Claudia am 08. März 2022 —

Gefühl und Alltag – ein paar Gedanken zum Geschehen im Ukrainekrieg

Angst vor einem großen Krieg, Wut über Putins Zerstörungen in der Ukraine, Mitgefühl mit den Fliehenden, daneben der ganz normale Alltag: Aufträge abarbeiten, Einkaufen, Kochen, Garten planen und seichte Filme zur Ablenkung. Auch die Sorge, wie sich die Sanktionen wohl noch auswirken werden, schleicht sich nach und nach ein: Energiemangel, Teuerung und Inflation, Aufrüstung, Abbau des Sozialstaats – alles ist möglich und wird immer wahrscheinlicher.

Vielleicht kommt es vom Yoga, vielleicht ist es das Alter: Ich kann zum Glück ein Stück weit steuern, wie weit ich Angst, Wut & Sorge anwachsen lasse. Diese Gefühle benötigen den physischen Körper, um gespürt zu werden, Anspannung ist ihr Lebenselexier. Werden die Verspannungen losgelassen, bleiben nur Gedanken übrig, die ich auch anderen Themen zuwenden kann, noch.

Die laufenden Ereignisse verfolge ich, klebe aber nicht in jeder freien Minute an der Berichterstattung. Am meisten  beschäftigt mich die Frage: Wie kommen wir aus der Situation wieder raus?

Wie kann Putin gestoppt werden?

In den letzten Tagen habe ich umgedacht, was die Motive Putins angeht. Die Geschichte von der Bedrohung durch die Nato-Osterweiterung glaube ich nicht mehr. Die Nato hat immerhin aus Rücksicht auf Russland gar keine „substanziellen Waffen“ in den baltischen Staaten stationiert. Und befasst man sich mit seinen Reden in letzter Zeit und den letzten Jahren, hat er ganz andere Interessen: Den Einflussbereich der Sowjetunion wieder herstellen, Russland umgeben von treuen Vasallenstaaten ohne Anschluss an die EU, ohne echte Demokratie und natürlich ohne Waffen, Er spricht der Ukraine das Existenzrecht, die staatliche Souveränität ab und seine anfänglichen Bekundungen, es gehe nur gegen militärische Ziele, sind nun auch Makulatur.

Deshalb kann ich Vorschläge, wie sie Jürgen in seinem Aufruf „Frieden ist möglich“ macht, nicht unterstützen. Ohne massiven Widerstand könnte Putin viel leichter auch andere Länder angreifen, die er als „eigentlich zu Russland gehörend“ ansieht. Auch in diesem Punkt hat sich meine Meinung geändert: anfänglich sah ich es als unmöglich an, der Übermacht des russischen Militäres zu widerstehen. Warum also nicht gleich aufgeben, um weiteren Krieg mit vielen Opfern zu vermeiden? Angesichts des ukrainischen Widerstands ist auch klarer denn je, dass es allein die Entscheidung der Ukrainer ist und bleiben muss, wie sie sich verhalten. Dennoch bin ich nicht dafür, Kampfflugzeuge zu liefern.

Meine einzige Hoffnung auf ein Ende des Kriegs: Dass die Sanktionen so unangenehm werden für die Oligarchen und hohen Funktionäre, die noch zu Putin stehen,. dass sie dafür sorgen, dass er verschwindet.

Das Beste und das Schlechteste in den Menschen bringt der Krieg hervor, heißt es. Für das Beste steht zur Zeit die überwältigende Hilfsbereitschaft für die Flüchtenden, das Schlechteste zeigt sich in den dummen und verrohten Leuten, die allen Ernstes Russen und russischstämmige Deusche bedrohen, beleidigen und sogar angreifen. Sogar russische Restaurants werden bedroht, direkt in meinem Kiez! Dabei machen die sogar ihre gegnerische Haltung zu Putins Krieg deutlich. Wie verblödet kann man eigentlich sein?

Ziemlich dumm finde ich auch die nachträgliche Verurteilung der Entspannungspolitik (Wandel durch Handel), mit der sich jetzt einige hervor tun. Immerhin hat uns das mehrere Jahrzehnte friedliche Koexistenz mit Russland gebracht. Dass wir jetzt bei den fossilien Energien so abhängig sind, verdankt sich auch der Ausbremsung und Verschleppung der Energiewende durch die GroKo-Regierenden, wir könnten längst viel weiter und damit auch unabhängiger sein.

