Selten machen mich politische Ereignisse derart sprachlos wie die derzeitigen Vorgänge rund um die Enthüllungen des Whistleblowers Snowden zu den Machenschaften der Geheimdienste (Prism, Tempura etc.). Wobei „sprachlos“ bedeutet: jedes Mal, wenn ich daran denke, kocht in mir eine solche Wut hoch, dass ich lieber schreien als schreiben möchte!
Insbesondere regt mich auf, wie abwiegelnd, beschönigend, zynisch-besserwisserisch und geschichtsvergessen viele Kommentatoren und Mitbürger darauf reagieren, dass unser Grundgesetz und viele andere Gesetze offenbar nicht das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt sind. Dass im weiterern der Umgang mit Snowden zeigt, dass europäische Staaten offenbar brave, vorauseilend gehorsame Vasallen der USA sind, die – scheiß auf die ehernen Grundsätze internationaler Diplomatie! – einen südamerikanischen Präsidenten zwingen, in Wien erst sein Flugzeug durchsuchen zu lassen, bevor er deren Lufträume überfliegen darf.
Welche Eiertänze dann hierzulande Regierende über ihr Wissen bzw. angebliches Nichtwissen aufführen, überschreitet jedes Maß an Peinlichkeit, das man bisher erleben musste! Und auch der BND weiß ja angeblich nicht, woher die Informationen stammen, die von den „befreundeten Diensten“ herüber gereicht werden! (Was bedeutet schon die jeweilige Verfassung? Was der eine nicht darf, macht halt der andere…) Ich könnte kotzen angesichts dieser Volksverdummung, insbesondere, weil sie zeigt, was für ein Bild vom Bürger all diese Funktionäre haben: blöde Schafe, deren Gemüt man vor der Wahl noch mehr als sonst mit beruhigenden Worthülsen bedenken muss – und hey, das klappt ja auch wunderbar! Der deutsche Michel meint: stört mich doch nicht, dass ich komplett überwacht und meine ganze Kommunikation gespeichert wird. Ich hab doch nichts zu vebergen! Und: Wo ist der Nachteil für mich?
Nichts zu verbergen? Dann lies mal diese sieben Artikel!
Wie gesagt, ich fasse es nicht und mir fehlen einfach die passenden Worte, meinen Abscheu über das auszudrücken, was aus den westlichen Demokratien geworden ist. Deshalb folgen hier ein paar Artikel, die mir aus der Seele sprechen, bzw. auch unendlich geduldig nochmal und nochmal erläutern, „wo der Nachteil ist“ – für all‘ jene, die bereit sind, ihren Blick über den Tellerrand des persönlichen Alltags als Konsument hinaus schweifen zu lassen (auch wenn’s weh tut!).
- Prism Break – warum wir als Demokraten hier dringend raus müssen – Patrick Breitenbach / Karlshochschule
„Selbst wenn die demokratisch gewählten Volksvertreter derzeit in bestem Wissen und Gewissen für das Volk handeln, so wäre die Installation eines totalitären Regimes relativ reibungslos vollziehbar. Denn die Strukturen die man dafür u.a. benötigt, sind nun bereits in voller Perfektion vorhanden: Ein direkter Zugriff auf die Gedanken- und Verhaltenswelt der Menschen ist gelegt. Der Informationsvorsprung weniger priviligierter Menschen, also die Wissensasymmetrie, ist schier endlos.“ Sehr lesenswert die vier ausführlichen Begründungen, warum die totale Überwachung ein gewaltiger SCHADEN ist! - Sollten sich „anständige Bürger“ wegen der Überwachung sorgen? – Ein Erfahrungsbericht aus den Schattenkriegen Michael Blume / SciLogs.
„Während ich also noch völlig ahnungslos meinen Arbeitsbereich aufbaute, begannen „Kollegen“ der Sicherheit schon auf eigene Faust „belastendes“ On- und Offlinematerial (einschließlich eMails) zusammen zu tragen und schließlich Journalisten sowie Oppositionsabgeordnete damit „zu füttern“.“ - Her mit dem Geigerzähler! Überwachung ist wie Radioaktivität. Zunächst einmal merkt man nichts. Katharina Nocun / The European
„In vielen Generationen sind Menschen dafür gestorben, was wir einfach so auf dem Präsentierteller bekommen: Menschenwürde, Pressefreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Fernmeldegeheimnis, Demokratie. Kurzum: Freiheit. Wissen Sie: Jedes Mal, wenn jemand sagt: „Ich habe doch nichts zu verbergen“, stirbt etwas in mir.“ - Überwachungsskandal: Wer lesen kann, kann auch schreiben
„Ein international vernetzter Überwachungsapparat ignoriert die Maßstäbe der Demokratie. Das ist doch nichts Neues, rufen im Chor diejenigen, die keinen Unterschied erkennen wollen zwischen eigenen, langjährigen Vermutungen und handfesten Beweisen. Und diejenigen, die aus unterschiedlichsten Gründen beschwichtigen wollen. Sie liegen falsch… „ Sascha Lobo auf SPON. - Realismus-Kotau – Wolfgang Michal / CARTA
Wer sich aufregt, ist naiv – Man nennt dieses Verhalten „Realismus-Kotau“. Gemeint ist die Verbeugung vor dem „Unabänderlichen“, dem „Alternativlosen“. Es ist die freiwillige Selbstaufgabe von Leuten, die ihre Resignation oder ihr Ich-will-mit-diesem-Scheiß-nicht-behelligt-werden als Realismus maskieren.“ - Überwachungsstaat BRD: Wie unsere Freiheit der irrationalen Angst vor dem Terror geopfert wird Jakob Jung Blog.
„Der Preis für die staatlichen Maßnahmen gegen den Terrorismus ist also der Verlust der offenen Bürgergesellschaft. Vor dem Hintergrund der belegten Wirkungslosigkeit von Kontrolle und Überwachung auf die angebliche Gefahr durch den Terrorismus stellt sich insofern die Frage, ob nicht genau diese Entdemokratisierung der Gesellschaft und die zunehmende Reglementierung ihrer Bürger in der Absicht der Befürworter von Law & Order liegt.“ Umfassender, ins Detail gehender Artikel über Überwachungssysteme in Deutschland und deren vermeintlichen (!) Nutzen in Sachen Terrorbekämpfung. - PRISM als Wirtschaftsspionagesystem Norbert Rost / Heise.de.
Ein Artikel für alle, die nurmehr ökonomische Werte als relevante Werte anerkennen.
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22 Kommentare zu „Zur geheimdienstlichen Überwachung und deren Verharmlosung“.