Was derzeit passiert, gründet nicht in der Einsicht, dass der Klimawandel eine Schrumpfung erzwingt, sondern wird durch den Krieg in der Ukraine, explodierende Energiekosten, Lieferkettenprobleme und Arbeitskräftemangel verursacht. Nichtsdestotrotz schreitet die Klimakrise voran und die Notwendigkeit, zu einem klimaneutralen Wirtschaften zu wechseln, wird immer dringlicher.
Ein provozierend wirkender Zusammenschnitt einer Rede zum „Grünen Schrumpfen“ der Wirtschaftsredakteurin (TAZ) Ulrike Herrmann erregt aktuell die Gemüter auf Twitter. Deshalb poste ich hier mal das Originalvideo, in dem die Begründungen und Herleitungen ihrer Statements nicht raus geschnitten wurden.
Anders als der Zusammenschnitt nahe legt, positioniert sich Herrmann gleich zu Beginn: Sie sei KEINE Kapitalismuskritikerin, denn dieses System habe mehr Wohlstand für viele geschaffen als alle anderen Versuche, die nicht diesselbe Dynamik aufweisen. Dennoch sieht sie die Not-Wendigkeit, von einem System wegzukommen, das unendliches Wachstum für sein Funktionieren benötigt. Nicht mal allein aus Klimaschutzgründen, sondern auch aufgrund der Endlichkeit der Ressourcen: Die EU verbraucht derzeit soviel, dass drei Erden nötig wären, um diesen Wohlstand für alle zu ermöglichen, die USA verbrauchen 5 Erden, Dubai sogar 33!
Klimaschutz (und die Endlichkeit der Rohstoffe) bedeuten aus Hermanns Sicht, dass „kein Stein auf dem anderen bleibt“ und der derzeitige, Wachstum zum Selbsterhalt benötigende Kapitalismus in eine klimaneutrale Kreislaufwirtschaft überführt werden muss.
Konsumverzicht? Grünes Wachstum?
Wie sollte das aber gehen? Hermann beginnt mit der Zerstörung gängiger Ideen, die sie als Illusion bzw. nicht machbar entlarvt:
- Idee 1: Konsumverzicht. Wir kaufen einfach weniger, denn viele von uns haben ja doch weit mehr als wir wirklich brauchen. Das kann nach Herrmann nicht klappen, da umfangreiches und andauerndes Konsumieren zum Erhalt des kapitalistischen Systems erforderlich ist. Kapitalismus hat nur 2 Zustände: Wachstum oder Schrumpfung. In der chaotischen Schrumpfung, die eintritt, wenn alle weniger kaufen, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass ein rechtsradikaler Diktator an die Macht kommt. (Ich ergänze: Weil Firmen pleite gehen, die Arbeitslosigkeit massiv steigt, der Sozialstaat unbezahlbar wird und immer mehr Menschen ernsthafte Not leiden). Das hatten wir in Deutschland schon, brauchen es nicht nochmal!
- Idee 2: Grünes Wachstum, das derzeit von allen Parteien angestrebte Szenario. Alles bleibt im Prinzip wie bisher, nur wird auf klimaneutrale Technik gesetzt (z.B. E-Autos) und alles auf Ökostrom umgestellt. Aber: Windenergie macht derzeit nur 4,5 % des Endenergieverbrauchs aus, Solarenergie nur 2%. Das bedeutet, dass 93 % der Endenergie bis 2035 aus Erneuerbaren produziert werden muss, was angesichts des bisher schleppenden Ausbaus große Anstrengungen erfordert. Allerdings kann die Öko-Energieversorgung nur mittels Speichertechnologien (Batterien und Wasserstoff) funktionieren, da Wind und Sonne nicht immer zur Verfügung stehen. Dieses Speichern sei alternativlos, aber teuer, sagt Hermann. Ökoenergie wird aus ihrer Sicht immer knapp und teuer bleiben, nur Kohle, Öl und Gas gab es in Hülle und Fülle.
