„Was hat sich geändert? Nach aussen ist das natürlich nicht sichtbar“, schrieb mir Gerhard in den Kommentaren zum letzten Text. Das Blöde ist: auch „von innen“ ist es derzeit für mich nicht erkennbar. Ich merke nur, dass die Routinen nicht mehr so leicht fallen, dass ich meine To-Dos regelrecht bestreike und mich zusammen reissen muss, um „nach außen“ den ganz normalen Eindruck zu machen.
Dabei bin ich weder krank noch depressiv und hab‘ auch keine Probleme mit meinen Nächsten. Finanziell ist alles im grünen Bereich, allenfalls merke ich, dass ich derzeit lieber weniger verdiene, mehr aufschiebe bzw. gar nicht erst annehme, um… tja, wenn ich wenigstens dazu etwas sagen könnte! Ich trödle einfach mehr herum, räume lieber ein bisschen auf, spüle Geschirr oder koche mir was, anstatt am PC sitzen zu bleiben. Ebenso „versurfe“ ich die Zeit einfach so – oder ich wechsle zum TV, obwohl meine innere Kritikerin davon heftig abrät.
Im Garten ist nach wie vor alles wunderbar. Dort stellen sich keine Sinnfragen, es geht nicht ums Geld verdienen, nicht um Sicherheit oder gesellschaftliches Engagement, nicht mal um Vergnügen, Unterhaltung oder Zerstreuung. „Ohne Denken“ kann ich mich vom Garten leiten lassen, der mir Arbeit gibt und Aufgaben zuteilt, die ich widerstandslos angehe. Selbst wenn ich mit meinem Liebsten die 800m² erstmal nur durchwandern will, um den Stand der Dinge zu besichtigen, ist das kaum durchzuhalten: Wir neigen beide dazu, ganz plötzlich ins Arbeiten überzugehen: hier was mulchen, da was beschneiden, dort eine Tomate anbinden, Not-Gießen… Es ist ein interaktives In-der-Welt-Sein, die Pflanzen scheinen mir zuzurufen: Los, mach mal eben! Auf eine Art, die kein großartiges drüber Nachdenken anstößt, sondern mich direkt ins Handeln übergehen lässt. Ich muss regelrecht stoppen: Hey, wir wollten doch erstmal nur rumspazieren! Oder ich halte kurz inne, weil mich zu viele Rufe gleichzeitig erreichen und ich zumindest beschließen muss, womit ich anfange.
Tun und Sein-lassen
So ist es im Garten, dort hab‘ ich kein Problem mit dem Tun, Was-Tun, Wann-Tun, Nicht-Tun und Sein-lassen. Wohl aber zuhause in meinem Wohn-Arbeitszimmer, in meiner seit mittlerweile über 20 Jahre gewohnten „selbst bestimmten“ Freiberufler-Situation, die mir gestattet, meine Brotarbeit, eigene Projekte und diverse Engagements übers Netz abzuwickeln. Ganz so einsiedlerisch ist das nicht: ich sehe regelmäßig meinen Liebsten und meine nächsten Freunde, ab und an gibts mal ein Treffen im Übersetzungsprojekt, bin jedoch nicht gezwungen, mich unters Volk zu mischen, mit Arbeitskollegen zu plaudern, auf Festen Smalltalk zu pflegen und ich vermisse das auch nicht. Wenn ich „was Besonderes“ erleben will, muss ich es anregen, aussuchen, aufsuchen, veranstalten – mach‘ ich auch ab und zu, aber vermutlich zu selten.
Ein lieber Freund hat mir kürzlich ein verlängertes Urlaubswochenende in St.Peter-Ording geschenkt, wo er mich in sein gemietetes Ferienhaus eingeladen hat. Damit ich mal zur Ruhe komme… Ich durfte nicht mal Geschirr spülen! :-) Und ja, es war wundervoll. Ich wollte immer schon mal die Nordsee kennen lernen, Ebbe und Flut, das Watt. Stundenlang darin herum wandern, endlose Weiten, Sand, Wasser, Horizont – das war wirklich toll!
Auch da kommt eine Selbstvergessenheit auf, ähnlich wie im Garten, aber ohne dass etwas „nach mir ruft“. Vier knappe Tage waren dennoch zu wenig, um bis zur Langeweile bzw. zur „langen Weile“ zu kommen, in der sich dann etwas heraus kristallisiert. Eine Idee, eine Erkenntnis, ein heftiger Wunsch, was auch immer.
Am ersten normalen Tag nach diesem Kurzurlaub merkte ich, wie sehr mir die Zentrierung im physischen Leben gefallen hat, was für eine tief gehende Umstimmung meines Lebensgefühls im Augenblick da stattgefunden hat – und grade dabei war, schnell wieder zu verschwinden. Trotzdem bekomme ich deshalb nicht etwa Lust, wieder aufs Land zu ziehen (been there, done that!). Eine längere Auszeit wär’s vielleicht, aber die kann ich mir nicht leisten.
Das hier ist jetzt aber keine Klage, sondern „nur“ die Suche nach einer Antwort auf Gerhards Frage, die auch meine Frage ist. Was hat sich verändert, dass das Leben nicht mehr wie gewohnt flutscht? Was gibt mir überhaupt das Gefühl, dass es nicht mehr „flutscht“, jedenfalls nicht mehr „wie gewohnt“? Immer öfter beobachte ich mich dabei, wie ich mich verweigere. Ich ignoriere Texte, die mich eigentlich interessieren, wende mich immer häufiger ab von der Möglichkeit, mental und emotional auf dies und das oder jenes einzusteigen. Dabei ist’s sogar egal, ob positive oder negative Verstrickungen locken. Wie seltsam! Zu fast allem, was da so an Impulsen ‚rein kommt, tritt ein spontanes Gefühl von „been there, done that“ auf. Mich NOCHMAL über Trump aufregen? Über die SPD? Die neuesten verfassungs- oder europarechtswidrigen Gesetzgebungen? Den schnell wachsenden Überwachungsstaat? All die anderen Mega-Themen unserer Zeit, die ich – normalerweise – interessiert verfolge und kommentiere…- ja wozu eigentlich?
Wieder einmal beneide ich die Menschen, die ab der Kindheit oder spätestens ab der Pubertät ihr persönliches Thema gefunden habe. Lebenslang begeisterter Käferforscher oder Cello-Spielerin sein, die Faszination zum Beruf machen und darin aufgehen – das muss toll sein! :-)
Ich weiß nicht, was sich gerade verändert. Es schreibend zu thematisieren regt dennoch das Hirn an, zu spekulieren. Der Verstand ist immer zu Diensten und gibt (fast) niemals zu, nichts zu wissen. Wenigstens will er benennen, was los ist, ob’s dann so stimmt, wird sich zeigen.
Dem gehe ich jetzt aber mal nicht auf den Leim, der Text ist schon lange genug.
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11 Kommentare zu „Was geht ab? Keine Ahnung!“.