Nein, natürlich nicht! Wenn ich etwas begriffen habe in diesem, nun schon über ein halbes Jahrhundert währenden Lebens, dann ist es diese, recht frustrierende Erkenntnis: Ich bin, was ich geworden bin, und das lässt sich – leider! – nicht mit einem Fingerschnipsen und auch nicht mit heftigsten Bemühungen über ein paar Wochen willentlich ändern.
Wie oft hab‘ ich zum Beispiel mit dem Rauchen aufgehört! Maximal hat es eineinhalb Jahre gehalten, meist aber nur ein paar Monate, oft nur wenige Wochen. Auch der Plan, endlich ein sportlicher Mensch zu werden, mich täglich ausreichend zu bewegen, mich nurmehr gesund zu ernähren (Obst, Gemüse, Vollwert…), hat mich immer wieder zu Lebensveränderungsrundumschlägen motiviert, die für kurze Zeit alles Denken und Fühlen bestimmten, um dann wieder im Alltag zu versanden. Fast geht es nach dem Motto: Je größer der Einsatz, je ernster und aufwändiger die gewünschte Veränderung angegangen wird, desto weniger wahrscheinlich der Erfolg.Dasselbe Spiel im Reich der Arbeit: fast jedes Jahr ein Aufbruch zu neuen Ufern: Ist-Analyse, Ziele finden, Aktivitäten planen, konzentriert und konsequent an den Dingen dran bleiben, nicht bloß die niemals endende To-Do-List als Instrument benutzen, sondern ordentliche Tages-, Wochen- und Monatspläne, damit ich auch weiß, wann ich „fertig“ bin. Der „Ruck“, den ich mir jedes Mal gebe, trägt über ein paar Wochen, dann verliert sich das abenteuerliche Gefühl des Ausnahmezustands und nahezu unmerklich stellen sich die alten Verhältnisse wieder her. Und niemand ist daran schuld außer mir selbst – eine demütigende Einsicht!
Wer will sich ändern, wer scheitert?
Ich selbst – wer ist das? Ich WILL doch die jeweilige Veränderung, ersehne sie aus ganzem Herzen, investiere meine ganze Kraft, warum klappt das also nicht? Es gibt eine Reihe „wissenschaftlicher“ Antworten darauf, etwa die, dass mein bewusstes Planen und Wünschen aus der Großhirnrinde kommt, das tatsächliche Verhalten aber von tieferen, älteren Strukturen im Gehirn gesteuert wird – etwa der „Belohnungsmechanismus“, eine tief eingeprägte Suchtstruktur, die nicht einfach so auf ihre gewohnten Glücksbringer durch falsches Verhalten verzichten kann. Reißt man ein einziges missliebiges Glied aus der Kette des Gewohnten, werden jede Menge anderer, bisher zufriedenstellend „funktionierende“ Aspekte in Mitleidenschaft gezogen. Nichts geht mehr „wie von selbst“ und der für die Veränderung erforderliche Einsatz an Energie und Aufmerksamkeit übersteigt schnell das, was ich zu leisten auf Dauer willens und fähig bin.
Ist es also so, dass ich mir nur einbilde, mein Leben aus freiem Willen im Rahmen des Spektrums der Möglichkeiten gestalten zu können? Bin „ich“ nur ein Fantasma, ein Traum aus chemischen Stoffen, die ja doch machen, was ihnen ihr quasi-materielles Wesen gebietet? Ich hebe die Hand und winke – das geht doch auch, wenn ich es so will, ganz kann das einfach nicht stimmen. Der Hinweis auf das Physische, das Materielle oder auch das Energetische ist keine Ausrede dafür, sich selbst lediglich als Marionette unbeeinflussbarer Prozesse zu betrachten, gegen die man „eh nichts machen“ kann. Dann bräuchte ich nämlich morgens gar nicht erst aufstehen, weil ich ja weiß, dass ich doch abends wieder im Bett lande und eines Tages sterbe.
Nichts kratzt das Empfinden, eine „Person“ von einiger Kontinuität zu sein, so sehr an wie das Erleben, binnen kürzester Zeit „umzudenken“, wenn die Sucht sich meldet. Nicht alle meine Versuche, mit dem Rauchen aufzuhören, scheiterten erst nach einigem Erfolg, oft erlebte ich auch, dass ich das Vorhaben beim ersten heftigen Anfall von süchtigem verlangen in den Wind schoss – ich konnte mir dabei zusehen, wie sich innerlich alles veränderte, wie die Angst, früh an Krebs zu sterben, in den Hintergrund trat, wie das Gefühl des Aufbruchs ins schöne neue gesunde Dasein jede Strahlkraft verlor zugunsten von „süchtigen Gedanken“, die all das relativierten, Hauptsache, die nächste Kippe wird angezündet. Einatmen, den ersten Zug tief inhalieren… ahhhhhh, die Welt ist endlich wieder in Ordnung!
