In den Blogs meiner Blogbibliothek finden sich gerade mal zwei Artikel zum Terror-Anschlag in Halle. Es wirkt seltsam, aber ich verstehe das, denn auch mir fehlen die Worte angesichts dieses grauenhaften Hass-Verbrechens. Zudem ist die Presse voll von Artikeln zum Thema: was sollte man da noch sagen, was nicht schon zigmal irgendwo steht? Andrerseits kommt mir jede mögliche persönliche „Stellungnahme“ unangemessen, in keinem Fall ausreichend vor. Entsetzen, Mitgefühl, Ohnmachtsgefühle, Wut – begnadete Lyriker/innen könnten vielleicht Worte finden, die all das fassen und zum Ausdruck bringen. Ich kann es nicht.
Wohl aber kann ich zitieren, was mir aus dem Herzen spricht. Zum Beispiel einen Artikel der ZEIT, der zu Recht AFD, Pegida & Co. als geistige Brandstifter solchen Terrors adressiert, obwohl sie sich verbal auch jetzt wieder als „pro-jüdisch“ darstellen und jede Verantwortung von sich weisen.
„Ein Wesenszug des klassischen Antisemitismus liegt in der Bereitschaft, die Juden als eine kollektiv nach einem düsteren Plan handelnde Gruppe zu markieren. Sie als Fremdkörper zu betrachten, der innerhalb einer Gesellschaft seine eigenen Ziele verfolgt, der irgendwann unweigerlich den Niedergang seiner „Wirtsgesellschaft“ auslöse. Ein anderer ist die Beschreibung von Juden als wurzellose, wohlhabende Kosmopoliten, denen die Werte und Normen der Mehrheitsgesellschaft fremd seien.
Beide antisemitischen Erzählfiguren kommen zusammen, wenn die AfD und ihre Anhänger von der demografischen Katastrophe sprechen, die der linke Feminismus ausgelöst habe und die nun handstreichartig durch arabische Massenzuwanderung gelöst werde, unterstützt von linken Bildungsbürgern, die nichts von den Normen und Werten des Normalbürgers wüssten. Nicht viel anderes sagte ja auch der Täter von Halle, bevor er den Juden daran die Schuld gab. So unelegant gehen heutige Rechtspopulisten natürlich nicht vor. Sie überlassen es meist den Zuhörerinnen und Zuhörern, ihre Schlüsse zu ziehen. Der Antisemitismus der AfD braucht keine Juden mehr. Er braucht nur noch die antisemitischen Stereotype.“ (Hervorhebung von mir)
Nun ist die AFD ja nicht etwa ein Fremdkörper in der deutschen Gesellschaft, sondern verfügt über ein Wählerpotenzial, bei dem ihr von Hass & Hetze strotzendes Weltbild geteilt wird. Wer Höcke zuhört, fühlt sich an die Reden von Hitler und Göbbels erinnert, alle vermeintlich „gemäßigten“ Statements von Leuten wie Meuthen wirken wie lügnerisches Gelaber von Wölfen im Schafspelz. Innerparteilich wird der „Flügel“ immer mächtiger – und dennoch kehren die Wähler der AFD nicht den Rücken. Warum? Dazu noch ein Zitat aus dem ZEIT-Artikel
„In Halle hat der Judenhass gestern ein neues Fanal gesetzt. Doch es ist nicht nur diese Tat, es sind auch kleinere Zeichen, die einen sorgen müssen. Die wachsende Zahl von Leuten zum Beispiel, die meinen, Deutschland müsse einen Schlussstrich unter seine Vergangenheit ziehen. Die von einem Drittel der Deutschen geteilte Behauptung, die Juden würden den Holocaust zu ihrem Vorteil nutzen. Die völlig unproportionale Anzahl von Deutschen, die behaupten, ihre Vorfahren seien im Widerstand gewesen. All das sind Zeichen dafür, dass viele Deutsche aufgehört haben, sich aktiv mit dem antisemitischen Erbe zu befassen, das in die Katastrophe des Völkermordes an den Juden führte. Wenn sie es je getan haben. Stattdessen wird ein lächerlicher Begriff wie „Aufarbeitungsweltmeister“ zum Symbol dieser versteinernden Erinnerungskultur. Als sei die Bewältigung unserer Vergangenheit längst mit Bestnote abgeschlossen und jetzt etwas zum Angeben wie der Tiguan im Carport.“
„Aufarbeitungsweltmeister“, „Schuldkult“, „Umvolkung“, „Grenzöffnung“ (als wären sie damals zu gewesen!), „Genderwahn“, „Pass-Deutsche“ und das wie zur Nazizeit wieder ethnisch verstandene „deutsche Volk“ – all das sind Begriffe, die von Menschen zu hören und zu lesen sind, die der AFD nahe stehen, sie wählen oder in ihr Funktionen bekleiden. Zwar nicht bei allen gleichermaßen, aber die oft zur versuchten Reinwaschung heran gezogenen „besorgten Bürger“ bzw. Protestwähler scheint es nicht weiter zu stören, das rechtsextreme Positionen in der AFD gang und gäbe sind.
