Claudia am 11. Oktober 2019 —

Da fehlen die Worte: Terror gegen Juden

In den Blogs meiner Blogbibliothek finden sich gerade mal zwei Artikel zum Terror-Anschlag in Halle. Es wirkt seltsam, aber ich verstehe das, denn auch mir fehlen die Worte angesichts dieses grauenhaften Hass-Verbrechens. Zudem ist die Presse voll von Artikeln zum Thema: was sollte man da noch sagen, was nicht schon zigmal irgendwo steht? Andrerseits kommt mir jede mögliche persönliche „Stellungnahme“ unangemessen, in keinem Fall ausreichend vor. Entsetzen, Mitgefühl, Ohnmachtsgefühle, Wut – begnadete Lyriker/innen könnten vielleicht Worte finden, die all das fassen und zum Ausdruck bringen. Ich kann es nicht.

Wohl aber kann ich zitieren, was mir aus dem Herzen spricht. Zum Beispiel einen Artikel der ZEIT, der zu Recht AFD, Pegida & Co. als geistige Brandstifter solchen Terrors adressiert, obwohl sie sich verbal auch jetzt wieder als „pro-jüdisch“ darstellen und jede Verantwortung von sich weisen.

„Ein Wesenszug des klassischen Antisemitismus liegt in der Bereitschaft, die Juden als eine kollektiv nach einem düsteren Plan handelnde Gruppe zu markieren. Sie als Fremdkörper zu betrachten, der innerhalb einer Gesellschaft seine eigenen Ziele verfolgt, der irgendwann unweigerlich den Niedergang seiner „Wirtsgesellschaft“ auslöse. Ein anderer ist die Beschreibung von Juden als wurzellose, wohlhabende Kosmopoliten, denen die Werte und Normen der Mehrheitsgesellschaft fremd seien.

Beide antisemitischen Erzählfiguren kommen zusammen, wenn die AfD und ihre Anhänger von der demografischen Katastrophe sprechen, die der linke Feminismus ausgelöst habe und die nun handstreichartig durch arabische Massenzuwanderung gelöst werde, unterstützt von linken Bildungsbürgern, die nichts von den Normen und Werten des Normalbürgers wüssten. Nicht viel anderes sagte ja auch der Täter von Halle, bevor er den Juden daran die Schuld gab. So unelegant gehen heutige Rechtspopulisten natürlich nicht vor. Sie überlassen es meist den Zuhörerinnen und Zuhörern, ihre Schlüsse zu ziehen. Der Antisemitismus der AfD braucht keine Juden mehr. Er braucht nur noch die antisemitischen Stereotype.(Hervorhebung von mir)

Nun ist die AFD ja nicht etwa ein Fremdkörper in der deutschen Gesellschaft, sondern verfügt über ein Wählerpotenzial, bei dem ihr von Hass & Hetze strotzendes Weltbild geteilt wird. Wer Höcke zuhört, fühlt sich an die Reden von Hitler und Göbbels erinnert, alle vermeintlich „gemäßigten“ Statements von Leuten wie Meuthen wirken wie lügnerisches Gelaber von Wölfen im Schafspelz. Innerparteilich wird der „Flügel“ immer mächtiger – und dennoch kehren die Wähler der AFD nicht den Rücken. Warum? Dazu noch ein Zitat aus dem ZEIT-Artikel

„In Halle hat der Judenhass gestern ein neues Fanal gesetzt. Doch es ist nicht nur diese Tat, es sind auch kleinere Zeichen, die einen sorgen müssen. Die wachsende Zahl von Leuten zum Beispiel, die meinen, Deutschland müsse einen Schlussstrich unter seine Vergangenheit ziehen. Die von einem Drittel der Deutschen geteilte Behauptung, die Juden würden den Holocaust zu ihrem Vorteil nutzen. Die völlig unproportionale Anzahl von Deutschen, die behaupten, ihre Vorfahren seien im Widerstand gewesen. All das sind Zeichen dafür, dass viele Deutsche aufgehört haben, sich aktiv mit dem antisemitischen Erbe zu befassen, das in die Katastrophe des Völkermordes an den Juden führte. Wenn sie es je getan haben. Stattdessen wird ein lächerlicher Begriff wie „Aufarbeitungsweltmeister“ zum Symbol dieser versteinernden Erinnerungskultur. Als sei die Bewältigung unserer Vergangenheit längst mit Bestnote abgeschlossen und jetzt etwas zum Angeben wie der Tiguan im Carport.“

