Klar, es ist mehr so eine politisch-symbolische Forderung, die per Petition bereits 183.461 Mitzeichner gefunden hat. Die Forderung an Jens Spahn lautet:
„Zeigen Sie uns für nur einen Monat, wie Sie auf Basis des HartzIV-Grundregelsatzes Ihren Alltag meistern. Dann gehen wir beide einen Kaffee trinken und unterhalten uns noch einmal darüber, was Armut bedeutet.“
Jetzt stellen wir uns mal vor, Jens Spahn sagt: „Klar, mach‘ ich jetzt mal. Start ist im April.“ Wenn er es geschickt anstellt, könnte er als Minister vielleicht sogar unter dem Regelsatz bleiben. Er hat Dienstwagen und Chauffeur, hat bis zum Abwinken gesellschaftliche Termine mit Buffet oder zumindest Häppchen. Und ganz gewiss lebt er in einem Top-Haushalt, in dem nichts so alt ist, dass es in dem Monat kaputt geht. Wo Verbrauchsmaterialien (Gewürze, Waschmittel, Klopapier) ausreichend vorhanden sind und nicht erst noch eingekauft werden müssen. Und wo vermutlich jemand anders den Haushalt besorgt. Über „gesellschaftliche Teilhabe“ muss er sich schon gar keinen Kopf machen, da er es sowieso nie schafft, überall dort zu erscheinen, wo er eingeladen ist.
Jemand in einer derart privilegierten Situation KANN gar nicht „wie ein Hartz4-Bezieher“ leben. Und so richtig vorstellen kann er es sich vermutlich wirklich nicht – insbesondere nicht den Stress- und Demütigungsdruck, der durch die Job-Center auf die Betroffenen ausgeübt wird. Das ließe sich schon gar nicht simulieren.
Wir erinnern uns: Als Thilo Sarrazin noch Finanzsenator von Berlin war, hat er einen „Speiseplan für Hartzer“ entwickelt, mit dem er beweisen wollte, dass man (damals) mit knapp 4 Euro am Tag für die Ernährung auskommen kann. Das war auch so ein absurdes Theater, denn das Problem mit Hartz4 ist weder damals noch heute, dass man damit verhungert (da hat Jens Spahn recht). Sondern dass bei der Berechnung des Regelsatzes extrem getrickst wurde und wird, um ihn möglichst klein zu rechnen. Die angenommenen Bedarfe sind teilweise weit von der Realität entfernt:
Der Hartz-IV-Regelsatz ab 2018:
Kategorie | Betrag |
Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke | 145,04 € |
Freizeit, Unterhaltung, Kultur | 39,91 € |
Nachrichtenübermittlung | 37,20 € |
Wohnen, Energie, Wohninstandhaltung | 36,89 € |
Bekleidung, Schuhe | 36,45 € |
Verkehr | 34,66 € |
Andere Waren und Dienstleistungen | 32,99 € |
Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände | 25,64 € |
Gesundheitspflege | 15,80 € |
Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen | 10,35 € |
Bildung | 1,06 € |
Quelle: Bundesagentur für Arbeit |
Wohnen / Energie / Wohninstandhaltung: der Betrag reicht zum Beispiel nicht, um übliche Heizkosten zu finanzieren. Wobei diese Vergleiche mit dem Durchschnitt noch nicht einmal einrechnen, dass ein arbeitsloser Betroffener weit mehr zuhause ist (und Heizung braucht) als Arbeitende, die morgens ihre Wohnung verlassen.
Absolut lächerlich wirkt der Betrag von 1,06 Euro für Bildung – und das bei Menschen, von denen die Gesellschaft erwartet, dass sie sich eigenständig weiterbilden, um wieder besser Arbeit zu finden.
Ich will jetzt nicht weiter ausführen, was es alles am Regelsatz zu kritisieren gibt, das haben andere schon ausführlich getan, zum Beispiel hier:
- Spiegel online:
Fehlerhafte Statistiken Wieso Hartz IV tatsächlich zu wenig zum Leben ist - Olaf Mittelstedt:
Zwei mal drei macht vier, widewidewitt und drei macht neune… - Gegen-Hartz.de:
Hartz IV-Kindersatz: 2,77 Euro für die Ernährung eines Kindes zu wenig?
Während ich das schreibe, haben mehrere 100 Leute die o.g. Petition unterschrieben. Mach‘ ich jetzt auch, immerhin ist es eine gut sichtbare Protestwelle.
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Ein Kommentar zu „Jens Spahn KANN NICHT einen Monat „von Hartz4 leben““.