Das Web der Plattformen und weitgehend zentralisierter Konzerne ist noch nicht das Ende der Entwicklung. Vielen Kritikern und Akteuren reicht das Bemühen nicht, hier mehr zu regulieren, um die Macht dieser Strukturen zu beschneiden.Ein neues Konzept, das in den Anfängen bereits Realität ist, soll – wieder einmal – die Macht dezentralisieren und somit „demokratisieren“. Das sogenannte „Web3“ hat allerdings eine dunkle Seite, die grundstürzender sein könnte als alles, was wir bisher kennen, lieben und fürchten gelernt haben.
Aufmerksam geworden bin ich durch einen über Twitter geteilten FAZ-Artikel
Das Web3 als Anfang der Finanzialisierung von allem: – Nach dem Web 2.0 soll jetzt das Web3 wieder einmal die Ökonomie demokratisieren und Macht dezentralisieren. Doch das ist eine trügerische Hoffnung.
Weil der Text eine recht lange Anlaufzeit braucht, um zur befürchteten Dystopie zu kommen, fürchte ich, dass ihn kaum jemand bis zum Ende liest. Zunächst geht es um Bitcoin, die Kryptowährung, die wir alle kennen, die jedoch droht, sich auf Geldanlangen auszuweiten, wo wir sie nicht vermuten: In Staatsanleihen, Rentenfonds und andere als „sicher“ geltende Anlageformen.
Das allein würde viele von uns noch nicht groß tangieren, schon mangels Masse. Allerdings soll das System der unregulierten Kryptowährungen zu einer neuen Finanzierung von allem und jedem ausgebaut werden und – so fürchte ich – am Ende in Form des „Web3“ die „Kultur des Kostenlosen“, wie wir sie kennen, ablösen. Betrieben wird das von Aktiven im Silicon Valley, für die bereits die jetzige Netzwelt eine Dystopie ist. Und so soll sich das ändern:
„Zur Überwindung der Dystopie des Web 2.0, so argumentieren die klügsten Köpfe des Silicon Valley, reicht eine Regulierung nicht aus: Wir bräuchten einen radikalen Wechsel hin zu einem anderen Modell – dem Web3. Im Web3 ist alles dezentralisiert und finanzialisiert, also der Logik des Finanzsektors unterworfen: Jede Gemeinschaft kann nicht nur ihre eigene Währung einführen und verwalten, sondern auch ihre Ressourcen eigenständig verteilen, indem sie Anteile, sogenannte Tokens, ausgibt und diese später mit der Außenwelt handelt. Tokens sind programmierbare und handelsfähige digitale Objekte, die auf der Blockchain-Technologie basieren. Sind sie austauschbar („fungible“), kann man sie als Währung oder Miteigentumsanteil nutzen; sind sie einzigartig, können sie auch als Kunstwerke oder Sammelstücke dienen, wie die NFTs (Non-Fungible Tokens), von der die Kunstwelt erobert wurde.“
Das mit den „Tokens“ als handelbare Objekte hab ich schon mitbekommen und bisher für eine Spielerei für Gamer, Nerds, Fans und Spekulanten gehalten, die „irgendwie“ den Bitcoin-Erfolg im kleinsteln Maßstab nachbauen wollen – irrelevant für die Allgemeinheit. Laut FAZ haben zudem Studien gezeigt, dass die Hälfte der Tokens glatter Betrug sind – na viel Spass dabei, denk ich mal so.
Aber weiter:
„Das populistische Versprechen, das dem Web3 zugrunde liegt, besagt, dass, sobald die Kryptowährungen die Finanzkräfte vom korrumpierenden Einfluss der Wall Street, der Europäischen Zentralbank und anderer etablierter Institutionen gereinigt haben, die Politik selbst obsolet sein wird; dann werden wir in der Lage sein, die Menschen allein über finanzielle Anreize zu beeinflussen – eine dezentralisierte Version des chinesischen Sozialkreditsystems.“
In Kunst und Kultur sollen alle Kreativen wie ein StartUp agieren, die eigenen „Tokens/NTFs“ heraus geben und so den Markt über ihre Vorhaben entscheiden lassen.
„So können die Käufer über die Lebensentscheidungen der Aussteller dieser Tokens abstimmen. Da wir ohnehin alle Humankapital sind, warum nicht die Märkte entscheiden lassen, welche Karrieren wir verfolgen und welche Jobs wir annehmen?“
Das erscheint mir noch nicht als „ganz neu“, denn viele gehen bereits diesen Weg, nutzen jedoch meist noch Geldsammlungen über Plattformen. Im neuen System wären die mit der Einzahlung verbundenen Berechtigungen (erste Produkte, evtl. dann auch Gewinn-Anteile) allgemein handelbar. Aber bei der Kunst soll es nicht bleiben:
„Ebenso können nun alle Organisationen des traditionellen Non-Profit-Sektors, von denen viele von staatlichen Subventionen und Steuern abhängig sind, durch spontan gebildete „Dezentrale Autonome Organisationen“ ersetzt werden, die DAOs – eines der heißesten Themen in der Welt der Blockchains. Als solche können sie sich durch die Ausgabe von Tokens finanzieren, die von ihren Fans gekauft werden. Viele DAO-Enthusiasten verwenden eine bizarre Sprache, die Astrologie und Systemtheorie vermischt, und diskutieren darüber, was DAOs und andere Organisationen von Sekten lernen können.“
Weiter gedacht, könnte alles „tokenisiert“ werden, Wälder und Seen werden Anlageklassen, der Markt entscheidet über den Erhalt von Ressourcen, die den Klimawandel bremsen.
„Im Web3 gibt es für alles eine Mikrozahlung; jeder Prozess und jedes Objekt kann „tokenisiert“ werden; jeder wird ermutigt, sich als potentiell kommerzielle Marke zu betrachten. Wir alle sind nur einen Mausklick davon entfernt, unsere Familien und Haustiere als Tokens und damit als Investitionsobjekte an einer Kryptobörse anzumelden, in der leisen Hoffnung, dass sie eines Tages an Wert gewinnen.“
Weil der Begriff „Krypto“ allerdings verbrannt ist, haben sie die Bezeichnung „Web3“ gefunden, um – wieder einmal – eine „schöne neue Welt“ zu installieren, die endlich alles nicht mehr braucht, was nervt: Regulierungen, politisch steuerbare Finanzierungen, am Ende könnte gleich auch das Sozialsystem zusammen gestrichen werden: Geh doch an den Markt, wenn du Geld brauchst!
Was denkt Ihr? Hat das echte Chancen? Oder ist es eine Träumerei mittels totaler Übertreibung randständiger Phänomene?
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6 Kommentare zu „Zukunft Web3: Die Dystopie der totalen Finanzialisierung“.