„Aufarbeitungsweltmeister“, „Schuldkult“, „Umvolkung“, „Grenzöffnung“ (als wären sie damals zu gewesen!), „Genderwahn“, „Pass-Deutsche“ und das wie zur Nazizeit wieder ethnisch verstandene „deutsche Volk“ – all das sind Begriffe, die von Menschen zu hören und zu lesen sind, die der AFD nahe stehen, sie wählen oder in ihr Funktionen bekleiden. Zwar nicht bei allen gleichermaßen, aber die oft zur versuchten Reinwaschung heran gezogenen „besorgten Bürger“ bzw. Protestwähler scheint es nicht weiter zu stören, das rechtsextreme Positionen in der AFD gang und gäbe sind.

Die AFD normalisiert Hass & Hetze gegen Minderheiten und Andersdenkende. Sie erschafft damit das Umfeld, in dem sich Gruppen und „Einzeltäter“ zu Taten inspiriert fühlen. „Gehe ich eben zu den Kanaken“ soll der Täter von Halle in seinem Livestream gesagt haben, als die Tür der Synagoge dem Angriff stand hielt. Auf diesem Weg hat er zwei Menschen erschossen. Welche Minderheit es trifft, war ihm da wohl schon egal.

***

Mehr dazu:

  • Jom Kippur 2019 in Deutschland (Irgendwie jüdisch)
    „Ich las die Kommentare der Politik, las von Bedauern und Entsetzen und ich frage nach Taten in all den Jahren. Haben wir Taten gesehen trotz all der Warnungen, trotz des Wissens um den ansteigenden Antisemitismus, den Rassismus, des halsschwellenden Hasses auf alle und alles, was vermeintlich anders sei? Trotz des Wissens um Waffenlager der Rechten, ihrer Netzwerke und der Morde die sie begangen in all den Jahren des Landes Deutschland? Haben wir Taten gesehen, trotz des unübersehbaren Hasses, der nun auch im Bundestag sein Unwesen treibt? Haben wir etwas gesehen außer Worten und Positionen?“
  • Der Sturm, vor dem wir euch gewarnt haben
    „Deutschland ist ein Land, in dem der Hass auf Andere mühelos vom Wahlkreuz in die Vernichtung übergeht. Es genügt nicht, ein paar Sicherheitskameras bereitzustellen – wir brauchen einen antifaschistischen Konsens.“ (Max Czollek / SPON).
  • Wie die rechte Szene ihren Nachwuchs rekrutiert
    Plötzlich, so schien es, wählen auch viele junge Menschen AfD. Doch Rechte arbeiten schon länger an einer Gegenkultur, die für den Nachwuchs attraktiv ist.
    „Nach der deutschen Wende, wenn das Land in unsren Händen ist, dann seh’n wir, wen’s am Ende trifft und wer von uns verängstigt ist.“ (TAGESSPIEGEL)
  • Wie die AfD den Antisemitismus in Deutschland nährt
    „Mit ihrem unsäglichen Treiben geben die Rechtsnationalisten der AfD ein Signal an alle aus, die sich im rechtsextremistischen Denken verstrickt haben und in sich den Drang verspüren, zur Tat zu schreiten und zur Waffe zu greifen: Wenn es all die Fremden, die von Merkel gerufenen „Messermigranten“, all die links-grün versifften „Volksschädlinge“, und dann auch all die Juden und ihre weltumspannende Macht nicht geben würde, dann ginge es den Deutschen gut, dann hätte Herr Gauland jeden gerne zum Nachbarn.“ (Vorwärts)
  • Juristisch trifft die AfD keine Schuld am Terror von Halle – moralisch schon
    „Wer Leute wie Höcke oder Andreas Kalbitz in seiner Partei duldet, ist kein unbeteiligter Zeuge mehr.“ (STERN)

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Diskussion

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13 Kommentare zu „Da fehlen die Worte: Terror gegen Juden“.

  1. Was soll man noch schreiben, in einem Land, in dem Geheimdienste, Militär und Polizei von Rassisten, Antisemiten, Reichsbürgern und Nationalsozialisten durchsetzt sind und nie der Versuch unternommen wurde, den rechten Terror einzudämmen? Im Sudelbuch habe ich 2012 zuletzt das Tag „antisemitismus“ benutzt.

