Was bedeutet es, einem Menschen, insbesondere einem geliebten Partner, zu vertrauen? Worauf vertraue ich da? Was kann das Vertrauen zerstören und was lässt es wachsen?
Wenn ich mich an so manche frühe »Clinch-Beziehung« erinnere, dann war »Vertrauen« damals nicht mehr als ein Kampfbegriff im Rahmen des ständigen Bemühens, mein Gegenüber nach meinen Vorstellungen zu erziehen. Er sollte gefälligst tun, was ich von ihm erwartete und was mir gut tat – tat er etwas anderes, warf ich ihm vor, er gefährde mein Vertrauen und laufe Gefahr, es ganz zu verlieren.
Solches »Vertrauen« ist im Grunde nichts anderes als eine lange oder kurze Hundeleine: Verhalte dich berechenbar, bewege dich im von mir gesetzten Rahmen, erfülle meine Erwartungen, sonst gibt es Ärger! Und wenn ich mich ärgere, werde ich dich bestrafen, indem ich mich sexuell verweigere und dir das Gefühl entziehe, geliebt zu werden – bis du mein Vertrauen wieder verdient hast!
Hört sich gruslig an, nicht? Ja, das ist auch gruslig, und damit man das nicht so merkt, werden die harten Beziehungsfakten in der Regel in süße Worte verpackt, die die aus Erwartungen und Ansprüchen erbaute »Beziehungskiste« in romantisches Licht tauchen und verklären sollen. Anfänglich klappt das auch ganz gut: schließlich ist man verliebt und hat sowieso nichts anderes im Sinn als zusammen zu sein und jede Menge Spaß miteinander zu haben. Problematisch wird es erst, wenn die Zeit des »Honigmonds« vorüber geht und das je eigene »normale Leben« der Beteiligten wieder zum Vorschein kommt: Plötzlich spielt man nicht mehr durchweg die erste Geige, er bzw. sie hat auch andere Interessen. Womöglich gibt es alte Freunde und Freundinnen, die ebenfalls Zeit und Aufmerksamkeit abziehen, der Geliebte pflegt Hobbys, die man nicht teilt – wie unangenehm! Liebt er mich denn nicht mehr? Habe ich mich in ihm getäuscht?
„Frauen wollen einen Mann der so ist wie heißer schwarzer Kaffee! Dann geben sie Milch hinzu damit er nicht mehr so schwarz ist, Zucker, damit er nicht mehr so stark ist und kaltes Wasser, damit er nicht mehr so heiß ist. Und dann wundern sie sich, welch lauwarme Brühe nur noch übrig ist!“
Ich kannte viele Beziehungen, die mit aller Macht versuchten, durch Anpassung und »Wohlverhalten« jeglichen Konflikt zu vermeiden. Vermutlich starten wir alle erst mal mit diesem vermeintlich einfachen Rezept ins Miteinander: Ich verbiege mich für dich, weil ich dich liebe. Ich gebe alles auf, was dir an mir nicht passt und versuche, der zu sein, den du lieben kannst.
In der „Beziehungskiste“
Was dabei heraus kommt, sind Paare, die als Individuen quasi verschwunden sind. Sie pflegen dann auch oft ausschließlich Kontakte zu anderen Paaren, eigene Freunde und eigenständige Unternehmungen gibt es nicht mehr. Der gemeinsame Kosmos ist alles, was da nicht hinein passt, darf nicht sein. Fragt man sie oder ihn etwas, was eine Entscheidung verlangt, bekommt man keine Antwort, denn derjenige muss erst den Partner fragen, obs genehm ist und wann. Klar, dass sich alle, die keine Lust haben, nur noch mit einem Paar Umgang zu haben, zurück ziehen – und das ist ja auch erwünscht, denn Außenbeziehungen wirken in solch’ symbiotischen Beziehungen stets als potenzielle Gefahr. Weil jeder den Anderen als ursächlich fürs eigene Befinden und Wohlgefühl ansieht, ihm bzw. ihr die Schuld gibt, wenn Unzufriedenheiten, Verlustängste, Unsicherheit oder andere Irritationen auftreten, erscheint es als ganz »natürlich«, ein Regime totaler Kontrolle aufzubauen, damit nichts die so zementierte »Harmonie« des Paares in Frage stellen kann. Und das Wort für den Anspruch, dass sich das auch durchweg hält und bewährt, ist VERTRAUEN!
