Sie war eine liebende Mutter, konnte mich aber nicht beschützen, genauso wenig wie sich selbst. Was daraus folgte, davon handelt dieser Bericht.
Nur ein einziges Mal hat mich ein Mann (der nicht mein Vater war) geohrfeigt. Aus Eifersucht, wie ich erst später erfuhr. Es kam so überraschend, dass ich im ersten Moment nur extrem verblüfft war und dachte, er sei irgendwie „irre“ geworden. Also nicht in einem eskalierenden Streit, sondern als wir aus dem Café raus waren, in dem wir mit dem Bekannten, auf den er eifersüchtig war, zusammen gesessen hatten. Seine „Erklärung“ machte mich dann erst richtig wütend, womit ich auch nicht hinterm Berg hielt. Er entschuldigte sich, sagte, es sei „mit ihm durch gegangen“ – und ich machte ihm unmissverständlich klar, dass er auf nimmerwiedersehen verschwinden könnte, sollte sowas auch nur ansatzweise wieder vorkommen! Es hat gewirkt.
Ich war gerade 20 und absolut nicht bereit, Opfer zu werden – wie meine Mutter, die es erst sehr spät im dritten Anlauf schaffte, sich von meinem Vater zu trennen. Und das auch nur, weil er während einer Kur eine Affäre hatte, die ihn am Ende „übernahm“, weil wir (Mutter und 3 Kinder) es so wollten und unterstützten.
Er war Quartalsalkoholiker, ein jähzorniger Choleriker und auch immer wieder gewalttätig. Wir fürchteten den späten Nachmittag, wenn er aus dem Amt nach hause kam: Je später es wurde, desto sicherer würde er betrunken sein und womöglich irgend einen Horror veranstalten. Was ihn jeweils aufregen könnte, war nicht vorhersehbar. Ich lebte in Angst – mit Ausnahme der Zeiten, wenn er sich krank ins Bett legte und vom letzten Suff und seinen Folgen ein paar Wochen auskurierte. Diese ständige Angst (und der zunehmende Hass) war insgesamt schlimmer als die Schläge und Ohrfeigen. In der Pubertät zeigte ich ihm offen meinen Hass, was ihn noch ein paar mal richtig ausrasten ließ. Mit 19 zog ich aus, die Umstellung der Volljährigkeit von 21 auf 18 machte es möglich.
All das ist lange her und nicht die Geschichte, um die es mir eigentlich geht. Inspiriert von dem krassen Bericht „Häusliche Gewalt? Ich doch nicht! #warumichblieb“ musste ich an meine Mutter denken – und wie sich ihr duldendes Verhalten auf mein Leben ausgewirkt hat. Sie war eine liebende Mutter, konnte mich aber nicht beschützen, sich selbst ja auch nicht. Zwar hat sie es „irgendwie“ wohl versucht, aber erfolglos. Nur eine Trennung hätte das Elend beendet. Dass sie das nicht tat, sondern höchstens mal mit uns Kindern kurz zur Großtante floh, konnte ich nicht verstehen. Egal wie übel er sich aufgeführt hatte, sie blieb bei ihm. Zweimal wollte sie sich scheiden lassen, woraufhin er sich ins Krankenhaus legte und einen auf sterbenskrank machte – da konnte sie ihn doch nicht im Stich lassen…
Ich lernte: Auf Frauen kannst du dich nicht verlassen! Wenns drauf ankommt, halten sie immer zu ihrem Mann, haben Verständnis für seine Übeltaten, entschuldigen ihn, beschützen ihn sogar vor den Reaktionen, falls Dritte mal etwas mitbekommen.
