Abends kommt der Schmerz. Seltsam, denn eigentlich sollte so ein angeschlagener Zahn – wenn schon – doch durchweg schmerzen! Was kaputt ist, kann doch nicht einerseits „ganz normal“ funktionieren, um dann zu nächtlicher Uhrzeit in den Krisenmodus zu fallen, der nach sofortiger Action schreit. Und doch ist dem so.
Zum Glück ist der Winter zurück und auf meinem Balkon türmt sich der Schnee. Den reibe ich mir auf die Wange, was kurzzeitig den Schmerz lindert. Tabletten wirken kaum. Mein Zahnarzt macht Urlaub bis zum 2. April und seine Vertretung ist jene Zahnärztin, mit der ich mich vor eineinhalb Jahren überworfen hatte. Weil sie immer gleich ZIEHEN und Ersatz einbauen will. Sie würde triumphierend sagen: „Sehen Sie, ich hab’s ja gesagt!“ und wieder nicht verstehen, dass 18 Monate mehr mit eigenem Zahn festgehaltene Lebensqualität bedeuten. Insbesondere dann, wenn die anstehende Sanierung den großen Schritt hin zum mobilen Zahnersatz erfordert.
Durchwursteln…
So mache ich es also wie die EU und wurstele mich so durch die Zahn-Krise: mal eine Tablette hier, noch eine dort, zwischenzeitlich scheint es, als hätte sich das Problem verzogen, um dann umso wuchtiger zurück zu kehren. Dann renne ich alle zehn Minuten auf den Balkon und kühl‘ mir die Backe.
Anders als die EU hat meine Zahn-Krise allerdings eine klare Perspektive. Abriss, mitsamt der Brücke, deren einer Pfeiler es nicht mehr tut. Und weil das Ganze sich nicht irgendwo in der Reihe abspielt, sondern am Ende derselben, auf der Hauptkaufläche, braucht es auch die Demut, zu akzeptieren: Ja, es ist soweit. Die Zeit der „dritten Zähne“, die nicht mehr vergessen lassen, dass sie keine „Echten“ sind, bricht an.
Immerhin keine Alternativlosigkeit wie bei unserer Groß-Krise! Bei ihr gibt es niemanden auf der ganzen Welt, der sagen könnte: Jetzt machen wir eine Grundsanierung, akzeptieren alle damit einher gehenden Verluste und fangen dann eben auf anderem Level wieder neu an. Alles Geld will Geld verdienen, Zinsen erwirtschaften – und weil es sehr viel mehr Geld gibt als reale Güter und Werte, kann das auf Dauer nicht funktionieren. Das Geld ergießt sich also als „Not leidendes Kapital“ in Pseudo-Werte, in „giftige Papiere“ und riskante Wetten (vulgo: „die Banken haben aus der Krise nichts gelernt und machen einfach weiter wie bisher“). Es finanziert Staaten, die noch halbwegs zahlungsfähig wirken, fällt aber in die Realwirtschaft ein, sobald die Unsicherheiten dieser „Anlagen“ nicht mehr zu leugnen sind. So werden Rohstoffe teurer und die Aktienmärkte boomen sich in die Blase, obwohl die Wirtschaft weltweit schwächelt und die Staaten überschuldet sind. Für sie wird sogar extra Geld „gedruckt“, damit ihre Zinslast nicht steigt. Wodurch es immer mehr Geld gibt, ohne dass die Gütermenge, die damit erworben werden kann, in gleichem Maße wächst.
Das System braucht einen „Reset“, sagt Dirk Müller (Mr.Dax) fast in jeder Talkshow, in der er auftritt. Anders als der Computer hat das Weltfinanzsystem aber keinen entsprechenden Schalter. Jegliche grundsätzliche Veränderung ist nur als Folge massiven Zerfalls und Zerstörung mit Krieg und Chaos vorstellbar – und selbst dann würde sich das alte System restaurieren, wenn dem nicht durch eine Art Welt-Diktatur Einhalt geboten würde. Die man ja auch nicht will (nicht mal in der EU wollte man ja wirklich gegen die „Steuerspar-Geschäftsmodelle“ einiger Mitgliedsstaaten vorgehen).
Zu pessimistisch? Mir wäre auch lieb, ich könnte das anders sehen. Drastische Regulierung durch friedliche Verhandlungen, basierend auf der allgemeinen Einsicht in die Not-Wendigkeiten – das erscheint als allzu verstiegene Utopie. Denn die Nöte, die gewendet werden müssten, sind allzu ungleich verteilt und werden immer ungleicher: zwischen Ländern und ganzen Regionen, aber auch zwischen den Bürgern innerhalb der Staaten.
Also konzentrieren wir uns auf das gelobte „Hier & Jetzt“, anstatt allzu viel an die Zukunft zu denken. Ich werde die Zahnweh-freien Stunden nutzen, zwar keine Apfelbäumchen aber immerhin etliche Tomaten, Zucchini und andere vorzieh-fähigen Gemüse ansähen. Auf der Fensterbank hab‘ ich dann WACHSTUM!!! Wo gibts‘ das heute schon noch?
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Ein paar Lesetipps zur Krisenlage:
Es gibt eine stärkere Währung als den Dollar – Doch die zerbröselt gerade – Gaertner’s Blog;
Die Perspektiven der Krise – Vier Szenarien – www.german-foreign-policy.com;
Marktwirtschaft ohne Kapitalismus und Sozialismus ohne Planwirtschaft – Im Gespräch mit Sahra Wagenknecht | Linksnet;
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4 Kommentare zu „Über Krisen-Tango und Zahnweh“.