Großbritannien will Geflüchtete nach Ruanda abschieben, Italien hat einen entsprechenden Deal mit Albanien, und die CDU will auf ihrem Parteitag die sogenannte „Drittstaatenregelung“ verabschieden, die das auch für Deutschland ermöglichen soll. Ist das alles in irgend einer Hinsicht „Problemlösung“ oder letztlich reine Symbolpolitik, die mehr Schaden anrichtet als Nutzen?
Grade hab‘ ich im DLF („Kontrovers“) eine Diskussion zum Thema gehört, die das Dilemma in allen Schattierungen deutlich gemacht hat. Großbritannien will an Ruanda eine halbe Milliarde pro Jahr zahlen, obwohl das Land nur 200 Geflüchtete pro Jahr aufnehmen kann, grade mal 1% derjenigen, die in GB ankommen. In Albanien sollen 3000 Geflüchtete „geparkt“ werden, was ebenfalls nur einen kleinen Teil der Ankommenden betreffen wird. GB ignoriert für sein Unterfangen internationales Recht, in Italien sollen die Geflüchteten gleich auf See „sortiert“ werden, wo die Flüchtlingskonventionen nicht gelten. Kommen die Menschen allerdings in Deutschland an, wäre derlei nicht möglich, wie auch ein Sprecher der CDU zugibt. Hier bedarf es eines rechtstaatlichen Verfahrens, um für jeden Flüchtling zu entscheiden, ob er deportiert werden kann – und dagegen können die Menschen dann auch erstmal klagen.
Abschreckungswirkung zweifelhaft
Sinn der Verbringung in Drittstaaten soll sein, Flüchtlinge abzuschrecken, die Reise in die EU überhaupt erst anzutreten – und so z.B: das Sterben im Mittelmeer zu beenden. Dafür wolle man dann legale Wege im Sinne von Kontingenten schaffen, die dann unter den „willigen“ EU-Staaten verteilt werden sollen. All das geht davon aus, dass es sich bei der Mehrheit der Flüchtlinge um „Wirtschaftsflüchtlinge“ handelt, denn nur sie können ja legale Wege beschreiten. Die Vertreterin von ProAsyl, die in der DLF-Sendung ebenfalls zu Wort kam, wendet dagegen ein, dass die „bereinigte Quote“ der Schutzsuchenden 70% betrage – alles Menschen, die tatsächlich vor Krieg und Verfolgung fliehen. Und eine Seenotretterin aus Berlin meint, aus ihrer 6-jährigen praktischen Erfahrung könne man Menschen, die wirklich fliehen müssen, nicht abschrecken. Sie würden es immer wieder auf allen erdenklichen Wegen versuchen, auch wenn sie dabei sterben.
Befragt, wie denn die Lösung von pro Asyl aussehen würde, verlangt die Sprecherin die Umwidmung aller Gelder, die jetzt der Abschottung (Frontex etc.) und Verhinderung dienen (z.B. Deals mit Libyen, Tunesien, Türkei, Libanon) in die Gemeinden umzuleiten, damit diese mehr Mittel für die Versorgung und Integration hätten. Europa müsse seinen Werten treu bleiben, wozu der Schutz für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung flüchten, unabdingbar dazu gehöre.
Das ist zweifellos ein moralisch einwandfreier Standpunkt, er wirkt aber in der aktuellen rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Situation mehr als utopisch. Gleichzeitig haben aber auch die verschiedenen Drittstaaten-Vereinbarungen nicht viel gebracht, sind mittlerweile gescheitert oder haben fürchterliche Verbrechen an Geflüchteten (Libyen) verursacht.
Jetzt versucht mal also, mittels Deportationen in Drittstaaten unter beobachtbaren Bedingungen („Asylzentren“) eine sehr überschaubare Anzahl Flüchtlinge aus der EU ‚raus zu halten, um andere „abzuschrecken“. Was mit denjenigen passieren soll, deren Asylgesuch abgelehnt wird, ist noch völlig unklar. Wie sollen diese Länder besser mit ihnen zurecht kommen als die vergleichsweise reichen EU-Länder? Die Rücknahmebereitschaft der Herkunftsländer (falls diese überhaupt bekannt!) wird durch den Umweg über z.B. Albanien ja nicht etwa größer. Des weiteren werden die EU-Länder, die solche Lager „außerhalb“ betreiben, natürlich auch immer abhängiger von den dortigen Machthabern und Potentaten, die sich ja jederzeit umentscheiden können.
Insgesamt kommen mir diese Vorhaben wegen all der nahe liegenden Einwände, den hohen Kosten und dem absehbar geringen Erfolg (von den Menschenrechten mal ganz abgesehen!) doch eher wie Symbolpolitik vor. Rechts-Mitte will zeigen, dass die Politik „etwas tut“ – verständlich angesichts des Anwachsens der Rechtsextremen und stark belasteter Gemeinden – aber am Ende vermutlich nicht zielführend. Derweil benötigt laut Aussagen von konservativen Unternehmern Deutschland 400.000 Zuzügler pro Jahr, um den Arbeitskräftemangel aufgrund demografischer Entwicklungen auszugleichen.
Dass ich über dieses Thema blogge, heißt nicht, dass ich wüsste, was man tun sollte. Ich verstehe alle Seiten des Dilemmas, was aber gar nicht hilft! Wie geht es euch damit?
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Zur Zeit schaue ich die postapokalyptische Serie „Fallout“ auf Amazon Prime (mein Abo läuft noch bis Jahresende). Thematisiert wird unter anderem, wie abgeschottete Gesellschaften in großen Bunkerlandschaften, die den Anspruch haben, zivilisatorische Werte aufrecht zu erhalten, sich in der Konfrontation mit der „wilden“ regellosen Außenwelt verhalten. Empfehlenswert!
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24 Kommentare zu „Flüchtlinge in Drittstaaten parken – ernsthaft?“.