Natürlich hab ich später verstanden, dass das „Verlassen“ in den 60ger-Jahren nicht so einfach war. Es galt das Verschuldensprinzip bei der Scheidung, alleinerziehende Mütter gab es in unserer Welt noch nicht. Sie war Hausfrau und hatte nichts, auch keinen Beruf, mit dem sie noch etwas hätte anfangen können, nicht mal eigene Freundinnen oder gar Freunde. Mein nachträgliches Verstehen blieb allerdings rein mental. An meiner emotionalen Distanz zu ihr und Frauen insgesamt konnte es genauso wenig ändern wie ihre späte Scheidung, als ich schon ausgezogen war. Oberflächlich hatte ich nie Streit mit ihr, sie war ihr Leben lang die „liebe Mutti“, doch seit ich mit 25 nach Berlin gezogen war, kam ich nur noch an Weihnachten vorbei. Sie fehlte mir nicht und ich erinnere nicht ein einziges wirklich tief gehendes Gespräch mit ihr. Als sie starb, wunderte ich mich, dass ich keine Trauer fühlte.
Noch jetzt, beim Erzählen dieser Geschichte, spüre ich den Vorwurf, den ich ihr zeitlebens machte, ohne ihn ihr gegenüber wirklich auszusprechen: Verdammt nochmal, warum hast du dir das alles gefallen lassen? Keine Gegenwehr, null Konsequenz, immer dulden, entschuldigen, schweigen… Diese unsägliche Machtlosigkeit, die sie mir vorgelebt hat, war wirklich schwer zu ertragen. Es hat mich mindestens genauso verletzt und beschädigt wie das Verhalten meines jähzornigen Vaters, der mir als „Feind in Kindheit und Jugend“ vergleichsweise klar und irgendwie gradliniger vorkam. Ihn konnte ich offen hassen (und ihn Jahre später sogar wieder besuchen, meinen Frieden mit ihm machen). Sie aber war das Opfer – und ein Opfer hassen, dass geht doch gar nicht!
So kam es, dass ich – abgesehen von einer kurzen Phase in der Schulzeit – nie eine „beste Freundin“ hatte. Mit meinen Männern kam ich dagegen gut zurecht und hatte eine Lang-Beziehung nach der anderen, ganz ohne Single-Phasen. „Familie“ war für mich allerdings verbrannt: ich wollte nie Kinder, heiratete nie und achtete stets darauf, von meinen Liebsten finanziell unabhängig zu bleiben. Und ich ließ mir nichts gefallen, natürlich nicht! Weil ich das anscheinend auch ausstrahlte, kam ich gar nicht erst an einschlägige Kandidaten. Die eine Ohrfeige blieb die eine Ausnahme und hat sich nie wiederholt.
Ich schreibe das auf für all die Frauen, die – wie meine Mutter – eher bleiben als gehen. Und für Feministinnen, die immer gleich „Victim Blaming“ anprangern, wenn ich irgend etwas sage, was als Kritik an den Frauen ausgelegt werden könnte. Selbst wenn es nur die – doch eigentlich „empowernde“ – Forderung ist, Kindern physische Selbstverteidigung beizubringen, allen Geschlechtern! Wer darin geübt ist, auf einen Angriff SPONTAN mit Gegenwehr zu reagieren – ohne erst zu erstarren, zu überlegen, reden zu wollen – wird nicht so leicht zum Opfer. Denn schon bevor der Fall des Falles eintritt, wird ein anderes Selbstbewusstsein aufgebaut, wenn frau weiß, dass sie nicht wehrlos ist.
***
Hilfe für Betroffene
- Hilfsorganisationen in der Nähe finden
- Bundesweites Hilfetelefon bei Gewalt gegen Frauen
- „Ihr Recht bei häuslicher Gewalt“ zum Download in 13 Sprachen
- Informationen zum Gewaltschutzgesetz beim Weißen Ring
- Informationen speziell für Kinder und Jugendliche
Diesem Blog per E-Mail folgen…
Diskussion
Kommentare abonnieren (RSS)
9 Kommentare zu „Zum Tag gegen Gewalt an Frauen – eine persönliche Geschichte“.