Als ich in den Nullerjahren Online-Schreibjurse veranstaltete, war ein Kurs regelmäßig voll und sehr beliebt. Er hieß „Wenn die Nacht am tiefsten ist – ein Schreibkurs für Jahresendzeitmuffel“ und mutete den Mitschreibenden zu, jeden Tag vom 23.12. bis 3.1. zu einem vorgegebenen „Schreibimpuls“ einen Text zu verfassen und sich mit Anderen darüber auszutauschen. Geschrieben wurde nicht öffentlich, sondern in einem geschützten Raum – und alle gingen nett miteinander um!
Anders als man hätte denken können, waren die Teilnehmenden keineswegs alle alleinstehend und an Weihnachten einsam. Ganz im Gegenteil waren sie durchaus in diesen Tagen mit den jeweils traditionellen Aktivitäten befasst, waren „in Familie“ und hatten teilweise auch den zugehorigen Stress. Der Schreibkurs wurde so zur Oase der Besinnlichkeit, eine Gelegenheit, sich stundenweise vom physisch-mitmenschlichen Weihnachtsgeschehen abzuseilen, die gerne genutzt wurde.
Dieses Jahr werden mehr Menschen als je zuvor Weihnachten alleine verbringen. In Berlin gibt es mehr Single-Haushalte als Paar- und Familienwohnungen. Viele der allein Lebenden würden normalerweise ihre Eltern in Irgendwo besuchen und verzichten dieses Jahr wegen Corona darauf. Einige finden das erleichternd, nicht nur die lange erwachsenen Söhne und Töchter, sondern auch die üblicherweise gastgebenden Eltern. Selbst „feiere“ ich schon Jahrzehnten kein Weihnachten, allenfalls kommt ein lieber Freund oder der Liebste zum Essen, was den jeweiligen Tag aber nicht zu „etwas Besonderem“ macht, denn das hab‘ ich auch sonst jede Woche. Dabei bin ich keine „Weihnachtsgegnerin“, es hat sich einfach so ergeben, nachdem ich aus der Herkunftsfamilie aus- und dann auch noch weit weg, nämlich nach Berlin umgezogen war.
Der humorige Begriff „Jahresendzeitmuffel“ beschreibt eine Distanz zum traditionellen Weihnachtsgeschehen, aus welchen Gründen auch immer sie zustande gekommen ist. Diese Distanz erleben dieses Jahr alle, denn selbst wer „die Regeln bricht“ wird bei weitem nicht so selbstverständlich Weihnachten im größeren Kreis der Familie feiern können wie sonst. „Jahresendzeitmuffeln für alle“ steht an – und damit die Aufgabe, das Beste daraus zu machen. Wie die Schreibkurse gezeigt haben, kann es richtig Freude machen, in Distanz zum Geschehen zu gehen, inne zu halten und sich auf das Wesentliche zu besinnen. Was das jeweils ist, das gilt es dabei heraus zu finden.
Ich wünsche Euch allen frohe Weihnachten, egal wie Ihr die Tage verbringt!
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4 Kommentare zu „Weihnachten 2020: Jahresendzeitmuffeln für alle“.