Die bekannte Feministin Antje Schrupp hat auch ein Blog über Gott. Als ich es entdeckte, trug es den Untertitel „It’s not about existence“ und ich dachte: Wie schade! Wie kann man nur ernsthaft über „Gott & Co.“ bloggen und die allerwichtigste Frage ausklammern?
Ganz konsequent zieht sich diese Verweigerung dann doch nicht durch das Blog. Im Artikel „Warum Gott nicht existiert“ (=nicht existieren kann!) skizziert sie in aller Kürze einen Weg, wie man als vernunftbegabtes Wesen „die Sache mit Gott“ betrachten kann: als kulturell etablierte, für Gläubige durchaus wirkungsvolle Umgangsweise mit dem Bedürfnis nach Transzendenz: „Gott“ wird gesagt, wenn man mit dem, was auf dieser Welt existiert, nicht weiterkommt.
Der Vorwurf aller Ungläubigen, Gott würde doch gar nicht existieren, ist so gesehen sinnlos, denn „existieren“ würde ja bedeuten, Teil dieser unbefriedigend verfassten Welt zu sein. Und das ist Gott ja gerade nicht.
„Damit ist nicht nur gemeint, dass Gott keine wissenschaftlich-materiell nachweisbare Existenz haben kann, das wäre sozusagen noch nichts Besonderes. Das Tolle an Sprache und das, was den Menschen als sprachbegabte Wesen auszeichnet, ist die Tatsache, dass sie jede Menge Dinge hervorbringen können, die „als Materie“ gar nicht existieren. Gott ist da bei weitem nicht allein: Auch Liebe, Gerechtigkeit, Freiheit sind solche von Menschen erfundenen Konzepte, die aber trotzdem höchst real sind und über die man lange und interessante Diskussionen führen kann. Und auch wenn Liebe, Gerechtigkeit und Freiheit nicht „existieren“, so hat es doch eine enorme Auswirkung auf die Welt, ob Menschen daran „glauben“ oder nicht.“
Soweit so vernünftig, so logisch, so nüchtern. Aber:
Was erfahren Gläubige, wenn sie „Gott erfahren“?
Das hab‘ ich mich immer schon gefragt, denn für mich war die Sache mit Gott schon durch, als ich den katholischen Werdegang mit Kommunion und Firmung durchlief. Selbstverständlich hatte ich als Kind zunächst geglaubt, was man mir rund um Jesus und Gott so erzählte. Nur: es ging mir zwischen 5 und 10 so richtig richtig dreckig. Ich wurde – als Kleinste, Jüngste, Zugereiste – von einer Kinderbande gemobbt und war so einsam und verzweifelt, wie man nur sein kann. Damals lernte ich, dass all die Geschichten von Jesus und Gott nicht stimmten, denn nie bemerkte ich irgend eine Reaktion, wenn ich mich mit all meinem Elend und der dringenden Bitte um Hilfe an die göttlichen Instanzen wandte. Also gab ich den Glauben auf, erkannte ihn als Märchen, genau wie das mit dem Osternhasen, dem Christkind und dem Nikolaus.
Dass Religion trotz solcher Enttäuschungen funktionieren kann, begründet Antje Schrupp in „Religion geht auch ohne Spiritualität„. Sie bricht da eine Lanze für „intellektuelle Frömmigkeit“, die auf „Erfahrungen der Gottesnähe“ verzichten kann. Schön und gut, aber reicht dann nicht ein schlichter Humanismus?
Vor allem: Die Welt ist ja voller Geschichten von Menschen, die berichten, wie Jesus ihnen geholfen habe. Als ich den ersten Smart-TV anschaffte und die Programme nurmehr über Zattoo konsumierte, lernte ich einen Sender namens „Bibel TV“ kennen. Ein Star der dortigen Christenszene ist offensichtlich Joyce Meyer, eine begnadete „Rednerin im Namen des Herrn“, die erstaunlich authentisch wirkt in ihrem Glauben, ganz offensichtlich stets bemüht, ein „Werkzeug Gottes“ zu sein und andere auf diesen Weg zu führen. Dabei ist sie auch ziemlich unterhaltsam, obwohl sie ständig Bibelsprüche zitiert. Ich kann nicht behaupten, dass irgend etwas an ihren vielen Ratschlägen kritikwürdig wäre: sie hilft offenbar vielen dabei, ein „guter Christenmensch“ zu werden und mit sich (und Gott) ins Reine zu kommen. Aber hey, was um Himmels Willen ist dieser hilfreiche „Kontakt nach oben“, von dem nicht nur Meyer, sondern auch viele andere Gläubige in den diversen Sendeformaten berichten?
Alles nur Einbildung? Nein, gewiss nicht! Was als „Stimme von oben“ bzw. hilfreiche Intervention einer „höheren Macht“ erscheint, ist unser eigenes höchstes Potenzial, wobei das Wort „eigen“ nur meint, dass wir es innerpsychisch erfahren, nicht etwa da draußen in der Welt vorfinden. Verfügungsmacht ist nicht gemeint, denn es ist nicht einfach, dieses „höchste Potenzial“ in Reinform zu erfahren, genauso wenig wie es selbstverständlich ist, dass „Gott“ antwortet, wenn jemand ein Gebet spricht.
