„Was wir uns wünschen“ – natürlich durfte dieser Schreibimpuls in einem „Kurs für Jahresendzeitmuffel“ nicht fehlen! Egal, wie skeptisch, kritisch, oder belustigt man auf den kalendarischen Start in ein neues Jahr schauen mag: Irgendwo kommen sie doch um die Ecke, kleine und große Wünsche, Unzufriedenheiten, Sehnsüchte nach Veränderung. Zum neuen Jahr gibt’s für kurze Zeit die kollektive „Lizenz zum Wünschen“, man darf in die Vollen gehen, auch Träume und Verrücktheiten aussprechen, ohne damit den Eindruck zu erwecken, mit dem eigenen Leben uneins zu sein, gar ein „Problemkind“, das seine Möglichkeiten nicht zu nutzen versteht und immer nur wünscht und jammert.
Mein eigenes Verhältnis zum Wünschen ist zwiespältig und schwankend. Lange Zeit meinte ich, keine Wünsche zu haben. Mit dem zufrieden zu sein, was ist, schien mir die einzig richtige Haltung. Dankbarkeit empfinden für das Glück, nicht zu hungern, eine angenehme Wohnung zu haben, eine Arbeit, die mir Freude macht. Mit zunehmendem Alter kommt auch die Dankbarkeit dazu, noch halbwegs gesund zu sein – ist es nicht geradezu unverschämt, noch spezielle, ganz persönliche Wünsche zu haben? Klar, den Weltfrieden kann man sich wünschen – aber sonst?
Manchmal dann der Sprung auf die andere Seite: „Was du nicht erfühlen kannst, das wirst du nicht erjagen!“. Schon Goethe sah das Wünschen, das auch ein Hineinfühlen in die Erfüllung umfasst, als Energie an, die uns zu Taten treibt. Was sollte mich bewegen, auch nur einen Handschlag zu tun, wenn ich rundum glücklich und zufrieden bin, wenn der Status Quo mir als die beste aller möglichen Welten erscheint? Ich kenne das aus Zeiten relativ gesicherter Existenz, alles ist eigentlich optimal, kein Drucktermin drückt, keine Gefahr droht – und prompt hänge ich herum und schlage die Zeit tot, während untergründig ein Gefühl der Unzufriedenheit wächst. Die große Langeweile zeigt ihr grau-schwarzes Gesicht, etwas fehlt und ich spüre kaum mehr, dass ich lebe. Ganz schön verrückt!
Die Ablehnung des Wünschens bedeutete für mich einen Weg zur Gelassenheit: Wenn ich nichts wünsche, sondern die Sonne dafür lobe, dass sie morgens aufgeht, kann ich auch nicht enttäuscht sein, wenn sich meine Wünsche nicht erfüllen. In der Auseinandersetzung mit dem Buddhismus verstärkte sich diese Sicht der Dinge noch einmal: Alles Leben ist Leiden, sagte Buddha, und meinte damit die Tatsache, dass sich alles Errungene wieder verflüchtigt und wir dann unausweichlich an den Verlusten leiden. Zeitweise unterfütterte diese Lehre meine ganz persönliche Wunschlosigkeit mit einem zitierfähigen Überbau, zeitweise spürte ich auch eine heftige Ablehnung gegenüber dieser und allen anderen spirituellen Lehren, die immer auch eine Art Weltüberwindung durch Entsagung vertreten. Wie lebensfeindlich! Etwas für Zahnlose, die auf Freuden und Lüste verzichten, um jeglicher Enttäuschung und jedem Schmerz auszuweichen – nicht mein Ding!
Nun bin ich selbst schon etliche Zähne los. Gerade neulich ist mir beim Salatessen einer abgebrochen, der war schon einige Zeit tot, obwohl erst kürzlich neu überkront. Und selbstverständlich wünsche ich mir jetzt irgendwoher eine Geldspritze, damit ich mir den Zahnersatz leisten kann. (Gottlob sieht man die Lücke nicht, wenn ich nicht sehr breit lache.) Und wenn ich schon mal grad dabei bin: Ein großer Flachbildschirm täte meinen Augen richtig gut. Der 19-Zöller, der vor mir steht, ist schon ziemlich betagt und kundige Freunde raten mir dringend, nicht länger so viele Stunden täglich in diese Strahlenkanone zu starren. Der Stuhl, auf dem ich sitze, war zwar vor sechs Jahren der letzte Schrei, da hab ich mal richtig Geld ausgegeben! Aber heute entspricht er nicht mehr den Erkenntnissen über ergonomisches Sitzen. Und das ist nicht nur Marketing, sondern richtig wahr: er kippt bei Bedarf überall hin und vieles lässt sich einstellen, nur kippt er eben leider nicht nach vorne, verhindert also das „dynamische Sitzen“. Mein Mausarm und mein Rücken lassen mich spüren, was damit gemeint ist.
