Würde ich keine Nachrichten lesen und auch Twitter auslassen, wäre mein Leben in der Ignoranz ungeheuer harmonisch. Ja, das Wort „ungeheuer“ passt, denn der Widerspruch zwischen dem eigenen Befinden und dem, was in der Welt da draußen so vorgeht, könnte kaum größer sein. Die Friedlichkeit des eigenen alltäglichen Lebens, des „realen Lebens“ wie es seit dem Aufkommen des Internets heißt, ist mir manchmal nicht ganz geheuer. Ich schwanke zwischen Dankbarkeit und Schuldbewusstsein: Wie kann es mir so gut gehen, wenn doch die Welt so im Argen liegt?
Natürlich wünsche ich mir nicht, dass sich daran etwas ändert! Also an der Welt schon, aber nicht am friedlichen Grundgefühl, das mich seit Jahren trägt. Keine Konflikte im persönlichen Umwelt, sondern liebevolles Miteinander, kein stressiger Job, sondern ruhiges Abarbeiten von Aufträgen im Homebüro – bei freier Zeiteinteilung ganz ohne Stress! Mal stehe ich früh auf und erlebe die Morgendämmerung, dann switche ich wieder in den Spätrythmus und der PC sieht mich nicht vor 10 oder gar 11 Uhr. Bei schlechtem Wettter bleibe ich zuhause und lasse mich beliefern, scheint die Sonne, mache ich einen Gartenbesuch mit dem Liebsten und kaufe hinterher im Supermarkt ein. Mit Maske, weil ich seit drei Jahren ohne Erkältung bin und möchte, dass das so bleibt. Und während auf Twitter jede Erwähnung der „Maske“ aufgebrachte Trolle anzieht, schaut mich bei LIDL nicht mal mehr jemand böse an.
Die Minirente, die ich neben dem auskömmlichen Einkommen als Freiberuflerin bekomme, empfinde ich als Geschenk. Dass ich weiter arbeite anstatt Grundsicherung zu beantragen, empfinde ich nicht als Last, kann es mir anders gar nicht vorstellen! Warum sollte ich aufhören, solange meine Beiträge und Dienstleistungen erwünscht sind? Ich muss mich bei der Arbeit nicht verbiegen, ein Zustand, den ich im Arbeitsleben immer schon angestrebt und zu 95% auch durchgesetzt habe. Dass ich dafür auf das Anhäufen materieller Besitztümer und auf so etwas wie einen „sicheren Arbeitsplatz“ verzichten musste, kam mir zu keiner Zeit als Mangel vor. (Mangels Kinderwunsch ist das natürlich einfacher gewesen als für Menschen, die Eltern geworden sind!).
Gesundheit? Zum Glück gehts mir noch gut, trotz gängiger alterstypischer Zipperlein. Zuviel Sitzen, zuwenig Bewegung, immer mal wieder der Kampf gegen das (mäßige) Übergewicht und nicht immer supergesundes Essen, das Schwanken zwischen Rauchen, Nichtrauchen und Dampfen – all das war häufig Thema in früheren Jahren und ist keineswegs vorbei. Nur regt es mich nicht mehr so auf, inspiriert vor allem nicht zu weiteren Jammer- und Selbstdisziplinierungsartikeln. Das Vorhaben, in diesem Leben irgendwann zur perfekten Person zu werden, das ich – mehr oder weniger unbewusst – in jüngeren Jahren verfolgte, treibt mich nicht mehr um. Es gibt nichts ganz Wahres im Falschen, schrieb einst Adorno, und ich füge hinzu: Der Versuch, durchweg das einzig wahre und richtige Leben zu führen, bringt häufig einen Furor mit sich, der auch nicht gesund ist!
Aber die Welt? Krieg, Klimakatastrophe, Energiekrise, Inflation – es gibt leider übergenug Gründe, in Angst und Sorge zu geraten. Das alles lässt mich nicht kalt, allerdings vermeide ich es, in den schlechten Gefühlen zu baden, die all das auslöst. Wem hilft es, wenn ich im Angst-Modus verharre angesichts der Schrecknisse und Drohungen unserer Zeit? Niemandem! Lieber trete ich einen Schritt zurück, wenn es mich zu überwältigen droht, und lenke die Aufmerksamkeit auf Positiveres, das ja immer noch existiert. Nicht nur im eigenen Leben, sondern auch draußen in der Welt.
Ich wünsche uns allen ein gutes Jahr 2023! Möge der Krieg enden, die Energiewende gelingen und das Aggressionspotenzial wieder sinken! Wünschen ist ja durchaus erlaubt, auch wenn es nur selten hilft.
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Siehe auch:
- Gaskrise und Inflation: Anpassungsversuche im Alltag
- Krisentango: Vom Leben im „perfekten Sturm“
- Vom Heizen: Temperatur und Gewohnheit
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6 Kommentare zu „Innen und außen: Wie es mir geht“.