  2. Jetzt sind’s drei.

  3. Liebe Claudia, ich bin Hallenserin und habe in den letzten Tagen viele Statements zu dem Angriff gelesen. Ich bin ich auf einem spirituellen Weg. Man könnte ihn vielleicht mit christlicher Mystik beschreiben, um sich darunter was vorstellen zu können. Das ist aber kein theoretischer, sondern ein Erfahrungsweg. Ich habe auf diesem Weg gelernt, dass es nur zwei Gefühle gibt: Liebe und Angst. Und Angriff ist eine Form von Angst. Nur die Liebe besiegt die Angst. Deshalb müssen wir jetzt mehr lieben, statt Angst zu haben. Das ist meine einzige Antwort auf jeden Hass und jede Angst, also auch auf diese Situation. Das ist das Einzige, was ich lernen, üben, erfahren und teilen will. Hab ein schönes Wochenende! Christiane aus Halle

  4. @Christine,

    vielen Dank für deinen liebevollen Kommentar! Und ich wünsche dir, dass du das in deinem persönlichen Umfeld auch leben kannst.

    Mir fällt es schwer, Hass NICHT ebenfalls als Gefühl zu sehen, dass ein Mensch haben kann. Klar, irgendwann in der Vorgeschichte wird er viel Angst gehabt haben – und begonnen haben, zu hassen, was ihm Angst macht – und später alles, was sich gerade als Projektionsfläche anbietet.

    Diesem Hass kann man dann aber nicht überall mit Liebe begegnen, nicht als Betroffene, die angegriffen werden, und auch nicht als Gesellschaft, die mit ihrem Strafrecht verschiedene legitime Ziele verfolgt: Abschreckung/Prävention, Schuldausgleich und Resozialisierung. Nur der letzte Punkt könnte mit „Liebe“ in Zusammenhang gebracht werden, wobei der Trend leider in die andere Richtung geht: Sicherungsverwahrung/Schutzfunktion.

    Hass ist m.E. durchaus ein Gefühl – aber eines, das wir wann immer möglich vermeiden sollten, da gebe ich dir recht. Denn Hass schadet nur manchmal dem Gehassten – aber IMMER dem der hasst.

  5. @Christiane Schenke: „Man könnte ihn vielleicht mit christlicher Mystik beschreiben, um sich darunter was vorstellen zu können.“
    Seitdem ich „Mystik und Widerstand“ von Dorothee Sölle vor zwei Jahrzehnten gelesen habe, kann ich mir darunter was vorstellen. Sölle schreibt u.a. :
    „Mystik ist die Erfahrung der Einheit und der Ganzheit des Lebens.
    Leiden an der Zersplitterung und sie unerträglich finden, das gehört
    zur Mystik. Gott zersplittert zu finden in arm und reich, in oben und unten, in krank und gesund, in schwach und mächtig, das ist das Leiden der Mystiker. Der Widerstand von Franziskus oder Elisabeth v. Thüringen oder von Martin Luther King wächst aus der Wahrnehmung der Schönheit. Und das ist der langfristigste und der gefährlichste Widerstand, der aus der Schönheit geboren ist.“

    @Claudia – „Denn Hass schadet nur manchmal dem Gehassten – aber IMMER dem der hasst.“ Sehr sehr wahr.

  6. Danke, Claudia und Ute, für eure Antworten.
    Die Liebe ist eine Autorität. Sie hält das ganze Universum zusammen. Ich traue ihr alles zu.
    Ich will nicht mehr die Welt verändern, sondern nur noch Verantwortung für den eigenen Geisteszustand übernehmen. Ich will zurücktreten und erkennen, dass ich nicht weiss, wie ich auf die Situation schauen soll. Dann merke ich, dass ich sanft geführt werde und erkenne, wie ich hilfreich sein kann. Zum Beispiel, indem ich Liebe und Frieden in eine Situation bringe – durch meine Präsenz. Widerstehen muss ich nur der Angst und dem Wunsch, alles etikettieren zu wollen.
    Gott ist nicht zersplittert. Er ist diese Autorität der Liebe. Ich finde ihn überall, hinter all diesen Gegensätzen. Für mich ist die Mystik ein Weg, aus dem Leid herauszufinden und dies als positive Kraft zu teilen. Was Dorothea Solle beschreibt, ist vermutlich das, was man als „die finsterste Nacht des Mystikers“ bezeichnet. Ich denke, es geht darum, das zu überwinden. Es geht darum, einen Weg zu finden, wie man hilfreich sein kann. Wenn das partout „Widerstand“ sein muss, dann ist das wohl der sanfteste Widerstand überhaupt. „Die Sanftmütigen werden das Erdreich besitzen“ ist eine Aussage aus der Bibel. Ich habe nach einem anderen Weg gesucht, weil ich den Eindruck habe, das (Verstandes) Denken der Welt kommt an seine Grenzen. Die Erfahrung der Einheit hebt die Trennung auf. Und das, was wir hier erleben, ist nicht die letzte Wirklichkeit.

