„Mein“ Fitness-Center ist eher eines von der gemütlichen Sorte. Mit gut 40 Euro pro Monat sehr erschwinglich, kein anonymer Massenbetrieb, kein glitzernder SPA&Wellness-Tempel für besser Verdienende, sondern ein von immer denselben Leuten seit über zehn Jahren betriebenes Kiez-Studio in Berlin Friedrichshain, das jedem etwas bietet. Menschen zwischen siebzehn und siebzig trainieren und schwitzen oder lassen es locker angehen, besuchen die nun endlich wunderschön erneuerte Sauna oder hängen einfach nur ein bisschen ´rum. Die Mädels hopsen in Kursen mit beeindruckenden Namen zu hektischer Musik, die junge Männlichkeit bevorzugt Karate. Und in der großen Fabrik-Etage mit all den Geräten sind sie fast alle mal zu sehen – allerdings deutlich mehr Männer als Frauen. (Die Mittsechzigerin, die da bemerkenswerte Gewichte stemmt, ist eher die Ausnahme.)
Während ich mich auf dem Laufband aufwärme, sehe ich gerne zu: Was sie tun und wie sie es machen, wie ihre Körper aussehen und wie sie sich beim Üben geben. Die Unterschiede sind erstaunlich: sowohl zwischen den einzelnen „Typen“, als auch der zu den trainierenden Frauen. Männer leiden offenbar gern, sie üben im Schmerzbereich, genau am Rand ihrer Kraft – sie wollen MEHR. Oft steht ihnen der Schweiß auf der Stirn, manche stöhnen schon mal, wenn sie gewichtige Hanteln nach oben drücken. Wogegen ich noch nie eine Frau im Center sah, die schmerzvoll ihr Gesicht verzerrt hätte.
Frauen kommen allein oder zu zweit, ziehen ihr Ding durch und bleiben für sich. Männer bilden gelegentlich „Expertenrunden“, stehen schon mal zu dritt oder viert um einen „Gerätebaum“ und reden. Was sie reden kann ich nicht mithören, aber es ist sichtbar, dass die Geübteren das Wort führen. Oft tragen sie besondere Assesoires, die einen schwer professionellen Eindruck machen: etwa einen breiten Gürtel um die Taille, oder schicke mattschwarze Handschuhe, die die Finger frei lassen. Ledermanschetten um die Gelenke sind auch recht beliebt. Da ich öfter komme und immer wieder dieselben Männer fachsimpeln sehe, konnte ich feststellen, dass einige von ihnen kaum noch selber üben. Das Center ist ihr Wohnzimmer, hier haben sie eine Aufgabe – ja warum auch nicht? Wenn ich falsch stehe, während ich so ein Ding am Seil nach unten ziehe oder drücke, werd‘ ich schon mal beraten, wie es richtig ist. Angenehm – es sei denn, ich zweckentfremde gerade ein Gerät absichtlich zu anderen Zwecken, als es gedacht ist, massiere mir z.B. mit so einem Wulst den Rücken, anstatt ernsthaft Beuge-Übungen zu machen. Das verstehen sie nicht, sehen nicht, dass ich mir grad nur „was Gutes tue“. Lust ist halt nicht das, was sie hier suchen.
Der Alpha-Mann
Gibt es einen dominierenden Fitness-Center-Typus? Der Profi-Bodybuilder mit den extremen Formen ist es heute nicht mehr, von denen gibt’s hier nur noch ganz wenige. Ich sehe eher den engagierten Amateur vorherrschen, üblicherweise ein Mann zwischen 20 und Mitte dreißig, der seinen Körper konsequent „in Form gebracht“ hat. Ständig arbeitet er dran, vor allem den Oberkörper zu „entwickeln“ und am Bauch den sogenannten „Sixpack“ entstehen zu lassen. Er trägt ein ärmelloses Hemd, damit die Erfolge seines Tuns auch gut zu besichtigen sind – und oft sind seine Oberarme mit modisch schwarz-weißen Tattos verziert. Er sieht STARK aus! All die anderen Männer, die dünneren, schmächtigeren und (noch) schlafferen, die mit den normalen Büro-Körpern und die aus der Form geratenen Bierbauchträger würden ganz gerne auch so werden – zumindest sind die Vorzeige-Typen davon überzeugt. Sie bewegen sich als selbstbewusste Alpha-Männer gänzlich anders durch die Räume als der zahlenmäßig größere Durchschnitt der (noch?) Unauffälligen.
Gefallen sie mir? Ich frag‘ mich das öfter, wenn ich ihre schwellenden Muskeln betrachte, die so „wohldefiniert“ zeigen, wie schwer sie daran gearbeitet haben. Also: wenn sie noch halbwegs „harmonisch entwickelt“ sind, finde ich sie ganz hübsch anzusehen. Ja, zu SEHEN, aber mehr nicht. An erotischer Ausstrahlung gewinnen sie für mich nichts, im Gegenteil, da ist ein schmaler Grat, den leider viele überschreiten, der sie mir ein wenig lächerlich erscheinen lässt. Was soll denn heutzutage so ein hypertrophierter Oberkörper bringen? Wozu braucht MANN den? Schnell wirken sie wie aus dem Comic gefallen, oder wie diese Plastikheldenfiguren, die den Kids immer passend zu den TV-Serien verkauft werden. Mehr komisch als attraktiv.