Zeitenwende: ein philosophischer Schock

Es tut gut, einmal einer philosophischen Debatte zum Geschehen zuzuhören. Dazu empfehle ich Euch die gestrige Folge des Talks „Sternstunde Philosophie“:

Krieg in der Ukraine: Das Ende des Westens? Ein Gespräch über Macht und Moral. Zu sehen in der Mediathek und auf Youtube.

Sternstunde Philosophie: Ukrainekrieg

„Putins Krieg gegen die Ukraine ist ein krasser Bruch mit Recht, Moral und Zivilisation. Auch der Westen rüstet auf. Herrschen nun wieder Gewalt und Gegengewalt? Erleben wir eine Zeitenwende der Weltpolitik? Ein Gespräch über Macht und Moral – und über den Krieg als Anfang einer neuen Weltordnung.“

Auch zu hören als Audio-Podcast.

Sehr lesenswert: Russland verstehen .- Marina Weisband

Update:

Grade hab‘ ich die ZDF-Doku „Putin gegen die Welt“ gesehen, die noch einmal sehr gut die ganze Historie und Putins jeweilige Sicht der Dinge aufbereitet. Zum einen werden die vielen Versäumniss und die Ignoranz des Westens (sowohl USA als auch Europäer) aufgezeigt, zum anderen werden die Herangehensweisen Putins vom Hinterhof seiner Kindheit bis zum Ukraine-Krieg berichtet, der angesichts der Geschichte erwartbar, nahezu mit Ansage gestartet wurde. Und wir haben bis zuletzt den USA-Geheimdiensten nicht geglaubt, die schon tagelang berichteten, die Entscheidung, ganz Ukraine anzugreifen, sei bereits gefallen.

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Diskussion

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8 Kommentare zu „Gefühl und Alltag – ein paar Gedanken zum Geschehen im Ukrainekrieg“.

  1. Ich sehe viele Punkte ganz genauso.
    Vor allen Dingen die Abhängigkeiten hätte man bereits vor vielen Jahren schon abschaffen, oder zumindest entschärfen können. Man hing an „bewährtem“ fest, letztendlich an der Vergangenheit. Diese holt uns nun mit großen Schritten ein.
    Ich selbst habe zuletzt noch gesagt dass es nicht darum geht Putin verschwinden zu lassen, und das sehe ich auch heute noch so. Die Russen müssen selbst wissen wen und was sie wollen, und dementsprechend handeln. Es ist Unsinn wenn der Westen jetzt versucht Putin zu stürzen. Wir müssen klare Kante zeigen, unsere Demokratie verteidigen.
    Hoffentlich werden wir in den kommenden Jahren noch viele Veränderungen sehen… wenn wir nicht vorher alle durch Atomschläge ums Leben kommen. Das muss sich zeigen.

    Das Menschen für ihre Nationalität nun angegriffen werden zeigt doch nur wie dumm Menschen sein können. Da ist sie wieder, diese Minderheit, die der großen Mehrheit laut schreiend ihre Meinung aufbrummt. Wir sollten zu den in Deutschland lebenden Russen genauso stehen wie zu den Ukrainern die im Moment schlimmes erleiden müssen.

    Viele Grüße, auf dass die innere Kraft noch lange anhält!

  2. @Daniel: danke für deinen Kommentar!

    Von außen kann Putin natürlich nicht gestürzt werden. Es scheint keinerlei Chance zu geben, ihn von seinem Plan abzubringen. Diplomatische Versuche hat es immer wieder gegeben, erfolglos. Dass er weg muss, damit der Krieg beendet werden kann, denke ich wegen der Berichte von Leuten, die Putin lange kennen, sogar mit ihm zusammen gearbeitet haben: Er mache NIEMALS einen Rückzieher – und das sehen wir ja jetzt auch an der Entwicklung, Immer mehr Gewalt und Zerstörung, keine konstruktiven Verhandlungen, lediglich „Korridore“, um nach Abzug von Zivilisten so richtig zuschlagen zu können – siehe Grosny, Aleppo…

