Claudia am 12. Juli 2023 —

Kurzurlaub in der alten Heimat: Wiesbaden

„Warum liest man hier nichts mehr?“, fragt ein Besucher in den Kommentaren. Die ungewöhnlich lange Lücke ergab sich durch meinen Besuch in der alten Heimat, wo ein Klassentreffen der Abi-Klasse stattfand und zuvor eine Zeit verdichteter Arbeit: Vorarbeiten, Monatswechsel – und eingefallen ist mir auch nichts, was unbedingt verbloggt werden sollte.

In Wiesbaden bin ich aufgewachsen: Mit fünf aus BaWü zugezogen und bis Mitte zwanzig geblieben. Die Abi-Klasse war eine besondere: Ab der 11. kamen Jungs in unser Mädchengymnasium, die Koedukation begann, damals eine große Sache! Auch der „musische Zweig“ war neu, man konnte zwischen Kunst und Musik als Hauptfach wählen – ich wählte Kunst und hatte bis zum Abi eine tolle Zeit.

Wiesbaden war damals eine ruhige, ordentliche, langweilige Beamtenstadt. Sie zu verlassen und nach Berlin zu ziehen, war eine meiner besten Lebensentscheidungen, denn erst dort fühlte ich mich wirklich frei und „erwachsen“. Heute ist Wiesbaden verlottert und viel dreckiger als früher, aber von der Substanz her immer noch wunderschön. Sehr attraktive Viertel mit Gründerzeitbauten, überall hohe alte Bäume, die wegen der im Vergleich zu Berlin engeren Straßen ein angenehm kühles Klima auch in der stärksten Hitze schaffen.

Wiesbaden Rheingauviertel

Und heiß war es wirklich: 32, 33, 34 Grad, jeden Tag! Das „Weinbauklima“, das ich nach dem Wegzug zunächst vermisste, möchte ich heute nicht mehr ertragen müssen! Hier ganz oben hab‘ ich mal gewohnt:

altes Wohnhaus Wiesbaden

In manchen Straßen schmücken sogar Palmen und Zypressen die Fassaden, die in Berlin keine Überlebenschancen hätten!

Stadtplanerisch bietet Wiesbaden Seltsamkeiten, z.B. in der Platzgestaltung. Wenn hier in Berlin Friedrichshain ein Platz gestaltet wird, finden vorher mehrere Veranstaltungen zur Bürgerbeteiligung statt – und aus den Vorschlägen machen die Planer/innen das Beste, was geht. In Wiesbaden stellt man offenbar einfach dies und jenes, was irgendjemand vorschlägt, mal eben so auf. So zum Beispiel am Kochbrunnen, ein sehr zentraler Platz in Wiesbadens City, zudem eine „Must-See-Sehenswürdigkeit“. Das ist der Kochbrunnen:

Kochbrunnen

Die heißen Quellen (Kochbrunnen, Faulbrunnen, Bäckerbrunnen…) in Wiesbaden waren ein guter Grund für die Römer, hier eine erste zivile Siedlung zu errichten. Wie schön, dass das heiße Wasser einfach so aus dem Boden kam, ohne dass man viele Sklaven mit der Arbeit in den Thermen beschäftigen musste!

Soweit, so schön! Allerdings hat man dieses grüne Männchen zur Feier von 25 Jahren Deutsche Einheit daneben gestellt:

Grünes Ampelmännchen als Statue

Unfassbar hässlich! Auf der anderen Seite bereichert eine kleine gedruckte Lehmskulptur den Platz, irgendwas mit Fluxus, Lesungen, Literatur…. Das erläuternde Plakat an der Tür des meist geschlossenen Objekts pflegt eine derart abgehobene Sprache, dass der Kontrast zum einfachen Lehmbau nicht größer sein könnte!

Lehmskulptur Wiesbaden

Aber damit nicht genug des Sammelsuriums! Es geht noch mehr, z.B. dieser verrotzte Löwe aus Bronze, der das „Ensemble“ doch wunderschön ergänzt, oder?

Löwenskulptur

Man beachte auch den „Riesenmikado“ aus Stahl, der links dahinter im Boden steckt, umgeben von blauen Sitzgelegenheiten, auf denen allerdings niemand sitzen mag. Dazu gibt es nirgends eine Erläuterung, die die „Kunst am Platz“ aber auch nicht attraktiver machen würde. (Update: Es soll der Speer des Riesen Ekko sein, der nach einer Sage seinen Speer in den Boden rammte, worauf die heißen Quellen sprudelten.).

Zum Abschluss der denkwürdigen Platzgestaltung hat man im Hintergrund Naturmotive auf eine Holzwand gemalt:

bemalte Holzwand, Naturmotive
Hase, Specht und Eule im Wald – wie passt das zum Kochbrunnen? Natürlich gar nicht, aber wo nichts zusammen passt, kommt es darauf nun auch nicht mehr an. Und Natur ist doch immer super, oder?

Genug gelästert! :-) Viel schlimmer als ein misslungener Stadtplatz ist der soziale Kahlschlag, der in Wiesbaden ansteht: 50 Millionen sollen im Sozialdezernat eingespart werden: Keine Altenhilfe mehr, viel weniger Gemeinwesenarbeit, Kürzungen und Schließungen von Jugendzentren – das wird heftig!

Insgesamt war es ein schöner Kurzurlaub, trotz der Hitze. Allerdings bin ich auch froh, wieder hier in meinem Homebüro zu sitzen, bei heut nur 25 bis 28 Grad – sehr angenehm!

 

 

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Diskussion

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4 Kommentare zu „Kurzurlaub in der alten Heimat: Wiesbaden“.

  1. Beruhigend, daß es „nur“ ein Urlaub war. Ich denke immer diverse Szenarien durch. Krank oder schlimmer, Twitter überdrüssig bzw. schon abgewandert, dann aber wohin? Threads? Geht das schon? Wird das ’ne neue Heimat?

  2. Liebe Claudia,
    Hast du den erläuternden Text auf dem Plakat am Lehmbau fotografiert? Würde mich interessieren!
    Gruß von Sonja
    P.S. : ich hatte mal eine Kollegin, die schwer was auf ihre äußere Erscheinung hielt und erzählte, dass sie nur in Wiesbaden Kleidung einkaufe, das nahe Worms war ihr zu prollig…

  3. Sehr schöne Eindrücke aus Wiesbaden. Darf man auf einen Bericht des Klassentreffens gespannt sein ?

  4. @Claus: Gespannt sein kann ich nicht untersagen, aber es wird darüber keinen Artikel geben. :-) Das wäre viel zu langweilig, denn interessant ist das ja nur, wenn man die Leute von früher kennt. Aber weil du fragst: Das Treffen hat mir gefallen, wir sind 1 Stunde auf dem Rhein herum geschippert und sind dann alsbald im Biergarten gelandet. 9 Mitschüler/innen und der über 80 Jahre alte Lehrer (beim Abi waren wir 14) haben Erinnerungen ausgetauscht, nicht gestritten, aber politische Themen explizit gemieden! Viele hatten recht „etablierte“ Lebensläufe hinter sich, gute Renten, einigen Besitz – ganz im Gegenteil zu mir. Beneidet hab‘ ich jedoch niemanden, eine gute Erfahrung!