Anders als an den Werktagen, an denen die To-Do-Liste ihren Sog entfaltet, nehme ich Sonntags morgens die Stille war. Nicht nur die da draußen, wo jetzt kaum Autos und weniger Busse unterwegs sind, sondern die in mir selbst: ich schalte den PC ein, werfe den Browser an, starte den Feedreader, der sogleich Postings aus weiß-nicht-wieviel Blogs anzeigt – und spüre doch kein Verlangen, den verführerischen Überschriften zu folgen, mich von irgend einem Thema verschlucken zu lassen. Es ist, als wolle ich die Leere noch ein wenig schützen, die mir das Gefühl der Freiheit gibt: bevor ich etwas wähle ist noch alles möglich, da spüre ich, welchen Schatz ich besitze, solange die Aufmerksamkeit noch nicht zu den 10.000 Dingen strömt, die in meinem Alltag um ein Stück davon konkurrieren. Rechts neben mir rauscht der Lüfter des Midi-Towers in monotoner Gleichmäßigkeit; auf der Fensterbank steht die Amaryllis, der es herzlich schnuppe ist, ob jemand ihre spektakulären Blüten bewundert oder nicht. Vor mir blinkt der Cursor, auf den nächsten Satz wartend – was, wenn er nicht käme?
Da brauche ich gar nicht weiter denken, denn er kommt bestimmt. Wie ungebetene Gäste tauchen Vorschläge auf, die mit dem Verstreichen „ungenutzter“ Zeit lauter werden, geradezu Befehlscharakter annehmen: Tu dies, kümmer‘ dich um jenes, widme dich dem, was liegen geblieben ist! Schau mal, der Papierstapel da drüben: Steuer 2006, Künstlersozialkasse, wie lange soll das noch rumliegen? Schreib‘ was ins Modersohn-Magazin, besser noch ins Lustgespinst, da gab’s seit 23.Oktober nichts Neues. Und warum hast du heute noch nicht in den Erotik-Kurs geschaut? Bestimmt gibt es neue Texte, die auf Kommentare warten. Trödel hier nicht rum, ja, ja, es ist Sonntag, du bist aber keine Angestellte, sondern hast dir Arbeiten gesucht, die IMMER nach dir rufen. Also frisch ans Werk und nicht gejammert!
Shut up! Jammern liegt mir ferne. Wüsste ich nicht, was alles getan werden könnte, wenn ich mal ein Stündchen „Nichts“ einlege, könnte ich es nicht genießen, würde mich langweilen, grübeln, suchen, planen – ich kenn‘ mich doch.
Der graue Wolkenhimmel lichtet sich. Immer öfter kommt jetzt die Sonne durch, was mich daran erinnert, dass ich nachmittags in den Garten will. Der „wilde Garten“, der schon bald ein Parkplatz sein wird: dann ist es wieder vorbei mit der täglichen, fußläufig zu bewerkstelligenden Naherholung vom exzessiven Sitzleben. Gut, dass ich es seit August weiß, so kann sich die Seele langsam lösen und es tut nicht so weh. Virtuell hab‘ ich ihm ja „ewiges Leben“ gegeben: ein ganzes Jahr in Bildern, nie zuvor hab‘ ich soviel fotografiert.
Es klappt nicht, die Stille festzuhalten. Ich gebe nach und folge den Impulsen – Leben ist ja genau DAS und tot bin ich noch früh genug.
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7 Kommentare zu „Stille“.