Kürzlich im Saunabereich meines Fitness-Centers: Raus aus der Sauna, kalt duschen, dann ab in den Ruhebereich mit den vielen Bäderliegen. Auf dem Weg dahin rief mir ein älterer Saunagast zu: „Bitte nutzen Sie ein sauberes Handtuch und nicht das, in dem Sie geschwitzt haben!“ Ich war ziemlich perplex, denn auf dem Weg in die Saunalandschaft prangt ein Riesenplakat, das ganz genau zeigt, wie man den Saunabereich zu betreten hat: Ein großes und ein kleines Handtuch, Saunaschlappen und keine Kosmetika! Ich war also wahrlich vorschriftsmäßig unterwegs: Umschlungen vom großen Handtuch, das kleine um die Schultern.
Hinzu kommt, dass im Ruhebereich ein Desinfektionsspray und eine Papierrolle steht, mit der man – wenn man will – eine Liege desinfizieren kann. Aber WER ist in der Pflicht, das zu tun? Da ich noch niemanden gesehen hatte, der das tut, ging ich davon aus, dass jene das machen, die besorgt sind, über ein aufgelegtes Handtuch womöglich mit Schweißpartikeln anderer Gäste in Berührung zu kommen (wie eigentlich? Sie haben doch auch ein Handtuch…). Dazu gibt es allerdings keine Weisung auf Plakat – eine echte Regelungslücke!
In nun bald sechs Monaten im Center ist mir diese Forderung zweimal begegnet. Ich sagte um des lieben Friedens willen, dass ich die Liege desinfizieren werde, machte also keinen Versuch, diese Pflichtenunklarheit zu diskutieren oder mich mittels der „Plakatvorschrift“ zu rechtfertigen. Die Angelegenheit ist jedoch ein gutes Beispiel dafür, wie immer mehr Gesetze und Vorschriften entstehen und ein Dickicht erzeugen, dass dann als „Verregelung“ und „Vorschriftenwirrwar“ gebasht wird.
Drei Beispiele, die mir heute begegnet sind:
DornenResli schreibt: „Hab die Schnauze so voll davon,dass das Wort #Femizid einfach immer noch vermieden wird. Das ist eine politische Entscheidung, das ist gewollt und das macht Frauenhass unsichtbar. Dabei ist das etwas, wo wir dringend auch die Gesetzeslage anpassen müssen!“ (Im Ernst? Der Presse vorschreiben, wie sie einen Sachverhalt benennen soll?)
SZ: Verpackungsmüll: Ein Gesetz für die Tonne – Seit einem Jahr müssen Gastronomen für Getränke und Speisen zum Mitnehmen einen Mehrwegbehälter anbieten. Wie ein Kontrolleur berichtet, machen sie es einfach nicht, kennen das Gesetz nicht und/oder regen sich drüber auf. Und selbst wenn es beachtet wird: Die Kundschaft nutzt die Mehrwegbehälter nahezu garnicht! (Hier gibt es das Gesetz bereits, wird aber weitgehend ignoriert und das Verhalten verändert sich auch nicht).
Berliner Zeitung: Richter warnt: Meinungsfreiheit in der EU in akuter Gefahr – Der Digital Services Act (DSA) der EU tritt am 17.Februar in Kraft, zuvor soll noch das Digitale-Dienste-Gesetz (DDG) zu dessen Konkretisierung vom Bundestag verabschiedet werden.
„Der DSA eröffnet die Möglichkeit, auch nicht rechtswidrige Eintragungen auf sehr großen Onlineplattformen ab 45 Millionen Nutzern als löschungspflichtig zu erklären. In den zur Auslegung des DSA heranzuziehenden Erwägungsgründen wird säuberlich zwischen der Verbreitung rechtswidriger und „anderweitig schädlicher Informationen“ unterschieden. Den Plattformbetreibern wird aufgegeben „besonders darauf (zu) achten, wie ihre Dienste zur Verbreitung oder Verstärkung nur irreführender oder täuschender Inhalte einschließlich Desinformationen genutzt werden“ könnten. Der Begriff „Desinformation“ ist aber in dem DSA nicht definiert. Die Kommission hat jedoch schon 2018 klargestellt, dass Desinformationen unter anderen solche sind, die „öffentlichen Schaden“ anrichten können. „
Wie soll denn entschieden werden, welche Postings „nicht rechtswidrig, aber schädlich“ sind? Selbst wenn man die folgende Erläuterung hinzu nimmt, die da lautet „Bedrohungen für die demokratischen politischen Prozesse und die politische Entscheidungsfindung sowie für öffentliche Güter wie den Schutz der Gesundheit … der Umwelt und der Sicherheit“, können so etwas doch nur Menschen beurteilen. Jedes Posting müsste also erst von (gebildeten!) Menschen gesichtet werden, ein Ding der Unmöglichkeit auf richtig großen Plattformen. Das wird also auch so ein „Wohlfühlgesetz“: Man hat immerhin etwas getan!
Wir wollen Sicherheit und Gerechtigkeit, aber…
Jedem neuen Gesetz und jeder neuen Vorschrift liegt ein nachvollziehbares Anliegen zu Grunde. Ist der Anteil derjenigen, die es fordern, groß (oder mächtig) genug, werden Politiker und Institutionen tätig und erlassen die gewünschten Gesetze – zumindest in den Ländern mit parlamentarischer Demokratie und echten Wahlen. Und gäbe es viele Mitglieder, die Angst vor fremden Handtüchern haben, dann würde auch mein Fitness-Center eine Regelung finden, die ihnen entgegen kommt.
So wird alles immer komplizierter und erschafft immer mehr Bürokratie. Weil wir Sicherheit und Gerechtigkeit bis ins letzte Detail fordern.
Und wenns mal ganz unbürokratisch zugeht, wie bei den Corona-Hilfen, dann gibts gleich jede Menge Leute, die sich unberechtigt und zu Lasten aller persönlich bereichern: wie z.B. die Apotheker, die ein vom Bund kostenlos abgegebenes Medikament weiterverkauft haben sollen.
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6 Kommentare zu „Regelungslücken: Noch mehr Vorschriften gefällig?“.