Wie soll das Web, wie wir es uns wünschen, aussehen? Was brauchen wir noch dafür und was können wir jetzt schon dafür empfehlen? Die Frage stellt Annette Schwindt und ruft dazu auf, unsere Vorstellungen zu bloggen. Es soll also nicht darum gehen, wie schrecklich, nervig und enttäuschend das aktuelle Web mit all seinen Auswüchsen ist, sondern um positive Visionen und konkrete Veränderungen in die richtige Richtung. Der Impuls, mit einem ausführlichen Abgesang zu beginnen, ist dennoch groß, aber ich reisse mich mal lieber zusammen und konzentriere mich auf einen der Schreibimpulse, die Annette mitgibt:
„Schreibt, was Ihr (wenn Ihr dabei wart) vor Social Media oder in deren Anfängen gut fandet und davon vielleicht wieder übernehmen könntet (oder immer behalten habt)“
Rückblick: Ich entdeckte das Web 1995 und startete 1996 mit eigenen „Homepages“, die noch heute in meinem Archiv zu besichtigen sind. Darunter das „Cyberzine Missing Link“ (nicht Handy-tauglich!), ein in Handarbeit gecodeter Vorläufer des Blogs und meine allererste Heimseite „Human Voices„. Das damalige Web war ein kreativer Abenteuerspielplatz, jede Seite sah anders aus und der Austausch untereinander funktionierte per E-Mail und ebenso „händischem“ Eintragen der Kommentare auf den Seiten. In den Nullerjahren fand diese Vielfalt dann ihr Ende, denn massentauglich ist es nun mal nicht, wenn man auf jeder Webseite erstmal schauen muss, wie sie funktioniert.
Totgesagte leben länger: Wieder mehr Blogs!
Kleine Rückschau: Seit 1999 gibt es dieses Blog, dessen Optik ich trotz verschiedener Umstiege auf neuere Techniken im wesentlichen beibehalten habe – es ändert sich so vieles, da sollte wenigstens das Digital Diary bleiben, wie es immer war. :-) Seit dem Aufstieg von Facebook, Twitter u.a. hat das Bloggen an Bedeutung verloren und die Einführung der #DSGVO hat dann auch noch vielen den Garaus gemacht. Letzteres fand ich ärgerlich, denn man kann Blogs gut trotz dieser Regeln betreiben – aber vermutlich hatten diejenigen sowieso keine Lust mehr (oder nie gehabt).
Seit dem Ende von Twitter, wie es einmal war, gibt es jedoch wieder mehr aktive Blogs, zumindest nehme ich das so wahr. Ein neues Bloggerforum (von Anne Schwarz) rund ums Bloggen, der Webring (von Thomas Gigold), der viele Blogs miteinander verbindet und sogar die neuesten Beiträge anzeigt – das sind „uralte“ Formate, die zu meiner Freude eine Renaissance erleben. (Dass auch meine Blogroll weiter gepflegt wird, versteht sich von selbst!) Blogprojekte, Blogparaden, Blog-Challenges, Blog-Aktionen – egal wie man es nennt, es sind einmalige oder wiederkehrende Gelegenheiten, zu einem gemeinsamen Thema zu bloggen, sich untereinander zu vernetzen und mehr Besucher zu begrüßen. Ein aktuelles Beispiel sind die Blogfragen auf Jansens Pott.
Was ich mir für die Blogosphäre wünsche:
- Mehr Linkliebe! Nicht ist so unsinnig wie der „Linkgeiz“, der aus der kommerziellen Szene stammt. Da galt es als schädlich, wertvollen „Linkjuice“ einfach so an Andere zu verteilen. Dabei liebt Google Links, die dem Bot Gelegenheit geben, weitere Seiten zu finden! Neben Verlinken und Zitieren anderer Blogbeiträge sind auch kommentierte Linklisten eine tolle Methode, immer mal wieder alles zu zeigen, was in letzter Zeit besonders lesenswert war – themenzentriert oder einfach so als Sammlung. (Beispiele: 6 Lesetipps, Jenseits der Blogroll). Andere Ideen: Linklisten aus Grafiken propagiert der Heldenhaushalt. Henning Uhle nutzt seinen Newsletter, um regelmäßig interessante Beiträge zu empfehlen. Eine gute Idee, die er jetzt schon drei Jahre durchhält!