  7. Sternstaub wo seid Ihr

    eiskalte wut zertrümmerter Träume
    fliehende Hirne in fluchenden Schatten
    Sternstaub, wo seid ihr.

    Hey, wir sind in euch
    sind Kasematten
    solide gegossen
    aus Vertrauen erbaut

    Ruhe, das Fallbeil der Wahrheit
    Geduld, Mahnmal der Liebe
    habt ihr vergessen
    was so einfach schien?

  8. @Ingo: wow, wie schön!

  9. Danke schön, Ingo, für das Gedicht. Ist das von Dir?. Es gibt ein Fundament, was wir scheinbar vergessen haben. Genau daran möchte ich erinnern.

  10. @Ingo – Poesie für das Leben. Danke.

    @Christiane: „Und das, was wir hier erleben, ist nicht die letzte Wirklichkeit.“ Auch wenn dem so sein sollte, ist es, wie Sölle über das Vorherrschende sagt:“Konkrete Wahrheit“. Und diese treibt Dorothee Sölle in ihrer politischen Theologie und auch in ihren Gedichten um.
    Der Beitrag hier gibt einen Einblick darüber, wes ‚Geistes Kind‘ D.Sölle war.
    https://www.deutschlandfunkkultur.de/eine-erinnerung-an-dorothee-soelle-von-der-ketzerin-zum.1124.de.html?dram:article_id=416799

  11. „Was das Ereignis von Halle vor allem zeigt, ist das Verharren in einem Muster, das bekannt ist und zu nichts führt. Die schärfere Bewachung von Synagogen ist notwendig, aber sie beseitigt das Problem nicht. Der Rechtsradikalismus, zumal der kriminell militante, wird seit Jahrzehnten kleingeredet und muss auf die Agenda der Exekutive. Die gesellschaftliche und politische Aufgabe besteht jedoch in etwas anderem: Es muss gelingen, den Brandstiftern ohne AfD-Signet, die in den Ideologiestuben der diffusen Krisenerklärung sitzen, den Garaus zu machen.“

    https://neue-debatte.com/2019/10/12/die-etablierten-brandstifter/

  12. […] des Mega-Themas Klima (und dann auch noch Terror!), das hier die letzten Wochen verhandelt wird, hab‘ ich es nicht fertig gebracht, jetzt […]

  13. In “Zwischen Amok und Alzheimer” schreibt der Sozialwissenschaftler und ehemaliger Gefängnispsychologe:
    “Die psychische Grundausstattung des flexiblen Menschen, den unsere Gesellschaftsform fordert, ist die Bindungslosigkeit. So erklären sich auch 41% Singlehaushalte, die allein und ballastfrei bleiben. Das Zeitalter des Narzissmus gebiert Kälte und Indifferenz und stählt sich in Selbstoptimerung.

    Wir sind Zeugen einer anthropologischen Mutation und erleben mit, wie sich der wahrhaft kapitalistische und flexible Mensch herausbildet, der vor keinerlei Hemmungen vor nichts mehr zurückgehalten wird.“ (S.212) Der neue Typus des Sozialcharakters im neoliberalen Zeitalter ist schmerzunempfindlich, zeigt mangelnde Empathie und blinde Risikofreude, ……”

    “Das darwinistische Prinzip im Konkurrenzkampf misst sich am Inszenierungswert.”

    https://www.magazin-auswege.de/data/2015/02/Pick_Rezension_Zwischen_Amok_und_Alzheimer_Eisenberg.pdf