Schluss mit den Marginalien! Ab Montag findet in Bonn der 23. Klimagipfel statt, eine Weltkonferenz, die sich immerhin die Aufgabe gestellt hat, den Planeten für die Menschheit bewohnbar zu halten. In der Presse wird der Mega-Event zwar pflichtschuldig gemeldet, aber wirklich zu interessieren scheint es nicht. Unsere derzeit „sondierenden“ Politiker können auch kaum etwas zum Gipfel beitragen, denn Einigkeit über das Vorgehen in Sachen Energiewende, Verkehr, Landwirtschaft ist nicht in Sicht. Und die USA sind sowieso ausgestiegen, dank des Irren Trump. Was soll das Ganze also noch?
Nicht einmal in der Theorie scheint es machbar, weltweit die Emissionen zu senken, die das Klima aus dem Takt bringen. „Wachstum“ ist nach wie vor die heilige Kuh, und jeden Tag können wir lesen, wie sich Zentralbanken engagieren, es in Gang zu halten, womöglich zu steigern. Denn wenn das nicht gelingen sollte, bricht wegen dann uneintreibbbarer Schulden das Finanzsystem zusammen und die Welt versinkt im Chaos vielfältiger Kriege und Verteilungskonflikte. So jedenfalls das Angstszenario, das selten ausgesprochen wird, aber (neben den „Systemzwängen“) gegen einen anderen Kurs spricht.
Technische Fortschritte, die tatsächlich Emissionen senken, werden regelmäßig überholt von der aufholenden Entwicklung in der ehemals „3.Welt“. Die aber – insbesondere in Afrika – bei weitem noch nicht reicht, um der massiv wachsenden Bevölkerung eine Perspektive zu geben (ein Thema, das Linke ungern bedenken). In den entwickelten Märkten sehen wir immer kürzere Produktzyklen, die auch noch regelrecht gefeiert werden – man denke nur an die Smartphone-Hypes! Und bei Gerätschaften und Gegenständen des täglichen Bedarfs bemerken bewusste Käufer schon lange: das Neuere ist oft das Schlechtere und kommt noch schneller auf den Müll als die älteren Produkte.
Ich könnte schier endlos weiter schreiben über all die ungebrochenen Trends, die dem Bemühen, für das die Klimakonferenz steht, zuwider laufen. Oder über all die Schäden am Ökosystem, die unsere Lebensart bereits angerichtet hat. Zuletzt publik wurde das Insektensterben: 80% weniger, sogar in Naturschutzgebieten. Dass damit eine wesentliche Grundlage der Nahrungskette und Artenvielfalt zu verschwinden droht, scheint die Politik wenig zu jucken: Wir wollen so weiter machen, wie gehabt, koste es, was es wolle! Was übrigens nicht alleinige Schuld böser Politiker ist, sondern allgemeine Einstellung der Wahlbürger. Wer will schon gerne verzichten? Auf Bequemlichkeit, Flugreisen, Autobesitz, viel Fleisch und Luxuskonsum, den es zum Leben nicht wirklich braucht?
Wir schaffen es einfach nicht, zu Gunsten langfristiger Gefahrenabwehr auf kurzfristigen Nutzen zu verzichten. Weil wir gar nicht so langlebig sind, dass uns die (hierzulande!) wirklich drastischen Klimaänderungen noch treffen könnten. So zumindest wird vielfach gedacht, was auch verständlich ist. Menschen mit Kindern sind evtl. etwas besorgter und engagierter (ist das so?), weil ja absehbar ist, dass wir den Kindern eine deutlich unangenehmere Erde vererben werden.
Wie unangenehm, dafür empfehle ich den grandiosen Artikel
- Der Planet schlägt zurück – Apokalypse Hunger, Stürme, Kriege und eine Sonne, die uns kocht: Wie der Klimawandel die Welt verändern wird.Der Text beruht auf einer höchst umfangreichen Recherche und ist
„…das Ergebnis von Dutzenden Interviews mit Klimatologen und Wissenschaftlern. Er berücksichtigt Hunderte Studien und Aufsätze zum Klimawandel. Was Sie hier lesen, ist – nach bestem Wissen und Gewissen – eine Darstellung, worauf unser Planet zusteuert, wenn wir nicht aggressive gegensteuern.“
Wirklich sehr lesenswert (für alle, die sich trauen), denn da werden mal nicht nur die gängigen Folgen („Meeresspiegel steigt“) unter die Lupe genommen, sondern ziemlich viele andere Schrecknisse, die uns blühen werden. Und nicht nur in der Zukunft, auch schon in der Gegenwart bringt der Klimawandel Menschen um, aber lest selbst!
Untergangsfilme
Über die Hälfte des Kohlenstoffs, den die Menschheit in ihrer Geschichte in die Atmosphäre geblasen hat, wurde in den vergangenen drei Jahrzehnten ausgestoßen (auch eine Info aus dem Artikel). Das korreliert mit meiner persönlichen Medien-Erfahrung: in der Zeit davor erschien die Zukunft noch als eine Besserwelt. Science Fiction malte tolle Utopien, man konnte sich auf diese Zukunft freuen, die immer eine „bessere, schönere, großartigere“ sein würde als die Gegenwart.
Das hat sich gewaltig geändert. Zukunft ist seit 30 Jahren zunehmend Angstgegner. Grade startet N24 den November mit spektakulär inszenierten „Dokus“ (Wir zeigen den WELTUNTERGANG!), wobei die Untergangsszenarien (1. Asteroid schlägt ein, 2. Erde wird vom schwarzen Loch verschlungen) gemeinsam haben, dass sie zügig ablaufen und unvermeidbar sind („there is nothing you can do“). Detailreich wird dann gezeigt, wie das im einzelnen ablaufen würde. Woher bloß diese Faszination am unabwendbaren Untergang?
Der real ablaufende „Untergang“ verläuft schleichender, eignet sich also weniger fürs Drama. Und wir KÖNNTEN sogar etwas dagegen tun, zumindest gegen die allerschlimmsten Verläufe. Das aber ist es uns anscheinend nicht wert. Nicht individuell und erst recht nicht kollektiv.
Trotzdem weiter Klimakonferenzen? Petra Pinzler zeigt in der ZEIT auf, warum sie sinnvoll sind und bleiben. Ich kann mich grade nicht zu positiven Ausblicken aufraffen. Bei der Klimakonferenz 2009 war ich noch etwas motivierter und schrieb am Ende:
„Heute hab‘ ich meine Heizung auf 19 Grad gestellt. Kein großer Sprung, denn ich war eh schon bei 20/21. Mal schauen, wie mir das bekommt, vielleicht ist es auch ein Anreiz, den Tag vor dem Monitor öfter mal durch ein paar Kreislauf anregende, wärmende Yoga-Übungen zu unterbrechen. Klimaschutz ist meistens auch gleichzeitig gesund.“
Ich ergänze: kühlere Temperaturen helfen auch beim Abnehmen – und DAS ist uns ja immerhin verdammt wichtig!
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22 Kommentare zu „Zum 23. Klimagipfel: Wer will noch was retten?“.