„Besitzen wir die Dinge – oder besitzen sie uns? Warum häufen wir so viel an und warum fällt es uns oft so schwer, uns von Dingen zu trennen?“ Der Frage geht Elke Brüns in ihrem Buch „Dinge“ nach, das Claudia Kilian in ihrem Blog Sammelmappe gerühmt hat:
„Elke Brüns beschreibt in ihrem Buch sehr präzise und nachdrücklich, wie die Dinge in unser Leben kommen, wie sie uns begleiten, und zum Schluss erklärt sie auch, was es mit den letzten Dingen auf sich hat und warum unser Umgang mit der Vergänglichkeit sich in den Dingen und dem Loslassen der Dinge widerspiegelt. Das Buch ist also kein Aufräumratgeber. Es ist ein Essay, der von unserer Menschlichkeit und unserer Vergänglichkeit handelt. „Dinge geleiten uns in und durch das Leben – und auch wieder hinaus.“
Dinge loslassen? Für mich doch kein Problem! So dachte ich lange, weil ich im Lauf meines Erwachsenenlebens immerhin 11 Umzüge mit immer weniger „Ballast“ hinter mich gebracht hatte. Abgesehen von ein paar (wenigen) Möbeln bin ich 2003 in die jetzige Wohnung mir recht wenig Krimskrams eingezogen:
Ich war glatt ein wenig stolz auf mich, weil ich es geschafft hatte, mich auch von sentimental besetzten physischen Dingen zu trennen: Alte Liebesbriefe, viele (Papier-)Fotos und Negative, ausgedruckte eigene Texte aus verschiedenen Kreativ-Schreiben-Kursen, Klamotten und Bücher sowieso.
Aber es kam anders als gedacht: Die neu angeschafften Regale füllten sich schnell auf, die Übersichtlichkeit der ersten Zeit in der neuen Wohnung hat sich nicht gehalten und die Idee, täglich 20 Minuten aufzuräumen, hab‘ ich nicht lange durchgehalten! Immerhin konnte ich viele Ordner entsorgen, die nicht mehr der Aufbewahrungspflicht unterliegen und den zweiten Ablagetisch neben dem Schreibtisch abschaffen. Dennoch stauen sich in Schubladen, auf Regalbrettern und in Aktenunterschränken noch immer jede Menge Dinge, die ich nie auch nur anfasse – warum sind sie also noch da?
Weil ich mich eben nicht trennen konnte, bzw. das Aufräumen, Sortieren und Entsorgen vor mir her schiebe! Nicht, weil es Arbeit macht, sondern weil es mich vor unzählige kleine Entscheidungen stellt: Wohin jetzt mit diesem hübschen teuren Notizblock, den mir mal jemand geschenkt hat? Das sündhaft teure Fotopapier für den entsorgten Farbdrucker? Die alten DigiCams, die ich nicht mehr nutze, seit es das Handy tut? Die „PC-Ordner“ mit den Begleitpapieren und Materialien zum jeweils neuen PC? Die „wertig“ wirkenden ungenutzen Kabel und Ladegeräte aller Art? Die Super-8 Filme von meinem lange verstorbenen Vater, einschließlich Vorführgerät? Die Datensicherungen auf CDs bis zurück in die 90ger? Musik-CDs, die ich nie abspiele? Zelt und Luftmatratze könnten wirklich weg wie so vieles, denn ich werde gewiss nicht mehr zelten!
Mit all dem weitgehend ungeordnetem Kram fühle ich mich zunehmend unwohl, weil ich z.B. daran denke, dass mein (jüngerer) Liebster mit alledem umgehen muss, wenn ich mal plötzlich den Abgang mache! Gerne hätte ich einen reduzierten Haushalt, der sehr übersichtlich nur noch die Dinge enthält, die ich wirklich nutze. Auch das „Digitale“ in meinem PC erfordert diese Übersicht eigentlich dringend, die ganzen Accounts und Verträge etc.! Aber das ist ein extra Thema, das kommt erst noch, jetzt will ich erstmal „physisch“ reduzieren, wie schon so oft!
Vielleicht kaufe ich mir doch das Buch von Elke Brüns (hier eine Leseprobe, PDF), denn es scheint wirklich kein reines „Aufräumproblem“ zu sein. Sortieren, aufräumen, entsorgen – im vorgerückten Alter ist das eine Konfrontation mit der eigenen Vergänglichkeit. Ich weiß jetzt, dass ich vieles WIRKLICH nicht mehr brauchen werde, weil nicht mehr so viel Zeit bleibt, in der sich – theoretisch – alles ändern könnte, sodass ich dies oder jenes nochmal nutzen wollen würde. Man sollte meinen, dass das Aufräumen dadurch erleichtert wird, aber ich empfinde es nicht so. Warum?
Besonders deutlich wird mir der mögliche Grund anhand der alten Sicherungs-CDs. Da sind Daten drauf, die ich nicht mehr auf dem PC halte, Webwerke aus den 90gern, Kundenprojekte – eigentlich fürs Heute garantiert unwichtig, warum habe ich sie also noch bei keiner Aufräumaktion entsorgt? Ich vermute: Weil sie eine Vergangenheit repräsentieren, auf die ich dann keinen Zugriff mehr hätte. Ich hätte keine Chance mehr, mich an all das nochmal zu erinnern, es wäre wirklich weg.
Aber jetzt reichts! Zumindest diese CDs werde ich noch heute vernichten und so das Loslassen üben. Und vielleicht geht ja allerlei Anderes noch mit, wenn ich schon mal dabei bin. Irgendwann müssen wir sowieso alles loslassen – und je besser wir das schaffen, desto friedlicher können wir sterben. So berichtet es jedenfalls der Neuropsychiater Peter Fenwick im Interview (dazu ab Min 49:30). Mich würde glatt interessieren, wie er (am 22.11.24) gestorben ist, hoffentlich friedlich.
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9 Kommentare zu „Dinge loswerden: Mehr als ein Aufräumproblem“.