Die AFD normalisiert Hass & Hetze gegen Minderheiten und Andersdenkende. Sie erschafft damit das Umfeld, in dem sich Gruppen und „Einzeltäter“ zu Taten inspiriert fühlen. „Gehe ich eben zu den Kanaken“ soll der Täter von Halle in seinem Livestream gesagt haben, als die Tür der Synagoge dem Angriff stand hielt. Auf diesem Weg hat er zwei Menschen erschossen. Welche Minderheit es trifft, war ihm da wohl schon egal.
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Mehr dazu:
- Jom Kippur 2019 in Deutschland (Irgendwie jüdisch)
„Ich las die Kommentare der Politik, las von Bedauern und Entsetzen und ich frage nach Taten in all den Jahren. Haben wir Taten gesehen trotz all der Warnungen, trotz des Wissens um den ansteigenden Antisemitismus, den Rassismus, des halsschwellenden Hasses auf alle und alles, was vermeintlich anders sei? Trotz des Wissens um Waffenlager der Rechten, ihrer Netzwerke und der Morde die sie begangen in all den Jahren des Landes Deutschland? Haben wir Taten gesehen, trotz des unübersehbaren Hasses, der nun auch im Bundestag sein Unwesen treibt? Haben wir etwas gesehen außer Worten und Positionen?“ - Der Sturm, vor dem wir euch gewarnt haben
„Deutschland ist ein Land, in dem der Hass auf Andere mühelos vom Wahlkreuz in die Vernichtung übergeht. Es genügt nicht, ein paar Sicherheitskameras bereitzustellen – wir brauchen einen antifaschistischen Konsens.“ (Max Czollek / SPON). - Wie die rechte Szene ihren Nachwuchs rekrutiert
Plötzlich, so schien es, wählen auch viele junge Menschen AfD. Doch Rechte arbeiten schon länger an einer Gegenkultur, die für den Nachwuchs attraktiv ist.
„Nach der deutschen Wende, wenn das Land in unsren Händen ist, dann seh’n wir, wen’s am Ende trifft und wer von uns verängstigt ist.“ (TAGESSPIEGEL) - Wie die AfD den Antisemitismus in Deutschland nährt
„Mit ihrem unsäglichen Treiben geben die Rechtsnationalisten der AfD ein Signal an alle aus, die sich im rechtsextremistischen Denken verstrickt haben und in sich den Drang verspüren, zur Tat zu schreiten und zur Waffe zu greifen: Wenn es all die Fremden, die von Merkel gerufenen „Messermigranten“, all die links-grün versifften „Volksschädlinge“, und dann auch all die Juden und ihre weltumspannende Macht nicht geben würde, dann ginge es den Deutschen gut, dann hätte Herr Gauland jeden gerne zum Nachbarn.“ (Vorwärts) - Juristisch trifft die AfD keine Schuld am Terror von Halle – moralisch schon
„Wer Leute wie Höcke oder Andreas Kalbitz in seiner Partei duldet, ist kein unbeteiligter Zeuge mehr.“ (STERN)
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13 Kommentare zu „Da fehlen die Worte: Terror gegen Juden“.