Im Artikel mit dem fetzigen Titel Wir waren’s nicht! Die Maschine war’s! hält Christian Stöcker eine kleine Brandrede gegen Google, Facebook & Co., die sich der Verantwortung für ihre „automatischen Systeme“ nicht stellten. Es reiche nicht, auf das autonome Werkeln der Algorithmen zu verweisen und nur bei Beschwerden einzugreifen: etwa in den Autovervollständigungs-Algorithmus, der uns mit Suchvorschlägen beglückt, sobald wir etwas ins Suchfeld tippen. Das müsse sich ändern – aber wie genau, sagt er nicht.
“ Die Autocomplete-Funktion basiert maßgeblich darauf, welche Suchanfragen Menschen tatsächlich häufig in Googles Suchfenster eingetippt haben, und vermutlich darauf, welche der vorgeschlagenen Varianten dann besonders häufig angeklickt werden. Da ist keine Redaktion am Werk, sondern ein Roboter, der 24 Stunden am Tag Milliarden von Suchanfragen beobachtet, auswertet, gruppiert, gewichtet. Ein Roboter, der keine Ahnung hat, was Rassismus oder Antisemitismus ist. Der deshalb einen unbedarften Nutzer, der „are jews“ in ein Suchfenster eintippt, mit genau zwei Klicks zu solchen und ähnlichen Einlassungen führt: „Die Juden hatten gesündigt, und Gott war zornig auf sie. Glaubt ihr, die Juden von heute sind besser? Sie sind hundertmal schlimmer!!!“
Zum Artikel motiviert fühlte ich Stöcker durch den GUARDIAN, der darüber berichtet hatte, dass Google der Autocomplete-Funktion im Fall der Suche nach „are Jewish evil“ wegen der ätzenden Ergebnisse händisch einen Maulkorb verpasst hatte. Ich hab‘ das auf deutsch ausprobiert und – na klar! – auf die Eingabe „Juden sind…“ wird nichts vervollständigt.
24 Suchworte quer durch den Garten
Weil ich nun schon dabei war und ganz gerne mit dem Algorithmus rumspiele, probierte ich gleich mal aus, was so zu den anderen Religionen vorgeschlagen wird. Los gehts mit den Muslimen:
Wundert nicht wirklich angesichts des von AFD, NPD und Identitären geschürten Islam-Hasses. Erstaunlich aber, dass offenbar noch keine Beschwerden muslimischer Institutionen zu einem Eingreifen geführt haben. Haben sie noch gar nicht daran gedacht – oder hat Google Beschwerden ignoriert?
Weiter mit dem Christentum:
„Protestleute gegen den Tod“ ist ja mal ein witziges Ergebnis! Schließlich gibt es gute Gründe, gegen den Tod zu protestieren… Des weiteren bildet sich hier islamistischer Christenhass ab, auch das war zu erwarten. Jetzt aber mal weg von den drei abrahamitischen Religionen, ich nehme Zuflucht zu Buddha:
Wow, die Buddhisten haben vergleichsweise einen astreinen Ruf! Zu Teilen ungerechtfertigt, denn weder sind sie alle Vegetarier oder Veganer, noch wirklich immer friedlich!
Wie werden wohl jene beurteilt, die ganz ohne Religion auskommen?
Atheisten sind also „Terroristen“ – ich staune, das wirft der Algo ja nicht mal den Muslimen vor! Immerhin auch drei positive Votings: „bessere Menschen“, „bessere Christen“ und „intelligenter“.
Nationalitäten autovervollständigt
Als nächstes teste ich mal die Suche nach unseren Nachbarn: deutsch-französische Freundschaft, Rotwein-Weißbrot-und-Käse, tolles Essen, schöne Landschaften – das sollte sich doch positiv auswirken. Aber nicht doch:
Grade noch auf Platz 10 konnten die Franzosen den Ruf als „beste Liebhaber“ verteidigen. Dass sie „schlechte Gamer“ sein sollen, glaub‘ ich nicht. Was die Frage aufwirft: Wer GLAUBT eigentlich, dass dieser Algorithmus irgendwelche Wahrheiten auswirft? Gibt es tatsächlich noch so Ahnungslose?