Reine Abwehrwünsche bis hierher. Wünsche, die den natürlichen Verfall des Körpers und seine Abnutzungen und Leiden aufgrund zeittypischer Nutzungen abwehren und rückgängig machen wollen. Sie zu leugnen, ist fast unmöglich, aber auch sie lassen sich ablehnen: Warum nicht gegenüber dem Verfall Gelassenheit üben? Ist er doch letztlich unvermeidlich, warum also dagegen ankämpfen? Ein Freund von mir praktiziert lange schon diese Philosophie und ich bewundere ihn manchmal dafür. Allerdings kann ich ihm nicht folgen, müsste mich in einer Weise selbst verleugnen, die Schaden an meiner Seele bedeuten würde. Gesund und schmerzfrei will ich schon sein, mindestens!
Wieder jung?
Und sonst? Wie weit würde ich in diesem Wünschen gehen? Mal angenommen, die sprichwörtliche Fee erscheint und bietet mir an: „Du kannst den Körper wieder haben, den du mit fünfundzwanzig hattest – entscheide dich JETZT!“. Was würde ich tun?
DAS würde ich ablehnen. Zwar mit einer gewissen Wehmut, aber ohne Zögern und Zweifeln. Nicht, weil ich etwas dagegen hätte, gesund, schlank, schön und straff zu sein, ohne mich groß darum bemühen zu müssen. Sondern weil ich weiß, dass „ich“ in sehr weit gehendem Sinne dieser Körper BIN, dieser fast fünfzig-jährige, nicht mehr ganz so schlanke, nicht mehr ganz gesunde und deutlich weniger straffe Körper. Die Wissenschaft (und zwar die „herrschende“ UND die „alternative“) tut immer so großartig, wenn wieder einmal für irgend eine urmenschliche Qualität im Denken, Fühlen, Welt.wahrnehmen eine messbare „materielle Entsprechung“ gefunden wird, irgendwelche Botenstoffe, ein „Bauchgehirn“, Licht-Quanten, die aus den Zellen strahlen oder was immer. Ich brauche dazu keine Beweise, denn ich BIN es ja jeden Tag. Zwanzig Minuten Yoga-Üben versetzt mich in einen völlig anderen Zustand, Treppen-Steigen fühlt sich anders an, wenn ich dreimal die Woche ins Fitness-Center gehe, fünf Kilo Gewichtsunterschied ändern spürbar mein Lebensgefühl, genauso wie das Wetter, das Rauchen, die Ernährungsweise, die Jahreszeit und vieles vieles mehr. Und all das Viele in seinen tausend Qualitäten spüre ich heute anders, sehr viel intensiver in Leid UND Lust, als mit fünfundzwanzig. Deshalb sag ich zur Fee ganz ruhig: nein danke! Erbarme dich doch statt meiner der Leserschaft von Fit-for-Fun!
Was also wünsche ich mir noch, mal abgesehen von den „Erhaltungsbedürfnissen“? Wenn ich so überlege und mir dies und das vorstelle, merke ich, dass es schwer fällt, zu Wünschen jenseits solcher Verteidigungen eines Status Quo zu kommen. Allenfalls will ich dann noch mehr Sicherheit und Bequemlichkeit – also mehr Geld, ein regelmäßiges Einkommen, um das ich nicht immer neu kämpfen muss. Alles keine „richtigen“ Wünsche, sondern reine Rationalität, auf die Zukunft und den Erhalt der „Möglichkeiten“ gerichtet.
Richtiges Wünschen ist ein Fühlen. Der gedankliche Radar richtet sich spontan auf irgend etwas und ein warmes, sonniges Gefühl durchströmt mich, vom Herzen ausgehend. Im letzten Sommer hatte ich dieses Gefühl, als mich ein Freund für ein paar Wochen coachte und ich ernsthaft dazu kam, mir für das, was mir in der Arbeit am meisten Freude macht, auch richtig Zeit zu nehmen – und zwar inmitten der „Hauptarbeitszeit“ des Tages! Ich plante die Schreibimpulse-Kurse morgens zwischen zehn und zwölf, und erst dann widmete ich mich meinen Webdesign-Kunden. Heute hab‘ ich dasselbe Gefühl auch beim Gedanken daran, wieder gestalterisch zu arbeiten, „Bilder der Liebe“ herzustellen, die ich mir selber gern an die Wand hängen würde und sie als Grafik-Serien online zu verkaufen. Wenn ich soweit komme, das vormittags anzugehen, wird es sich realisieren – bis dahin nehme ich mir manchmal diese „wichtige Zeit“, um Diary zu schreiben. Nicht so oft, wie ich es mir wünsche, schließlich muss ich Geld verdienen, aber oft genug, um „am Ball“ zu bleiben, in Kontakt mit diesem warmen Gefühl, das vom Herzen kommt.
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Ein Kommentar zu „Über das Wünschen“.