Claudia am 26. Oktober 2016 —

Dove Vai – nackte Liegende, nicht normschön

Was sich der Künstler wohl dabei gedacht hat, diese beiden Figuren am Schlesischen Tor in Berlin zu platzieren?

liegendes Paar am Schlesischen Tor

Eine nackte Frau, alles andere als „normschön“, lümmelt am Rande eines kleinen Fußwegs:

liegende Frau am schlesischen Tor

Ihr gegenüber liegt ein ebenfalls nackter Mann, der allerdings vergleichsweise wenig heraus gearbeitet ist. Weitgehend in die Erde versunken scheint er zu schlafen:

Liegender Mann am Schlesisches Tor

Wer auch immer das tut: sein Penis ist deutlich polierter als der Rest des Körpers. Es sieht aus wie die abgegriffenen Glücksbringer-Stellen an manchen Skulpturen in Kirchen und auf öffentlichen Plätzen, die ich irgendwo in Italien gesehen habe (Details leider vergessen!).

Liegender Mann am schlesischen Tor mit poliertem Penis

Hübsche Füße hat er, die ein wenig mehr heraus gearbeitet sind:

Skulptur, liegender Mann, Füße am Schlesischen Tor

Die Skulptur aus Bronze und Eisen erschuf Andreas Wegner. Sie heißt „Dove vai“ (italienisch: Wohin gehst du?). Mit dieser Skulptur beginnt der Skulpturenweg, auch „Menschenlandschaft Berlin“ genannt, zum Gröbenufer führt.

Es fällt mir schwer, dieses Werk zu interpretieren. Immerhin stellen sich Fragen:

  • Warum ist die Frau eine Vollfigur und der Mann vergleichsweise wenig „skulpturiert“?
  • Warum fragt sie einen Schlafenden, wohin er geht? (Da sie wach ist, kann nur sie die Fragende sein – oder?)
  • Warum sind die Figuren so platziert, dass man zwischen ihnen hindurch gehen muss?

Ist die Frage vielleicht an die Passanten gerichtet? Dann müsste sie allerdings irgendwo am Kunstwerk erkennbar sein, doch irgendwelche Schilder gibt es da nicht. Ohne Recherche hätte ich nie erfahren, dass die Skulptur diesen Namen trägt.

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Diskussion

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6 Kommentare zu „Dove Vai – nackte Liegende, nicht normschön“.

  1. Ich vermute, dass der Mann nicht schläft, sondern tot ist. Die beiden symbolisieren Leben und Tod. Die herausgearbeitet Details bei der Frau stehen für Vitalität, die weniger herausgearbeitet bei dem Mann dafür, dass er wieder zu Erde wird. Ich als Fußgänger stehe auf der Zeitachse irgendwo dazwischen… Und ich befinde mich im Spannungsfeld zwischen den beiden Polen.

  2. Das leuchtet ein, was Christiane Schenke schrieb.

    Ich finde die Skulpturen plastisch gelungen, die Frau massig-schön, ein richtiges Gebirge! Etwas verwunderlich die großen Hände und Füsse – ich rate hier mal Erdverbundenheit, Lebens-Zugriff daraus, wenn der Künstler nicht etwa einer Konvention folgte (das kann ich nicht wissen). Aber das Grobe, archaische der Hände/Füsse scheint mir tatsächlich eine Metapher fürs „tief und saftig im Leben (zu) stehen (haben).“

  3. Wow, Christiane! Du hast es verstanden – es kann eigentlich gar nichts Anderes sein! Bin beeindruckt!

  4. Oh danke, Claudia. Ob es stimmt, weiss nur der Künstler. Aus meinem Designstudium an der Kunsthochschule habe ich folgenden Satz mitgenommen: „Es zählt nur das, was man sieht und nicht das, was der Künstler sich dabei gedacht hat.“. Mancher Künstler ist sicher überrascht, was die Rezipienten so alles sehen in seinem Werk. Was aber legitim ist nach der obigen Definition.

  5. Danke Christiane, für deine kurzen, aber sehr informativen Zeilen.

  6. Der Grund, warum ich das Kunstwerk nicht verstehen konnte, ist vielleicht noch interessant: Ich befand mich gerade dank umfangreicher Lektüre im „Meme-Kosmos“ meiner Blogroll „Geschlechterblogs“.

    Das hat meine Weltsicht so verengt, dass ich beim Anblick der einerseits figürlich dargestellten Frau und des vergleichsweise nur reliefartig heraus gearbeiteten Mannes darüber grübelte, ob der Mann hier eigentlich „gestalterisch diskriminiert“ werden und durch die (vermeintlich) schlafende Position als „minder wach“ verunglimpft werden soll.

    Kann man vermutlich gut als lebendiges Beispiel nehmen für vielerlei Realitätsverzerrungen von Autorinnen und Autoren im geschlechterkämpferischen Kommunikationsraum.