Claudia am 23. März 2021 —

Nach der MPK: Politischer Tiefpunkt, alle sind sauer

Erregungswellen ohne Ende: die einen sind stinksauer, weil kein konsequenter, längerer Lockdown vereinbart wurde, die anderen finden es schon völlig daneben, dass am Gründonnerstag nicht eingekauft werden darf- Anstatt zu versuchen, hier eigene Worte zu finden, zitiere ich aus einem richtig guten SPIEGEL-Artikel mit dem Titel „Multiples Politikversagen„:

„Das Virus ist tückisch, gewiss. Um es zu besiegen oder wenigstens erfolgreich in Schach zu halten, bräuchte es einen hellwachen und entschlossenen Gegner. Mit der deutschen Politik aber steht dem Virus die Verkörperung der Halbherzigkeit mit Hang zur Grundbräsigkeit gegenüber. Einen dankbareren Gegner könnte sich das Virus kaum wünschen.

Paradoxerweise fußt das Scheitern in der Pandemie auch auf dem ewigen Erfolgsmodell der Bundesrepublik: dem ständigen Bemühen um Ausgleich und Kompromisse. Dem Versuch, alles irgendwie auszutarieren, es allen Interessen und ihren Vertretern recht zu machen. Wenigstens ein kleines bisschen. Im Kampf gegen Covid-19 aber erweist sich dieser Wesenskern der Rheinischen Republik als verheerend.“

Deshalb ist meine größte Sorge, dass der Wunsch aufkommen wird, einen „starken Mann“ mit all diesen Halbherzigkeiten aufräumen zu lassen. Wir können von Glück sagen, dass bisher kein geeigneter Charismatiker in Erscheinung getreten ist! Aber weiter:

„Wenn es eine Konstante der vergangenen Monate gab, dann war es der Verzicht auf klare Entscheidungen und einen konsequenten Kurs. Dieses Muster zieht sich bis zu den Entschlüssen des heutigen Tages durch. Auf nächtliche Ausgangssperren für Hotspots, vom Kanzleramt gefordert, konnte sich die Runde nicht mehrheitlich verständigen. Dafür soll es keine Ausnahmen für Familientreffen an Ostern geben. Statt der Wirtschaft klare Bedingungen zu diktieren, etwa eine Homeoffice-Pflicht oder die Pflicht zu regelmäßigen Selbsttest als Bedingung für die fortlaufende Produktion, bleibt es weiter bei niedlichen Appellen. Die Union ist sich hier ihrem Ruf als Freund (und gelegentlichem Komplizen) der Wirtschaft wieder mal treu geblieben. Die Schulen werden weder geschlossen, noch werden die Schüler konsequent getestet. Letzteres sollte eigentlich schon vor vier Wochen die Voraussetzung für Öffnungen sein. Aber die Tests waren nicht da und die Logistik für deren Verteilung steht bis heute nicht.

Die Folge dieses ganzen Schlamassels ist jener gesellschaftliche Dämmerzustand, der nun für unbestimmte Zeit anhalten wird. Die Akzeptanz der nun beschlossenen Maßnahmen wird durch das Heckmeck des gestrigen Tages gewiss nicht gestiegen sein. Alle haben von der Politik irgendwelche Zugeständnisse bekommen, aber keiner ist zufrieden. Schlechter hätte es nicht laufen können.“

Gruslige „Alternativlosigkeit“, wohin man schaut! Da die Akzeptanz für Beschränkungen in der letzten Zeit deutlich abgebröckelt ist, möchte ich nicht wissen, was passiert wäre, hätte die MPK einen „strikten“ Lockdown beschlossen. Dazu die letzte YouGov-Umfrage vom Montag:

  • Ausweitung der Einschränkungen: 30 %
  • Beibehaltung der jetzigen Regelungen: 23 %
  • Mehr Lockerungen: 22 %
  • Ende aller Einschränkungen: 15%
  • Keine Angabe: 10%.

Es wundert also nicht, dass jetzt alle sauer sind. Wohin das noch führen wird – ja, darüber mach ich mir richtig Sorgen. Jedenfalls deutlich mehr als über die Gefahr einer Ansteckung.

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Diskussion

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8 Kommentare zu „Nach der MPK: Politischer Tiefpunkt, alle sind sauer“.

  1. „Mit der deutschen Politik aber steht dem Virus die Verkörperung der Halbherzigkeit mit Hang zur Grundbräsigkeit gegenüber. Einen dankbareren Gegner könnte sich das Virus kaum wünschen.“

    Doch, die tschechische, belgische, britische, us-amerikanische, italienische, spanische, mexikanische, brasilianische, schwedische, französische, chilenische Politik. Und noch einige andere. Die haben nämlich alle weitaus mehr Tote pro Einwohnerzahl zu verzeichnen.

