Ich will das nicht! Deshalb nervt mich das feindselige Beschimpfen von Heilweisen, Produkten und Anbauverfahren, die „wissenschaftlich umstritten“ bzw. deren Wirksamkeit nach diesen Kriterien nicht bewiesen ist.
Weder nutze ich homöopathische Kügelchen, noch gärtnere ich nach den Richtlinien für Demeter-Bio (sondern nach eigenen). Wenn was ist, gehe ich zum Arzt und nicht zum Heilpraktiker oder Geistheiler. Ich weiß auch gerne Bescheid über Mittel und Therapien, mit denen ich behandelt werde, deshalb informiere ich mich vorher ausführlich – das ist ja dank Internet viel leichter als früher. Selbstverständlich lese ich auch über alternative Heilweisen nach, wenn die klassische Medizin mir nichts zu bieten hat, warum auch nicht?
Es lebe die Vielfalt!
Ich finde es gut und richtig, dass es ein breites Spektrum an Optionen gibt, sowohl wissenschaftlich gesicherte als auch andere. Von mündigen Bürgerinnen und Bürgern erwarte ich, dass sie sich informieren und selbst ihr Risiko einschätzen, wenn sie „umstrittene“ Methoden anwenden. Ich weiß, dass es viele Menschen gibt, denen alternative Heilweisen schon geholfen haben, sehr viele! Auch ich hatte in jüngeren Jahren zwei Anwendungserlebnisse mit Homöopathie (inkl. ausführlicher Anamnese): das eine mal mit durchschlagendem, mich wirklich verblüffendem Erfolg, das andere Mal ohne jede Wirkung. Auch erlebte ich mit, wie eine Frau durch 10 Minuten „Hand auflegen“ (ohne Worte) für drei Tage in einen fitten, vor Kraft strotzenden fröhlichen Zustand versetzt wurde, die zuvor depressiv verstimmt, blass und kränklich wirkte.
Das Argument, dass manche Menschen, die alternative Methoden anwenden, unter Umständen nötige, klassische Behandlungen versäumen, kann ich immerhin nachvollziehen. Dagegen helfen Informationspflichten nur teilweise, denn man kann (und sollte) niemandem eine Behandlung aufzwingen, die – aus welchen Gründen auch immer – nicht gewünscht wird. Eine liberale Gesellschaft muss es aushalten, dass Menschen andere Wege wählen, auch solche, die ihnen nichts bringen oder die Dinge verschlimmern. (Wie weit das Elternrecht da gehen darf, ist jedoch diskussionswürdig und bedürftig!).
Vom unwissenschaftlichen Biogemüse
Schon sehr viel weniger nachvollziehbar erscheint mir das Beschimpfen von Läden, die etwa Demeter-Produkte anbieten. Gerade findet das wieder statt, weil REWE dem Demeter-Verband beigetreten ist. In der Erklärung dazu schreibt REWE:
„Demeter-Erzeuger und -Hersteller arbeiten nach der biodynamischen Wirtschaftsweise und nach Richtlinien, die weit über die Vorgaben der EU Öko-Verordnung hinausgehen. Der nachhaltige und ganzheitliche Ansatz genießt hohes Vertrauen: Gerade haben Verbraucherinnen und Verbraucher die Marke in einer repräsentativen Studie zur „Nachhaltigsten Marke Deutschlands“ gewählt. Produkte werden nur mit dem Biosiegel von Demeter ausgezeichnet, wenn sie den strengen Qualitätskriterien
des Verbandes entsprechen.“
Die Kritiker und Gegnerinnen argumentieren mit dem esoterischen Weltbild von Demeter, das durch Vermarktung und Kauf der Produkte unterstützt würde. Da würden „Kackhörnchen“ vergraben, um ein „kosmisches Etwas“ einzufangen, bäh, wie unwissenschaftlich! Auch den Negativpreis „Goldenes Brett vorm Kopf“ bekam Demeter wegen des „vorwissenschaftlich-magischen Weltbilds“, nicht etwa wegen Mängeln der Erzeugnisse.