- Gepflegte Blogrolls: Manchmal ist es frustrierend, eine Blogroll durchzuklicken, wenn sie Jahre lang nicht aktualisiert wurde. Der Anteil von „Blogleichen“ kann da ziemlich hoch sein! Das vermittelt den Eindruck, mit den Blogs gehe es zu Ende – dabei gibt es mittlerweile wieder so viele aktive Blogs. Übrigens: Wer keine klassische Blogroll einbinden kann, kann die eigenen Favoriten auch auf einer extra „Seite“ verlinken und kurz kommentieren.
- Mehr Kommentare und weniger Hürden: Ich kommentiere recht gern, erlebe aber immer wieder echte Hürden, die es schwer machen. Der Klassiker: Kommentar verschwindet nach dem Absenden ohne irgend eine Info, was damit ist! Eine Info, dass der Kommentar „in Moderation“ ist, wäre schon schön! :-) Mehr Aufmerksamkeit für die Kommentarfunktion, eigene Funktionstests, Möglichkeiten zum Formatieren und evtl. auch Nachbearbeiten für eine kurze Zeit – all das verhindert Frusterlebnisse und unterstützt die Freude am Kommentieren – natürlich auch das ANTWORTEN auf Kommentare, zumindest dann, wenn es substanzielle Beiträge sind.
- Mehr selbst gehostete Blogs: Ein frommer Wunsch, ich weiß! Viele finden das zu schwierig, obwohl große Provider ihren Webspace häufig mit vorinstallierten WordPress-Blogs anbieten (z.B. Ionos, inkl. Anleitungen). Beliebter sind Blogplattformen wie WordPress.com und Blogger.com, die aber einige Einschränkungen mitbringen und/oder für jedes Extra auch extra kassieren wollen. Besonders ärgerlich finde ich das „gated-community“-Verhalten von WordPress.com: Wenn sich die User nicht um die Kommentarfunktion kümmern, ist sie so voreingestellt, dass nur Leute kommentieren können, die auch auf WordPress.com (und großen Plattformen) registriert sind. Nette Features wie „diesem Blog folgen“ stehen nur Mitgliedern zur Verfügung. Deshalb hab‘ ich hier ein Mail-Abo eingeführt, das meldet, wenn ein neuer Eintrag erschienen ist. Besser als nichts, denke ich – ist leider nicht sehr beliebt!
Trotz alledem: So bloggen, wie es einem selbst am besten und einfachsten machbar erscheint, ist auf jeden Fall besser als nicht bloggen! :-)
Foren statt Social Media: Themenzentriert und friedlicher!
Der große Sündenfall des Internets war und ist für mich der Übergang weg von themenzentrierten Foren zu Personen-zentrierten „sozialen Medien“ (Follower-Prinzip). Was sich „sozial“ nennt, bietet die beste Grundlage fürs Asoziale, denn wenn ich einer Person wegen eines Posts zum Thema XY folge, merke ich schnell, was sie sonst noch so alles meint. Im besten Fall interessiert es mich nur nicht und ich bekomme eigentlich unerwünschte Mitteilungen, die mich langweilen. Es ist aber auch hoch wahrscheinlich, dass ich merke: Du lieber Himmel, was ist denn das für ein Eumel! Im analogen Leben ist es ja auch nicht anders: Menschen, die ein konkretes Interesse teilen und sich darüber austauschen, geraten viel seltener aneinander (und auseinander) als zufällige Ansammlungen von Leuten, die nichts gemeinsam haben.
Noch vor der großen Zeit der Blogs waren Foren DAS Medium, das die noch früheren Mailinglisten (Communities mittels Mail-Verteiler, eigenes Beispiel im Archiv) ablösten. Es gab unzählige Foren zu allen erdenklichen Themen und auch ich habe zeitweise die Kommentarfunktion durch ein eigenes Forum ersetzt. Mit dem Aufkommen von Social Media wurde es still um die Foren, viele sind verschwunden oder dümpelten als Foren-Leiche dahin, letzter Eintrag 2021…
Nun aber die gute Nachricht: Die Foren-Welt gibt es noch und einige scheinen sogar wieder aktiver zu werden! Der Austausch in klassischen Diskussionsforen ist in aller Regel weit friedlicher, sachlicher und tiefer schürfend als das Allermeiste, was man auf Social Media erlebt. Hier ein frisch recherchierter bunter Mix mit Beispielen aktueller Foren, die sich einiger Beliebtheit erfreuen – alle habe ich kurz gecheckt und nur wirklich aktive ohne größere Hürden aufgelistet.