  3. Ich sehe überhaupt keine realistische Möglichkeit für die Ukraine, militärisch diesen Krieg zu gewinnen. Und das Verhalten der EU und der NATO ist letztlich auch von dieser Sicht bestimmt, was ich als heuchlerischen Druck auf die Ukraine empfinde, denn am Ende wird die unausweichliche militärische Niederlage einem desaströsen moralischen Sieg gegenüber stehen, der allein von der Ukraine mit derzeit nicht annähernd abschätzbaren Opfern bezahlt werden wird. Alle derzeitigen Unterstützungen des Westens münden alleine in einer Hinauszögerung der Niederlage und einer Vermehrung der Opfer auf beiden Seiten.
    Der Krieg wird ja schon seit 2014 geführt und seither gab es jede Menge Versäumnisse vor allem von Europa – die NATO hat wie alle auf Kampf und Waffen basierende Gemeinschaften eigentlich ja nur das getan, was man halt mit einer solchen primitiven gestrigen Einstellung tut -, wobei ich fatal finde, dass es jetzt so aussschaut, dass die EU und die NATO an einem Strang ziehen! Die Ukraine soll bloß den Kopf für die Versäumnisse der europäischen Politik hinhalten. Wieviele rote Teppiche hat man seit der Krim-Annexion – die ich persönlich für russisch halte! – Putin ausgerollt!
    Das alles nicht zu sehen bzw. zu erkennen halte ich für mehr als zynisch!
    Im Übrigen: Für mich ist sowohl die Ukraine als auch Russland Europa!

  4. @werner: auch dir danke für deinen Beitrag! Einen Widerspruch in deinem Text verstehe ich nicht, du schreibst:

    “ Die Ukraine soll bloß den Kopf für die Versäumnisse der europäischen Politik hinhalten. Wieviele rote Teppiche hat man seit der Krim-Annexion – die ich persönlich für russisch halte! – Putin ausgerollt!“

    Hat man jetzt versäumt oder Teppiche ausgerollt? Oder meinst du das als Vowurf: zu wenige Teppiche ausgerollt?

    Grade hab‘ ich die ZDF-Doku „Putin gegen die Welt“ gesehen (seltsamerweise nicht in der Mediathek), die noch einmal sehr gut die ganze Historie und Putins jeweilige Sicht der Dinge aufbereitet. Zum einen werden die vielen Versäumniss und die Ignoranz des Westens (sowohl USA als auch Europäer) aufgezeigt, zum anderen werden die Herangehensweisen Putins vom Hinterhof seiner Kindheit bis zum Ukraine-Krieg berichtet, der angesichts der Geschichte erwartbar, nahezu mit Ansage gestartet wurde. Und wir haben bis zuletzt den USA-Geheimdiensten nicht geglaubt, die schon tagelang berichteten, die Entscheidung, ganz Ukraine anzugreifen, sei bereits gefallen.

    Anders als Du finde ich nicht, dass von USA und EU ein DRUCK auf die Ukraine ausgeübt wurde, dass sie doch bittschön kämpfen sollen. Da war doch sehr viel Zögern, USA zunächst relativ still, erst gab es keine Waffen von Deutschland, dann nur Verteidigungswaffen – noch immer keine Panzer etc. Hauptsächlich ging und geht es um Sanktionen und deren Rückwirkung.

    Horst hat sich in seinem Blogpost zuletzt ziemlich aufgeregt, weil Augstein im Freitag deine Position vertreten hat.

    Für mich ist das durchaus ein rationales Argument, denn eine Kapitulation zu Putins Bedingungen würde die Bombardierungen ukrainischer Städte ja wirklich beenden. Aber die Ukrainer wollen das nicht – und es kann doch wohl nicht ernsthaft Deutschland sein (Geschichte!), das ihnen nahe legt, doch lieber zu kapitulieren und sich Putin unterzuordnen! Zudem würde es ihn doch geradezu ermuntern, in anderern Staaten so weiter zu machen.

    Hierzulande wird gerade lautstark über den sofortigen Stopp der Lieferung fossiler Energien diskutiert. Noch bleibt unsere Regierung vernünftig, aber sie haben in den letzten Tagen auch schon sehr schnell umgedacht. Die Leute machen sich m.E. nicht wirklich klar, was das bedeuten würde und polemisieren herum, man würde wohl nicht mal einen Pullover anziehen wollen, um der Ukraine zu helfen.
    Furchtbar, das alles!

