Am 10.März hatte ich im Blogbeitrag „Bald leben alle wie ich“ darüber gebloggt, dass sich für mich eigentlich nichts ändert. Die vielen Veranstaltungen in Berlin hab ich fast nie aufgesucht, sondern ein recht ruhiges Leben im Homebüro geführt. Als Abwechslung bewirtschafte ich mit dem Liebsten zusammen einen Garten – ein Hobby, das stark bindet, denn wenn man will, dass alles Gepflanzte auch gedeiht, kann man nicht einfach mal eine Woche wegbleiben. Also noch ein Grund mehr, keine großen Ausflüge, gar Reisen zu machen.
Den gewohnten Kurzurlaub in Sizilien (oder auch mal Spanien, Portugal) als Flucht vor dem langen Ende des Berliner Winters hatte ich dieses Jahr gecancelt. Aus „Flugscham“, denn ich wollte nicht einerseits für mehr Klimaschutz eintreten und dann wieder ungerührt in den Flieger steigen. Dass das in diesem Jahr eine schicksalshaft gute Entscheidung war, stellte sich mit „Corona“ heraus: Wir wären vielleicht gar nicht mehr weg gekommen!
Nichts geht mehr
Jetzt sind fünf Wochen ins Land gegangen, die alles verändert haben, hierzulande und weltweit. Es gibt keine Veranstaltungen mehr, die ich aufsuchen könnte, touristische Reisen sind verboten, sogar innerhalb Deutschlands. Ganz direkt berührt mich nur die Schließung meines Fitness-Centers: das hatte ich allerdings kaum mehr besucht, außer zur Sauna. Ein Verlust, der angesichts dessen, was andere verlieren, geradezu lächerlich marginal ist. Trotzdem tut es mir leid, dass es nun wohl „ewig“ dauern wird, bis ich wieder eine Sauna aufsuchen kann. Der Verlust hat eine symbolische Schwere bekommen, denn es gibt auch keine Alternativen, mal „was anderes“ zu erleben.
1999 bin ich mal aus Berlin weggezogen: Nach Mecklenburg in ein kleines Dorf nahe Schwerin. Freunde hatten dort nach der Wende ein marodes, leer stehendes Gutshaus mit dem schönen Namen „Schloss Gottesgabe“ saniert und meinem damaligen Lebensgefährten und mir angeboten, doch dort eine Wohnung zu mieten. Ganz toll, mit kleinem „Schlosspark“, rundherum „unendliche Weiten“, ganz das Gegenteil von Berlin, wo ich nur auf die nächste Gründerzeitfassade gucken konnte.
Nach nur zwei Jahren nahm ich allerdings schon Abschied und kehrte zurück. Warum? Obwohl ich auch dort im wesentlichen zuhause vor dem Monitor saß, spürte ich die Schrumpfung des „Raums der Möglichkeite“ immer drastischer. Zwei Berlinbesuche brauchte es, um mich zur Rückkehr zu bewegen. Beim ersten, ein Jahr nach dem Umzug, spürte ich noch die Luftverschmutzung und den Lärm und war froh, „raus“ zu sein. Beim zweiten Besuch fühlte ich mich schon durch einen Spaziergang in Kreuzberg so inspiriert wie in Gottesgabe nicht in einem halben Jahr! Die vielen Eindrücke, die Buntheit, die unterschiedlichen Menschen, die Läden und Cafés, das riesige kulturelle Angebot in Berlin – ich spürte drastisch, dass ich das alles sehr vermisste, völlig ungeachtet dessen, dass es meist nur „Möglichkeiten“ waren, die ich in Berlin kaum wahrgenommen hatte.
Tu es jetzt, schieb nichts auf!
Jetzt im „Lockdown“ ist der Raum der Möglichkeiten faktisch auf den Supermarkt-Besuch zusammen geschrumpft. Klar, man kann spazieren gehen, aber wenn das Wetter es erlaubt, ist es in den nahe liegenden Grünbereichen vergleichsweise voll. Ein lieber Freund, der normalerweise auf dem Tempelhofer Feld spazieren geht, hat sich in die Friedhöfe zurück gezogen, doch neuerdings schränken auch sie ihre Öffnungszeiten ein, weil sie zunehmend überlaufen werden. Alle halten Abstand, was eine recht gleichmäßige aber großflächige „Überfüllung“ erzeugt
Unternehmungen, die ich vor Corona überlegt, aber dann aus Trägheit und wegen des üblichen Versackens im Alltag doch nicht umgesetzt hatte, erscheinen mir jetzt als „Verlust“ – einfach weil sie derzeit unmöglich sind. Mir scheint, ich entwickle gerade einen Nachholbedarf – schon seltsam!
So wird mir die Corona-Zeit eine Lehre sein: Öfter mal was Ungewohntes machen, nicht bis zum St.Nimmerleinstag verschieben. Die Lebenszeit ist nicht unendlich – ein gefühlter Irrtum, dem nicht nur ich immer wieder aufsitze.
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16 Kommentare zu „Der Raum der Möglichkeiten“.