Dicken-Bashing also für die armen Amerikaner! Bei „prüde“ halte ich mit: immer wieder versuchen US-Amerikaner, mit Badehose in die Sauna zu gehen….
Die Österreicher: Volk, das „aus Erfahrung dümmer“ wird? Da musste ich glatt mal schauen, was es damit auf sich hat. Und siehe da: eine Fake-News! Das Zitat wird in den „sozialen Medien“ Karl Krauss zugeschrieben, doch hat er das nie gesagt. Sondern:
„Es scheint der Menschennatur verhängt zu sein, durch Erfahrung dümmer und erst durch deren Wiederholung klüger zu werden, und besonders die Intelligenz muss viel mitmachen, bevor sie zu der Einsicht gelangt, dass eine Freiheit, die ihre Vernichtung herbeiführen würde, nur durch Hemmung zu retten ist.“
Tja, das ist dann doch zu anspruchsvoll als „Mem“!
Wir Deutsche dürfen in so einem Test natürlich nicht fehlen:
Seltsamerweise kommt „Nazis“ hier gar nicht vor. Dafür „keine Menschen“ – nun ja, Spinner halt! „Köterrasse“ wundert mich, schließlich posten wir unablässig Katzenbilder. Alles umsonst?
Ich belasse es dabei, denn es wird langweilig, bei allen Nationalitäten die üblichen Klischees plus fantasieloses Geschimpfe vorzufinden.
Ergänzungsvorschläge für Berufe
Gleich mal mit einem mega-umstrittenen Beruf angefangen:
War ja zu erwarten, was da alles kommt. Allgemeines Politiker-Bashing findet immer breiten Zuspruch (bei mir nicht). Das mit den „Reptilien“ hab ich neulich bei Domian mitbekommen, als jemand anrief, der allen Ernstes meinte, die Erde sei eine Scheibe. Und viele der „Herrschenden“ seien Reptiloiden, Hillary Clinton zum Beispiel: „man erkennt sie an den Augen!“. Na dann…
Weiter gehts mit Journalisten:
Tja, bei manchen Ergänzungen würde ich mir glatt wünschen, dass sie auch stimmen! Witzig die „Randfiguren der Holz-verarbeitenden Industrie“ – kannte ich noch nicht. Und wer für den Spruch verantwortlich ist, ist offensichtlich ziemlich Netz-fern.
Jetzt aber mal ein paar traditionell angesehenere Berufe, z.B. Wissenschaftler:
Ich staune, wie sexualisiert das Ergebnis hier aussieht. Im Vergleich können sich die Wissenschaftler freuen: niemand nennt sie dumm, sie werden als tolle Sex-Partner empfohlen und nebenbei wird die vernünftige Frage nach der Verantwortung gestellt. Wie steht es aber mit den Ärzten?
Gar nicht gut! Vorbei das einstige Vertrauensverhältnis, der einst so gute Ruf scheint zum Teufel – trotz der netten Arzt-Serien im TV!
Zum Schluss die ewigen Aussenseiter:
Auch ein vergleichsweise positives Ergebnis: Künstler als „Wächter der Freiheit“, nicht überflüssig und „arm, aber glücklich“. Wie viele das wohl unterschreiben würden?
Sexuelle Orientierung
Nun noch ein Blick auf Suchworte zur sexuellen Orientierung. Da ist ja vieles besser geworden, denken wir wenigstens. Leider bildet sich das in den Ergänzungsvorschlägen nicht ab:
Immerhin sind vier Ergebnisse zu „Homosexuelle sind…“ als Frage formuliert. Diese Menschen haben also noch keine in Stein gemeiselte Meinung. Wie sieht es nun aus, wenn ich den umgangssprachlicheren Begriff nehme?