  5. Erst langsam und allmählich komme ich aus meiner Schockstarre des 24.02.2022 wieder heraus. Was brauche ich jetzt? Orientierung. Fakten und Diskussionen, so neutral und sachlich wie möglich, in denen versucht wird, so viele Seiten wie möglich auszuleuchten. Der oben verlinkte SRF-Beitrag ist da genau richtig. Hätte ich den etwas früher gesehen hätte ich mich bemüht, meinem eigenen letzten Beitrag bereits mehr Sachlichkeit zu verleihen.

    Was brauche ich jetzt nicht? Mediale Anheizer aller Couleur, worunter ich nicht nur ÖRR verstehe, sondern auch überregionalen Qualitätsjournalismus, der uns auf die Dinge einstimmen will/soll, die jetzt auf uns zukommen werden. 1+1 kann jeder zusammen zählen, der die Tankstellenpreise sieht.

    Nach meinem rein persönlichen Dafürhalten hat die Ukraine durchaus eine Chance, den Krieg nicht zu verlieren. Damit will ich allerdings nicht behaupten, das sie ihn damit auch gewonnen hat.

    Schon im 6-Tage Krieg 1967 hat sich Israel als David gegen Goliath erfolgreich gewehrt. Doch selbst heute, 55 Jahre später, konnte diese Region noch immer keinen Frieden finden.

    Und ich glaube auch, dass es das ist, was wir spüren. Das die Verwerfungen nach der „Zeitenwende“ uns noch für viele, viele Jahre ihren Stempel aufdrücken wird.

  6. Der Widerspruch liegt doch in der europäischen Politik – man hat die Annexion der Krim einfach hingenommen, statt danach eben darauf zu verzichten, Putin den roten Teppich auzurollen, sondern man ist einfach zur Tagesordnung übergegangen. Man hat nicht versucht, eine Lösung für die Separatistengebiete zu finden – eine Schaffung künstlicher Grenzen wie nach der Sowjetunion ist immer problematisch -, was aber notwendig gewesen wäre. Die EU hätte acht Jahre Zeit gehabt, auf Putin Druck diesbezüglich auszuüben – nun macht man das, indem man einem militärisch unterlegenen Land ein paar Waffen liefert, damit das die westlichen Werte verteidigt. Ich finde das scheinheilig und zynisch – das Tragische ist, dass es jetzt einfach zu spät ist und dass es realistischerweise für Jahrzehnte wohl keine annehmbare Lösung geben wird, sondern ein mehr oder weniger von Russland kontroliertes Land, das sich permanent mit einer Untergrundarmee wie früher Irland wehren wird. Eine andere Lösung sehe ich nicht. Ukraine hat auch leider nicht die Strukturen, in absehbarer Zeit zur EU zu kommen, auch da ist man sich in Europa einig. Und die Lippenbekenntnisse jüngster Zeit in dieser Richtung führen nur dazu, der Ukraine falsche Hoffnungen zu machen.

  7. @Menachem: danke für deinen Kommentar! Freut mich, dass du den empfohlenen Philosophie-Talk zur Lage angesehen hast und gut findest!

    @Werner: Zum Donbass gab es immerhin Minsk 1 und Minsk 2, an das sich beide Seiten nicht gehalten haben. Dass die Annektion der Krim hingenommen wurde, wundert nicht. Selbst du sagst ja, für dich sei sie russisch! Abgestimmt haben sie dort auch und dass der Flottenstützpunkt auf der Krim nicht Teil einer Ukraine bleiben kann, die nach Westen strebt, ist eigentlich auch jedem klar. Selbst wenn da Verträge gemacht worden wären, wäre das für Russland nicht genug gewesen, die kann man ja einfach kündigen.
    Sanktionen, die UNS schaden, wären angesichts dieser Lage nicht vermittelbar gewesen – anders als jetzt, wo viele sogar meinen, man könne und solle von jetzt auf gleich alle Fossilen aus Russland stoppen.

  8. Die Doku „Putin gegen die Welt“ mit besonderem Blick auf sein Verhältnis zu Deutschland ist jetzt in der Mediathek.