Angst vor einem großen Krieg, Wut über Putins Zerstörungen in der Ukraine, Mitgefühl mit den Fliehenden, daneben der ganz normale Alltag: Aufträge abarbeiten, Einkaufen, Kochen, Garten planen und seichte Filme zur Ablenkung. Auch die Sorge, wie sich die Sanktionen wohl noch auswirken werden, schleicht sich nach und nach ein: Energiemangel, Teuerung und Inflation, Aufrüstung, Abbau des Sozialstaats – alles ist möglich und wird immer wahrscheinlicher.
Vielleicht kommt es vom Yoga, vielleicht ist es das Alter: Ich kann zum Glück ein Stück weit steuern, wie weit ich Angst, Wut & Sorge anwachsen lasse. Diese Gefühle benötigen den physischen Körper, um gespürt zu werden, Anspannung ist ihr Lebenselexier. Werden die Verspannungen losgelassen, bleiben nur Gedanken übrig, die ich auch anderen Themen zuwenden kann, noch.
Die laufenden Ereignisse verfolge ich, klebe aber nicht in jeder freien Minute an der Berichterstattung. Am meisten beschäftigt mich die Frage: Wie kommen wir aus der Situation wieder raus?
Wie kann Putin gestoppt werden?
In den letzten Tagen habe ich umgedacht, was die Motive Putins angeht. Die Geschichte von der Bedrohung durch die Nato-Osterweiterung glaube ich nicht mehr. Die Nato hat immerhin aus Rücksicht auf Russland gar keine „substanziellen Waffen“ in den baltischen Staaten stationiert. Und befasst man sich mit seinen Reden in letzter Zeit und den letzten Jahren, hat er ganz andere Interessen: Den Einflussbereich der Sowjetunion wieder herstellen, Russland umgeben von treuen Vasallenstaaten ohne Anschluss an die EU, ohne echte Demokratie und natürlich ohne Waffen, Er spricht der Ukraine das Existenzrecht, die staatliche Souveränität ab und seine anfänglichen Bekundungen, es gehe nur gegen militärische Ziele, sind nun auch Makulatur.
Deshalb kann ich Vorschläge, wie sie Jürgen in seinem Aufruf „Frieden ist möglich“ macht, nicht unterstützen. Ohne massiven Widerstand könnte Putin viel leichter auch andere Länder angreifen, die er als „eigentlich zu Russland gehörend“ ansieht. Auch in diesem Punkt hat sich meine Meinung geändert: anfänglich sah ich es als unmöglich an, der Übermacht des russischen Militäres zu widerstehen. Warum also nicht gleich aufgeben, um weiteren Krieg mit vielen Opfern zu vermeiden? Angesichts des ukrainischen Widerstands ist auch klarer denn je, dass es allein die Entscheidung der Ukrainer ist und bleiben muss, wie sie sich verhalten. Dennoch bin ich nicht dafür, Kampfflugzeuge zu liefern.
Meine einzige Hoffnung auf ein Ende des Kriegs: Dass die Sanktionen so unangenehm werden für die Oligarchen und hohen Funktionäre, die noch zu Putin stehen,. dass sie dafür sorgen, dass er verschwindet.
Das Beste und das Schlechteste in den Menschen bringt der Krieg hervor, heißt es. Für das Beste steht zur Zeit die überwältigende Hilfsbereitschaft für die Flüchtenden, das Schlechteste zeigt sich in den dummen und verrohten Leuten, die allen Ernstes Russen und russischstämmige Deusche bedrohen, beleidigen und sogar angreifen. Sogar russische Restaurants werden bedroht, direkt in meinem Kiez! Dabei machen die sogar ihre gegnerische Haltung zu Putins Krieg deutlich. Wie verblödet kann man eigentlich sein?
Ziemlich dumm finde ich auch die nachträgliche Verurteilung der Entspannungspolitik (Wandel durch Handel), mit der sich jetzt einige hervor tun. Immerhin hat uns das mehrere Jahrzehnte friedliche Koexistenz mit Russland gebracht. Dass wir jetzt bei den fossilien Energien so abhängig sind, verdankt sich auch der Ausbremsung und Verschleppung der Energiewende durch die GroKo-Regierenden, wir könnten längst viel weiter und damit auch unabhängiger sein.
Zeitenwende: ein philosophischer Schock
Es tut gut, einmal einer philosophischen Debatte zum Geschehen zuzuhören. Dazu empfehle ich Euch die gestrige Folge des Talks „Sternstunde Philosophie“:
Krieg in der Ukraine: Das Ende des Westens? Ein Gespräch über Macht und Moral. Zu sehen in der Mediathek und auf Youtube.
„Putins Krieg gegen die Ukraine ist ein krasser Bruch mit Recht, Moral und Zivilisation. Auch der Westen rüstet auf. Herrschen nun wieder Gewalt und Gegengewalt? Erleben wir eine Zeitenwende der Weltpolitik? Ein Gespräch über Macht und Moral – und über den Krieg als Anfang einer neuen Weltordnung.“
Auch zu hören als Audio-Podcast.
Sehr lesenswert: Russland verstehen .- Marina Weisband
Update:
Grade hab‘ ich die ZDF-Doku „Putin gegen die Welt“ gesehen, die noch einmal sehr gut die ganze Historie und Putins jeweilige Sicht der Dinge aufbereitet. Zum einen werden die vielen Versäumniss und die Ignoranz des Westens (sowohl USA als auch Europäer) aufgezeigt, zum anderen werden die Herangehensweisen Putins vom Hinterhof seiner Kindheit bis zum Ukraine-Krieg berichtet, der angesichts der Geschichte erwartbar, nahezu mit Ansage gestartet wurde. Und wir haben bis zuletzt den USA-Geheimdiensten nicht geglaubt, die schon tagelang berichteten, die Entscheidung, ganz Ukraine anzugreifen, sei bereits gefallen.
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8 Kommentare zu „Gefühl und Alltag – ein paar Gedanken zum Geschehen im Ukrainekrieg“.