Deutlich wie nie zuvor traten während der Corona-Zeit und erneut während der Hochwasser-Katastrophe die Defizite der deutschen Politik und Verwaltung schmerzlich ins Bewusstsein. Auch angesichts der immer spürbareren Folgen der Klimakrise musste erst ein „Tritt in den Hintern“ der Regierenden durch das Bundesverfassungsgericht erfolgen, bevor zumindest ein klein wenig mehr zur Abwendung der Worst-Case-Szenarien getan werden soll: aller Voraussicht nach zu wenig, zu spät, zu halbherzig.
In den Kommentaren (unter einem anderen Thema) hat sich nun eine Debatte rund um diese Sachlage ergeben, die einen eigenen Blogpost wert ist. Juri beklagte die mangelnde Fähigkeit der Parteien, eine Vision für die Zukunft zu entwickeln:
„Bei jedem popeligen Job wird man auch gefragt, wo man sich denn in 10 Jahren sieht. Wo eine Partei das Land in 10 Jahren sieht, wird aber erst seit Greta gefragt. Von entsprechenden Parteien erwarte ich, dass sie nicht erst getrieben werden müssen, sondern eben selbst Konzepte für aktuelle Probleme erarbeiten und vorstellen und gerade bei Volksparteien eben auch Problemlösungen die das Volk betreffen und nicht nur die, der oberen 10.000.“
Aber: Ist das Entwickeln von Visionen tatsächlich Aufgabe von Parteien? Haben wir einen „Mangel an Visionen“ in der Gesellschaft? Gibt es nicht bereits eine Menge toller Ideen und auch Konzepte: für Digitalisierung, Energiewende, Etablierung einer Recycling-Wirtschaft, eine andere Mobilität und den ländlichen Raum? Aus meiner Sicht ist das Problem der Parteien die Konsens(un)fähigkeit in der veränderungsunwilligen Bevölkerung. Was für Widerstände entstehen, wenn der Bevölkerung ein wenig mehr Veränderung zugemutet werden soll, sieht man z.B. an den aktuellen Schmutzkampagnen gegen die GRÜNEN, die wiederum für einige bereits zu weichgespült, zu kompromisslerisch sind.
Dazu Juri:
Ja, das Problem ist der Konsens: unten Cut, oben Cut und den Durchschnitt irgendwie laufen lassen. Wie Convenience Food oder Schule oder Fernsehen. So sind keine Innovationen zu erwarten!
Zu all den Ideen und Konzepten „für Digitalisierung, Energiewende, Etablierung einer Recycling-Wirtschaft, andere Mobilität, den ländlichen Raum?“ liegt einfach eine Fehlkommunikation (auch seitens der Medien) vor.
- Für Digitalisierung brauch es keine neuen Ideen, nur eine für alle bezahlbare Umsetzung. Daran ist in Deutschland keiner der Großkopferten interessiert, denn dann würde jeder von ihnen weniger verdienen. Beim Maschinist gibt es einen lesenswerten Reisbericht über Transnistrien dazu. Fehlkommunikationen n dem Bereich sind gewollt. Alle deutschen Medien (ÖRR & privat) haben bis vor 2 Wochen noch Cell Broadcasting als Warn-SMS deklariert (um ihre Zuschauer nicht zu überfordern). So etwas hat sich nicht mal Fox News getraut. Faktenchecker? Fehlanzeige!
- Im Recycling waren wir mal richtig weit. Bis man sich doch wieder entschied, nur auf die Kosten zu schauen. Wir haben derzeit eine Quote von knapp 10 %. Tendenz sinkend. Der Rest wird einfach nach Afrika verklappt. Da waren wir sogar schon Ende der 90er weiter. Auch hier braucht es weniger Innovation, sondern Handlung.
- Eine andere Mobilität? Hier gab es sogar schon von der ADAC-Motorwelt (einem Autoclub, wtf?) schon innovative Ideen seit Ende der 70er. Unvergessen auch die Idee von ’84 oder so: Eine Art Smart als Stadtauto, der für die große Pendelstrecke in der Bahn fährt. Nichts davon wird sich jemals in Deutschland durchsetzen! Deutsche haben schließlich aus US-Filmen gelernt, dass das Auto der Inbegriff persönlicher Freiheit ist (tatsächlich ist das Gegenteil der Fall). Vom eigenen Automobil wird man hierzulande niemals ablassen. So ungern ich das als Antiamerikaner zugebe, da sind die Amis wirklich weiter. Schon in den 80ern musstest in den USA Leute mitnehmen, wer in die große Stadt wolltest. Der Wagen musste dafür voll belegt sein, sonst wurde eine Strafzahlung fällig. Sowas in Deutschland? Undenkbar! Car Sharing gibt es jetzt seit gut 15 Jahren. Tendenz abnehmend. Nutzen nur noch Studenten und Aktivisten.
- E-Mobilität? Naturkiller. Die ganzen Roller die aus der Elbe und Rhein geborgen werden hinterlassen deutliche Spuren. In Dresden gibt es wenigsten eine Koop der Verkehrsbetriebe mit Nextbike, die die kostenlose Mitbenutzung der Stadtfahrräder ermöglicht, Abomonatskarte vorausgesetzt.
Übrigens war die Straße mal für alle gedacht. Nicht nur für die Autos. In kleinen Ortschaften macht sich das schon störend bemerkbar. Hier wird leider in Deutschland gar nichts passieren, obwohl wesentlich tollere Ideen vorliegen. Lieber kauft man sich ein E-SUV. Das ist nicht verwunderlich, denn der Staat wird in Zweifelsfall immer für die Autokonzerne arbeiten (auch ohne Scheuer). Da ändern auch die Grünen nix!
Ein wenig Hoffnung schürender Rundumschlag, den Juri hier vorträgt! Ist das aber durchweg so? Ich sehe z.B. den Fortschritt der Verkehrswende in Berlin: viel mehr Radwege, neuerdings auch die Umwandlung vieler Straßen. Der Autobereich wird mancherorts einspurig (in jede Richtung), daneben entstehen breite Radwege, wo auch zwei Lastenräder nebeneinander fahren bzw. überholen können. Beim Recycling ist die Frage: Quote von was? Zumindest bei Verpackungen gab es eine neue VerpackungsVO, die gewiss nicht völlig wirkungslos bleibt.
Das sind jetzt nur zwei Beispiele gegen dein Eindruck, es geschehe gar nichts. Allgemein bin ich mit Juri der Meinung, dass viel zu wenig passiert, um die Wirtschaft nachhaltig und CO²-neutral zu machen. Auch ganz abgesehen vom Klima sollte doch allen klar sein, dass die Ressourcen endlich sind und ein ewiges „weiter so“ einfach nicht funktionieren wird.
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13 Kommentare zu „Deuschland: Kein Mangel an Ideen, aber unfähig zur Umsetzung?“.