Wie die Geschichte solcher Beziehungen weiter geht, wissen wir eigentlich alle: Was mal Liebe sein sollte, wird zur Abhängigkeit und Co-Abhängigkeit. Jegliche Abgrenzung verschwindet, das »wir« ersetzt durchgängig das »du und ich«. Die Nähe zueinander führt über kurz oder lang zum Verschwinden des erotischen Verlangens, denn dieses benötigt Spannung und das lustvolle Zulassen von Polaritäten, das Wechselspiel von Distanz und Nähe. Man fühlt sich zunehmend »geschwisterlich«, doch anders als bei echten Geschwistern dominiert das Gefühl, nicht ohne einander leben zu können. Die Verlustangst wird immer größer und neurotischer, gleichzeitig wird das eigene Verlangen nach mehr individuellem Freiraum geleugnet und die daraus entstehende Aggression trifft in aller Bewusstlosigkeit den Partner: auf einmal ist es schon schlimm, dass er die Zahnpasta-Tube nicht dahin legt, wo sie hingehört!
Typisch sind nun Streitereien, deren Gegenstand nicht der wirkliche Grund des Dissenses ist, weil die Beteiligten nicht einmal sich selbst gegenüber ehrlich sind. Denn wären sie das, müssten sie auch dem Partner zugestehen, wonach sie sich selber sehnen: die Freiheit, auch ANDERS zu sein, ein eigenes Leben neben der Beziehung zu leben, zu wachsen und sich weiter zu entwickeln, ohne stets berechenbar immer der zu sein und zu bleiben, der man bis gestern war.
Vertrauen braucht Selbstvertrauen
Was bleibt nach alledem vom Vertrauen? Worauf kann ich bei meinem Partner vertrauen, wenn ich es vermeide, ihn kontrollieren und nach meinen Wünschen formen zu wollen?
Für mich ist Vertrauen heute mehr ein Wissen um gewisse Wahrscheinlichkeiten als eine Spekulation auf das Eintreffen meiner Erwartungen. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird jemand, der mich mag, nicht absichtlich etwas tun, das mir definitiv schadet. Er wird in der Regel Wort halten, wenn er mir etwas Konkretes zugesagt hat, und er wird Probleme, die er mit mir hat, mit mir austragen und mich nicht bei irgendwelchen Dritten, die ich nicht kenne, in die Pfanne hauen und über mich lästern. Er wird die Wahrheit unserer Beziehung nirgends verleugnen, denn solange ich ihn in seiner individuellen Freiheit nicht einschränke, hat er dazu ja gar keinen Grund. Ich brauche nichts zu fürchten, denn ich weiß doch, was er an mir hat, weiß um die Substanz unserer Beziehung – und wenn er darauf mal keinen Wert mehr legt, ist er ein Anderer geworden und ich werde ihn vermutlich nicht vermissen (mal abgesehen davon, dass es immer ein wenig schmerzt, Gewohnheiten und Bestände aufzugeben).
Der oberste Wert
Das Wichtigste, worauf ich vertraue, ist offene Kommunikation: einander alles sagen können, was einen bewegt und im Innersten berührt. Das aber ist nur möglich, wenn ich den Geliebten annehme, wie er ist – und nicht nur den Teil, der meine Interessen bedient! Sich ehrlich austauschen, auch wenn die Wege mal nicht parallel laufen, wenn gegenstrebige Interessen da sind, geht nur, wenn das grundsätzlich zulässig ist und nicht wie in einem »Verhör« lediglich Material gesammelt wird, um Vorwürfe zu machen und zu verurteilen. Ich bin keine ethisch-moralisch »höhere Instanz«, die dem Geliebten zu sagen hat, was gut und böse ist, was er denken und tun soll und wie er zu leben hat. Viel lieber bin ich der Brunnen, in dem er sich abkühlen, das Feuer, an dem er sich wärmen kann, bin Quelle so mancher Inspiration, Gespielin seiner Lust und Gefährtin in gemeinsamen Abenteuern. Ist er mir nah, genieße ich die Gegenwärtigkeit unseres Miteinanders, ist er ferne, wende ich mich anderen Dingen und Menschen zu. Distanz und Verschiedenheit ist nichts Falsches, sondern der Grund, auf dem sich das Verlangen nach Nähe und Vereinigung immer aufs Neue entzündet.
Wir haben uns nie einen Rosengarten versprochen, sondern nehmen die Gärten, wie sie kommen (und wieder verschwinden).
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Mehr dazu:
Wie romantische Liebe zum Beziehungselend wird,
Vertrauen in der Liebe – eine schwindende Ressource?.
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