Was ist es wohl, das mir diese männliche „Super-Form“ erotisch gesehen eher als Minus erscheinen lässt? Zum einen verfehlen viele die physische Ausgewogenheit: Obenrum alles super, auch noch ein knackiger Hintern – aber die Beine vernachlässigen sie und bemerken nicht mal, dass es seltsam aussieht, wenn so ein Megamuskelmann auf dünnen (naturbelassenen?) Waden daher kommt. Aber selbst, wenn alles stimmt: so ein Körper ist überdeutlich das Ergebnis großer Mühen. Er ist gewollt, gemacht, erarbeitet, ist Werk, vielleicht Kunstwerk – also weit „mehr“ als nur die physische Seite des Mannes, den ich erlebe. Unübersehbar wird mir durch einen solchen Körper mitgeteilt, dass mein Gegenüber eben diesen Körper als Objekt verstanden wissen will, etwas, das ausgestellt, gewürdigt, bewertet, belobigt oder getadelt werden will – nicht einfach nur erlebt und genossen.
Natürlich gehört STÄRKE unzweifelhaft zum Archetypus des Männlichen, und wer sich auffällig starke Muskeln antrainiert, tut es vermutlich – neben gesundheitlichen und sportlichen Motiven – auch, um diesem „starken Mann“ weiblicher Fantasien nahe zu kommen. Und gewiss gibt’s auch genug Frauen, die mit so einem „Bild von Mann“ zufrieden, ja, entzückt sind! Meine Eindrücke sind rein subjektiv und mir reicht das halt nicht. In meinem Verständnis ist männliche Stärke mit Mühelosigkeit und Selbstverständlichkeit untrennbar verbunden. Mein „Traum-Mann“ HAT es einfach – er braucht nicht zu malochen wie ein Irrer, um dies und jenes an sich zu Vorzeige-Qualitäten aufzublasen (das gilt übrigens nicht nur für die körperliche Seite). Wenn ich einen Körper sehe, von dem ich die vielen „Stunden pro Woche am Gerät“ geradezu ablesen kann, dann ist es einfach nicht DAS!
Anders, wenn jemand durch reale körperliche Arbeit muskulös geworden ist – diejenigen sehen aber niemals so „wohldefiniert“, keinesfalls „übertrieben“ aus. Auch im Center gibt’s durchaus „harmonisch“ trainierte Männer: wenn ich so jemanden auf der Straße treffe, seh ich es ihm nicht direkt an, wie er sich in Form bringt – er sieht nur einfach GUT aus.
…in Bewegung
Soviel zur Optik – und jetzt guck ich mal auf den „Mann in Bewegung“. Krafttraining mit Geräten ist ja ein steter Wechsel zwischen Übung und Pause. Die Übung selbst kann langsam und bewusst oder schnell und schmutzig ausgeführt werden (bei letzterem hab‘ ich mir kürzlich meinen ersten Muskelfasserriß geholt und bin seitdem ein gebranntes Kind). Zwischen den Geschlechtern seh‘ ich da kaum Unterschiede, außer dem, dass sich Männer mehr anstrengen und dadurch deutlichere Kraftzuwächse erreichen, wogegen Frauen mit einer „allgemeinen Straffung“ meist schon zufrieden sind und es eher locker angehen.
Aber die Pause. Dieser Moment, wenn das Maximum der Anstrengung, Konzentration und Anspannung im Nichts-mehr-Tun endet – schon erstaunlich, dass manche das offenbar weit weniger vertragen als die schmerzliche Hochspannung zuvor! Sie halten kaum mal richtig inne, sondern dehnen und schlenkern die Glieder, massieren sich die Gelenke, gehen zweimal ums Gerät herum, schauen auf die Uhr oder reden mit dem Nachbarn. Ab und zu sehe ich sogar Männer, die sofort zum mitgeführten Spiegel, Stern oder Auto-Bild greifen, sobald sie die Finger von der Stange lassen. Das sind die echten Extremisten: bloß keinen Moment mit nichts als sich selbst sein, immer muss irgend ein Input passieren, Eindruck muss auf Eindruck folgen, Reiz auf Reiz – ich muss an Luftballone denken, die an einen Wasserhahn angeschlossen werden: immer mehr fließt rein, mehr und mehr… ich will nicht dabei sein, wenn das Ding platzt!
Dabei empfinde ich den Moment, wenn die Anspannung nachlässt, als die interessanteste Phase im Üben. Es rieselt und strömt durch den Körper, fühlt sich so lebendig an wie selten. Selbst eine Übung für die Schultern spüre ich dann bis in den kleinen Zeh – und so angenehm! Wie man darauf freiwillig zugunsten irgendwelcher Zeitungsartikel verzichten kann, ist mir ein Rätsel. Es erinnert mich an Handwerker, die niemals ohne Radio arbeiten – ob es ihnen irgendwie „unheimlich“ wird, wenn die Gedanken frei schweifen können und die Aufmerksamkeit nicht festgebunden ist?
Meine „Aufwärmphase“ ist zu Ende – und damit auch das Rumgucken. Grad‘ hab ich beschlossen, das Thema „Krafttraining“ mal am eigenen Leib zu erforschen. Nicht mehr nur „sanftes Straffen“ unter geringer Belastung, sondern selber erleben, wie es ist, an die Grenzen zu gehen. Aber davon handelt dann ein anderer Artikel.
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