15 beliebte deutschsprachige Diskussionsforen (die Reihenfolge sagt nichts aus!):
- Med2 Forum: mit Themen rund um Gesundheit, Lebenshilfe und Wohlbefinden, Allgemeinmedizin und Fachbereiche, auch psychologische Themen wie Beziehungen, Sexualität, Sucht u.v.m.
- JuraForum.de: umfassende Plattform für juristische Themen, die sich an Rechtsanwälte, Studierende, Unternehmen und Privatpersonen richtet. Wer sehr konkrete Hilfe braucht, kann (kostenpflichtige!) Anfragen an Anwälte stellen.
- forum.digitalfernsehen.de: Diskussionen rund um digitales Fernsehen, Streaming, Pay-TV und verwandte Themen. Viel Technisches, aber auch inhaltliche Unterforen zu den jeweiligen Angeboten und Programmen.
- abnehmen.com: spezialisiert auf Themen wie Abnehmen, Diäten, gesunde Ernährung, Fitness und Wohlbefinden.
- Optiker-Forum: Das Forum für Augenoptiker und alle Fragen rund um Brillen, Kontaktlinsen und Probleme.
- fitness-foren.de: Forum zu Fitness, Wellness und Gesundheit, Kraftsport, Kampfsport, Radsport, Ernährung…
- musiker-board.de: größtes Forum für Musiker in Europa mit über 250.000 Usern, 500.000 Themen und 9 Millionen Beiträgen. Alle Instrumente, auch Genre-Diskussionen, Software, Hardware, Musik-Theorie und User-Musik.
- fotocommunity.de: eine der größten Plattformen für Fotografie in Europa für Hobby- und Profifotografen.
- Allmystery: unglaublich umfangreiche Themenmischung! Diskussionen rund um Verschwörungstheorien, Paranormales, Wissenschaft, Gesellschaft, Religion/Spiritualität, Ufologie & Aliens, Philosophie, Traum und Traumdeutung u.v.m.
- lovetalk.de: Forum für den Austausch über Liebe, Beziehungen und zwischenmenschliche Themen.
- Philosophie-Raum.de: philosophische Diskussionen, sowohl für Laien als auch für akademisch Interessierte, sowohl philosophische Alltagsfragen als auch Foren zu Kultur, Glaube, Religion, Kunst & Kultur, sowie philosophiesch Gemeinschaftsprojekte und spannende Themen wie Gehirn , Bewusstsein, Nichtlokalität…
- Gartenforum.de: sehr aktive Nutzerbasis! Wissen, Tipps und Erfahrungen rund um den Garten (Nutzgarten, Ziergarten, Kleingarten), Pflanzenbestimmung u.a., sowie Gartentagebücher und Projekte der Mitglieder.
- garten-pur.de: “Forum für Menschen, die eine große Leidenschaft verbindet” – mit allen erdenklichen Gartenthemen.
- WPDE.org: größte und älteste deutschsprachige Community-Forum rund um WordPress
- android-hilfe.de: Community für Android-Nutzer mit Tipps, Tricks und Problemlösungen zu Smartphones und Tablets
Wenn Ihr etwas ergänzen wollt, schreibt es gerne in die Kommentare! Die Suche nach wirklich aktiven Foren hat zwar lange gedauert, mir aber auch selbst etwas gebracht: Ich habe Foren entdeckt (oder wiedergesehen), die ich demnächst zur vertieften Betrachtung besuchen werde – statt Zeit auf X, Bluesky u.a. zu vertrödeln, wo kaum mehr echte Gespräche entstehen.
Mehr Beiträge zum Thema #SoSollWeb:
- Boris Stumpf: Wie soll Web?
- Henning Uhle: SoSollWeb – Unser Netz soll schöner werden
- Jansens Pott: #SoSollWeb: Wünsche für die Zukunft des Webs
- Johannes Mirus: #SoSollWeb: Ein Appell für ein freies, dezentrales Internet
- Beate Mader: Aktion #SoSollWeb – Mein Wunschzettel an das Netz und die Nutzenden
Und weil ungemein nützlich in Sachen Vernetzung und „in Kontakt bleiben“ abseits der bekannten Großplattformen, hier ein Nachtrag:
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Henning Uhle: Follower sein ohne klassisches Social Media
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12 Kommentare zu „#SoSollWeb: Mehr Blogs und Foren statt Social Media“.