Verschiedene Twitter-Gewitter und Blogartikel rund um die verstörenden Straftaten der letzten Wochen (#Frankfurt #Voerde, #Stuttgart) inspirieren mich zu diesem Artikel, den ich aber auch zu fast jeder Zeit in den letzten Jahren hätte schreiben können, leider.
Regelmäßig sind die Abläufe ähnlich: Ein Verbrechen geschieht, das aus dem „üblichen“ Rahmen fällt und von Flüchtlingen und/oder Migranten begangen wird. Die Medien melden das Schreckensereignis großflächig, updaten ihre „Ticker“ in kurzen Abständen, auch wenn es noch kaum Genaues zu wissen gibt. Empörungswellen rollen durch die sozialen Medien, wobei sich sofort die Kreise spalten:
- Die einen sehen sich in ihrer Skepsis gegenüber Migration und Flüchtlingspolitik bestätigt und fordern Konsequenzen, prangern Politikversagen an und vieles mehr.
- Andere tun das ganz ebenso, nutzen die Tat aber auch, um ihre spezifische Rechtsaußen-Agenda (alle raus, Grenzen dicht, #dankeMerkel etc.) zu promoten und explizit Hass zu verbreiten.
- Darüber regen sich wiederum breite Kreise auf, prangern Instumentalisierung an, verweisen auf urdeutsche Täter ähnlicher Schreckenstaten und werfen gern mal alle in denselben Nazi/Rassistentopf, die sich zu den Taten UND der Herkunft der Täter äußern.
- Was wiederum Empörungswellen hervorruft, weil die schrecklichen Taten durch solche „Ablenkungen“ únzulässig relativiert würden, bloß weil sie von Migranten bzw. Flüchtlingen begangen wurden…
Diese Spiralen kommunikativer Empörung wiederholen sich, es wird kaum mehr diskutiert, der Schlagabtausch dominiert und erstickt jeden Ansatz zu einem vernünftigem Gespräch. Nicht wenige ziehen sich zurück, äußern sich nicht mehr öffentlich zu brisanten Themen und überlassen das Feld den „Radikalen“, die dann – mehr noch als bisher – den Eindruck einer Mehrheit vermitteln.
Was sind vernünftige Debatten?
„Vernünftig“ nenne ich eine Debatte, in der rational diskutiert und argumentiert wird. In der Probleme benannt werden dürfen, ohne dass man bereits in eine Schublade gesteckt wird, für die man sich durch nichts sonst qualifiziert hat.
Das muss auch für Themen gelten, über deren Problemhaftigkeit Uneinigkeit besteht, denn auch über ein „von vielen als Problem wahrgenommenes“ Phänomen muss man sprechen können, ohne zur Zielscheibe von Hass und Hetze zu werden.
Klar liegt es nahe, vor allem „Front gegen Rechts“ zu machen, aber wenn dabei regelmäßig Leute mit unter die Räder kommen, die definitiv keine Rechtsradikalen, sondern eher links, grün, ehrlich liberal oder gutbürgerlich-konservativ sind, dann wird mehr Schaden angerichtet als Nutzen gestiftet.
Der Dissenz, das Bashen und Shitstormen geht oft schon bei der Benennung los. Um ein Thema sinnvoll diskutieren zu können, muss man es benennen. Wie aber soll man die Gruppen benennen, um die es geht, ohne gleich massiven Ärger auf sich zu ziehen?
- Für Zugewanderte hat sich unter Vernünftigen (=den nicht von Gruppen-bezogenem Menschenhass Motivierten) der Begriff „Migranten“ bzw. „Menschen mit Migrationshintergrund“ eingebürgert, der dann allgemein wurde.
- Für andere, also die einst monokulturellere Bevölkerung von Deutschland wird derzeit oft der Begriff „Bio-Deutsche“ verwendet. Das finde ich wenig passend, denn mit „bio“ hat das Gemeinte nichts zu tun. Besser wäre „Ureinwohner“. Darunter kann dann eine Bandbreite von 10plus Generationen bis hin zu den Kindern und Enkeln der Gastarbeiter verstanden werden.
Soweit vermutlich noch halbwegs konsensfähig. Aber wann ist es überhaupt legitim, die Herkunft eines Täters zu nennen? In der Diskussion eines gesellschaftlich wahrgenommenen Problems darf es aus meiner Sicht keine politische Todsünde sein, auf die Herkunft hinzuweisen, wenn es im Kontext der jeweiligen Rede (!) Sinn macht.
Man kann dem ja dann entgegen stellen, dass die Herkunft im jeweiligen Einzelfall keinerlei Bedeutung hatte und das argumentativ untermauern. Dennoch bleibt jegliche Häufung von Delikten, die über den entsprechenden Straftaten-Anteil der Ureinwohner hinaus geht, ein legitimer Grund, darüber zu sprechen.
Ähnliche Konfliktfronten gibt es nicht nur bei diesem, sondern auch bei etlichen anderen Themen.
- Etwa, wenn der Versuch von Frauen, Probleme mit Transfrauen zu debattieren, als „transphob“ abgebügelt wird, weil Transfrauen nun mal einfach „Frauen“ seien.
- Oder wenn jegliche Diskussionsversuche über problematische Inhalte des Islams als „islamophob“ gegeiselt werden.
Eine weitere, massiv Streit-schürende Strategie ist die mittlerweile unfassbar weite Ausweitung von Begriffen wie „Rassismus“ oder „Sexismus“, worunter heute schon das Nicht-Einhalten von Quoten fällt, wo sie weder vorgeschrieben noch sinnvoll sind. (Für manche sogar schon das bloße Widersprechen, wenn das Gegenüber ein Mensch mit Migrationshintergrund oder „POC“ ist). Aber das ist ein weites Feld und braucht extra Artikel.
Gemeinsam ist diesen Streitigkeiten, dass ernsthafte Debatten über real existierende (oder meinetwegen auch „von vielen so wahrgenommene“) Probleme gar nicht erst stattfinden bzw. gleich abgewürgt werden.
Das schadet ernsthaft der Demokratie, die ohne die Möglichkeit der freien Debatte (nicht: Hass und Hetze) nicht auskommt, sondern wegen der immer tiefer gespaltenen Gesellschaft dann irgendwann ins Autoritäre abgleitet.
Mehr zum Thema:
Zur Sache empfehle ich folgende Blogposts – was nicht heißt, dass ich mit allem, was da geschrieben wird, einverstanden bin. Die ersten beiden hab ich ausführlich kommentiert:
- Schmerzhafte Annäherung an die Wirklichkeit – Horst Schulte
- Allwissend im Alter – Fliegende Bretter
- Schweigen: Wieso tut man es nicht öfter? – Henning Uhle
- Der Mord an einem Kind – Stephan Pietsch
- Die toxische Rede von toxischen Menschen – Man Tau
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9 Kommentare zu „Für hassfreie, vernünftige Debatten – auch über Kriminalität bei Migranten“.