Je nach kulturellem Umfeld oder – heutzutage – frei gewählter Denk- und Glaubendstradition evozieren wir dieses Potenzial mittels verschiedener Methoden: Gebet, Meditation, bewusstseinsverändernde Drogen, Trance, Tanz, Rituale, divinatorische Methoden u.v.m. In welchen „Überbau“, welches Glaubenssystem die Erfahrung eingebettet ist, ist für das Gelingen gar nicht so entscheidend, sondern viel mehr die eigene Ernsthaftigkeit, der Glaube im Sinne der Überzeugtheit, dass das gewählte System funktionieren kann. Im Buddhismus sind die drei dafür erforderlichen Bedingungen klar benannt: Buddha (der Begründer, der Meister, der Erleuchtete), Dharma (die Lehre) und Sangha (die Gemeinde).
Diese drei „Juwelen“ findet man in allen Religionen und spirituellen Traditionen wieder: es muss jemanden geben, der etwas erlebt und beschrieben hat, das andere „auch haben“ wollen. Wie man es erlangt, ist die jeweilige Lehre – und damit man als Individuum daran glauben kann, dass es auch funktioniert, braucht es die „Gemeinschaft der Gläubigen“. Denn nichts ist so mächtig und wirkungsvoll wie eine gemeinsame Überzeugung: sie konstruiert eine psychische Umgebung, die es dem Individuum erleichtert, das „höhere Selbst“ als reale, innerpsychische Tatsache zu erfahren.
Das Framing, das durch Lehre, Übung und Gemeinde geleistet wird, definiert und evoziert natürlich nur etwas, das auch „einfach so“ immer schon zum Mensch-Sein gehörte. Wäre es anders, hätte nie ein Mensch eine Lehre begründen können, ganz ohne Gläubige um sich herum. Wir sind Wesen, deren Psyche das gesamte Spektrum zwischen „heilig“ und „teuflisch“ als Potenzial beinhaltet. Dies bei sich selbst als wahr zu erkennen, ist kein schönes Erlebnis. Viele verweigern sich dieser Erkenntnis (des „Schattens“), wähnen sich „immer bei den Guten“ und projizieren alles Böse auf Andere. Ganz ebenso wird aber auch das „höchste Potenzial“ nicht als eigene Möglichkeit gesehen: so göttlich gut, so weise und liebevoll – das KANN DOCH NICHT ICH SEIN!
Und so kommt es, dass sich Religionen etabliert haben, die einen oder mehrere Gottheiten, Teufel und Dämonen kennen und mit ihnen rituellen Umgang pflegen. Es ist für viele einfacher, sich betend an ein „göttliches Du“ zu wenden, um Heilung und Gnade zu bitten, anstatt sich z.B. meditativ um die Verwirklichung der „liebenden Güte“ für uns selbst und andere zu bemühen.
Warum hassen Atheisten Gläubige?
Noch viel einfacher ist es, Religion und Glauben in die Tonne zu treten, Spiritualität als esoterische Spinnerei abzutun und sich allenfalls um „weltliche“ Erfolge zu bemühen, um das Glück, das diese schenken können, eine Zeit lang zumindest.
Dass das letztlich nicht reicht, wissen wir alle im tiefsten Inneren. Alles vergeht, wir werden alles verlieren, was wir jemals errungen haben. Am Ende warten unausweichlich Alter, Krankheit und Tod. Dazu muss jeder eine Haltung finden, mit oder ohne Gott, mit oder ohne spirituelle Tradition. Die Sehnsucht nach dem „inneren Frieden“ ist uns allen gemeinsam, davon bin ich überzeugt.
Der erstaunliche Hass vieler Atheisten auf Gläubige speist sich aus meiner Sicht aus dem Neid auf alle, die für sich einen Weg im Glauben gefunden haben, an diesen Tatsachen des Lebens nicht zu verzweifeln. Militante Atheisten gönnen niemandem ein funktionierendes „Trostsystem“, weil sie selbst keines haben. Wären sie nicht im Grunde ihres Herzens traurig über die Leere, wäre jeglicher Glaube Anderer doch kein Aufreger. Mich stört doch nicht, was Leute glauben, so lange sie mich nicht missionieren wollen!
Womit zum guten Schluss ein Punkt angesprochen ist, an dem auch meine Toleranz endet: Fanatismus, Alleinvertretungsansprüche, Hass gegen Andersgläubige, Überheblichkeit, Auserwähltheitsgetue, jegliche religiöse Militanz, Penetranz und Aufdringlichkeit ist mir ein Greuel. Es gibt so viele Religionen und spirituelle Traditionen, dass friedliches Zusammenleben in einer immer mehr zusammen wachsenden Welt nur funktionieren kann, indem man den Glauben Privatsache sein lässt. In der Gesellschaft muss das weltliche Gesetz das Zusammenleben regeln, sonst ist kein Friede möglich.
Mit Gott kann ich heute immerhin twittern – wir folgen uns gegenseitig! :-)
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25 Kommentare zu „Über Gott oder: Wie glauben Gläubige?“.