    Und von welchem „gesellschaftlichen Dämmerzustand“ soll die Rede sein? CoronaLeugner und Mundschutzverweigerer werden in trauter Gemeinschaft mit Rechtsextremen, Reichsbürgern und Esoterikern von der Polizei auf nicht genehmigten Demonstrationen an die Hand genommen und freundlich begleitet, während Gegendemonstranten die volle Härte des Rechtsstaates zu spüren bekommen. Die Medien laufen heiß, die MPs können sich kaum auf etwas einigen. Die CDU zerbröselt. Die Gesellschaft verändert sich rasant, es gärt und brodelt an allen Ecken und Enden, neue Bündnisse werden geschlossen. In den letzten 30 Jahren haben kaum so viele Menschen über Politik geredet wie jetzt. Dämmerzustand? Ist das ernst gemeint?

  2. Es gibt vielleicht gute Spiegeleier. Gute Artikel sucht man in einem ehemaligen Nachrichtenmagazin indes vergebens. Falls Du den Referenzartikel suchen solltest: Newstral.com ist Dein Freund. Ggf. Deepl.com dazu bemühen.
    Rudolf Augstein rotiert im Grabe. Irgendwann wird er hoffentlich als Zombie in der Redaktion wüten.
    Lange vor Corona haben NSA und NSU bereits schon die Totalpleite des sogenannten Deutschen Staates schriftlich bescheinigt. Deutschland reiht sich seitdem in die #failedstates der #shitholecountries wohlverdient ein.

    Zwar wurden Hitler und Mussolini im Gegensatz zu Mao und Stalin gewählt, aber das waren andere Zeiten. Seit 1949 bestimmt die lässige Gewohnheit den deutschen Wahlerfolg.

    Mögen die Kaufhausgazetten, die die Werbeartikel vom Mediamarkt mit einem Clickbait Slogan für einen Euro an den Mann und die Frau bringen, noch so sehr den Untergang des Abendlandes beschwören, weil die CDU 3 % weniger bekommen hat, zeitigt es nur, dass die Gewohnheiten der Stammwähler sich selten ändern und die Taktik der anderen nicht aufgeht.

    Deutschland war, ist und bleibt: Stammwählerland!

    Eine besonders perfide Technik, die ich beim Wählen anwende, um die „großen“ Parteien zu ärgern ist, dass ich mich über ihre Listenplätze informiere und diese wähle. Denn die Listenplätze ziehen sowieso ein.

    „In den letzten 30 Jahren haben kaum so viele Menschen über Politik geredet wie jetzt.“

    Es bleibt ihnen ja auch nix anderes übrig. Ohne Hools ist beim Fußball und in der Stadt nix los, das Wetter bleibt vorerst noch beschissen und im Homeoffice kann man den Kollegen Meier schlecht mobben.

    Man sollte dem aber nicht so viel Bedeutung beimessen. So wie der Deutsche sich über Fußball unterhält, so unterhält er sich jetzt halt über Politik.
    Der und die müssten mal ausgewechselt werden, 50 Millionen sind viel zu wenig, da wäre eine rote Karte angezeigt und der oder die gehören vom Platz gestellt, gefolgt von: „Schiri, ich weiß, wo Dein Auto steht!“ Zahm tritt er dann an die Wahlurne und macht brav sein Kreuzchen dort, wo es Oma & Opa schon gemacht haben oder der Chef es gesagt hat.

    Alles Andere würde erfordern, dass man sich nicht nur mit der Politik beschäftigt, sondern auch auseinandersetzt. Nichts liegt dem Deutschen ferner.

    Befrage dazu doch mal die Beauftragten der politischen Bildung in Deiner Stadt bzw. Deinem Bundesland.

  3. Letzte Forsa Umfrage: 2/3 halten die neuen Beschlüsse und Einschränkungen für ausreichend oder sogar nicht weitgehend genug. Allerdings hält auch die Mehrheit der Befragten die Beschlüsse für verwirrend.

    Das halte ich doch für ganz stabile Verhältnisse. Die weitaus meisten Menschen gehen ganz vernünftig mit der Situation um – bei aller berechtigten Kritik in einzelnen Politik- und Verwaltungsfeldern, die ja auch heftig geäußert wird, sehe ich kein großes Auseinanderbrechen wie von manchen gewünscht und von anderen befürchtet wird. Obwohl viele Dinge in Bewegung geraten sind.

    Die Sorge, dass irgendein Charismatiker daher kommt, die Macht an sich reißt und Mal „ordentlich aufräumt“ teile ich jedenfalls nicht.

