikanischen Weltherrschaft, die militärisch wie politisch immer unwirksamer wird, herbei geführt durch seltsame, unbegreifbare Mechanismen einer von fiktiven Schulden angetriebenen Weltwirtschaft, quasi als moderner Dolchstoß, der sie binnenwirtschaftlich schlichtweg bald nicht mehr bezahlt macht;
    – die unmittelbar erlebbare Ent-Deutlichung gewohnter Ordnungskriterien wie Gesetz, Moral und Geschlecht, was zum panischen Gefühl bevorstehender Anomie nicht nur der übergeordneten, sondern auch der lokalen Gesellschaft gerinnt, gegen die auch keine pump gun mehr hilft;
    – die nicht mehr endende Spirale der persönlichen Deprivation, unabhängig davon, ob und wie viele Jobs man sich heran rafft und wie viel man arbeitet;
    – die fast resignative Schweigsamkeit der Vertreter traditioneller leadership, deren überkommene Definition eines ‚good guy‘ das gute Ende der ‚happiness‘ immer unzureichender anbietet, um den dornigen Weg des ‚pursuit‘ noch als begehbar erscheinen zu lassen;
    – und letztlich, o Graus, spielt sogar Mutter Natur nicht mehr mit: la terra trema…

    Eine Clowns-Figur wie Herr Trump gewinnt daraus Attraktivität, daß alle Seriosität der üblichen Art (Glaubwürdigkeit des politischen Establishment, Anwendbarkeit der Regelwerke der religiösen Führung, Verlässlichkeit der wirtschaftliche Solidität) in den Mühlen des Profits zermahlen wurde. Die Absicherung des eigenen Alters wie die Finanzierung der Zukunft des Nachwuchses erwiesen sich als Spielbälle in den Händen börsennotierter Hasardeure (siehe Enron, Fanny Mae). Nicht eine der Marionettenfiguren aus dem politisch-moralischen Monstrostitäten-Kabinett in Washington hat keinen Dreck am Stecken (etwa Powell, Rice, Cheney, Clinton). Die Welt, so das Narrativ der block buster aus Hollywood, der Verlautbarungen der Parteistrategen und Wahlkämpfer, der zweispaltigen Zeilen des ehrbaren Feuilletons wie der breaking news auf Fox und CNN, entwickelt sich zur Hölle auf Erden. Da muß ein Messias her, ein Mahdi, ein Erlöser, und wo der nicht mit Trompetenklang wie einst die Kavallerie herbei geritten kommt, muß es halt einer tun, der laut genug schreit, daß er weiß, wohin die Reise zu gehen hat. Mir nach, lautet die Devise, vollkommen egal wohin. In Gefahr und höchster Not bringt der Mittelweg den Tod.

    Das alles hat wenig mit den klassischen politischen Lagern und Ideologien, mit sozioökonomischen Analysen oder moralischen Imperativen zu tun, sehr viel dagegen mit dem psychischen Geschehen eines in die Ecke getriebenen Opfers einer unabwendbaren und unbegreifbaren Gewalt. Und die einzige, sich gebetsmühlenartig rundum erhebende Antwort der etablierten Eliten scheint zu sein, ihre (polizeiliche, geheimdienstliche, letztlich dann militärische) Kontrolle über diese Opfer zu optimieren, damit sie sich brav mit ihrer Opferrolle abfinden (müssen). Das ist die fatale Strategie, ansteigenden Druck auszuhalten, indem mögliche Bruchstellen im Containment verstärkt werden.

    Ein Spiel um Zeitgewinn, doch fragt sich auch der Dümmste inzwischen vermutlich, wofür denn eigentlich Zeit gewinnen? Herr Trump gibt da eine einfache Antwort. Back to the days when party was. Herr Obama gab sie seinerzeit auch. Yes, we can. Herr Erdogan versucht sich gerade an der Version mit dem Teufel, bei ihm heißt dieser Herr Gülen. Ginge es nach der AfD und der CSU-Führungsriege, täte dieses Land ebenfalls kaum anderes – mir san‘ mir, hieße es dann, oder so.

    Und wir, die Bewohner des digitalen Biedermeiers 2.0, sollten uns nichts vormachen. Natürlich wird Herr Trump der nächste Präsident der USA. Frau Clinton steht ja für all das, was nicht klappt und was die weiße US-Mittelschicht, zumindest jene, die sich als ‚salt of the earth‘ sieht, haßt – oligarchische Mauscheleien und moralische Ambivalenz und sexuelle Ungenauigkeit. Frau Clinton kann nur auf die Karte der ethnischen Minderheiten setzen – und dazu ist sie einfach viel zu weiß mit ihrem großen Batzen white money in der Hinterhand und ihren vielen white lies für sich und ihresgleichen.

    Herr Trump dagegen ist der bad guy, der beim high noon zum dirty Harry werden darf – und muß. Niemand muß ihn deswegen lieben, niemand wird sich zu ihm ins Bett legen wollen, aber man wird ihn jeden schmutzigen Job, von dem noch niemand weiß, wie er genau aussehen wird, machen lassen, weil keiner in Sicht ist, ihn richtig, und das heißt, mit dem Colt in der Hand und, wenn es sein muß, auch der tommy gun im Anschlag, zu erledigen.

  2. Nur mal nebenbei: Dass der Trump (vor allem hier in Deutschland?) gerne als Clown oder ähnliches bezeichnet wird, zeugt von unserem eigenen Unverständnis und mangelnder Lernfähigkeit. Bei Bush war das auch schon nicht anders. Trump ist offenbar ein Medien-Genie oder hört auf geniale Berater. Der hat es geschafft mit relativ kleinem finanziellen Einsatz, die median absolut zu beherrschen und immer wieder an der Nase durch den Ring zu ziehen. Und das ist auch eins der wichtigsten Phänomene unserer Post-Demokratie: der Totalausfall der vierten Macht.

  3. @Susanne: danke für den eindrücklichen Rant!

    Und wir, die Bewohner des digitalen Biedermeiers 2.0, sollten uns nichts vormachen. Natürlich wird Herr Trump der nächste Präsident der USA

    Ich glaube ja noch immer an den Sieg der Vernunft, bzw. des „kleineren Übels“ in Gestalt von Clinton. Grade gelesen, dass auch innerhalb der Republikaner die Gefolgschaft für Trump bröckelt – aber Umfragen sehen mal Trump und mal Clinton vorne.

    Aus „Was macht die Autoriären so stark?“ / ZEIT-Artikel per Blendle:

    „Das ist die Heldengeschichte der Missachteten: Ihr, die angeblich so supertoleranten Besserverdienenden, habt uns jahrelang ignoriert. Wir durften im Reality-TV auftreten, zu eurem Amüsement, das ihr mit eurer ewigen Ironie genießt. Aber jetzt haben wir ins ernste Fach gewechselt. Jetzt wollen wir die Macht, und wir bekommen sie. Ihr habt euch doch immer beschwert, dass wir nicht wählen gehen – tja, aber genau das werden wir jetzt tun.“

    @Thorsten: ein „Mediengenie“ kann leicht werden, wer ständig derart Absurdes, Beleidigendes, Irrationales von sich gibt und jede „rote Linie“ übertritt, die mal für ernsthafte Politiker/innen gegolten hat. Das sind natürlich spannende Events am laufenden Band, die Klicks und Quote garantieren. Das ist also eher einem Mediensystem anzulasten, das eben voll durchkommerzialisiert ist: Je irrer das Ereignis, desto einträglicher der Bericht darüber.