Wenigstens „süß“ und „cool“, der Rest ist Geschimpfe. Wobei „süß“ genau wie bei „süße Maus“ auch nicht grade eine tolle Aussage ist.
Nun aber weiter zu den Lesben:
Keine Vorschläge, aha! Hier hat Google also bereits eingegriffen, vermutlich auf massive Beschwerden hin. Denn die Seite 1 der Suchergebnisse enthält durchaus genug Sätze, die normalerweise als „Ergänzung“ erschienen wären:
Was lernen wir daraus? Männer kümmern sich weniger darum, was Andere von ihnen halten. Oder Google reagiert nicht auf Proteste – genau weiß das nur Google.
Politik konkret
Schauen wir mal, was der Algo zu den verschiedenen politischen Richtungen auswirft, beginnend bei den GRÜNEN, der Partei meiner Generation:
Gegen alles? Wär das wahr, würde sie ja nirgends mitregieren. Ansonsten: erwartbares GRÜNEN-Bashing – und bei Parteien ist sowieso immer der Holzhammer zur Hand. Faschisten, Nazis, Kommunisten – alles drin!
Bei den Konservativen besteht Unsicherheit, ob sie „Nazis“ oder „keine Nazis“ sind. Interessant die Idee, Konservative seien „glücklicher“. Ob das so stimmt?
Bei Sozialdemokraten führt der bekannte (und vielfach berechtigte) Vorwurf des Neoliberalismus, gefolgt von totaler Unsicherheit, was Sozialdemokraten denn wohl seien. Sieht man das als „Verdunkelung“ an, passt der letzte Vorschlag, die selbstkritische Bezeichnung als „Feinde des Lichts“ sogar ziemlich gut.
Nun noch die Linken:
Alles erwartbar, langweilig. Allerdings seien Linke „unzufrieden“. Was die Frage nahe legt, warum „Zufriedene“ eigentlich politisch aktiv werden sollten?
Die Wähler sind am Ende auch nicht viel besser, wie der Algorithmus „beweist“:
Weitere Parteien abzufragen hatte ich keine Lust. Aber was zu „Feministinnen“ kommt, wollte ich schon noch wissen:
Bekannte Beschimpfungen. Eher witzig finde ich „an allem schuld“!! Das unterstellt dem Feminismus ja eine gewaltige Macht. Ich staune!
Letzter Hort der Harmonie: die Familie
Nach so vielen Beschimpfungen wollte ich endlich mal mehr positive Urteile sehen. Wie steht es zum Beispiel in der Familie? Zuerst die Mütter:
Und ja, erstaundlich positiv! Zwar wie die Feministinnen auch „an allem schuld“, aber ansonsten geliebt und gelobt! Bekommen sogar Verständnis dafür, dass sie „keine Engel“ sind.
Wie sieht es zum Vergleich bei den Vätern aus?
Alles klar! Väter sind die besseren Mütter – und cooler noch dazu. Wussten wir doch schon immer…
Zum guten Schluss die Kinder. Da so viel von der kinderfeindlichen Gesellschaft die Rede ist, erwartete ich nichts Gutes. lag aber zum Glück falsch:
Wow! Zumindest bei den Kindern trübt kein mieser Spruch die Ergänzungen. Kinder sind wunderbar, sind Geschenke, Sterne, Schmetterlinge – und unsere Zukunft.
Wenn man allerdings betrachtet, was der Algorithmus alles „zur Ansicht bringt“, sieht diese Zukunft nicht so toll aus: soviel Hass, Wut und Verachtung gegen alle und jeden. Dem Algo das Abbilden zu verwehren, wird allerdings nicht reichen. Die Menschen, die all das schreiben, verschwinden dadurch ja nicht. Und stimmen wir nicht auch selbst immer mal wieder dem einen oder anderen Votum zu?
Was meint Ihr? Wie sollen Google & Co. denn „ihre Verantwortung wahrnehmen“??
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