Grünes Schrumpfen und der Übergang zur Kreislaufwirtschaft
Herrmanns Fazit: Die Aufrechterhaltung der aktuellen Konsumgesellschaft kann nicht gelingen. „Grünes Schrumpfen“ ist angesagt. Knappe und teure Öko-Energie wird nicht für alles reichen, was heute selbstverständlich ist: Nicht fürs Fliegen, nicht für private KFZs (E-Auto ist nach Herrmann eine Sackgasse). Auch Banken, wie wir sie kennen, haben keine Zukuft, weil Kredite Wachstum benötigen, dito Lebensversicherungen. Es braucht dann auch keine PR-Agenturen mehr, keine Messe-Logistik, kein Grafik-Design und auch nicht mehr so viel Journalismus. Neue Arbeitsplätze entstehen z.B. in der Produktion, Aufstellung und Wartung der Erneuerbaren, beim Öko-Landbau (der die aktuelle Landwirtschaft ablöst) und in der Wiederaufforstung der Wälder. Diese Arbeitsplätze werden jedoch keine mit heute vergleichbaren Einkommen generieren.
Als Analogie, wie das in den bis 2035 verbleibenden Jahren schaffbar sein könnte, beschreibt Herrmann am Ende des Videos die britische Kriegschwirtschaft ab 1939: Nichts wurde verstaatlicht, jedoch hat der Staat vorgeschrieben, WAS – neben der nun erforderlichen Kriegsgüterproduktion – überhaupt noch produziert werden soll. Und daraus notwendig folgend: Wie es verteilt werden soll. Diese Güter-Rationierung erfolgte gleichmäßig (!), so dass nicht die Reichen das ganze Fleisch bekamen und die Armen nichts. Letztere hatten dadurch sogar mehr als vorher, was die Rationierung sehr populär machte, sodass sie bis 1954 beibehalten wurde.
Mein Kommentar:
Aus meiner Sicht befinden wir uns derzeit genau in diesem Schreckensszenario „chaotisches Schrumpfen“. Herrmann führte als Beispiel für die Brisanz noch an, dass der Corona-Stillstand dazu geführt hat, dass blitzschnell viele Milliarden in die Wirtschaft gepumpt wurden. Eben weil sich die politischen Akteure darin einig waren, wie gefährtlich das Schrumpfen werden kann. Damit wurde das Schlimmste verhindert, jedoch kommt es jetzt doppelt dicke, da keine Zeit der Erholung und guten Geschäfte neue Puffer hat bilden können.
Was die Möglichkeiten angeht, mit der nötigen Radikalität umzusteuern, gar eine Kriegswirtschafts-ähnliche Steuerung und Rationierung einzuführen, bin ich äußerst pessimistisch. Das macht die Bevölkerung nicht mit und wird – so fürchte ich – lieber den rechten Rattenfängern in die Arme laufen, die natürlich erst recht außerstande sind, irgend etwas Not-Wendiges und Sinnvolles umzusetzen. Eher ist mit dem Zerfall der EU zu rechnen und neuen Kriegen.
Was also? Es wird weiterhin „auf Sicht gefahren“ werden, Klima hin, Klima her. Lindner wird die Schuldenbremse aufgeben müssen, überall werden Löcher gestopft werden, aber nie genug, wodurch die Verschuldung der Staaten steigt und eine neue Finanzkrise droht.
Und zum Ukraine-Krieg hab‘ ich noch gar nichts gesagt! Auch das kann furchtbar eskalieren, so sehr ich mich über die aktuellen Erfolge der Ukraine auch freue.
Ein Blogpost über düstere Entwicklungen endet hier normalerweise mit irgend etwas Tröstlichem. Momentan fällt mir dazu nichts ein, jedenfalls nicht „im großen Format“ mit Blick auf Wirtschaft und Gesellschaft. Im Kleinen staune ich fast, wie gut es mir (und vielen anderen) derzeit noch geht, und bin dankbar für jeden Tag, denn ich sehe es nicht mehr als selbstverständlich an. Sicher ist jedenfalls: Weder werde ich Wutbürgerin noch depressiv, sondern bleibe „guten Mutes“, solange es eben geht.
Und Ihr so?
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18 Kommentare zu „Schluss mit Wachstum – und dann?“.