Im Laufrad der Sucht
Will ich mich dieser Kraft entziehen, darf ich nicht weiter machen wie bisher. Dann muss ich halt den Tag des ersten Entzugs in einer Saunalandschaft verbringen, wo andere physisch extrem wirksame Stimuli das Leiden an der Sucht „überschreiben“ können. Aber das ist nur der Anfang, der Anfang ist relativ leicht, denn man ersetzt einen vermeintlichen Genuss durch einen anderen, ECHTEN Genuss – wie schön! Dann muss es aber weiter gehen: morgens nicht mehr „Kaffe und Zigarette“ zum Start in den Tag, sondern Bewegung, Obst und Müsli – und das dann jeden Tag! Klar kann ich das als Lust empfinden, wenn ich mich darauf einlasse, doch werden dann auf einmal die physisch weniger lustvollen Tätigkeiten problematisch: ich fühle mich nicht mehr wohl, wenn ich lange am Monitor sitze, kann nicht mehr „ins Virtuelle versinken“, der Körper und seine Bedürfnisse bleiben stets präsent – und das wird lästig, ungeheuer lästig, wenn man sein Leben zu großen Teilen im Vergessen des Physischen zugebracht hat – und im Grunde auch weiter zubringen WILL! Der Preis, der für „gesundes Leben“ zu zahlen ist, erscheint auf einmal immer höher – bis ich zum deprimierenden Punkt des Aufgebens komme, an dem ich resigniere und trotzig sage: sterben muss ich sowieso! Bis dahin will ich aber wenigstens so leben, dass „alles flutscht“, so wie es mir leicht fällt, wie es „von selber“ geht – und das ist eben die süchtige, die gesundheitsschädliche Art.
Bisher bin ich aus diesem Kreis nicht entkommen. Was sich verändert hat, sind die Gedanken darüber. Ich sitze dem Glauben an die große Veränderung nicht mehr auf, starte aber gleichwohl mangels Alternative immer neue Versuche. Sich einfach im „weiter so“ hängen lassen, erweist sich nämlich auch nicht als wirklich machbar, schließlich spüre ich die Wirkungen des falschen Verhaltens täglich am eigenen Leib, ab und an erwischt mich die kalte Angst, und ganz pragmatisch gesehen kostet mich das Rauchen zuviel Geld, das ich oftmals gar nicht habe. So pendle ich also zwischen rauchen und nicht rauchen, zwischen Aufbruch und Resignation, wodurch lange schon mein Selbstverständnis als „machtvolles Ich“, das wenigstens „im eigenen Haus“ das Sagen hat, zu Nichts zerfallen ist.
„Rauchen“ war mir hier nur ein aktuelles Beispiel, mit allem anderen, was ich gerne geändert sähe, verhält es sich ganz ähnlich. Was in diesem „Kreislauf der Frustrationen“ nicht mehr funktioniert, sind Einflüsse von außen – etwa der gern gegebene Rat, man solle es möglichst vielen Menschen mitteilen, dass man nun nicht mehr raucht und nie, nie wieder rauchen werde. Das klappt nur solange, wie es einem wichtig ist, vor Anderen nicht als Versager da zu stehen, doch mit zunehmendem Alter nimmt dieses Geltungsbedürfnis vermutlich nicht nur bei mir dramatisch ab. (Wenigstens ETWAS Positives, das in diesem Kontext festzustellen ist!). Die gefürchtete Verachtung anderer erweist sich als Projektion der weit schlimmeren Selbstverachtung, die durch das Erleben des Scheiterns ausgelöst wird. Hat man sie einmal hinter sich gebracht zugunsten einer gewissen Gelassenheit im Selbstverständnis, zugunsten „fragenden Beobachtens“ gegenüber dem, was „ich“ offensichtlich jenseits dessen, was ich will und denke, auch noch bin, dann sieht man ja, dass die Anderen so ein Scheitern sogar recht gerne sehen, weil sie sich dann selber „im Vergleich“ besser fühlen können. (Und wer mich ganz persönlich mag, der mag mich rauchend und nicht rauchend gleichermaßen.)
Neti neti – nicht dies, nicht das
Rauchfrei im Mai – schon 2003 hab‘ ich an dieser Aktion teil genommen und will es dieses Jahr wieder tun. Auf meiner Reise nach Kambodscha bin ich nämlich wieder voll reingerasselt in die Sucht, hänge auf hohem Level an der Kippe und muss die Wohnung intensiv lüften und mit Räucherstäbchen (Zitrone, Orange, Lemongrass…) reinigen, bevor ich Besuch bekomme.
Wird also ab morgen, bzw. übermorgen alles anders??? Ich fürchte ja, aber vielleicht treibe ich ja noch irgendwo Niko-Kaugummis auf, damit es sich weniger drastisch anfühlt. Vielleicht denke ich aber auch noch um, bleibe mit Kaffee und Zigaretten vor dem Monitor kleben und sterbe bald an Lungenkrebs. Mein Leben kann ich offensichtlich nicht „machen“, es aber einfach lassen, wie es ist, kann ich auch nicht. Im Betrachten dieses Dilemmas berührt der Verstand eine Grenze, an der ich neuerdings das Bedürfnis nach Schlaf, nach Bewusstlosigkeit wahrnehme. Es genauer in den Blick nehmend, erkenne ich es als ein Sehnen nach dem Ende der Anstrengungen und Verwirrungen, die das Leben ausmacht. Auf einmal kann ich mir vorstellen, eines Tages gerne zu sterben. Ob es das ist, was Freud den „Todestrieb“ nannte, den ich bisher nie verstehen konnte und deshalb für ein mentales Konstrukt hielt?
Ich weiß es nicht, weiß nur immer besser, wie wenig ich weiß. Wieder darüber zu schreiben, ist mir aber eine Lust, an der ich festhalten will – wenigstens ein, die nichts Gesundheitsschädliches mit sich bringt!
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4 Kommentare zu „Die Geste des Anlaufs: Ab morgen wird alles anders?“.