Ich sag dazu: wenn irgendwelche esoterischen Komponenten bei der Produktion dem Bio-Gemüse von Demeter schaden würde, dann wäre es nicht so beliebt, die Marke nicht so hoch angesehen. Und wenn ich im Laden etwas von Demeter kaufe, werde ich auch nicht gleichzeitig indoktriniert, an das zu glauben, an das Demeter-Aktivisten womöglich glauben. Ob sie bei Mondschein dreimal um den Blocksberg tanzen oder zur Sonnwende homöopathischen Schneckenschleim aufs Beet spritzen, ist mir herzlich egal!
Die Vermarktung solcher Produkte verhindern zu wollen – und das wollen die Kritiker/innen ja, wenn sie an REWE schreiben, sie sollten ihren Schritt „nochmal überdenken“ – dann ist das nichts anderes als der Wille zur Wissenschaftsdiktatur: Alles was in irgend einer Weise mit Methoden verbunden ist, die mit dem aktuellen wissenschaftlichen Weltbild nicht überein stimmt, soll weg. Globuli gehören verboten, Heilpraktiker abgeschafft, Demeter-Produkte raus aus dem Supermarkt – das gibt eine schöne, neue, von allem Unwissenschaftlichen (früher: vom Bösen) bereinigte Welt!
In so einer Welt will ich allerdings nicht leben!
Wissenschaft hat ihre Grenzen, das weiß sie selbst am besten. Alles, was nicht „objektiv“ messbar ist, ist im Sinne strenger Naturwissenschaften nicht existent, bzw. mindestens unbewiesen. Daraus machen dann die Verfechter eines „nur-Wissenschaft-darf-gelten“-Standpunkts auch gleich „ist falsch, ist erfunden, ist unglaubwürdig“ – in vielen Fällen zu Unrecht. Denn auch die „Geisteswissenschaften“ können mit diesen harten Standards nicht mithalten, weshalb sie heute ebenfalls in der Defensive sind. Die Grenzen der Naturwissenschaft beschreibt ein Kommentar von Andreas Fischer auf Quora ganz gut:
„Was die Grenze der naturwissenschaftlichen Methode betrifft, so lässt sich diese ziemlich klar definieren. Naturwissenschaft funktioniert in Bezug auf unbelebte Materie. Das ist ihr Anwendungsgebiet. Sie ist im strengen Sinne nicht anwendbar auf das Lebendige, und schon gar nicht auf das Geistige. Das kann man schon ablesen aus der Einteilung unserer Wissenschaften. Auf das Lebendige ist sie anwendbar insofern es auch materiell ist (Biochemie), aber nicht insofern es lebendig ist.“
Man kann also z.B. mittels bildgebender Verfahren schauen, welche Hirnregionen „aktiviert“ sind bei bestimmten subjektiv erlebten Zuständen (Angst, Lust, Schlaf, Traum, Meditation). Das ist dann aber auch schon alles! Und es reicht bei weitem nicht aus, um z.B. „Liebe“ zu erklären, gar zu „produzieren“.
Aber das ist eigentlich schon ein anderes Thema. Ich will eigentlich nur zu Protokoll geben, dass wir weiterhin fähig sein sollten, viele verschiedene Denkweisen zu tolerieren, auch wenn wir selbst anders denken. Klar hat das Grenzen, wenn „Andersgläubige“ militant werden und anfangen, Straftaten zu begehen und Leute zu bedrohen. Von den Nutzern homöopathischen Kügelchen und Käuferinnen von Demeter-Karotten gehen solche Gefahren jedoch nicht aus. Da geht es einfach nur um Toleranz gegenüber Andersdenkenden.
Dass diese heute immer schwerer fällt, ist ein schlechtes Zeichen für die Erhaltung eines halbwegs friedlichen Miteinanders!
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11 Kommentare zu „Wollen wir eine Wissenschaftsdiktatur?“.