  4. @Brendan: danke für deine Vergleiche, es tut einfach gut, auch mal das Positive zu lesen, das es ja zweifellos auch noch gibt! Den „Dämmerzustand“ hab ich eher als „zwischen Lockdown und Öffnungen oszillierend“ gelesen. Dass so viele jetzt über Politik reden, offenbart oft einen geradezu erschreckenden Mangel an politischer Bildung – vielleicht lernen jetzt aber einige nach, wie unser Staat so strukturell verfasst ist.
    Die Kasseldemo und das Verhalten der Polizei war übel, da stimme ich voll zu. Es sind aus meiner Sicht aber nicht allein die „CoronaLeugner, Mundschutzverweigerer, Rechtsextreme, Reichsbürger und Esoteriker“, die ihren Unmut zum Ausdruck bringen. Viel wichtiger und ernst zu nehmender sind die vielen, die durch die Maßnahmen in ihrer Existenz gefährdet sind oder schon aufgegeben haben. Was sich da abspielt, ist wirklich ein Drama – und ihre Verzweiflung paart sich blendend mit dem wachsenden Verlangen vieler nach Kultur & Gastronomie & Urlaub.

    @Juri: Wenn ich mir Staaten anschaue, die üblicherweise als „failedState“ bezeichnet werden, dann ist DE davon soweit entfernt wie ein Tesla vom unmotorisierten Kinderroller.

    Zur MPK nochmal:
    „Das Lockdown-Lager um Bundeskanzlerin Angela Merkel …Peter Tschentscher hatte keine Mehrheit für eine Maßnahmen-Verschärfung. Dem gegnerischen Lager, das punktuell und intelligent öffnen will, fehlt es wiederum an den technischen Voraussetzungen.“
    https://www.n-tv.de/politik/Die-Gipfelbeschluesse-sind-Augenwischerei-article22445545.html
    Was ich nicht verstehe: die Schnelltests sind doch da! Hier in Berlin sind zig Teststellen aufgepoppt, da könnte man hin und dann mit Bestätigung irgendwas besuchen. Soviel ich über die Tests las, erkennen Sie auf jeden Fall die „Superspreader“ anhand der hohen Viruslast.
    Die 5 Tage Ostern werden nichts großartig ändern, sagen jedenfalls einige Virologen. Und der Rollback per „Notbremse“ ergibt eben vielerorts nicht wirklich nachvollziehbare Seltsamkeiten.
    Bin mal gespannt, was in den einzelnen Ländern und Landkreisen tatsächlich gemacht werden wird.

  5. Du lieber Himmel, jetzt also auch noch ’ne Rolle rückwärts – Merkel gesteht Fehler ein, „Osterruhe“ nun doch nicht? So jedenfalls die aktuellen Meldungen mitten aus der neuen MPK. (Auch seltsam, wie diese Meldungen da raus kommen, noch während das Meeting andauert, bzw. fast gleich, nachdem es gestartet wurde…)

  6. Ich nutze den Artikel als Aufhänger, mich daran zu erinnern, dass das Alles für mich irrelevant ist. Ich kam über einen anderen Blogpost, in dem jemand zu Chögyam Trungpa kommentiert hatte. Als ich dann in die aktuellen Postings klickte, war ich verwundert, wie sehr man sich wieder zurückverlaufen kann in die Gefilde der Verstrickung, Außenwelt könne jemals Diktat für Innenwelt sein. Obwohl ich egobezogen auch kein Fan von merkwürdigen Wahlergebnissen bin, hat mich der Artikel Namaste-bezogen wieder ins Gewahrsein zurückdisruptiert, zu beobachten, was ich denn da gestatte, über die geistige Leinwand zu flimmern – bevor ich es einsammeln muss und an die Leine zu ketten habe, um wieder die Kontrollhoheit über geistige Gefilde zu erlangen. In diesem Sinne wünsche ich jedem, der das hier versteht, er möge auch zum Zustand, das Aufregen sein lassen zu können, gelangen. Sei es durch Kontemplation, Sex oder Schokolade.

  7. @Just: du verkennst eine wichtige Sache: Nicht das Wahrnehmen ist unser Hauptproblem, sondern das Wahrgenommene! Das gilt ganz besonders für das Virus, das wir nur anhand seiner Wirkungen wahrnehmen können, allerdings erst, wenn es schon zu spät ist.

    Es zeugt von spiritueller Arroganz, hier groß damit anzugeben, dass du im Stande bist, „Kontrolle über deine geistigen Gefilde“ auszuüben – anscheinend nicht einmal im Alltag, du musstest erst durch einen Artikel „ins Gewahrsein zurückdisruptiert“ werden.

    Sei versichert: ich entscheide jeden Tag frei, ob ich die „Aufreger“ lese oder nicht. Nichts wäre einfacher als das zu unterlassen, mich meiner Arbeit und der Vorbereitung der Gartensaison zu widmen. Aber für mich sind die sozialen und politischen Ereignisse nun mal nicht „irrelevant“, also widme ich mich den Problematiken unserer Zeit.

    Siehe auch „spirutueller Materialismus

  8. Vielen Dank für den interessanten Artikel und Ihre Meinung. Wir stimmen dir zu. Die Situation der letzten Jahre hat das Leben der Menschen wirklich verändert.